Wunderschön !? - Teil 5

Autor: Sternchen
veröffentlicht am: 05.04.2011


Erst saß Aurelius grinsend auf dem Bett und beobachtete Wilma, die etwas suchte, was es offensichtlich gar nicht gab.
„Ich kann ihn einfach nicht mehr finden.“, jammerte sie und sah ihn an. Aurelius erschrak, sie schien den Tränen nahe.
„Oooch, macht doch nichts. Der taucht schon wieder auf. Und ich brauche ihn ja auch nicht unbedingt.“, sagte er und versuchte dabei den ruhigen Tonfall seines Großvaters nachzuahmen.
„Doch, das acht schon etwas.“, klagte Wilma. „Ich habe ihn extra mitgenommen und jetzt ist er weg.“
Aurelius ging einige Schritte auf sie zu und stellte sich vor Wilma. „Also, ehrlich gesagt habe ich gar keinen Zettel gehabt.“, sagte er entschuldigend und zog den Kopf ein. Jetzt hatte er sich sicher beleidigt.
Doch dort, wo vorher noch der betrübte, weinerliche Gesichtsausdruck gewesen war, breitete sich auf einmal ein Lächeln aus, Wilma konnte sich vor lachen kaum noch halten.
„Ich weiß doch!“, keuchte sie, als sie sich halbwegs beruhigt hatte.
„Oh, verdammt, du solltest Schauspielerin werden!“, rief Aurelius aus und stieß Wilma leicht in die Seite.
„Du aber auch.“, lachte sie. „Ich hab meinen Zettel verloren!“, machte sie ihn mit weinerlicher Stimme nach. Aurelius lache, während sie seine unglückliche Miene nachmachte. Dann sah er sie an.
„Hast du vielleicht meinen Zettel mitgenommen?“, wimmerte sie.
‚Herr im Himmel, bitte mach, dass sie mich nicht schlägt. Bitte lass sie nicht für immer wütend auf mich sein.‘, dachte er im Stillen und beugte sich Rasch vor um sie mitten auf den Mund zu küssen.
Ihre Augen weiteten sich erschrocken. Er löste sich sofort von ihr und wollte sich entschuldigen, doch da küsste sie ihn zurück. Diesmal dauerte der Kuss länger.
Die Tür sprang auf.
„Haaaa!“, rief die Hausmutter der Mädchen erschocken aus. „Ohhh!“ Sie sah äußerst verärgert aus und scharrte mit ihren schwarzen Stöckelschuhen auf dem Parkett.
„Ausgerechnet - Wilma, Aurelius. So ein Verhalten hätte ich von euch beiden nicht erwartet!“, quiekte sie.
„Wir haben uns doch nur geküsst, nichts weiter. Und es ist auch noch nicht Neunzehn Uhr!“, verteidigte sich Aurelius.
„F-Ffff!“, schnaubte die Hausmutter wütend und drohte mit dem Finger. „Raus! Nächstes Mal gibt es Ärger!“
Aurelius schenkte Wilma noch ein Lächeln, dann verlies er ihr Zimmer. Trotz des kleinen Zwischenfalls war er überglücklich. Er machte einen kleinen Hüpfer, besann sich dann aber wieder und legte den üblichen, geraden Gang ein.

-


Oh ja, dachte Sergej, es konnte wirklich schlimmer werden. Zum tausendsten Mal verfluchte er seine schwache Blase.
„Warum zappelst du denn so? Das macht einen völlig irre.“, fuhr Anna Sergej an.
„Ich muss mal.“, antwortete er.
„Das will ich gar nicht wissen!“, gab Anna zurück.
Genau genommen hast du gefragt, dachte Sergej. Hoffentlich würde Frederick ich bald herausholen.
Eine halbe Stunde später begann er wirklich eine Art leichte Klaustrophobie zu entwickeln. Er wollte nur noch raus aus dem stickigen, kalten Schuppen, in dem er glaubte, keine Luft mehr zu bekommen und musste sich sehr anstrengen um einen Wutanfall zu unterdrücken. Dass Anna sich irgendwelche Titel von Lady Gaga, deren Musik er wirklich verabscheute, auf ihrem Handy abspielte, machte die Situation auch nicht besser.
Er glaubte schon zu halluzinieren, als er eine wohlbekannte Stimme hörte.

