Die allerlei anderen Dinge - Teil 6

Autor: himbaereis
veröffentlicht am: 29.11.2011


Obwohl es bestimmt kein angenehmes Gefühl war, den Kragen vollgerotzt zu bekommen, hielt Sascha still und sagte gar nichts. Er strich mir lediglich beruhigend über den Rücken.
Als keine Tränen mehr kamen, riss ich mit einem tiefen Seufzer den Kopf hoch und sah ihn an. Ich sah sicher fürchterlich aus -heulen hatte mir noch nie gut gestanden, doch er sagte nichts. Ich fand das äußerst Taktvoll und nachdem ich den letzten Kloß im Hals runtergeschluckt hatte, brachte ich schließlich ein schiefes Grinsen und ein „Hi.“ zustande.
„Hi.“ war vielleicht nicht die passendste Begrüßung, aber nachdem ich ihm schon, ganz wie in alten Zeiten, den Kragen vollgeheult hatte, fand ich ein „Hi.“ ganz angebracht. Außerdem fiel mir vor lauter Emotionen nichts besseres ein.
Sascha brachte daraufhin ein noch schieferes Grinsen zustande und sagte ebenfalls „Hi.“.
Wie jetzt? Er sagte 'Hi'?! Ohne alles?
Sicher, ich hatte nicht erwartet, dass er mich anschreien würde, er war schließlich keine Frau, aber ein schlichtes 'Hi'? Das konnte er doch nicht ernst meinen!
„Man Nina, du hast dich aber ganz schön verändert. Ich glaube als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du noch ziemlich pummelig und blond warst du glaube ich auch.“
Moment...blond und pummelig?! Alles klar...der Anschiss kam später. Jetzt wurde erst mal gutbrüderlich rumgeflachst.
„Blond und pummelig, hm? Dann stimmt es also doch, du warst doch nie mein richtiger Bruder. Ich wusste von Anfang an, dass sie dich damals im Krankenhaus vertauscht haben. Aber wer war dann der Idiot, der mir mein halbes Leben lang auf die Nerven gegangen ist?“
Obwohl ich wusste, dass mir noch ein paar deftige Sätze bevorstanden, war ich im moment so gerührt von unserem ..Dialog, dass ich mich ihm gleich noch mal in die Arme warf.
„Du hast mir so gefehlt Sascha...es tut mir so unendlich Leid, dass ich mich einfach nicht mehr gemeldet habe...ich bin so eine furchtbare Schwester!“
„Jetzt beruhig dich erst mal. Wir fahren jetzt zu dem Hotel in dem ich wohne, du richtest dich wieder her und dann gehen wir essen. Weil du mich einladen wirst, darfst du mir dann erzählen, was für eine schreckliche Schwester du doch bist.“
Er war immer noch ganz der Alte. Schwesterlich knuffte ich ihm in die Seite und hiefte dann meinen Koffer in sein Auto.
„Sag mal, wie lange hattest du vor in Koblenz zu bleiben? 3 Wochen?“
„Ich wusste nicht was ich anziehen sollte...und deshalb habe ich einfach alles eingepackt, was ausgehtauglich ist. Ich habe für jeden Anlass etwas dabei, wir können sowohl auf eine Wohltätigkeitsgala, als auch auf ein Stones Konzert.“
Er verdrehte die Augen und warf dem noch ein „Frauen...“ hinterher. Aber da ich das schon öfter, vor allem in Zusammenhang mit meiner Gaderobe gehört hatte, schenkte ich dem keinerlei weitere Beachtung.

