Zum Glück gibt es Wunder - Teil 4

Autor: Yaksi
veröffentlicht am: 15.04.2011


„June! Wir müssen los“, brüllte meine Mutter durch das ganze Haus und lief aufgeregt den Flur entlang. Ihre hochhackigen Schuhe hallten im ganzen Haus wider und seufzend sendete ich noch schnell eine SMS an Mona. 'Es geht los. Ruf dich an, wenn wir angekommen sind'
Fünf Tage waren seit ihrer Abreise vergangen –fünf Tage in denen ich mich zu Tode gelangweilt hatte. Am ersten Abend hatte ich geheult wie schon lange nicht mehr. Irgendwann durfte ich dann schließlich bei meiner Mutter mit im Bett schlafen wie damals als kleines Kind, wo ich Angst vor Gewittern hatte. Eigentlich hatte ich immer noch Angst vor Blitzen, jedoch kroch ich dann nicht ins Bett meiner Mutter, sondern schaltete meinen iPod auf volle Lautstärke ein und band mir eine Augenbinde um. Ganz einfach.
„Ich komme!“, brüllte ich ebenfalls durch das ganze Haus und sprühte mir noch schnell Deo unter die Achseln. Mein schwerer Koffer stand im Zimmer und misstrauisch beäugte ich ihn. Wie sollte ich dieses riesen Ding sechzehn Treppenstufen nach unten tragen? Ich presste die Lippen zusammen und rieb meine Hände aneinander. Hoffentlich würde alles gut verlaufen.
Ich stöhnte, als ich das Tonnengewicht in meinen Händen hatte und die erste Stufe nach unten ging. Ich wagte noch drei weitere Treppenstufen, bevor ich eine kurze Pause einlegte. Zwölf Stufen noch. Das wäre doch gelacht, wenn ich das nicht schaffen würde! Ich sah, wie meine Mutter unten stand und kurz zu mir hochblickte, mit dem Kopf schüttelte und hastig weiter ging. Aha, sie meinte also, ich würde das nicht hinkriegen.
Mit einem Ruck hievte ich den Koffer wieder hoch und polterte rasenschnell die Treppe hinunter. Vielleicht würde diese Taktik ja funktionieren. Das Ding war wirklich schwer, doch als ich die letzten fünf Stufen sah, bildete sich ein siegerlächeln auf mein Gesicht. Ich hatte es tatsächlich geschafft! Aber plötzlich rutschte ich mit meinem Fuß von der Treppe ab und schrie erschrocken auf, als ich den Boden auf mich zu kommen sah. Oder besser gesagt: Ich kam auf den Boden zu.
Ich hörte wie der Koffer den Rest der Treppe hinunter polterte und kniff ängstlich die Augen zusammen, als sich plötzlich zwei starke Arme um meinen Körper schlangen und jemand dicht neben meinem Ohr „Hoppla“ sagte.
Mein Herz klopfte wild gegen die Brust, als ich aufschaute und bemerkte, dass ich an der Brust von Coby lehnte. Hastig machte ich einen Satz zurück, befreite mich aus seinen Armen und blinzelte wieder hundertmal, während die Röte in mein Gesicht stieg.
„Wieder eine stürmische Begegnung, was?“, lachte er. „Ich habe dir gesagt: Wenn du meine Aufmerksamkeit…“
„Ist mir schon klar“, unterbrach ich ihn und stellte meinen Koffer vorsichtig wieder auf die „Beine“. Das Blondchen sich auch immer was einbilden musste, wenn mir irgendetwas passierte. Ich hasste seine arrogante Art und sein selbstgefälliges Grinsen. Irgendwann musste ich doch mal die Chance bekommen, wo ich sein Gesicht verunstalten konnte und somit sein Lachen vergingen würde. Das wäre sicherlich schon mal ein Anfang.
