Das Ende des Schweigens - Teil 6

Autor: Anna :)
veröffentlicht am: 13.05.2011


Sie lag in dem großen Bett des Gästezimmers und konnte nicht einschlafen. Sie sah auf den Wecker. Ein Uhr dreiundfünfzig. Kiara seufzte tief. Sie würde nicht einschlafen können. Sie war zu aufgewühlt. Zu wütend. Also dachte sie nach. Systematisches Vorgehen war nicht ihr Ding und Planung schon mal gar nicht. Sie konnte einfach nichts mit ausgefeilten Plänen anfangen. Spontanität lag ihr schon eher.
Ein weiterer tiefer Seufzer entfloh ihrer Kehle.
Kiara schwang ihre Beine aus dem Bett und zuckte zusammen, als sie den eiskalten Steinboden berührten. Als sie noch mit Jack zusammen wohnte, musste sie immer Schuhe anziehen, wenn sie über den Fußboden lief. Um keine Fußabdrücke zu hinterlassen. Einige Male hatte sie es vergessen und obwohl nicht die geringste Spur eines Abdruckes zu sehen war, hatte Jack sie ordentlich verprügelt. Sie überlief ein Schauer. Er hatte es nie getan, um sie dafür zu bestrafen, sondern einfach nur um Recht zu behalten. Wenn Jack Collister seiner Frau vorschrieb, Schuhe anzuziehen, dann hatte seine Frau das gefälligst zu tun.
Ein weiterer Schauer durchfuhr sie, als sie mit nackten Füßen zur Tür ging. Es tat gut, gegen Jacks unsinnige Regeln zu verstoßen, auch wenn er davon nichts mitbekam. Kiara war frei. Jack hatte ihr nichts mehr vorzuschreiben und wenn sie erst einmal Amy-Jane geholt hatte, würde sie so schnell wie möglich die Scheidung beantragen. Das Sorgerecht für ihre Tochter hatte sie schon so gut wie sicher, nach all dem, was er ihr angetan hatte.
Kiara setzte sich in der Küche an den Tisch und dachte nach. Sie musste so schnell wie möglich versuchen, Amy-Jane zurück zu bekommen. Übermorgen vielleicht…nein. Morgen schon.
Jack lies bestimmt nichts anbrennen, das war nicht seine Art.
Kiara ballte die Hand auf dem Tisch zur Faust. Sie schwor sich in dieser schwülen, drückenden Nacht, ihren Mann umzubringen, falls er ihrer Tochter irgendetwas getan hätte.

Am nächsten Morgen kam für Kiara die Erleuchtung. Sie hatte eine Idee, die einfach gut gehen musste. Um zu scheitern, war sie viel zu sicher.
Ihr fiel ein, dass Jack jetzt allein war. Und Männer, die allein waren, wollten in den meisten Fällen Trost. Jedenfalls Männer wie Jack, die sowieso nie richtig treu gewesen sind. Kiara konnte sich erinnern, wie oft Jack mit einem „Ich bin in ein paar Stunden zurück“ aus dem Haus gegangen war. Sie wusste genau, wo er hinging und sie versuchte gar nicht erst, diesen Gedanken zu verdrängen, denn ihr Plan war genial…gewagt, aber genial.
Sie ging in die Küche, wie jeden Morgen. Ihre Mutter stand am Herd und machte Rühreier mit Speck. In Kiaras Kopf reifte der Plan weiter. Sie war sich sicher, dass sie, verkleidet als Flittchen, ganz leicht Einlass in Jacks Haus bekommen würde. Eine aufreizende Kleidung und die richtigen Worte kochten solche Arschlöcher wie Jack ganz schnell weich. Kiara runzelte die Stirn, als sie sich an den Küchentisch setzte. Wahrscheinlich hatte sich Jack seit ihrem Verschwinden schon sehr oft auf diese Weise- getröstet. Es gab ja genug Frauen auf der Welt, die für solche erniedrigenden Taten zu haben waren.
Der Gedanke daran, dass ihr rücksichtsloser Mann währenddessen Amy-Jane auch noch im Haus rumlaufen lies, machte sie wütend. Ihre Wangen wurden rot.
„Morgen, Schatz“, sagte ihre Mutter mit aufgesetztem Lächeln. Sie versuchte es wenigstens, im Gegensatz zu Kiaras Vater.
„Morgen.“ Sie machte sich über das Essen her.
„Ich brauche Geld, Mom“, sagte sie währenddessen.
Ihre Mutter nickte. „Natürlich, Schatz, wir helfen dir, wo wir können.“ Kiara lächelte und umarmte Evelyn. „Danke, Mom. Ich gebe es euch natürlich so schnell wie möglich zurück.“
Nach dem Essen zog sie sich sofort an. Sie durfte keine zeit verlieren, keine Minute vergeuden. Von ihrer Präzision und Schnelligkeit hing das Leben Amy-Janes ab. Sie nahm das Geld und machte sich zu Fuß auf den Weg.