Im Hotelzimmer angekommen, warf ich meine Sachen aufs Bett und stürmte ins Bad. Beim Blick in den Spiegel wäre ich am liebsten aus dem Bad geflüchtet. Da Tränen aller Art verheerende Auswirkungen auf die Größe meiner Augen und Nase hatten, hatte ich es in den letzten Jahren so gut es ging vermieden zu weinen. Als Shane damals mit mir Schluss gemacht hatte, konnte ich eine ganze Woche lang nicht aus dem Haus gehen, weil die Leute sonst sicher einen Krankenwagen gerufen hätten. Wenn ich geweint hatte, sah ich aus als hätte ich allergisch auf einen Bienenstich reagiert. Meine Augen waren ganz furchtbar zugeschwollen und meine Nase wuchs dann immer auf bedenkliche Ausmaße an. Sascha hatte mich dann immer Zwerg Nase genannt. Blöderweise weinte er fast nie. Ich hatte ihn nur weinen sehen, als wir damals aus Australien zurückgekommen waren. Aber er heulte nicht wie ein Schlosshund -oder wie ich, sondern er hatte nur Tränen in den etwas roten Augen gehabt. Das mit dem Weinen war genauso unfair wie Cellulite und Falten. Männer bekamen beim Weinen keine roten, verquollenen Augen, sie hatten keine Orangenhaut und Falten bekamen sie auch nicht schon beim kleinsten Stress. So gesehen konnte ich es absolut nachvollziehen, dass manche Frauen Männer einfach nicht mochten.
Ich schnappte mir mein Schminktäschchen, stellte mich wieder voll her und zog auch gleich andere Klamotten an. Warum nicht nutzen, was im Überfluss vorhanden war?
Was zog man wohl zu einem Abendessen mit seinem großen Bruder an? Ein Cocktailkleid war definitiv too much, sowas zogen nur die Frauen in Hollywoodfilmen an, wenn sie in eine Bar gingen. Jeans und T-Shirt waren definitv zu leger, denn Sascha würde mich wohl kaum in irgendeine düstere Spelunke bringen. Rock und Blazer wirkten ebenfalls zu übertrieben. Letztenendes entschied ich mich doch für eine Jeans, hohe Schuhe und eine Bluse mit gerafften Ärmeln. Das war weder zu aufgetakelt, noch zu leger. Wenn ich mich weiter so entwickelte, dann brauchte ich Jules Hilfe vielleicht wirklich nur noch zu wirklich wichten Anlässen. Das Betriebsjubiläum zum Beispiel.
Rundum zufrieden mit mir, wartete ich in der Hotellobby auf Sascha und als er dann kurze Zeit später auch kam, schnappte ich mir seinen Arm, hakte mich unter und dann schlenderten wir los.
Als meine Füße dann langsam zu schmerzen begannen, wurden wir endlich fündig. Ein Steakhouse. Eigentlich war ich ja mehr so für chinesisches oder italienisches Essen, aber weil der schwesterliche Großmut mich neben meinem noch immer schlechten Gewissen gepackt hatte, ging ich mit ihm Steak essen. Männer standen ja so furchtbar auf Steaks. Weder Jannis, noch mein Bruder bildeten da eine Ausnahme. Die Frage ob Shane auch so gern Steaks aß, verbot ich mir einfach.
Als wir dann endlich saßen und bestellt hatten, begann ich Sascha über sein Leben auszufragen. Nachdem meine Eltern sich ja entschlossen hatten, ihr Leben in Australien weiterzuleben, war ich als Einzige in Deutschland geblieben. Sascha hatte -wie von meinen Eltern geplant- einen Job bei Ray in der Firma angenommen und war jetzt Abteilungsleiter der ganzen Erfinder und Entwickler und wer sich da sonst noch den Kram an Sicherheitssystemen ausdachte. Irgendwie war das schon ein ziemlich krasser Unterschied zu mir. Während ich gerade anfing mich einzuarbeiten, war mein Bruder Chef einer ganzen Abteilung. Und das auch noch in einer Firma, die jährlich Millionengewinne abwarf.
Obwohl ich ihn nicht direkt nach seinem Gehalt fgefragt hatte, war mir klar, dass mein großer Bruder sicherlich nicht gerade von Armut geplagt war. Ich stellte mir das eher so vor, dass er mit Designeranzug in seinem Sportwagen, den er natürlich gleich bar bezahlt hatte, durchs Outback düste und die Frauenherzen reihenweise brach.
Ich erfuhr noch viele andere Dinge, obwohl ich die zum Teil gar nicht wissen wollte. Die Arztpraxis meiner Eltern lief blendend und sie bereuten keinen Tag, dass sie nach Australien gegangen waren.
