Willkommen in meinem Leben - Teil 17

Autor: Lydia
veröffentlicht am: 03.06.2011


„Schaut mal! Findet ihr, das steht mir?!“ Anna dreht sich einmal im Kreis in ihrem wunderschönen, roten Abendkleid. Sie und John würden in einen Monat zusammen auf den Abiball gehen; natürlich ist da die Aufregung groß.
Ich seufze und lasse mich tiefer in die Polster des schwarzen Sofas, das vor den Umkleidekabinen steht, sinken. Shoppen gehen konnte man natürlich auch nicht in Heidelberg; nein wir mussten nach Mannheim fahren. Meiner Meinung nach völlig unnötig. Aber wenn ich Anna damit eine Freude machen kann.
„Warum grinst du so, Lydia?!“ fragt sie mich und ihre Miene wird vorwurfsvoll.
Schnell schaue ich sie direkt an und schüttele mit dem Kopf: „’tschuldigung, ich war gerade mit den Gedanken woanders“ sage ich hastig. „Du siehst umwerfend aus“
„Total!“ stimmt Sophia mir zu.
„Kann eine von euch ein Foto von mir machen, dann kann ich es schnell Maleen schicken!“ plappert Anna total schnell weiter und ich muss lachen. Manchmal ist sie ein richtig hektisches Huhn. Seufzend stehe ich auf: „Na los, gib’ mir dein Handy“
Während sie in der Handtasche nach ihrem Handy kramt, fragt sie mich: „Willst du nicht auch nach einem Kleid schauen?“
Sofort zucke ich zusammen. Nein, will ich nicht. Ich bleibe sowieso nicht so dünn – das hoffe ich zumindest. Es wäre sinnlos jetzt ein Kleid zu kaufen, das in einem Jahr sowieso nicht mehr passt. „Nein, ich glaube nicht“
„Gehst du nicht auch zum Abi Ball?“ Sophias Miene ist überrascht und langsam werde ich unsicher.
„Nein, wieso?“
„Na ja, ich dachte du gehst mit Luca hin“ druckst Sophia herum und ich sehe, dass ihr aus irgendeinem Grund die Situation peinlich ist.
Ich beginne zu kichern, weil ich immer kichere, wenn ich nicht weiß, wie ich sonst reagieren soll: „Bis jetzt haben wir darüber noch nicht geredet“
„Ihr habt so über gar vieles noch nicht geredet, kann das sein?“ bemerkt Anna, während sie mir ihr Handy reicht und sich in Pose wirft.
Ich kneife misstrauisch die Brauen zusammen, schieße das Foto und hake dann nach: „Wie meinst du das?“
„Ihr seid jetzt wie lange zusammen?“ Und bei dem Wort Zusammen, benutzt sie die Geste der Anführungszeichen.
„Vielleicht einen Monat“
„Seid ihr richtig zusammen?“ stichelt Anna weiter und wechselt die Pose.
Langsam fühle ich mich in die Ecke gedrängt. Ich weiß nicht mehr, was ich antworten soll und schweige. Hilfesuchend drehe ich mich zu Sophia um, doch sie weiß anscheinend auch nicht, was sie sagen soll.
Anna kommt lächelnd auf mich zu, nimmt mir das Handy aus der Hand und tätschelt mir liebevoll die knochige Schulter: „Ich würde mit ihm darüber reden. Luca ist nicht ganz ohne; der hat Vergangenheit, wenn du verstehst, was ich meine“ Sie zwinkert mir kokett zu. Dann wird ihre Mimik ernst: „Du solltest wirklich ein paar Kilo zunehmen“
Ich befreie mich aus ihrem Griff und antworte schnippischer, als ich eigentlich wollte: „Ich arbeite dran!“
Anna macht schon den Mund auf, um wieder irgendetwas zu sagen, als Sophia dazwischenfunkt: „Vielleicht solltest du noch mal das blaue Kleid mit der silbernen Brosche anprobieren“
Anna klappt den Mund zu und zieht eine Braue nach oben: „Meinst du?“
„Ja, mein’ ich!“ beharrt Sophia und drückt Anna das andere Kleid in die Hand und schiebt sie zurück in die Umkleide.
Ich lasse mich mit einem Seufzen wieder auf das Sofa sinken und greife nach dem Peek&Cloppenburg Katalog, der auf dem Tisch daneben liegt. Sophia setzt sich lautlos neben mich und sagt dann leise: „Du solltest wirklich mit ihm reden – Wann siehst du Luca wieder?“
Ich lasse mir ein wenig Zeit mit meiner Antwort, dann sage ich: „Heute Abend irgendwann; grillen mit ein paar von… seinen Freunden“
„Dann rede mit ihm!“
Auf ihre Bemerkung gehe ich gar nicht ein. Stattdessen frage ich: „Was meinte Anna damit: „Luca ist nicht ganz ohne“?“
Sophia zögert eine Weile, dann schüttelt sie mit dem Kopf: „Tut mir Leid. Aber ich halte mich da raus. Rede doch einfach mal mit ihm über eure Beziehung“
Ich nicke nur und sage leise: „Ja“ Aber ich weiß, dass ich erst mit Alina reden werden, bevor ich mich traue Luca darauf anzusprechen, wovor ich mit am meisten Angst habe.