Meine Mutter kam verwundert um die Ecke und warf mir einen besorgten Blick zu. „Alles okay, Spätzchen? Ich habe es poltern gehört und da dachte ich…“
„Alles in Ordnung“, antwortete ich schnell und streckte meinen Daumen in die Höhe, um die Aussage zu verdeutlichen. Neben mir versuchte Blondchen sich ein Grinsen zu verkneifen, während meine Mom mich stirnrunzelnd ansah. Der ausgestreckte Daumen hatte wohl seine Wirkung verfehlt –so ein Mist aber auch. Ich seufzte und rieb mir erschöpft die Augen. „Können wir jetzt einfach losfahren, Mom? Ich bin jetzt fertig“
„Das ist prima, dann können wir ja jetzt endlich zum Flughafen fahren!“, freute sie sich und hopste aufgeregt zur Tür. Ich war ein bisschen verwirrt, wegen ihren Stimmungsschwankungen, zuckte jedoch nur mit den Achseln und rollte meinen Koffer nach draußen.
Dort riss ich überrascht die Augen auf, als ich das Auto von Joice sah, die lässig einen Arm aus dem offenen Fenster hielt und gelassen an einer Zigarette saugte. Das Auto war etwas klein, aber seine Farbe unglaublich schön. Ich wusste, dass meine Mutter ein Hippie war, aber Joice konnte niemand toppen! Ihr Auto war mit vielen, bunten Blümchen und Mustern versehen und auf der Motorhaube prangte ein großes, türkisfarbenes Peace-Zeichen. Ein kleines Lächeln umspielte die Lippen von Joice, als sie mein erstauntes Gesicht sah.
„Steig ein, Kleines. Und pass auf, dass dir die Augen nicht aus dem Kopf fallen!“
Sie lachte auf, lehnte sich in den Sitz zurück und strich mit einem ihrer Finger über das alte Lenkrad.
Ich quetschte mich hinter den Beifahrersitz auf den Mom saß und ignorierte die Tatsache, dass Coby auf dem Platz neben mir war. Dann ging es los.

Die Fahrt zum Flughafen dauerte nicht lang. Blondchen hatte mir hin und wieder ein paar sarkastische Sätze an den Kopf geworfen, während ich ihn dann mit giftigen Blicken versucht hatte zu töten. Doch ich bemerkte schnell, dass dieser Junge nicht leicht zu „besiegen“ war und überlegte, ob er bei jedem meiner Ausraster nicht einen „Level Up“ erhielt. Ich müsste mir echt etwas Besseres einfallen lassen und zu einer anderen neuen Taktik umsteigen, damit ich Coby vielleicht mal aus der Fassung bringen konnte. Aber ich hatte ja genug Zeit, um zu überlegen.

Am Flughafen gaben wir unsere Koffer ab, mussten durch diese Piep-Maschine durch, wobei es bei mir natürlich anfangen musste Alarm zu schlagen und durften dann auf unseren Flieger warten. Es stellte sich heraus, dass wir viel zu früh losgefahren fahren und somit noch eine Stunde warten mussten. Ich hasste es zu warten. Dann wusste ich nie, was ich machen sollte.
Also ging ich einfach auf die wenig benutzte Damentoilette und öffnete meinen Zopf, um mir eine neue Frisur herzustellen. Ich fischte ein weiteres Zopfgummi aus meiner Hosentasche und erstellte somit zwei lässige Zöpfe, die dank meiner langen Haare, links und rechts über meine Schulter fielen. Nebenbei schauten mich zwei Frauen verwundert an, schwiegen jedoch. Zufrieden betrachtete ich mich im Spiegel und nickte mir zu. Wieder warfen mir die beiden älteren Damen interessierte Blicke zu.
„Was ist?“, fragte ich gereizt. „Noch nie ein Mädchen mit langen, schwarzen Haaren gesehen, dass sich auf dem Klo frisiert?“
Empört schnappte die eine Dame nach Luft und deutete mit ihrem bunten Fächer auf mich. „Jetzt werde mal nicht unhöflich, junge Dame. Wenn du hier auf der öffentlichen Toilette deine Haare herrichtest, dann dürfen wir dir auch zuschauen. Schließlich ist das hier ein öffentliches Gebäude“, erwiderte die große, schlanke Dame mit den schwarzen Augen und einer hässlichen Nase. Eigentlich achtete ich nie auf Nasen, doch bei ihr war es ein echter „Hingucker“.