Wie schön für sie.
Meine Antwort darauf bestand aus einem gemurmelten Glückwunsch und als Sascha merkte, dass ich da nicht drüber reden wollte, wechselte er rasch das Thema.
Angesichts dessen, was dem Thema jedoch folgte, hätte ich vielleicht doch Fragen über meine Eltern stellen sollen. Als nächstes erzählte er mir, dass Shane auch in der Firma arbeitete. Er war Firmenrepräsentant. Deshalb war er ständig unterwegs und vertrat 'Johnson International Pty., Ltd.' auf dem Weltmarkt. Wahrscheinlich wollte er mir damit klarmachen, dass ich ruhig nach Australien kommen könnte, denn Shane wäre sowieso nicht da. Aber ich wollte nicht nach Australien. Ich hatte mein Leben hier, in Deutschland. In Heidelberg hatte ich meinen Job, meinen Freund und meine Freunde. Warum sollte ich das aufgeben wollen? Ich hatte mein Studium erfolgreich abgeschlossen, hatte endlich einen festen Job und sollte das aufgeben, nur um am anderen Ende der Welt, an dem zufällig auch noch mein Exfreund heimisch war, neu anzufangen? Niemals. Niemals würde ich wieder nach Australien gehen.
Aber Sascha schien das nicht ganz nachvollziehen zu können. Wie auch, er war schließlich glücklich mit Reggie zusammen. Kurz nachdem er mit meinen Eltern in Australien angekommen war, hatten er und Reggie wieder angefangen ein Paar zu sein. Inzwischen waren sie seit 6 Jahren zusammen.
„Moment. Ihr seid seit 6 Jahren zusammen und du hast sie immer noch nicht geheiratet?!“
„Heiraten? Warum sollte ich sie heiraten?“
„Sascha, sie ist eine Frau. Alle Frauen wollen gern heiraten. Vor allem wenn sie seit 6 Jahren mit ihrem Freund zusammen sind. Mit dem Freund, den sie seit 9 oder 10 Jahren kennen, wohlgemerkt.“
„Heiraten...hm. Meinst du wirklich?“
„Ich weiß nicht wie sie tickt...dafür hab ich sie einfach zu lange nicht getroffen oder mich sonst wie geistig mit ihr ausgetauscht...aber ich glaube schon, dass sie gern heiraten würde. Du kannst ja mal ihre Freundinnen fragen...oder du machst ihr einfach einen Heiratsantrag.“
„Hm. Findest du es nicht ein wenig..wie soll ich sagen...mutig, so über uns zu reden?“
„Wie meinst du das?“
„Na ja...wir sehen uns seit wie vielen Jahren? 6? Endlich mal wieder und du schlägst mir, nachdem wir vielleicht einen halben Tag miteinander verbracht haben vor, dass ich sie heiraten soll?“
Bumm. Eine Ohrfeige hätte nicht besser sitzen können. Einen Moment war ich sprachlos. Ich wusste ganz einfach nicht, was ich darauf sagen sollte. Hatte ich mir wirklich eingebildet, es wäre so einfach vergeben und vergessen?
Zum x-ten Mal an diesem Tag stiegen mir die Tränen in die Augen. Ich hatte so viel aus dem Leben des Menschen, der mir geistig am allernächsten stand versäumt. In meiner Eitelkeit und meinem Stolz zutiefst verletzt, war ich ganz einfach blind für alle Anderen geworden. Aber mir die ganze Sache schön zu reden half mir jetzt auch nicht mehr weiter. Zu seinen Fehlern muss man stehen, dass war etwas was meine Eltern mir klein an immer und immer wieder vorgepredigt hatten. Ich hatte einen riesigen Fehler gemacht und nun war es Zeit, sich damit auseinanderzusetzen und dazu zu stehen.