In dem Klamottenladen war es heiß, die Bässe der Musik hämmerten auf höchster Lautstärke und die Verkäuferin, die noch aussah, wie ein Kind, musterte Kiara beim Eintreten von oben bis unten und kaute auf ihrem Lieppenpiercing herum. Kurz gesagt: Ein Mistladen, doch der einzige in der Umgebung, der die Kleidung verkaufte, die Kiara jetzt brauchte. Sie ging durch die Reihen. Miniröcke, Netzstrumpfhosen, Punk – Klamotten und viele andere Sachen. Kiara probierte einige an, immer beobachtet von der Verkäuferin. Sie war die einzige Kundin und daher wohl besonders unter die Lupe zu nehmen. Endlich fand sie was Passendes. Ein extrem kurzer Jeansminirock und ein schwarzes, enganliegendes, weit ausgeschnittenes Top. Sie betrachtete sich im Spiegel der Umkleidekabine und zog eine Augenbraue hoch. Dann nickte sie leicht. Schlampig, genau wie Jack es mochte. Sie konnte einen verächtlichen Blick nicht unterdrücken, als sie an ihn dachte. Sie suchte sich noch eine der vielen Netzstrumpfhosen mit kleinen Karo – Einschnitten aus und ging dann in die Schuhabteilung. Unter den Blicken der Verkäuferin, die nun stirnrunzelnd Kiaras Sachen betrachtete, fand sie schließlich ein Paar. Es waren keine Schuhe, es waren Waffen. Für die Höhe und die extrem scharfe Spitze vorne sollte es eigentlich einen Waffenschein geben. Kiara nickte zufrieden und probierte sie an. Genau das, was sie brauchte. Es waren schwarze Lackstiefel, die ein kleines Stück unter dem Knie endeten und einen geschätzten dreizehn – Zentimeter – Absatz hatten. Kiara ging relativ zufrieden zur Kasse. Als Miss-Piercing bei den Schuhen angekommen war, riss sie erstaunt die Augen auf.
„Wollen Sie jemanden umbringen, Lady?“, fragte sie ungläubig und drehte die Waffen in den Händen.
„Vielleicht“, antwortete Kiara grinsend.
Die Verkäuferin musterte sie. „Wenigstens einen Mann?“, fragte sie dann unerwartet. Kiara musste lachen. Auf den Mund gefallen war die Kleine ja nicht.
„Ja, meinen Ex- Mann“, sagte sie.
Miss-Piercing grinste jetzt auch und legte die Schuhe behutsam wieder in den Karton.

Als Kiara auf dem Weg nach Hause war, kamen ihr doch Zweifel. Ob Jack sie nicht doch erkennen würde, wenn sie vor ihm stand. Andererseits hatte er sie nie wirklich richtig angeschaut, außerdem würde sie sich schon so zu schminken wissen, dass er sie garantiert nicht wieder erkannte.
In dem Moment hörte sie ein Hupen neben sich. Sie drehte den Kopf und sah das gelbe Taxi, aus dem das allbekannte, dröhnende Lachen zu hören war. „Yo, Miss C.“
Kiara grinste Lou an. Er fuhr an den Straßenrand und öffnete die Beifahrertür. „Soll ich Sie mitnehmen? Das Haus Ihrer Eltern liegt auf meinem Weg.“ Dabei durfte das strahlende Pferdegrinsen natürlich nicht fehlen. Kiara stieg ein.
„Danke“, sagte sie immer noch grinsend. Dieser Kerl schaffte es tatsächlich, sie immer und überall zum Lachen zu bringen.
Lou hämmerte mit den Händen leicht auf das Lenkrad, während er fuhr. „Wissen…wissen Sie was, Lady?“ Er sah sie von der Seite an, schien aber genau zu wissen, wo er hinfuhr. Kiara schüttelte den Kopf.
„Sie sind der einzige Kunde, den ich nicht sofort nach der Fahrt vergessen habe.“ Lou schien seine eigene Aussage amüsant zu finden, denn er wieherte schon wieder dröhnend los. Kiara lachte mit.
„Ach, wirklich“, fragte sie in gespielter Überraschung. „Wie das?“
Lou grinste. „Na ja, vielleicht, weil Sie die einzige sind, die mir bis jetzt was ausgegeben haben. Sonst habe ich immer nur kurze Fahrten gehabt.“
Kiara erinnerte sich an den Kuchen, den sie Lou gekauft hatte und an ihre Verwunderung darüber, dass ein Mensch mit vollem Mund so viel reden konnte.
Kiara ging ein Gedanke durch den Kopf. „Lou“, sagte sie ernst. „Da wir uns schon kennen, kannst du mich vielleicht heute Abend fahren?“
Lou sah sie erstaunt an. Kiara wusste, was sie tat. Sie brauchte einen Menschen, dem sie vertraute, falls irgendetwas schief gehen sollte. Wenn Jack sie entlarvte und versuchte, sie zu töten. Kiara zweifelte keinen Moment daran, dass er das tatsächlich tun würde, wenn er die Gelegenheit dazu hätte.
„Klar, Miss C. Aber warum ich?“, fragte Lou.
Kiara seufzte. Ihre blieb nichts anderes übrig, als ihm die ganze Geschichte zu erzählen. „Wann hast du Schichtende?“, fragte sie.
Lou dachte kurz nach. „Um vier, wieso?“
„Kannst du um vier ins California Inn kommen?“
Das California Inn war ein beliebtes Café in der Nähe ihres Hauses.
Er dachte wieder nach und nickte dann. Mittlerweile waren sie am Haus ihrer Eltern angekommen. „Aber warum?“, fragte Lou verwirrt.
Auf Kiaras Gesicht breitete sich ein fieses Grinsen aus. „Das wirst du dort erfahren“, sagte sie und stieg aus.

Hoffe auf viel Kritik und Kommis :)






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