Blood and Shadows

Autor: julia
veröffentlicht am: 09.12.2010


Langsam sank die Sonne hinter den schwarzen Dämonenbergen und überzog dabei die verbrannte Erde mit einem blutroten Schein. Im Innern des Berges hauste der gefürchtete Herrscher über alle Dämonen, Luecrel, mit seinem Hofstaat. Zu jenem Hofstaat zählte unter anderen auch Alexandra, genannt Alex. Sie kniete inmitten des Thronsaales auf dem kalten Steinboden und beobachtete mit gesenktem Kopf wie sich die letzten Lichtstrahlen aus dem Saal stahlen. Sie wäre gerne mit ihnen geflüchtet, doch sie wusste es gab kein Entkommen. So wartete sie bis Luecrel, der auf dem marmornen Thron saß, das Wort an sie richtete. Auch die Vertreter der vier Adelhäuser, die am Rande der Halle saßen, warteten. Aus Erfahrung wussten sie, dass sie Luecrel nicht reizen durften, selbst wenn sie den ganzen Tag hier sitzen mussten. Es reichte die kleinste Beleidigung und der Herrscher würde ein Blutbad anrichten. Die Stille war erdrückend. Alex hörte wie der Mann vor ihr tief einatmete und spürte förmlich sein Vergnügen an dem Unbehagen und an der Angst, die in der Luft lag. „Wie ich höre, war deine Mission ein Erfolg. Ich hoffe doch du hast den Gegenstand, weswegen ich dich schickte?“ Nun endlich durfte Alex das Haupt erheben und blickte in das Gesicht Luecrels. Die stahlblauen Augen in dem milchig weißen Gesicht blickten mit Eiseskälte auf sie herab. „Natürlich, Herr.“ Andernfalls hätte sie es nicht gewagt ihm vor die Augen zu treten. Luecrel strich sich das lange schwarze glänzende Haar aus dem außergewöhnlich schönen Antlitz, dessen feine Züge wie gemeißelt waren. „Bring es mir.“ Vorsichtig erhob sich Alex um nicht ihre erst kürzlich zugefügte Wunde wieder aufreißen zu lassen und legte das reich verzierte Schwert, das mit einem seltenen Bann belegt war in seine Hände. Er hob es, murmelte etwas und ließ es zischend durch die Luft sausen. Mit einem lauten Fauchen schossen rote Flammen aus der Schwertspitze, direkt auf Alex zu. Mit gleichgültiger Mine tat sie einen Schritt beiseite, gerade so weit, dass sie nicht verletzt wurde. Sie hatte so etwas erwartet. Luecrel musste immer die neue Ware testen. Doch sie würde sich sicher nicht freiwillig anbieten. Alex gewahr das amüsierte Funkeln in den Augen des Dämonenkönigs. „Ist das Schwert zu Eurer Zufriedenheit, Herr?“, erkundigte Alex sich pflichtbewusst. Wieder sah sie sich diesen durchdringenden unheimlich blauen Augen ausgesetzt. „Ich werde das Schwert später noch auf seine Fähigkeiten testen, doch wie es aussieht ist es zufriedenstellend.“ Alex atmete leise auf. „Doch da wäre noch eine Sache.“, ein gewisser Unterton ließ sie aufhorchen. Etwas stimmte nicht, sie spürte die Gefahr, die plötzlich von ihm auszugehen schien. „Wo ist die Scheide des Schwertes.“ Alex zitterte innerlich bereits vor ihrer Strafe. Sie wusste er würde ihr nicht vergeben. Das tat er nie. Sie hatte die Hülle des Schwertes versehentlich in der Hitze des Kampfes in einen tiefen Schlund fallen lassen. Gefasst hob sie zu einer Erklärung an. „Herr, bitte verzeiht, die Scheide muss mir abhanden gekommen sein als ich…!“, weiter kam sie nicht. Mit einem wütenden Ruck fuhr Luecrel hoch. Das Schwert fiel klingend von seinem Schoß auf den steinernen Boden. Die kalten Augen fixierten sie ausdruckslos, was Alex einen Schauer über den Rücken jagte. Langsam hob er seine, mit blutroten dämonischen Zeichen verzierte Hand und winkte sie näher zu kommen. Alles in ihr schrie danach, davon zu laufen oder zu kämpfen, nur ja nicht näher an diese Bestie heran zu treten. Zumindest äußerlich ruhig und gelassen trat sie auf ihren Herrn zu. Dieser beugte sich zu ihr herab und sein Atem strich über ihr Gesicht. „Du hast was?“ Alex räusperte sich kurz, fasste sich und blickte hoch zu ihm. „Ich habe die Schwerthülle nicht. Es war ein unverzeihlicher Fehler, ich weiß.“ Luecrel knurrte leise und begann sie langsam zu umkreisen, wie ein Löwe seine Beute. „So, so. Wieder eine Enttäuschung. Ich muss feststellen, dass es sich nicht zu lohnen scheint dich aufgenommen zu haben. In letzter Zeit lässt du nach.“ Er blieb kurz stehen und blickte durch die Öffnung im Stein, durch die man auf den Nachthimmel blicken konnte. „Du solltest das Geschenk, das ich dir gegeben habe zu schätzen wissen, anstatt es mit Füßen zu treten. Du bist ein Bastard, der zwar mein Blut trägt, doch niemals meinen Namen oder meine Position übernehmen wird. Die meisten Dämonen hätten jemanden wie dich elendig in der Wildnis verenden lassen. Weiß der Teufel warum ich dich gerettet habe. Doch nicht genug damit, ich zog dich auch noch auf und bildete dich aus. Und nun das!“ Er näherte sich ihr soweit, dass sie durch den gespielten Ernst den er zutage legte hindurch sehen und die Vorfreude in seinem Blick glitzern sehen konnte. „Du wirst doch einsehen, dass ich dir eine Strafe geben muss oder nicht?“ Alex blieb nichts anderes übrig als brav zu nicken und sich auf die Pein gefasst zu machen, die sie erwartete. Im Saal herrschte gespannte Stille, denn nicht nur dem König gefiel es andere leiden zu sehen. Die vier Männer, die an der Wand entlang saßen, hatten sich, in freudiger Erwartung auf ein sehenswertes Spektakel, nach vorne gebeugt. „Ich denke, du wirst mir zustimmen, wenn ich sage, dass der Teilverlust eines wertvollen Gegenstandes, den ich dich zu holen beauftragte, kein leichtes Vergehen ist nicht wahr?“ Alex schwieg und bemühte sich nicht zurückzuzucken, als Luecrel zwei Finger hob und beinahe zärtlich damit über ihre Wange fuhr. Ein kühles Lächeln umspielte seine Mundwinkel als er auf sie herabblickte. „Dann lass uns beginnen.“ Alex schluckte schwer und schwor sich wenigstens ihren Stolz zu bewahren. Ohne ein weiteres Wort begann er einige Worte zu rezitieren und sie spürte, wie seine Finger auf ihrer Wange anfingen zu schmerzen. Es war, als würden sich tausende von Nadeln an dieser Stelle in ihre Haut stechen. Das Gefühl intensivierte sich, bis Alex dachte, dieser Fleck müsse nur noch aus rohem Fleisch bestehen. Sie merkte, wie Luecrel seine Hand zurückzog. Doch der Schmerz blieb, er breitete sich sogar rasend schnell aus. Innerhalb von wenigen Sekunden, hatte er jeden Zentimeter ihrer Haut in Beschlag genommen. Alex spürte nur noch die grausame Qual, die durch ihren Körper pulsierte ohne auch nur einen Moment schwächer zu werden. Doch trotz allem, bewahrte sie eisern Form. Solange diese eisig blauen Augen auf ihr lagen, würde sie sich keinen Klagelaut erlauben. Denn sie hatte zu viel zu verlieren. Luecrel wandte sich gemächlich um, um das Flammenschwert aufzuheben. „Vielleicht kennst du diesen Zauber ja, er bewirkt, dass deine Nervenenden um ein vielfaches empfindlicher werden und den darauffolgenden Eiszauber viel wirkungsvoller gestalten. Doch wie ich sehe, scheint dir das nicht allzu viel auszumachen.