„Hör zu Sascha, ich weiß, dass ich nicht gutmachen kann, was ich damals verbockt habe. Du hast schon Recht wenn du sagst, dass ich euch nicht kenne. Es wäre so einfach die letzten Jahre ruhen zu lassen und sich nur noch auf Gegenwart und Zukunft zu konzentrieren.“
„Aber was im Leben ist schon einfach? Warum Nina? Warum hast du einfach den Kontakt abgebrochen? Hast du uns für den Entschluss nach Australien auszuwandern so gehasst? Hast du mich so verachtet, dass du nichts mehr mit mir zu tun haben wolltest? Erklär es mir. Erklär mir warum du dich von deiner Familie losgesagt hast.“
Das war der Moment, den ich unbewusst schon jahrelang gefürchtet hatte. Der Moment der Aussprache. In Gedanken zählte ich bis 3 und dann stellte ich mich dem Unausweichlichen.
„Die Sache ist die...wenn ich könnte, würde ich die Zeit zurückdrehen und hätte den Kontakt nie abgebrochen. Aber... ich konnte damals einfach nicht anders. Du wirst es sicher nicht verstehen. Keiner kann es verstehen. Inzwischen kann ich es ja selbst nicht mehr richtig. Ich fühlte mich damals von allen verraten. Von unseren Eltern und vor allem von dir. Wie konntest du ausgerechnet dahin gehen, wo der Mensch lebt, der mir das Herz gebrochen hat? Du wusstest genau, dass ich nie über Shane hinweggekommen war. Es gab keinen Tag, an dem ich ihn nicht vermisst habe. Nur irgendwann wollte ich dich damit einfach nicht mehr belästigen. Du hattest ja nicht nur meine Probleme, sondern auch noch deine eigenen am Hals. So viel hast du damals für mich getan. Du hast mich getröstet und mich wieder aufgebaut. Du warst der Einzige, der ganz genau wusste, wie es in mir aussah! Und dann bist ausgerechnet du nach Australien gegangen. Kannst du auch nur ansatzweise nachvollziehen wie es mir dabei ging? Ich kam aus den USA zurück, freute mich darauf, meinen Bruder und meine Eltern wieder zu sehen. Die vertraute Heimat zu genießen. Und ihr hattet quasi nur noch auf mich gewartet, um nach Australien auszuwandern. Iihr habt einfach mein zu Hause aufgegeben! Ihr habt mein Leben radikal in eine andere Richtung gelenkt, ohne mich zu fragen ob ich das überhaupt will! Und als wäre das alles nicht genug gewesen, habt ihr versucht mir meinen Traum auszureden. 'Glaubst du wirklich, du hast das Zeug zur Diplomdolmetscherin? Sicher bist du gut in Englisch und auch die anderen Fremdsprachen haben dir in der Schule nie Probleme bereitet. Aber glaubst du wirklich, dass du dieses anspruchsvolle Studium schaffst?' Das durfte ich mir von meinen Eltern anhören, als ich mich weigerte mit euch nach Australien zu gehen. 'Nimm lieber den Job in Rays Firma an, da hast du etwas mit Zukunft. Nicht diese brotlose Übersetzerei.' Glaubst du allen ernstes, dass ich nach diesen Sätzen mit euch mitgegangen wäre?! Ich weiß nicht, ob unsere Eltern mich schon als psychisch labil abgestempelt hatten, aber sie haben es mir auf jeden Fall nicht zugetraut, mein eigenes Leben zu meistern.“
Während dieser Marathonrede waren mir, ohne das ich es gemerkt hatte, Tränen übers Gesicht gelaufen. Sascha sah mich mit einer Mischung aus Entsetzen, Fassungslosigkeit und auch einer gewissen Ratlosigkeit an. Bevor er irgendetwas sagen konnte, entschuldigte ich mich und stürmte in Richtung Toilette. Ich brauchte einen Moment für mich.
Ohne es zu wollen, hatte ich wieder alles aufgewühlt, was ich so tief in mir vergraben hatte. Zum bestimmt tausendsten Mal fragte ich mich, ob das mit dem Selbstmitleid und den Vorwürfen jemals aufhören würde. Hatten meine Eltern doch recht gehabt? War ich ein psychisch labiles Wrack geworden? Das würde zumindest dieses Übermaß an Selbstmitleid erklären.