„Füllest wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz;
Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick.
Jeden Nachklang fühlt mein Herz
Froh\' und trüber Zeit,
Wandle zwischen Freud und Schmerz
In der Einsamkeit.“

Sergej hämmerte mit den Fäusten gegen die Schuppentür.
„AURELIUS!“, schrie er.

„Rausche, Fluss, das Tal entlang,
Ohne Rast und Ruh,
Rausche, flüstre meinem Sang
Melodien zu,
Wenn du in der Winternacht
Wütend überschwillst
Oder um die Frühlingspracht
Junger Knospen quillst.“

„Aurelius!“, brüllte Sergej abermals. Er war schon ganz heiser.
„Ja? Hallo? Ist da wer?“, fragte Aurelius fröhlich.
„Ich bin‘s, Sergej, mach die Tür auf! Ich bin im Schuppen. Anna auch.“, antwortete Sergej.

„Das war das Gedicht ‚An den Mond‘ von Goethe. Ich habe es gerade erst gelernt. Gefällt es euch?“, fragte Aurelius, seine Schritte kamen näher.
„Super.“, brachte Sergej hervor. „jetzt mach schon auf!“
Aurelius machte sich am Schloss zu schaffen. Die Tür sprang endlich auf. Sergej stürzte sofort ins Freie, lief an Aurelius vorbei und rannte zum Internat.
Wenig später klopfte Aurelius an seine Tür.
„Hey, du warst gerade so schnell weg. Was war denn los? Warum warst du im Schuppen?“
Sergej erzählte Aurelius die Geschichte, doch mehr, als darüber zu lachen, tat er nicht.
„Ich hab es einfach satt, mit Frederick. Auch wenn er das nur gut gemeint hat, mich einzusperren, geht zu weit. Wir kennen uns jetzt seit - keine Ahnung - ewig; er weiß genau, dass ich kranke Nieren habe. Er ist mein bester Freund, aber manchmal würde ich mir wünschen, nicht mit ihm in einem Zimmer zu wohnen. Sieh dir doch mal an, wie es hier schon wieder aussieht! Erst gestern zum hatte er einigermaßen Ordnung gemacht, und jetzt ist sein Kram schon wieder überall verteilt.“, steigerte sich Sergej immer mehr in seine Wut hinein. „Das heißt natürlich nicht, dass ich nichts mehr mit Frederick zu tun haben möchte oder so. Er ist mein Freund und ich bin sicher auch nicht immer einfach, außerdem hat er das ja nicht einmal aus böser Absicht getan. Aber im Moment habe ich erst mal genug von ihm.“
Beim Abendessen schwiegen sich Frederick und Sergej an, bis Frederick irgendwann sagte: „Also, ich verstehe gar nicht, warum wir nicht mehr miteinander reden. Na gut, ich habe Mist gebaut. Vielleicht hätte ich darüber nachdenken sollen, was ich mache. Aber ich wollte dir ja nicht schaden. - Hast du Anna jetzt eigentlich gefragt?“
Da hielt Sergej es nicht mehr länger aus. Seine Wut war längst verflogen.
„Ne, quatsch. Hast du gemerkt, wie oberflächlich und eingebildet die ist? Das ich das nicht früher gemerkt habe…“, antwortete er.
„Tja. Ich hab‘s dir von Anfang an gesagt, aber du wolltest ja nicht hören.“
„OK. Das nächste Mal denk‘ ich dran, deinen weisen Rat zu befolgen.“, lachte Sergej.
So war schon am Ende dieses Tages wieder Normalität eingekehrt und die Aufregung des Besuchstages war bereits am Montag wieder vergessen.
Herr Girschner war auch wieder gesund und hatte offensichtlich in der Zeit, in der er das Bett hatte hüten müssen nur damit zugebracht, sich einen neuen Plan für sein Weckritual auszudenken.