“ Er spielte mit der Schwertspitze und beobachtete sie dabei aufmerksam. „Wenn ich mich nicht täusche, bist du verwundet. Du riechst immerhin nach Blut. Zieh deinen Brustpanzer aus und zeig es mir.“ Mit zusammengebissenen Zähnen löste Alex die Lederriemen und ließ das Rüstungsteil zu Boden gleiten. Langsam hob sie ihr Hemd so weit an, dass er den langen tiefen Schnitt erkennen konnte. Das Schwert des Feindes hatte sich ein Stück oberhalb ihrer Hüfte in ihr Fleisch gegraben. Doch Alex wusste, dass es so gut wie unmöglich war sie im Kampf zu töten. Sie verfügte über immense Heilkräfte, die so groß waren, dass sie nur durch ein Stich direkt ins Herz oder durch das Durchtrennen ihres Halses starb. Luecrel grinste. „Es heilt bereits. Du kannst wirklich von Glück sprechen solch eine Fähigkeit zu besitzen.“ Für sie bedeutete die diese Kraft nur dass sie so lange leben und leiden würde, wie es Luecrel gefiel. Ohne Vorwarnung rammte er ihr das Schwert direkt über der alten Wunde in ihr Fleisch. Alex zog scharf die Luft in ihre Lungen, erst als der Schmerz wieder abschwächte wagte sie es wieder vorsichtig zu auszuatmen. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. In diesem Moment, drehte Luecrel die Klinge einmal um die eigene Achse und zog sie schließlich heraus. Übelkeit schlug über Alex zusammen, ihr Magen verkrampfte sich und sie wünschte sich nichts sehnlicher als ihre Pein laut heraus zu schreien. Doch das versagte sie sich entschlossen. Sie beruhigte ihre Atmung wieder und verbannte jeden Gedanken an den Zentner Stahl, der zwischen ihren Rippen steckte. Sie hörte ein bewunderndes Keuchen von einem der vier Adelsvertreter, doch die interessierten Alex nicht. Sie blickte Luecrel gelassen in die Augen, was dieser mit einer hochgezogenen Augenbraue quittierte. „Du möchtest noch mehr?“ Er lächelte eisig. „Ich denke nicht, dass das nötig sein wird, denn dieses Schwert hier hat die Eigenschaft, dass es Gift im Blutkreislauf verteilt, das die inneren Organe verätzt. Es genügt schon der kleinste Kratzer. Die Wirkung tritt bereits nach wenigen Minuten ein. Das heißt, dass du die Nachwirkungen bereits fühlen solltest.“ Er neigte den Kopf und musterte Alex vergnügt. „Wir werden sehen, wie weit deine Heilkräfte reichen. Doch bis zu deinem Ende erwarte ich dass du mir noch mindestens einen Auftrag erfüllst.“ Er stieg wieder auf seinen Thron und schlug die Beine übereinander. Alex hoffte, dass er sich beeilte mit den Erklärungen, denn sie hatte das Gefühl ihm bald auf seine teuren Schuhe reihern. Alles an ihr schien aus rohem Schmerz zu bestehen. Es fühlte sich an, als hätte man ihr das Innere nach außen gekehrt. Ihr Atem ging rasselnd und unregelmäßig. Sie war kaum imstande gerade zu stehen geschweige denn einen Auftrag zu erfüllen. Doch das würde sie ihm nicht auf die Nase binden. Luecrel musste ihr bleiches Gesicht dennoch bemerkt haben, denn er lachte laut. „Du scheinst doch Schmerz verspüren zu können, wie wir alle.“ Doch dann wurde er wieder ernst, um nicht zu sagen wütend. „Ich will dass du den Stadtrat von Rodon tötest. Er hat es doch tatsächlich gewagt sich gegen mich aufzulehnen. Er sagt, er will sich uns nicht länger beugen. Er will Krieg mit dem Dämonenvolk. Normalerweise würde ich das ja begrüßen, doch diesmal kommt mir das nicht gelegen. Ich brauche meine Truppen woanders. Also wirst du ihn töten.“ Alex Herr warf ihr einen letzten Blick zu, in dem Verachtung mitschwang. „Und nun sieh zu dass du verschwindest und deinen Auftrag erfüllst. Du blutest mir noch die gesamte Halle voll.“ Alex verbeugte sich trotz dem Schmerz, der ihr die Luft zum Atmen nahm. „Sehr wohl mein Herr“ Sie packte ihren abgelegten Brustpanzer und ihre Waffe und trat mit gestrafften Schultern und erhobenen Hauptes aus der Halle. Hier im Dämonenberg hatte sie kein Schlafplatz und auf dem Gang wollte sie nicht, ungeschützt vor allen Blicken, zusammenbrechen. Das würde sie sich erst gestatten wenn sie das Land der Dämonen hinter sich gelassen hatte. Ohne einen einzigen Gedanken an Proviant, Decken oder ähnliches zu verschwenden, durchquerte sie den Königsgarten, der ihr mit seinen kahlen schwarzen Pflanzen jedes Mal aufs Neue eine Gänsehaut verursachte und verließ den Berg. Mühsam zog sie sich in den Sattel ihres braven Pferdes, das die ganze Zeit auf sie gewartet hatte und nahm die Zügel in die Hand. Bereits nach kurzer Zeit krampfte sich ihr Magen zusammen und Alex erbrach sich mehrmals. Sie fühlte sich fiebrig und die nächtliche Kälte drang bis auf ihre Knochen. Mit einem kurzen Blick in Richtung des kleiner werdenden Dämonenberges, erlaubte sie sich endlich ihre Pein zu fühlen. Ihre Muskeln entspannten sich zunehmends und sie gestattete sich ein gequältes Keuchen. Vorsichtig hob sie mit einer Hand ihr Leinenhemd hoch und besah ihre Wunden. Die Ältere der Beiden hatte sich bereits geschlossen und auch die Andere sah besser aus als zuvor. Ein Haken hatte die Geschichte mit der Schnellheilung jedoch. Alex wurde meist einige Stunden später ohnmächtig, weil ihr Körper Kraft aus dem Schlafe fassen musste, um der Belastung die durch die Genesung entstand standzuhalten. Auch jetzt spürte sie, dass es bald wieder soweit sein würde. Ihre Glieder verloren zunehmend an Spannung und ihre Sicht begann zu verschwimmen. Mit einem leisen Stöhnen lehnte sie sich nach vorne und umfasste den Hals ihres Hengstes. Dabei achtete sie darauf das möglichst Nichts ihre Wunde berührte. In dieser Stellung, so hoffte Alex zumindest, würde sie nicht so schnell aus dem Sattel fallen. Bevor sie ihre Überlegung zu Ende führen konnte, spürte sie, wie sich Schwärze hinter ihren Augenlidern breit machte und sie endlich in eine gnädige Ohnmacht glitt.