Die jüngere, dickere und auch kleinere Frau legte ihrer Freundin besänftigend eine Hand auf ihren Arm. Ihre braunen Augen musterten mich kurz, ehe sie zu der großen Dame sagte: „Nun, reagier doch nicht gleich so empfindlich, Daphne. Wir hätten das junge Mädchen vielleicht nicht so anstarren sollen. Jetzt komm, unser Flieger geht gleich“
Daphne reckte ihr Kinn in die Höhe und marschierte mit ihrer Freundin nach draußen. Ein eigenartiger Stich traf mich im Herzen. Die beiden Frauen hatten mich an Mona und mich selbst erinnert. Kurz bevor ich jemanden mit Wörtern beschmutzt oder mit meiner Faust ausgeholt hätte, hatte Mona mir sanft zugeredet und mich beruhigt. Eine Woge der Traurigkeit überfiel, doch schnell schüttelte ich den Gedanken ab und ging aus der Toilette raus. Als ich zu unseren Warteplätzen ging, bemerkte ich leicht irritiert, dass Mom und Joice nicht da waren. Nur Blondchen saß gelangweilt auf einem der Plätze und hatte die Arme hinter seinem Kopf verschränkt.
„Wo sind die beiden Hippies denn hin?“, fragte ich und schaute mich suchend nach zwei bunt gekleideten Frauen um.
Coby blinzelte mich kurz überrascht an, als hätte er mich erst jetzt wahrgenommen und setzte dann sein verschmitztes Lächeln auf.
„Aha, die kleine June hat also endlich ihr Geschäft erledigt. Und nebenbei hat sie sich noch zwei Zöpfe gemacht. Interessant“, meinte er und grinste mich amüsiert an.
Ich kniff die Augen zusammen und presste meine Lippen zusammen. „Ich habe dir eine Frage gestellt, Blödmann“, sagte ich ein wenig barsch und verschränkte die Arme vor meiner Brust.
Seine Mundwinkel zuckten wieder nach oben und als er sich vom Sitzplatz erhob, bemerkte ich zum ersten Mal, wie groß er eigentlich war. Blondchen war fast einen Kopf größer als ich, wobei ich mit meinen 1,64m eigentlich gar nicht soo klein war. Okay, der Durchschnitt bei den Frauen lag normalerweise bei 175 Zentimeter, aber schließlich wuchs ich ja noch.
Ich betrachtete kurz seine Nase –nachdem ich die Frau mit ihrem hässlichen Geruchsorgan gesehen hatte, musste ich einfach einen Blick darauf werfen – und stellte überrascht fest, dass sie mir gefiel. Soweit man Nasen überhaupt mögen konnte.
Außerdem bemerkte ich seinen auffallenden Geruch, der mich aber nicht abstoß. Ehrlich gesagt, mochte ich sein Aftershave sehr gerne, welches mir am Morgen schon aufgefallen war, als Coby mich aufgefangen hatte.
Hastig drückte ich diese seltsamen Gedanken beiseite, als mir auffiel, dass ich ihn bewunderte und funkelte Blondchen herausfordernd an. Krampfhaft blieb ich am Boden stehen, als er sich zu mir runter beugte und mein Gesicht genau musterte. Seine plötzliche Nähe machte mich nervös, so dass ich mir auf die Unterlippe biss und meinen Kopf zur Seite drehte, um weiter Ausschau nach Mom und Joice zu halten.
„Hm. Sehr interessant“, murmelte er und machte endlich einen Schritt zurück. Erleichtert atmete ich aus und warf Coby einen unverwandten Blick zu. „Ich wusste gar nicht, dass dir meine Nähe so unangenehm ist“, stellte er fest und hob dabei die Augenbrauen hoch.
Hatte man es mir tatsächlich angesehen? Aber wie sollte ich auch reagieren, wenn mir ein Junge so nah kam und mich eingehend betrachtete? Da wurde einem nun mal schnell mulmig zu Mute.
„Du bildest dir deine Dinge ein, Coby“, knurrte ich. „Und du hast meine Frage noch immer nicht beantwortet: Weißt du jetzt wo unsere Mütter sind oder nicht?“
Blondchen zuckte mit den Schultern. „Sie sind in irgend so einen Laden gegangen, um sich was zu kaufen“, beantwortete er endlich meine Frage. „Ich sollte hier bleiben, um dir Bescheid zu sagen“
„Und wieso hast du das dann nicht sofort gemacht?“, hakte ich mürrisch nach.
Er schmunzelte. „Nun, ich wollte es dir sagen, aber du wurdest mir einfach zu unfreundlich“
Ich kniff wieder die Augen zusammen.