Sergej träumte gerade er würde von einer Gangster-Bande verfolgt und müsse fliehen, als Herr Girschner ihm einen eisig kalten, nassen Waschlappen ins Gesicht klatschte. Vor Schreck wäre er fast aus dem Bett gefallen.
Alles lief wie immer.
Nach der Morgengymnastik war er allein im Waschraum, wusch sich, kämmte seine Haare, dann kam Aurelius durch die Tür und sagte ein Wintergedicht auf.
Sergej entnahm daraus, dass es Aurelius Großvater wieder besser ging.
„Er ist über den Berg.“, erklärte Aurelius, als Sergej ihn danach fragte.
Aurelius‘ sonst so gleichgültige Miene war wie weggeblasen, stattdessen grinste er in einem Fort.
Die Direktorin und Physiklehrerin Frau Behring machte am Ende der letzten Stunde noch eine Ansage.
„Ihr wisst ja, dass in zwei Wochen der Frühlingsball stattfindet. Also Jungs, denkt daran: Es ist wie immer Herrenwahl. Außerdem findet nächste Woche Sonntag ein Auffrischungskurs im Aufenthaltsraum der Mädchen statt, bitte tragt euch in die Listen am schwarzen Brett ein, wenn ihr daran teilnehmen wollt. So, das war‘s für heute.“
„Na, was meinst du, gehen wir zusammen zu dieser Übungsstunde?“, fragte Frederick, als die beiden versuchten, sich mit den ganzen anderen Schülern durch die Tür zu quetschen.
„Was? Wir? Zusammen?“, Sergej war verwirrt.
„Nein! Natürlich nicht! Ich gehe hin und du gehst auch hin - einzeln!“, erklärte Frederick.
„Ne, lass mal. Erstens kann ich tanzen und zweitens: Dafür braucht man eine Tanzpartnerin !“
„Kein Problem, frag doch eine. Ich mach‘ das jetzt. Was hältst du von der da, sie ist mit mir zusammen in der Bio-AG. Ich will vielleicht mit ihr auf den Ball gehen.“, er deutete auf ein zierlichen blondes Mädchen, das gerade den Gang entlang kam.
„Naja, ich kenn sie ja nicht. Aber wenn du sie nett findest, frag sie doch…“, sagte Sergej.
„Hey, Antonia, warte mal!“, rief Frederick. „Willst du mit mir zu dieser Übungs-Tanzstunde gehen?“
Das Mädchen drehte sich um: „Ja, wenn du willst… Hast du eigentlich schon jemanden gefragt für den Ball?“
„Nee…“, Frederick schüttelte den Kopf. „Aber ich hab‘ ja noch bisschen Zeit.“
Dann packt er Sergej am Pulloverärmel und zerrt ihn um die Ecke.
„Siehst du, so macht man das.“, gibt Frederick an.
„Also, wenn ich ehrlich sein soll, war das gerade ziemlich dumm von dir. Die hättest du gleich zum Ball einladen sollen. Bei so einer Vorlage…“, sagte Sergej.
„Mann, ich tanze doch nicht jedes halbe Jahr auf so einem Ball, um ein Mädchen einzuladen. Ich lade ein Mädchen ein, um zu tanzen. Ich muss doch bei der Übungsstunde erst mal sehen, ob sie tanzen kann!“, tat Frederick wichtig.
„Komisch, dass ausgerechnet du Freude an klassischen Tänzen hast.“, wunderte sich Sergej.
„Ja, da siehst du es eben: Meine Interessen beschränken sich nicht nur auf Videospiele.“, grinste Frederick und Sergej wurde bewusst, dass er nun ein Problem hatte.
Er hatte sich in seinen Gedanken immer nur auf Anna beschränkt, sodass er jetzt, wo ihm Annas Charakter bewusst geworden war, keine Alternativen blieben. So wurde ihm schnell klar, dass er einfach irgendein Mädchen fragen würden müsse. Er war einmal eine Weile ganz gut mit Amelie aus seiner Klasse ausgekommen. Also machte er sich am Nachmittag direkt auf den Weg zum Mädchenwohnhaus, sie zu fragen.







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