Kapitel 1
Shawn O’Connor saß schon seit Stunden im Sattel und zog seine Runden entlang der Grenze zum Dämonenland. Der Morgen graute bereits und der Schnee lag als dicke Schicht über dem ganzen Land. Shawn verlor sich ganz in dem Zauber des Anblicks. Doch plötzlich schnaubte sein Pferd beunruhigt. Schnell zog er die Zügel straff und hielt an. Gerade rechtzeitig wie er erkannte, als er abstieg. Keine fünf Schritte von den Hufen seines Pferdes entfernt lag jemand. Einige Meter weiter entdeckte Shawn ein anderes Reittier, von dessen Rücken die Person, die vor ihm lag gefallen sein musste. Er ging neben dem jungen Mann, wie er bei näherem Hinsehen bemerkte, in die Hocke und befreite ihn von dem Schnee, der ihn zudeckte. Als er schließlich fertig war, staunte er über den Fund, den er gemacht hatte. Vor ihm lag ein Junge, schätzungsweise 18-20 Jahre alt, mit Haut so weiß wie der Schnee in dem er lag und Haaren die so schwarz wie die Nacht waren. Eine typische Farbkombination wie hochrangig adlige Dämonen sie hatten. Und doch hatte dieser Mann nichts Grausames an sich, im Gegenteil. Er schien eher schutzlos und zerbrechlich. Als Shawn ihn hochheben wollte, entrang sich dem Jungen ein Stöhnen. Erst jetzt fiel Shawn das Blut auf, das das Hemd des Verletzen durchtränkte. Rasch zog er es hoch und fluchte laut. So etwas hatte er schon eine Weile nicht mehr gesehen. Normalerweise überlebte man eine solche Wunde auch nicht. Dieser Dämon brauchte dringend Hilfe wenn er überleben sollte. Entschlossen hievte er ihn hoch und setzt ihn vor sich in den Sattel. Mit einem Arm hielt er den Junge fest, sodass er nicht hinunterfiel, mit der anderen Hand dirigierte er das Pferd nach Süden, dorthin, wo seine Heimatstadt, Traec, lag.
Während des Rittes fragte Shawn sich immer wieder warum er ausgerechnet einem Dämonen das Leben rettete. Jemandem, der sein Erzfeind war. Doch ihn einfach dort liegen zu lassen erschien Shawn wiederum auch nicht richtig. Er würde den Jungen, sobald er geheilt war, vor ein Gericht bringen. Dort würde er dann seine gerechte Strafe empfangen. Bis dorthin würde Shawn ihn nicht aus den Augen lassen, damit er ja keine Dummheiten machte. Seufzend blickte er zu dem Mann, den er in den Armen hielt, herab. Wieso musste Shawn sich immer in solche Situationen manövrieren. Jeder normale Mensch wäre weitergeritten und hätte den Burschen nicht beachtet, direkt nach dem Motto: „Nur ein toter Dämon ist ein guter Dämon.“ Irgendetwas an dem Jungen hatte ihn stutzig gemacht. Etwas, das so ganz und gar nicht zu den blutdurstigen ruchlosen Wesen, wie sie im Dämonenberg hausten, passen wollte. Langsam ließ Shawn seinen Blick von dem kurzen schwarzen Haar weiter zum Gesicht des Dämonen wandern. Überrascht bemerkte er, die langen Wimpernkränze, die zierliche Nase und den elegant geschwungenen Mund. Wenn er es nicht besser wüsste, wäre er sich sicher gewesen eine Frau vor sich zu haben. Doch Shawn hatte die Hosen, das lange, schwere Schwert und den Brustpanzer der aus der Satteltasche lugte, durchaus bemerkt. Keine Frau wäre fähig solch eine Waffe zu schwingen oder solch ein Rüstungsteil zu tragen. Außerdem hatte er gehört, dass es Dämonenfrauen nicht erlaubt war kurzes Haar oder Beinkleider zu tragen. Bei einem Verstoß dieses Gesetzes wurden sie hart bestraft oder sofort als geächtet erklärt. Also war es gar nicht möglich dass dieser Junge hier ein Mädchen war. Dennoch gelang es Shawn nur schwer seinen Blick von ihm abzuwenden. Die Zeit verstrich im Fluge und nach einer Stunde trabte Shawn’s Gaul bereits über den um diese Zeit wie leer gefegten Marktplatz. Das Gebäude das Shawn anstrebte lag bereits in Sichtweite. Keine Zeit verschwendend sprang er vom Rücken seines Pferdes und hob seinen verletzten Begleiter vorsichtig aus dem Sattel. Auf dem Weg zu seinen Gemächern befahl er einem Bediensteten sich um seinen Gaul zu kümmern, der immer noch vor der Türe stand. Als er begann die Treppe in die oberen Stockwerke hochzusteigen, bemerkte er dass sich seine Last begonnen hatte sich zu bewegen. Shawn vernahm ein trockenes Stöhnen. „Lass… mich runter!“ Überrascht hielt er den Jungen noch ein wenig fester um ihn nicht versehentlich fallen zu lassen. „Lass los oder ich saue dir den Rücken voll!!“ Langsam ließ er Alex zu Boden gleiten. Mit selbst für dämonische Verhältnisse bleichem Gesicht wandte sie dem Mann vor ihr den Rücken zu und übergab sich würgend. Sie wusste, dass sie dem Menschen nicht trauen durfte, er musste sie als Dämon erkannt haben und würde sie bei der nächsten Gelegenheit töten. Von nun an würde sie größte Vorsicht walten lassen müssen wenn sie überleben wollte. Mit einer fließenden Bewegung war sie auf den Beinen, die Hand am Schwertknauf. Als erstes würde sie ihn zur Rede stellen. Wieso hatte er sie überhaupt hierher geschleppt? Erstaunt beobachtete Shawn wie der schwer verletzte Bursche sich ohne große Mühe in Kampfposition brachte. „Wer seid Ihr und wo bin ich hier?“, knurrte Alex misstrauisch. „Naja, nachdem ich Euch im Schnee liegend fand, dachte ich der schnellste Weg Euch behandeln zu lassen wäre Euch zu mir nach Hause zu bringen.“, antwortete Shawn, den rauen Ton den Alex anschlug missachtend. „Ihr meint wohl der schnellste Weg in Gefangenschaft.