„Aha, aber wenn du solche blöden Kommentare abgibst, dann werde ich nun mal unfreundlich“, sagte ich und stapfte trotzig zu einem der kleinen Läden am Flughafen, wo man sich vor dem Flug noch etwas kaufen konnte. Coby folgte mir.
„Das heißt, wenn ich freundlich zu dir bin, dann bist du es auch zu mir?“, fragte er interessiert.
Ich drehte mich zu ihm um, warf ihm einen wütenden Blick zu und richtete meinen Blick wieder nach vorne, wobei ich plötzlich gegen einen Mann stieß, der mit dem Rücken vor mir stand. Hinter mir hörte ich Coby laut auflachen und ballte meine Hände zu Fäusten, bevor sich der Mann fragend zu mir umdrehte und sich dann ein freundliches Lächeln auf seine Lippen legte.
„Entschuldigung“, murmelte ich und bemerkte wütend die unangenehme Hitze in mir aufsteigen. Als ich aufschaute, sah ich direkt in zwei hellgrüne Augen, die mich interessiert musterten.
„Ach, ist doch nicht so schlimm“, meinte er mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Ist ja nichts passiert“
Ich zwang mich zu Lächeln und nickte brav. Ich wollte mich hastig umdrehen, um vor diesem Mann zu flüchten, denn sein Lächeln wirkte irgendwie gefälscht und seine Augen hatten einen eigenartigen Blick, der mich unsicher machte, jedoch hielt mich der unbekannte Mann sanft am Arm fest und drehte mich wieder zu sich um.
„Nun, hab keine Angst. So eine hübsche Lady bekommt man nicht jeden Tag zu sehen und ich bin wirklich interessiert, wie denn der Name des Mädchens lautet“, sagte er mit einem süffisanten Grinsen und wanderte mit seinen Augen wieder meinem Körper entlang.
Erschrocken befreite ich mich aus seinem Griff und taumelte ein paar Schritte Rückwerts, wobei ich plötzlich einen Arm um meine Schulter spürte und gegen einen Körper gedrückt wurde. Ich schaute überrascht auf und sah Coby, der den Mann wütend anfunkelte. Sein Lachen war verschwunden.
„Ihr Name ist 'Verschwinde'“, knurrte er und ich merkte, wie sich der Griff um meine Schulter verstärkte. Mein Herz klopfte wild gegen die Brust und mit einem unguten Gefühl sah ich, wie der Unbekannte die Augen zusammenkniff und schluckte. Anscheinend dachte er darüber nach, was er jetzt am besten sagen oder tun sollte und schüttelte schließlich mit dem Kopf.
„Ich wollte ihr wirklich nichts Böses tun“, sagte er und verschwand dann in der Menschenmenge.
„Lügner“, murmelte Coby und befreite mich aus seinem Arm. Mit großen Augen schaute ich ihn an und konnte gar nicht die richtigen Worte finden, um ihm zu danken. Dieser Mann hatte mir wirklich Angst gemacht und wenn er mich noch einmal berührt hätte, wäre wohl mein Bein hochgeschnellt. Blondchen erwiderte offen meinen Blick und schaute mich ein wenig traurig an. Ich hätte gerne gewusst, was er gerade dachte und wollte ihm gerade eine Frage stellen, da tauchten Mom und Joice plötzlich aus dem Nichts auf und erzählten munter von ihrem kleinen Einkauf. Langsam wand ich meinen Blick von Coby ab und blinzelte Mom verwirrt an.
„Ist irgendetwas passiert?“, fragte sie vorsichtig und legte den Kopf schief.
Ich schüttelte stumm den Kopf und warf Blondchen einen fragenden Blick zu, doch der hatte sich schon aus dem Staub gemacht und war wieder zu den alten Sitzplätzen gegangen.
„Wahrscheinlich haben die beiden erst jetzt realisiert, dass sie zusammen in den Urlaub fliegen“, lachte Joice und führte meine Mom auch wieder zu den Plätzen.
Nein, das hatte ich schon längst realisiert. Aber ich hatte nicht gewusst, dass Coby solch einen großen Beschützerinstinkt verfügte. Und ich wusste auch nicht, wieso er mit mir einen stummen Pakt beschlossen hatte. Einen Pakt, den nur er und ich verstanden.






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