Schnell puderte ich Nase und alle anderen betroffenen Gesichtsteile nach, schminkte noch mal ein wenig über die Augen und ging dann zurück zu Sascha.
Der hatte die Zeit genutzt um sich zu sammeln und sah mich jetzt an wie ein großer Bruder seine kleine Schwester ansieht, wenn sie Mist gemacht hat, er sie aber trotzdem in Schutz nimmt. Erleichterung machte sich in mir breit, als ich seinen Blick sah. Er würde mich verstehen. Ich hatte es gewusst, wenn es jemanden gab der mich verstand, dann war es Sascha.
Als ich mich wieder hingesetzt hatte, sah ich ihn auffordernd an. Er sollte mir jetzt sagen, dass er es nachvollziehen konnte und mir verzieh.
„Nimms mir nicht übel, aber du schwelgst schon ganz schön in deinem Selbstmitleid, oder? Das Einzige, was ich in deiner Ansprache eben gehört habe war 'me, myself and I'. Es ging nur um dich, ist dir das schon mal aufgefallen?“
„Ja das ist es...und aus diesem Grund mache ich mir nur noch mehr Vorwürfe. Alles was ich jetzt sage, klingt abgedroschen und gut machen kann ich es auch nicht wieder. Ich kann nur hoffen, dass du das mit brüderlichem Großmut übersiehst und vor allem, dass du mich wenigstens ein bisschen verstehen kannst. Ich war ein Teenager. Teenager sind immer ich-bezogen. Glaubst du ich wäre da eine Ausnahme gewesen? Ich war ja nicht nur Teenager, ich war ein Teenager mit Liebeskummer. Noch dazu, und ich hasse mich dafür dir eine solche Angriffsfläche zu geben, war ich ein Mädchen. Unglücklich verliebte Mädchen sind schrecklich wehleidig. Sie haben nur Augen und Ohren für sich. Für andere haben sie die nur, wenn sie dabei ihr Leid loswerden können. Evolutionstechnisch eine schreckliche Entwicklung, aber dagegen kann man einfach nichts machen.“
Er grinste. „Gut, bei dieser Angriffsfläche kann ich dir schon fast nicht mehr böse sein. Natürlich kann ich verstehen wie du dich gefühlt hast, ich hätte mich vermutlich nicht viel anders gefühlt. Aber ich war furchtbar beleidigt. Da opfere ich mich für meine kleine Schwester auf und höre mir ihre Liebeskummergeschichten an und dann bricht sie einfach den Kontakt ab.“
„Ach Sascha...ich wollte nicht, dass es so kommt. Aber ich konnte einfach nicht anders. Und das klingt schon wieder so furchtbar... als hätte ich dich betrogen und du mich in flagranti erwischt.“
Immer noch grinsend tätschelte er mir jetzt die Hand.
„Schon gut Schwesterherz. Ich verzeihe dir. Bevor du mich noch weiter mit all diesen schrecklichen Floskeln quälst, springe ich lieber über meinen Schatten.“
Ich musste mich furchtbar zusammenreißen, um nicht aufzuspringen und ihm um den Hals zu fallen. Deshalb strahlte ich ihn einfach nur an und drückte die kleine Träne, die sich mir schon wieder in den Augenwinkel stahl, weg. Ich konnte schließlich nicht schon wieder anfangen zu weinen.
„Und nun erzähl mir was von dir. Ich hab dir alles wichtige erzählt, jetzt will ich wissen was du in den ganzen Jahren so getrieben hast. Am Telefon hast du schließlich nur kurz umrissen, dass du einen Freund hast. Aber wie kams denn dazu?“
„Oh, das war vielleicht eine komische Nummer... ich hatte ja kurzzeitig als Kellnerin gearbeitet, um mir mein Taschengeld zu verdienen.. na ja kurzzeitig ist relativ. Ich kam damit jedenfalls ziemlich gut über die Runden. Als ich dann irgendwann mal einen ziemlich blöden Tag erwischt hatte, an dem ich mir wieder viel zu sehr selbst leid getan hatte, wollte ich früh ins Bett gehen... weil den Tag bzw. die Nacht davor hatte ich nicht sonderlich viel geschlafen... und dann rief mich plötzlich eine unbekannte Nummer an. Natürlich bin ich rangegangen und hab dann gefragt wer denn dran sei. Es war Jannis. Jannis, der mir weismachen wollte, er habe mich auf der Party kennengelernt und sei mein Freund.“ Das Jannis mir am Telefon Dinge erzählt hatte, bei denen ich heute noch rote Ohren bekam, ließ ich dezent unter den Tisch fallen.