“ Sie bewegte sich vorsichtig einige Schritte Richtung Tür, wachsam den Krieger vor ihr beobachtend. Dieser schüttelte schnell den Kopf. „Ich werde Euch nicht willkürlich einsperren und unbehandelt in irgendeiner Zelle dahinsiechen lassen! Das verbietet die Menschlichkeit. Nachdem Eure Wunden verheilt sind, wird Euch ein gerechter Prozess zuteil werden, das verspreche ich Euch.“ Alex lachte spöttisch. „Also im Grunde genommen genau das was ich gesagt habe. Denn kein Gericht würde einen Dämonen frei herumlaufen lassen oder menschlich behandeln.“ „Das ist Eure Meinung. Doch nun tretet ein und setzt Euch, damit ich mir Eure Verletzungen genauer ansehen kann.“ Shawn öffnete die Tür zu seinem Gemach und winkte ihr einzutreten. Doch Alex dachte nicht im Traum daran. Sie würde jetzt einfach verschwinden, sie konnte keine weiteren Komplikationen gebrauchen. Aber die würde sie bekommen, wenn sie bei dem Soldaten blieb. Also schüttelte sie den Kopf. „Ich werde jetzt gehen. Meinen Wunden geht es gut, Ihr braucht Euch nicht darum kümmern.“ Mit diesen Worten wandte sie sich zum Gehen. Sofort trat ihr der Mann in den Weg. „Das kann ich nicht zulassen. Bitte kommt mit und lasst Euch versorgen. Um die Verbrechen, die Ihr begangen haben mögt, kümmern wir uns später.“ „Wie ich es mir dachte. Ihr wollt mich hier festhalten.“, knurrte sie mit zu Schlitzen verengten Augen. „Aber das wird Euch nicht gelingen.“ Mit einem schnellen Satz war sie beim nahe liegenden Fenster. Wenige Sekunden später, stürzte er auf den Dämonen zu und bekam ihn am Arm zu fassen. „Bleibt hier! Wagt es ja nicht jetzt davon zu laufen! Versteht Ihr denn nicht, dass Ihr sterben werdet, wenn Ihr nun in diesem Zustand flieht!?“ Mit einem wütenden Fauchen und plötzlich rot aufleuchtenden Augen fuhr sie herum. „Das geht Euch nichts an! Kümmert Euch um Euren Kram!“ Mit diesen Worten warf sie sich durch die Fensterscheibe. Shawn eilte zum Fenster und blickte entsetzt hinunter, fest überzeugt davon, dass der Junge nun tot oder zumindest schwer verletzt sein müsse. Doch im Gegenteil er hatte dem Sturz elegant mit einer Rolle die Wucht genommen und landete wie eine Katze sicher und wohlbehalten auf den Beinen. Ohne noch einmal zurück zu blicken eilte er davon. Überrumpelt konnte er einige Herzschläge lang nur starren. Das war doch nicht möglich! Niemand konnte aus solch einer Höhe und mit solch einer Wunde noch aufrecht gehen, geschweige denn rennen! Mit einem Ruck riss sich Shawn von dem Anblick los, packte seinen Umhang und nahm die Verfolgung auf.

Alex hatte keine Ahnung, wo sie heute Nacht schlafen würde, sie würde sich wohl einfach in eine Schenke setzen und sich über den Mann erkundigen, den sie töten sollte bis Sperrstunde war. Was danach war, würde sich dann schon zeigen. Wahrscheinlich würde sie eine weitere Nacht unter freien Himmel mit ihrem dünnen Umhang bedeckt verbringen. Mit einem leisen Seufzer blickte sie hinauf zum Firmament und unternahm den sinnlosen Versuch die dunklen Wolken, die ein drohendes Unwetter ankündigten, mit ihren finsteren Blicken zu verscheuchen. Doch die ersten Tropfen fielen bereits und es schüttete bald wie aus Eimern. Wenigstens konnte sie sich mit dem Regen die Wunde ausspülen, dann würde ihr ein Eitern dieser erspart bleiben, so hoffte sie. In Gedanken versunken steuerte sie auf die Taverne, die auf der anderen Seite des Marktplatzes lag, zu. Doch bereits nach wenigen Schritten bemerkte sie, das Entsetzten und die Abscheu, die sie ihre Anwesenheit bei den Bewohnern von Traec auslöste. Sie wusste, wie sie für diese Menschen aussah, wie einer dieser verhassenswerten Dämonen, die schon viele Ehemänner, Väter, ja sogar Frauen und Kinder aus diesem Dorf auf dem Gewissen hatten. Grausam, unheimlich und seelenlos. Eben Wesen die sich am Leid anderer ergötzten. Schnell lenkte sie ihre Schritte in eine abgelegene kleine Gasse, von den Menschen weg. Ihr war durchaus bewusst, dass sie aussah wie ihr Vater Luecrel, denn sie aus tiefstem Herzen verabscheute. Zu oft wurde es ihr ins Gedächtnis gerufen, als dass sie vergessen könnte. Mit dem ihr sehr bekannten bitteren Gefühl in der Magengegend, senkte sie den Blick auf den Weg zu ihren Füßen. Nur um direkt in ihr eigenes Antlitz zu blicken, das sich in einer Regenlache widerspiegelte. Es war, als blicke sie Luecrel direkt ins Gesicht. Sie knurrte und zertrat ihr Spiegelbild leise fluchend. Mit steinerner Mine setzte sie ihren Weg fort. Diesen Fluch würde sie niemals los werden, selbst wenn es ihr gelingen sollte sich aus den Klauen Luecrels zu befreien, was schier unmöglich war, würde sie niemals frei sein von den Erinnerungen, die sie überall hin verfolgten. Nur im Tode würde sie Linderung von den quälenden Albträumen und den Selbstvorwürfen finden, die sie peinigten seit sie ihren ersten Auftrag erfüllt hatte. Doch sterben wollte sie nicht, sie wollte leben! Mit aller Macht. Aber auch das war nur eine Traumvorstellung, genau wie das Streben nach Freiheit. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Luecrel sie nicht mehr als lebenswert erachtete. Erst als sie beinahe in die große Holztür gerannt wäre, auf der der Name der Taverne „Zur fetten Sau“ und ein Schwein prangten, bemerkte sie, dass sie an ihrem Ziel angekommen war. Alex atmete ein letztes Mal tief ein, um sich von ihren schweren Gedanken wenigstens vorübergehend zu befreien und betrat mit sicherem Gang die Schenke.
