Irdisches und Überirdisches - Teil 12

Autor: Judy
veröffentlicht am: 23.04.2011


Lou erwischte sich dabei, wie sie ihm hinterher sah. Sein leichtfüßiger Gang verlieh ihm die nötige Grazie ein Mädchen schwach zu machen.
„Schluss“, dachte sich Lou. Was war Tobias schon. Ein Frauenheld und ihr Peiniger. Zwar Magnus bester Freund, aber was hieß das schon.
Der Duft der Rosen stieg Lou in die Nase. Sie sog den betörenden Duft ein. Jemand der solche Blumen schenkte konnte doch wohl nicht... „Stopp!“, sagte Lou sich wieder. Schließlich hatte nicht Tobi sondern Magnus ihr die Blumen geschenkt. Ihr geliebter Bruder, der jetzt irgendwo seine Strafe absaß. Zwei Wochen hatte sie ihn jetzt nicht gesehen. Was war das schon gegen zehn Jahre? Trotzdem vermisste sie ihn jetzt jeden Tag. Nicht einmal hatte er ihr geschrieben. Er wusste doch, wo sie war. Aber Lou wusste es nicht von ihm. Doch jetzt, da Tobi aufgetaucht war, konnte sie ihm schreiben und auf eine Antwort hoffen.
Lou löste die Bremsen ihres Rollstuhls und fuhr den Kies weg entlang, der sanft unter den Rädern knirschte.
Bald hatte sie die Terrasse ihres Zimmers erreicht. Schon von weitem sah sie die violetten Petunien, die neugierig über ihre Blumenkübel lugten. Um die Mauer rankte Efeu und wandte sich schon um einen verrosteten Wäscheständer, der dort wohl schon seit einigen Jahren sein Dasein fristete.
Lou rollte in ihr freundliches Zimmer. Viel hatte sie nicht, aber sie brauchte auch nicht viel. Ein Bett, ein Schrank und ein kleiner Fernseher.
Lou öffnete den Schrank und blickte hinein. Sie wusste nicht, wer ihr die Kleidung gegeben hatte, ihre eigenen Kleidungsstücke waren es nicht. Aber sie passte und stand Lou, auch wenn sie einige ihrer eigenen Lieblingsstücke vermisste. Schließlich fand sie das Briefpapier.

Mit schnellen, gleichmäßigen und sicheren Zügen fuhr seine Rasierklinge über Magnus Gesicht. Rasierschaum landete mit einem leisen Platschen in dem winzigen Waschbecken unter ihm.
Seine Zelle war nicht groß, enthielt gerade das Waschbecken, ein Bett und einen Schrank mit verbogenen Türen. Magnus musste immer seine ganze Kraft aufbringen, um die Türen zu zu bekommen, doch sobald er sich dem Schrank auf mehr als 1,50m näherte – was praktisch überall war – sprangen sie wieder wie von Geisterhand auf.
Direkt am ersten Tag hatte er sich deswegen beschwert, aber der Gefängniswärter hatte ihm nur einen Schraubenzieher in die Hand gedrückt. Viel anfangen konnte er damit allerdings nicht, aber mehr Werkzeuge durfte er nicht bekommen. So blieb der Schrank offen.
Auf dem Bett lag Lous Brief. Der Umschlag war zwar aufgerissen, doch im Gegensatz zur Gefängnisverwaltung hatte er ihn noch nicht gelesen. Er hatte auch nicht vor, das zu tun.
Lou. Glaubte sie wirklich, sie hätte ihn bewandelt? Er würde nicht weiterhin sein Ziel anstreben? Sicher, sie war seine Schwester. Aber sie bedeutete ihn nichts. Familie, Freundschaft und Liebe hatten in seinem Plan nichts zu suchen. Lou war nur Mittel zum Zweck
Woher hatte sie eigentlich seine Anschrift? Hatten diese Leute vom Krankenhaus... nein, das konnte nicht sein. Wer wusste noch, wo er war?
Langsam kroch Wut in ihm hoch. Hatte er es nicht nach sieben langen Monaten endlich geschafft, sich wieder seiner Schwester zu entziehen? Warum verfolgte sie ihn, warum lies sie ihn nicht in Ruhe?
War es alles wegen ihrem blödsinnigen Traum an dem sie so festhielt?
Ein letztes Mal setzte Magnus seine Rasierklinge an und lies sie mit einem schnellen, forschen Zug über sein Gesicht streifen. Blut vermischte sich mit dem reinen, weißen Rasierschaum im Waschbecken.





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