„Weil ich mir einfach nichts unter seinem Namen vorstellen konnte, habe ich mich dann mit ihm getroffen...damals war ich noch der Meinung es sei ein fataler Fehler gewesen, aber inzwischen bin ich ziemlich froh, dass ich es gemacht habe.“
„Warum ein fataler Fehler?“
„Weil unser erstes 'Date' eine absolute Katastrophe war. Ich weiß noch immer nicht so ganz genau, was er mit seinem Auftritt eigentlich bezwecken wollte, aber es ging jedenfalls ziemlich in die Hose. Am nächsten Tag hat er mich dann abgefangen und mich zum frühstücken überredet. Na ja..so ganz schlau bin ich auch bei diesem Treffen nicht aus ihm geworden, weil er sich absolut konträr zum vorherigen Abend benommen hat. Aber Wurschtl, mein bester Freund, hat mir gut zugeredet und mir gesagt, ich solle mich einfach mal weiter mit ihm treffen und sehen was passiert. Tja... und nachdem er sich dann endlich nicht mehr wie ein kompletter Vollarsch benommen hat und auch nicht mehr jedem Rock hingerhergeguckt hat, hab ich mich irgendwie in ihn verliebt. Und jetzt leben wir glücklich zusammen in Heidelberg. Ende.“
Irgendwie in ihn verliebt...mein Gott, das klang vielleicht bescheuert! Aber leider war es so... Mein Leben war so furchtbar unspektakulär. Jedenfalls was die Sache mit Jannis und mir betraf. Dafür, dass ich eigentlich seit je her als Dramaqueen bezeichnet hatte, war das wirklich gar nichts. Aber...es war natürlich allemal besser glücklich, wenn auch unspektakulär vergeben zu sein, als im traurigen Single Dasein zu fristen.
„Aber sag mal, ist es nicht furchtbar teuer in Heidelberg zu wohnen?“
„Na ja...ich sags mal salopp: Jannis wird nicht gerade von Armut heimgesucht... und Oma und Opa haben mir ja hin und wieder auch unter die Arme gegriffen. Abgesehen davon habe ich ja nie einen superaufwendigen Lebensstil geführt. Ich hab eher Schnäppchen gejagt und immer schön wenig gegessen. Und BAföG gab es ja auch noch. Das muss ich jetzt nur noch abbezahlen und damit hat sich die Sache erledigt.“
„Nicht gerade von Armut heimgesucht... du bist gut. Aber ich freue mich für dich, ehrlich. Nachdem Shane dir damals so zugesetzt hatte, bin ich nicht davon ausgegangen, dass du dich noch mal verliebst.“
„Puh...ich war wirklich so schlimm?“
„Schlimmer. Aber hey, das ist über sechs Jahre her. Vergessen wir es einfach, okay? Was zählt ist die Zukunft!“
„Du hast Recht.“ Ich erhob mein Glas. „Auf die Zukunft!“
Die Gläser klirrten nur leise und wir grinsten uns an.
„Sag mal... wo wir gerade beim Thema Zukunft sind, wann kommst du mich eigentlich besuchen?“
„Wie besuchen? Wo denn besuchen? Etwa in Australien? Das glaubst du ja wohl selbst nicht.“
„Warum nicht? Du kannst deinen Freund auch gerne mitbringen. Du hast doch alle Schatten der Vergangenheit bewältigt, was hält dich von einem Besuch auf deinem liebsten Fleckchen Erde noch ab?“
Shane und meine Eltern vielleicht?!