Mit schnellem Blick machte sie diverse Ausgänge und Fluchtmöglichkeiten aus und setzte sie sich, mit dem Rücken zur Wand, so hin, dass sie jeden, der die Taverne betrat oder verließ sofort erkennen konnte. Auch hier warfen ihr die Menschen hasserfüllte oder verängstigte Blicke zu. Doch viele der Gestalten, die hier verkehrten, waren bereits zu eingenommen von legalen oder illegalen Drogen, um sich noch viel um sie zu kümmern. Wenn dem nicht so wäre, wäre ihr Leben ernsthaft in Gefahr. Schon jetzt hatte Alex jemanden ausgemacht, von dem sie hoffte Informationen über den Stadtrat von Rodon zu finden. Der Mann war klein und drahtig, mit verschlagenen kleinen Augen, die den Raum unablässig sondierten. Auf seinem Arm prangte eine blasse eintätowierte Nummer, die ihn als ehemaligen Gefängnisinsassen kennzeichnete. Er schien ihr ein Mann zu sein, dem klingende Münzen die Zunge lockern könnte. Also winkte sie dem Wirt, der nur widerwillig bei ihr erschien. „Gebt diesem Herrn dort drüben einen von Euren besseren Weinen. Es geht auf meine Rechnung.“ Missmutig sah er auf sie herab. „Wenn ich Euch zu diensten sein soll, dann zahlt gefälligst im Voraus. Solchen Schweinen wie Euch traue ich nicht über den Weg!“ „Wie viel?“ Er verlangte einen völlig übertriebenen Preis, doch daran würde Alex sich bestimmt nicht stören. Wenigstens durfte sie in der Schenke bleiben. Die meisten anderen Betriebe hätten sie gar nicht erst eintreten lassen. Kurz darauf kehrte der beleibte Wirt, dessen schmuddelige Schürze ihn beim Gehen leicht behinderte, in den Schankraum zurück und tischte Alex zukünftigen Informanten den Wein auf. Nach einem kurzen Wortwechsel mit dem Gastwirten, wandte er ihr sein schmales Gesicht mit der markanten Adlernase, zu. Misstrauisch musterte er sie. Schließlich, die Neugierde musste ihn antreiben, setzte er sich zu ihr an den wuchtigen Holztisch in der Ecke. „Wem verdanke ich diesen edlen Tropfen?“ Alex bemühte sich ein freundliches Lächeln zutage zu fördern und streckte ihrem Gegenüber die Hand entgegen. „Man nennt mich Red. Und wem darf ich für die Gesellschaft danken?“ Red war seit jeher ihr Synonym wenn sie Aufträge ausführte. Es war wie ein Wunder, dass dieser Name nicht schon überall bekannt war. Der gedrungene Mann vor ihr grinste hämisch. „Mein Name tut hier nichts zur Sache. Ich vermute Mal, Ihr wollt etwas von mir. Nichts ist im Leben umsonst, auch kein Wein. Also was wollt Ihr?“ Er war ihr zwar nicht sympathisch, doch dass er gleich zur Sache kam, war äußerst hilfreich und ersparte ihr Fröhlich- und Freundlichkeit zu heucheln. Sie beugte sich unauffällig ein Stück nach vorne, denn das was sie diesem Herrn hier zu sagen hatte, sollte möglichst geheim bleiben. Auch er neigte seinen Kopf weiter vor. „Also, Mister! Ich möchte Euch einen kleinen Handel vorschlagen. Ihr könnt dabei eine schöne Stange Geld gewinnen, wenn Ihr es geschickt anstellt.“ Mit einem gierigen Funkeln in den Augen kam er noch näher. „Um was geht es?“ „Ich möchte, dass Ihr die Gewohnheiten des Stadtrates von Rodon aufzeichnet. Wann er aufsteht, isst, arbeitet, sogar wann er pinkelt. Er soll nichts tun, ohne dass Ihr es nicht aufschreibt. Einen Monat lang sollt Ihr das für mich tun. Pro Tag bekommt Ihr einen Gulden. Und wenn Ihr Eure Sache gut gemacht habt, zahle ich Euch sogar noch einen Aufpreis. Also, was sagt Ihr?“ Nachdenklich hatte er sie gemustert während sie sprach. „Hört sich gut an. Aber ein Gulden ist doch ein bisschen wenig, verdreifacht das Angebot und ich bin dabei.“ Eigentlich war es eine Unverschämtheit für so eine Arbeit drei Gulden pro Tag, mehr als der Monatslohn eines gutbezahlten Arbeiters ausmachte, zu verlangen. Doch Alex zögerte nicht lang und ging auf das Geschäft ein. Hinterhältig grinsend lehnte sich ihr Gesprächspartner im Stuhl zurück. „Dann breche ich morgen früh auf.“ Alex musterte den Mann, dem sie durchaus ohne weiteres zutraute sie übers Ohr zu hauen. Vielleicht sollte sie ihm noch eine kleine Warnung zukommen lassen, was geschah, wenn er sie zu betrügen versuchte. Doch alles zu seiner Zeit. So bestellte sie noch einen weiteren Krug Wein und wartete geduldig auf den richtigen Moment. Etwa eine Stunde bevor die Taverne schloss, erhob sich Alex, wünschte ihrem Gegenüber eine gute Nacht und verließ das Lokal. Noch immer regnete es. Die Sterne standen hoch am klaren Himmel und der volle Mond leuchtete heute so stark, dass die Nacht beinahe taghell war. Doch Alex hatte kaum einen Blick für die Schönheit des Mondes oder der Sterne übrig. Sie suchte nach einem Platz an dem sie ohne Probleme eine ausharren würde können, ohne dabei Gefahr laufen zu müssen von ihrem Opfer entdeckt zu werden. Sie suchte sich einen großen Schneehaufen, den die Bewohner zusammengetragen haben mussten, als sie ihre Geschäfte vom Schnee befreiten. Sie versuchte es sich so bequem wie möglich zu machen und wickelte sich in ihren dünnen Umhang ein, in der Hoffnung dass er wenigstens ein wenig Wärme spendete. In dieser Position verharrte sie. Wartete auf ihre Beute, die nun bald aus der Schenke treten würde. Was einige Zeit später dann auch wirklich der Fall war. Vorsichtig kauerte sie sich hinter ihren Sichtschutz. Nur noch ein kurzer Moment und er würde nah genug sein. Jetzt! Mit einem Satz sprang sie knurrend hinter ihrer Deckung hervor, zückte in der gleichen Bewegung ihren Dolch und stürzte sich auf ihr Opfer. Der Mann hatte keine Chance. Alex drückte ihrem Informanten den Dolch an die Kehle. Aus dieser Nähe überwältigte sie der durchdringende Gestank nach Alkohol und tagealtem Schmutz riechen. Übelkeit stieg in ihr auf, doch sie ignorierte ihn beharrlich. Die feine Dämonennase war eben nicht immer von Vorteil. Sie konzentrierte sich wieder auf die Ursache ihrer Abscheu und flüsterte ihm leise ins Ohr. „Ich hoffe Ihr erinnert Euch noch an unseren Pakt und werdet tun was von Euch verlangt wird. Doch falls ich merke, dass Ihr mich versucht zu hintergehen, werde ich Euch an Eurem Gemächt am nächsten Baum aufhängen.