Ein Altes Akkordeon

Autor: Ananas
veröffentlicht am: 27.06.2011


Alma hatte oft hier im Türrahmen gestanden und ihm beim Schreiben zugeschaut. Manchmal hielt sie Tee in der Hand, manchmal hielt sie das alte Akkordeon fest und strich mit den Fingerspitzen über die Tasten ohne jemals eine davon zu drücken. Die Sonne fiel spärlich durch die halb runter gelassenen Jalousien, hatte goldene Streifen auf Almas faltiges Gesicht gemalt. Fast konnte man das Geräusch der Schreibmaschinentasten hören. Es roch nach altem Holz und der herbe Geruch von Kaffee und Zigarren lag in der Luft. Der würde nie mehr verschwinden. Alma hatte oft hier gestanden, in dem Zimmer wo so viele Figuren, Orte und Geschichten das Licht der Welt erblickt hatten, versucht in dem Mann an der Schreibmaschine etwas zu finden, das sie lieben würde, während sie sich insgeheim fragte, wann er eine Geschichte für sie schreiben würde.
Würde es eine Geschichte für Alma jemals geben? Ihre Tagebücher waren traurig, aber nicht auf schöne Weise. Alma war unglücklich gewesen, aber nicht verzweifelt. Einsam genug, um ihr Leben in ein Tagebuch zu schreiben, aber niemals poetisch. Die Zeilen, die Alma zu ihren Lebzeiten geschrieben hatte, würden niemals jemanden zu Tränen rühren können, wie die des Mannes, den sie geheiratet hatte. Das Leben hatte auf sie oft wie ein Labyrinth gewirkt, und wäre da nicht das alte Akkordeon gewesen, hätte sie den Mann vielleicht niemals getroffen.
Es war ein schönes Instrument, von dem sie selbst nicht wusste, wie alt es war, oder wem es mal gehört hatte. Alma war jung gewesen, als das Akkordeon seinen Weg zu ihr gefunden hatte. Sie war ein Mädchen aus dem Nirgendwo, benannt nach einer Toten, die sie nicht kannte. In einem Zug, mit dem sie mal gefahren war, als sie noch jung war und nichts hatte, vertauschte jemand ihren Koffer mit dem seinen. Und so stand Alma mitten in einer Stadt, die aus Backsteinen, fremden Gesichtern und viel zu schrillen Stimmen gemacht war. Als sie den Koffer öffnete, fand sie darin nur das Akkordeon. Sie setzte sich am Straßenrand auf den Koffer und weinte. Schließlich nahm sie das Instrument und obwohl ihre Arme zu schwach waren und sie nicht wusste, wie man es spielte, tröstete sie die Stimme, die daraus drang. Also behielt Alma es all die Jahre. Sie setzte sich zu Fremden in Kneipen und Cafés und Parks und bat sie für sie zu spielen. Manche lehnten ab, weil die Stimme traurig machen machen würde. Manche spielten ein Lied. Und einige – und diese liebte Alma natürlich am meisten - spielten die ganze Nacht lang und sangen über die Sterne und den Ozean und die aufgehende Sonne am Morgen.
Dann kam der Tag, als Alma den Soldaten traf. Er nahm das Akkordeon und spielte für sie, als hätte er niemals etwas anderes in seinem Leben getan. Es fühlte sich an, als könne Alma die Melodien atmen und die Orte riechen, von denen er sang. Später, bevor Alma ihm ihre Liebe gestehen konnte, nahm ihn der Krieg in ferne Länder mit sich. Er verließ sie nach einem letzten Lied, das Alma niemals vergessen würde. Und Alma wusste, dass nie wieder jemand auf dem Akkordeon nach ihm spielen durfte, die Stimme hören oder die Tasten drücken.
Jahre später heiratete sie einen anderen Mann, weil er ein Buch über einen Akkordeonisten geschrieben hatte. Es handelte nicht von dem, den Alma gekannt hatte, aber sie hoffte immer ihr Ehemann würde auch ihre Geschichte einer Tages schreiben.
Doch sie das letzte Mal dort im Türrahmen stand begriff sie endlich, dass es nie passieren würde. Sie weinte nicht. Abgesehen von dem einen Male, als sie jung gewesen war, hatte sie nie jemand weinen sehen. Also starb Alma leise, an dieser Tür, nur begleitet von dem Geräusch eines Schusses. Man kann immer noch das dunkle Blut an den Wänden und auf dem Boden erkennen. Selbst auf dem Akkordeon, das Alma sterbend gehalten hatte, als habe sie es mitnehmen wollen, um noch einmal das Stück zu hören, dass sie sich so bemüht hatte, nicht zu vergessen.







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