„Hör mal Sascha...ich hatte eigentlich nicht vor, so schnell wieder nach Australien zu fliegen. Damals habe ich mir sogar geschworen, nie wieder nach Australien zu gehen, fliegen, was auch immer. Und auf der Schiene bin ich bisher auch ganz gut gefahren. Deshalb...nimm es mir nicht übel, aber ich würde es vorziehen auch die nächsten Jahre nicht wieder nach Australien zu gehen. Obwohl ich dich und Reggie gern besuchen würde.“
„Man Nina...es ist ja nicht so, als würden dich da unten irgendwelche Dämonen fressen wollen. Und ich bin mir sicher, Jannis würde deine Familie gern mal kennenlernen. Seine kennst du doch auch, oder?“
„Ja sicher kenne ich seine Familie. Ich verstehe mich auch ziemlich gut mit seinen Eltern, aber er hat nie den Wunsch geäußert meine kennenzulernen.“
„Weil Männer in der Regel nie heiß darauf sind, ihre Schwiegereltern kennezulernen.“
„Und warum sollte ich ihm dann seinen nicht geäußerten Wunsch erfüllen? Was denn, wenn er sie gar nicht kennenlernen will?“
„Warum sollte er sie nicht kennenlernen wollen? So schlimm sind unsere Eltern ja nun auch nicht.“
„Es hat ja auch nichts mit dem Charakter unserer Eltern zu tun. Nur war er nie sonderlich heiß darauf, meine Eltern kennenzulernen. Jedenfalls hat er nie wieder irgendwas darüber gesagt, seit ich ihm erzählt habe, dass sie in Australien wohnen.“
„Reist er nicht gern?“
„Na ja...im Urlaub waren wir noch nie. Ich hatte mit meinem und er mit seinem Studium zu tun. Deshalb kam dieses Thema auch nie so wirklich auf.“
„Verstehe...“
„Sascha... bitte, nimm es mir nicht übel. Nur habe ich einfach nicht daran gedacht, dass du mich in Australien sehen willst. Ich würde euch wirklich gern besuchen. Wirklich. Nur will ich Jannis nicht für zwei Wochen allein lassen. Mitkommen kann er schließlich nicht, weil er mitten im Studium ist.“
„Das kann gut möglich sein, aber jetzt stell dir mal vor, Jannis käme auf die, meiner Meinung nach absolut verrückte Idee, dich heiraten zu wollen. Meinst du nicht, er will bis dahin seine Schwiegereltern mal kennengelernt haben? Und was ist mit mir? Ich werde ihn auch nicht fressen, versprochen.“
Ich überging den Teil mit dem Heiraten, denn das konnte ich mir jetzt beim besten Willen nicht vorstellen, und machte Sascha einen Kompromissvorschlag: „Und wenn du mit Reggie einfach mal einen schnuckligen Urlaub in Heidelberg verbringst? Heidelberg ist so romantisch. Wenn ihr zum Beispiel in die Flitterwochen fahrt oder fliegt, könnt ihr doch mal einen kleinen Abstecher nach Heidelberg machen.“
Skeptisch sah er mich an.
„Du willst mit allen Mitteln den Kontakt zu unseren Eltern verhindern, oder?“
Betreten sah ich die Wand des Restaurants an. Seufzend bejahte ich seine Frage dann.
Damit war das Thema für ihn dann erledigt, er hatte wohl eingesehen, dass es vergebene Liebesmüh war. Stattdessen wechselte er, wenn auch nicht sehr geschickt, das Thema und den restlichen Abend erzählten wir uns Geschichten aus den 6 Jahren, die hinter uns lagen.
***

Puh, ihr wisste ja was jetzt käme, deshalb schreib ich es schon gar nicht mehr :O
Ich weiß, dass sich die Geschichte auch eher schleppend fortsetzt, aber es geht einfach nicht anders.
Ich verpsreche euch, dass es im nächsten Teil mal zur Sache geht :P

herzallerliebste Grüße, himbaereis <3





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