“ Er ließ ein ersticktes Gurgeln erklingen und Alex konnte gerade noch schnell genug zur Seite springen bevor er sich geräuschvoll übergab. Auch ihr fiel es schwer an sich zu halten bei den Gerüchen, die sich ihr aufzwängten. „Ich denke Ihr habt verstanden was ich meine.“ Das Mannsbild kniete vor ihr, mit einem Gesicht bleich wie der Tod und riesigen angsterfüllten Augen. Als er schnell nickte gab sie sich zufrieden damit. „Dann verschwindet bevor ich mich vergesse!“ Mit einem widerwilligen Grinsen sah sie zu, wie der Betrunkene mehr schlecht als recht davon hastete. Seine eigenen Füße behinderten ihn mehr als dass sie ihm halfen. Endlich konnte sie wieder frei atmen. Beinahe alles sonderte einen Geruch ab, doch das waren nur alltägliche Gerüche, die sie nicht allzu sehr belasteten. Schwer wurde es nur, wenn sie sich den Menschen oder Tieren zu sehr näherte, dann konnte die Intensität der verschiedenen Gerüche durchaus zum Problem werden. Denn meistens waren es keine angenehmen Gerüche, die ihr entgegen schlugen. Bei den meisten Lebewesen war dies der Fall, nur bei Dämonen war das anders, diese sonderten keine aufdringlichen Düfte ab, doch viele Angehörigen dieser Rasse die sie kannte hatten sadistische Tendenzen, einige wenige bildeten die Ausnahme. Kein Wunder also, dass sie es bevorzugte alleine zu arbeiten. Seufzend zog sie sich ihren Umhang, der bei ihrem Angriff verrutscht war, wieder über die Schulter. Doch ein Geräusch ließ sie plötzlich erstarren. Ihr feines Gehör hatte ein leises Schaben von Metall auf Metall wahrgenommen. Ohne zu zögern warf Alex sich zur Seite. Gerade rechtzeitig, wie sie erkannte, dort wo sie sich vor kurzem befunden hatte, bohrte sich jetzt eine scharfe Klinge in den Grund. Knurrend stemmte sie sich auf die Beine und zog in derselben Bewegung einen ihrer Dolche aus dem Stiefel und warf ihn mit tödlicher Genauigkeit nach ihrem Gegner. Dieser wich dem Geschoss mühelos aus und attackierte Alex wieder mit seinem wuchtigen Beidhänder. Sein Schwert prallte am kalten harten Stahl ihrer schlanken Klinge ab. Mit einem siegessicheren Grinsen, entwaffnete sie ihren Opponenten mit einem Drehen ihres Handgelenks. Die Widerhaken, die sie vor Jahren am Stahl ihrer Klinge anbringen hatte lassen, erfüllten ihren Zweck jedes Mal aufs Neue tadellos. Sofort zielte sie mit ihrer Schwertspitze auf die Brust ihres Gegners. „Wer seid Ihr?“ Wahrscheinlich war er ein Attentäter, der auf sie angesetzt worden war. Doch anstatt ihr zu antworten trat er aus dem Schatten der Hausdächer. Überrascht schnappte sie nach Luft. Das helle Mondlicht schien auf ein kantiges, attraktives Gesicht. Ein ihr nicht unbekanntes Gesicht. „Überrascht?“ Sie hätte seine dunkle Stimme überall erkannt. Die Stimme ihres Verlobten, Baltazar. „Aber… ich dachte Luecrel hätte dich nach Norden geschickt?“ Verwirrt blickte sie ihn an und ließ ihre Waffe sinken. Vergnügt grinste er sie breit an und entblößt zwei Reihen von makellos weißen Zähnen. „Hat er auch.“ Innerlich stöhnte Alex auf. Sie hasste es ihm immer alle Informationen aus der Nase ziehen zu müssen. „Nun sag schon! Weshalb…“ In diesem Moment warf er eine Schriftrolle in die Luft und rezitierte einige rituelle Worte. Ohne eine Chance dem Zauber auszuweichen, der auf sie zuraste, taumelte sie getroffen rückwärts und schlug orientierungslos auf dem matschigen Boden auf. Sie vernahm seine Stimme als er triumphierend Auflachte. „Ha! Endlich hab ich dich!“ Fluchend versuchte Alex sich aufzurappeln und ihn zu stellen. Dieser gemeine Schurke hatte doch tatsächlich ihre Verwirrung ausgenutzt und einen Blitzzauber gesprochen. Baltazar wusste, dass sie schwach gegen diesen Zauber war und dass er sie blendete. Dieser Halunke! Blind nach ihrer Waffe tastend fauchte Alex wütend. „Das zählt nicht, du hast geschummelt! Es steht immer noch zwölf zu null!“ Als er nicht reagierte, was ihr seinen Standpunkt verraten hätte, fügte sie noch ein provozierendes, „Für mich!“, hinzu. Immer noch saß Alex auf dem harten Boden und versuchte, mit schief gelegtem Kopf, ein Geräusch zu vernehmen. Dieser Bastard! Leise murmelte sie, „Wenn ich sehen könnte hättest du keine Chance. Warte nur bis ich dich erwische, du…!“ „Was dann?“ Seine schwere rauchige Stimme war dicht an ihrem linken Ohr. Im selben Moment schlug sie in jene Richtung… und traf. „Autsch!“ Diesmal war seine Stimme direkt vor ihr. Sie konnte sogar seinen Atem spüren. „Das war nicht sehr nett von dir.“ Als sie wieder nach ihm schlagen wollte, packte er ihre Handgelenke und warf sie zu Boden. Alex spürte wie Baltazar sich mit seinem Gewicht auf sie legte und so jeden Versuch sich zu wehren unmöglich machte. „Gefangen wie die Fliege im Honig.“, lachte er leise. „Damit wären wir bei zwölf zu eins.“ Alex versuchte eine strenge Mine aufzusetzen. „Du weißt genau dass du nur gewonnen hast, weil du meine Schwäche ausgenutzt hast.“ Sie holte tief Lust und strampelte heftig unter ihm, um sich zu befreien. „Und jetzt runter von mir!“, rief sie verärgert darüber, dass er sich keinen Millimeter bewegt hatte. „Na na wer wird denn gleich wütend werden? Du kannst nur nicht verlieren, dass ist dein Problem.“ „Natürlich kann ich verlieren! Aber nur wenn der Sieg fair erworben wurde!“, maulte sie und schnappte kurz darauf nach Luft. „Uff! Ich wusste gar nicht dass du so dick geworden bist. Mit deinem Gewicht zerquetscht du mich noch!“ Natürlich war das ein vollkommener Blödsinn, denn an ihrem Verlobten war kein Gramm Fett zu viel, er bestand beinahe nur aus Muskeln und Knochen. Er schien es ihr nicht übel zu nehmen, im Gegenteil. Sie spürte wie seine Brust unter einem unterdrückten Lachen bebte. „Und bilde dir ja nicht ein, ich würde nicht merken dass du mich auslachst!“, fauchte sie ihn an. Baltazar bebte zwar immer noch vor Lachen, legte nun aber seine warme Stirn auf ihre. „Ich lache dich nicht aus, deine Gesellschaft ist eben nun einmal erheiternd.“ Sein Haar kitzelte sie als er sein Gewicht verlagerte und ihre Wange vorsichtig mit seinen Fingerknöcheln streichelte. „Was ist nun mein Preis?“ Überrascht zog sie eine Augenbraue in die Höhe. „Seit wann bekommt man einen Preis wenn man bei unserem kleinen Kampf gewinnt?“ „Was?!“, rief er gespielt empört. „Du hast doch damals meinen Dolch, mein Armband und meinen Schlachthelm bekommen. Als wir noch jünger waren, hast du mich sogar gezwungen den Schmied zu überreden dir ein Schwert zu machen. Weißt du noch wie schwer er mich als Bezahlung dafür schuften ließ?! Ich finde sehr wohl, dass ich mir nun, da ich endlich gesiegt habe, auch einen Preis verdient habe!“ Alex spürte wie sich ihr Gesicht erhitzte, dass hatte sie ganz vergessen. Nun konnte sie ihm unmöglich einen Lohn zu verweigern. Verlegen meinte sie, „In Ordnung. Was willst du? Meine Dolche? Willst du dein Armband wieder? Aber das sag ich dir, mein Schwert gebe ich nicht her!“ Da sie nicht sehen konnte wie Baltazar den Kopf schüttelte, zählte sie weitere Gegenstände auf, die er könnte haben wollen. „Keine Angst, ich will keines von diesen Dingen.“ Verwirrt legte sie den Kopf schief und fragte. „Was willst du dann?“ Sie konnte das Grinsen in seiner Stimme hören als er weiter sprach. „Ich hole mir schon was ich will. Schließ die Augen.“ Misstrauisch versuchte sie zu ergründen was er wollte. „Aber…“ „Schließ die Augen.“ Mit einem leisen Murren tat Alex was er verlangte. Einen Moment später fühlte sie, wie Baltazar mit seinen Lippen zärtlich über ihre strich und sie vorsichtig küsste. Vollkommen perplex wagte sie es nicht sich zu rühren. So etwas hätte sie niemals erwartet. Baltazar war für sie immer ein guter Freund gewesen, ihr Anker in einem Sturm, ihr Rettungseil. Trotz ihrer Verlobung, wäre sie nie auf den Gedanken gekommen er sähe sie mit anderen Augen. Da das Verlöbnis für Beide immer ein unangenehmer Zwang darstellte und sie nicht im Sinn gehabt hatten ihre Vermählung jemals wirklich durchzuführen, hatten sie sich immer nur als gute Freunde gesehen. Zumindest hatte Alex es immer so gesehen. Es war ein unschuldiger, keuscher Kuss, der sie zu nichts zwang. Als sie erkannte, wie er fühlte, schmerzte sie seine Rücksicht, die er an den Tag legte, um ein vielfaches mehr. Ihr Herz krampfte sich aus Mitleid für ihn zusammen. Sie fühlte bereits, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete. Am liebsten hätte sie geweint, doch das sie würde niemals zu erkennen geben, wie schwer es ihr auch fallen mochte. Baltazar musste dennoch erkannt haben wie sie fühlte, denn er fragte sie mit rauer Stimme, „War es so schlimm?“. Sie schüttelte leicht den Kopf. „Baltazar…es tut mir leid, ich hatte ja keine Ahnung….“, krampfhaft suchte sie nach den richtigen Worten. Doch er unterbrach sie indem er ihr einen Finger auf den Mund legte. „Das weiß ich. Das habe ich schon lange erkannt. Ich weiß, dass du, obwohl wir verlobt sind, mich nie auf diese Weise gesehen hast. Für dich bin ich immer nur dein getreuester Freund gewesen. Das weiß ich bereits.“ Alex schluckte schwer. Hätte sie das früher gewusst, sie hätte sich ihm nicht so aufgedrängt. So hatte sie ihm alles nur noch schwerer gemacht. „Jetzt hör aber auf diese steinerne Mine, hinter der du dich immer versteckst, zur Schau zu tragen! Da kann einem ja richtig Angst werden!“, lachte Baltazar leise. „Ich…versuchs.“, murmelte sie. Langsam rappelte Alex sich wieder auf. Sie hatte keine Ahnung, wie das mit ihnen nun weitergehen, oder wie sie ihn von nun behandeln sollte. Sie steckte ihr Schwert wieder in die lederne Scheide und machte sich daran ihre Dolche zu suchen, was gar nicht so einfach war, wenn man wie sie, nichts sehen konnte. Leise vor sich hin fluchend tastete sie mit ihrem Fuß nach einem Hindernis, das schwer genug war aus Stahl zu sein. Plötzlich merkte sie, dass Baltazar ihr die Dolche in die Handflächen legte. „Dass du aber auch nie nach Hilfe fragen kannst!“, schalt er sie spöttisch. „Du hättest mich ja auch nicht blenden müssen.“ Nun lachte er. „Doch das musste ich.“ Er nahm ihren Arm und hakte ihn bei sich ein. „Nur so kann ich dich einmal von deiner hilfloseren Seite sehen und dir so nahe sein.“ Alex beschloss den letzten Kommentar einfach zu übergehen, denn sie hätte nicht gewusst wie sie darauf hätte antworten sollen. Baltazar führte sie zu einer trockenen geschützten Stelle und Alex vernahm, wie er sich hinsetzte und tat es ihm gleich. Sie kannte Momente wie diese bereits. Gleich würde er wieder anfangen Pläne zu schmieden, wie man am Besten aus dem Dämonenberg flüchten könnte, ihrem ewigen Gefängnis. Das hatte er schon immer getan, so lange sie sich zurückerinnern konnte. Sein Vater war ein grausamer Mann gewesen, der Baltazar zwang alles zu erlernen was er wusste, damit er später die Karriereleiter hoch hinaufklettern und dem Herrscher dienen konnte. Doch Baltazar war immer schon ein lebhaftes Kind gewesen, das lieber in der freien Natur war, als in der Lernstube. Sein Vater hatte ihn oftmals tagelang dort drinnen festgehalten, bis er beherrschte was ihm aufgetragen wurde. Für ihren Freund war es das Schlimmste gewesen, was man ihm damals hatte antun konnte. Er wusste, dass sein Vater das nur getan hatte, um Luecrel einen guten Krieger zu geben und dafür hasste Baltazar den Dämonenherrscher abgrundtief. „Erinnerst du dich noch, als ich dir vor meiner Abreise erzählte, dass ich endlich eine Möglichkeit gefunden hätte aus den Klauen Luecrels zu entkommen?“ Sie nickte sofort. Natürlich erinnerte sie sich daran. Mit diesen Worten hatte er eine längst vergessene Hoffnung erneut aufflammen lassen. „Ich habe einen meiner treuesten Männer, der selbst unter der größten Schmerzbelastung meinen Namen nicht preisgeben würde, als Bote in den Dämonenberg geschickt. Vor zwei Tagen kam er zurück und schilderte mir von deinem Auftrag.“ „Was hat das damit zu tun?“ „Dazu komme ich doch gerade! Nachdem ich mir eine Weile lang den Kopf darüber zerbrach, kam mir plötzlich die rettende Idee. Wir täuschen einfach deinen Tod vor. Wir geben vor, dass dieser Stadtrat dich einfach überwältigte und tötete. Danach wird Luecrel dich nie mehr suchen.“ Als die Worte zu ihr vordrangen, breitete sich pure reine Freude in ihr aus. Wie sehr hoffte sie endlich den Traum von Freiheit in Realität umwandeln zu können. Doch dann stutze sie. „Aber…was ist dann mit dir? Und all den anderen, die sich aus Luecrels Klauen befreien wollen?“ „Um mich brauchst du dich nicht zu sorgen, ich werde mich schon irgendwie da rausholen. Was die anderen betrifft….die werden nun mal alleine klar kommen müssen, fürchte ich.“ Verärgert fuhr Alex hoch. „Das werde ich nicht zulassen! Wie willst du nach meinem vorgetäuschten Tod noch entkommen. Luecrel wird seinen genialsten Kriegsherrn niemals aus den Augen lassen oder glauben, dass er einfach so getötet wurde. Auch den Anderen müssen wir helfen. Alles andere wäre treulos und hinterhältig! Du solltest doch am Besten wissen, wie furchtbar es ist unter diesem König dienen zu müssen!“ Baltazar sprach besänftigend auf sie ein, „Jetzt hör aber auf, wie schwierig kann das schon werden? Um die anderen werde ich mich dann schon kümmern wenn du so darauf bestehst. Die werden es überleben noch eine Weile dort zu bleiben.“ „Aber…“ Nun mit bestimmter Stimme unterbrach er sie. „Kein Aber! Wenn du, die es von uns allen immer am Schlimmsten getroffen hat, bis jetzt überlebt hat, werden sie es auch.“ „Das war nur dank meiner Heilfähigkeiten möglich.“, murmelte sie. Ohne Vorwarnung begannen Alex Augen aus heiterem Himmel zu brennen an. Immer wieder blinzelnd fluchte sie laut. „Ach verdammt! Nächstes Mal lässt du diesen verdammten Blitzzauber schön bleiben. Ich hasse es, wenn meine Sehnerven wieder zu funktionieren beginnen. Das beißt wie wahnsinnig.“ Langsam konnte sie wieder schwache Schemen erkennen. Vorsichtig rieb Alex sich die Augen. Als sie dieses Mal ihre kornblauen Augen öffnete, hatte sie wieder ein klares scharfes Bild vor sich. Erleichtert atmete sie auf. Sie blickte Baltazar, der sie beobachtete hatte, an. „Zurück zum Thema. Wo waren wir stehen geblieben?“ Grinsend rieb Baltazar sich den Dreitagebart. „Es erstaunt mich immer wieder, wie du von allem immer so unberührt bleiben ka…“ Sofort hob Alex ihre Hand und gebot ihm zu schweigen. „Da kommt jemand!“, wisperte sie ihm zu. „Ich glaube es ist ein Mensch.“ Sie hob ihre Nase, versuchte eine Witterung aufzunehmen und runzelte verwirrt die Stirn. „Irgendetwas stimmt nicht. Ich höre ihn zwar, aber er riecht nicht richtig!“ Überrascht schossen Baltazars Augenbrauen in die Höhe. „Bist du sicher, dass du dich nicht täuscht?“ Prüfend hob nun auch er seine Nase in die Luft. Verblüfft starrte er Alex an. „Tatsächlich. Wer ist das nur?“ Ohne auch nur das leiseste Geräusch zu verursachen, erhob Alex sich. „Ich gehe nachsehen.“ Baltazar wollte sie zurückhalten, doch sie war bereits außer seiner Reichweite. Er sollte nur versuchen sie aufzuhalten! Das würde ihm sowieso nicht gelingen. Sie hatte immer schon getan was sie wollte, dachte Alex trotzig. Baltazars Warnruf schnitt durch ihre Gedankengänge. „Alex! Pass auf!“ Ohne zu zögern ließ sich Alex instinktiv zu Boden fallen und rollte zur Seite. Aus dieser Rolle sprang sie sofort wieder auf die Beine, kampfbereit. Alex traute ihren Augen kaum, als sie sah, wer vor ihr stand. Es war der Mann der sie aus dem Schnee gefischt hatte.




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