Als ich um halb neun nach Hause komme, sind meine Eltern nicht da. Ich weiß nicht, wann sie das letzte Mal abends aus waren. Es muss schon eine ganze Weile her sein. Ich sehe es, als eine Art Fortschritt, dass sie sich trauen mich abends allein zu lassen; eine Art Fortschritt für uns alle.
Ich ziehe mein Chucks aus und schäle mich aus meiner Lederjacke, während ich laut „Alina!“ rufe.
Zuerst bekomme ich keine Antwort, dann höre ich, wie ihre Tür geöffnet wird. In Jogginghose und ausgewaschenen Sweatshirt steht sie im Flur. Die blonden Haare sind zu einem unordentlichen Pferdeschwanz gebunden und ihre Augen sind verquollen und rot.
Sofort lasse ich meine Tasche zu Boden fallen und eile auf sie zu: „Was ist passiert?“
Schluchzend stürzt sie mir in die Arme. Der Stoff meines Pullovers wird ganz feucht von ihren Tränen und in meiner Hilflosigkeit drücke ich sie einfach nur fester an mich und streiche ihr über die Haare. Ich frage nicht nach. Ich lasse sie weinen; aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es manchmal besser ist, sich einfach auszuheulen, anstatt jedem sein Leid zu klagen.
Ich weiß nicht, wie lange wir so dastehen. Es ist mir auch egal. Ich würde mir alle Zeit der Welt für Alina nehmen.
Schließlich schiebt sie mich von sich und schaut mich an. Ihre Wimperntusche ist verlaufen und auf ihren Wangen haben die Tränen das Make-up verschmiert. „Simon, er…“ Sie kann nicht weiterreden, sie fängt wieder an zu schluchzen. Doch mehr muss sie auch gar nicht sagen. Der Name Simon reicht mir. Ich nehme ihre Hand, ziehe sie in die Küche und platziere sie auf einen Stuhl. „Weißt du, was wir jetzt brauchen?“
Sie schaut mich fragend an.
„Heißen Kakao!“
Und obwohl ich sie eigentlich gar nicht bewusst aufheitern wollte, fängt sie an zu lachen. Und weil ihr lachen so ansteckend ist, lache ich mit ihr.
Früher, als mir immer öfters schlecht ging, hat mir Alina auch heißen Kakao gemacht. Und jetzt geht es ihr schlecht, und ich bin es ihr schuldig, genauso für sie da zu sein, wie sie für mich immer da war – und es auch noch ist.
Während ich Milch in die Tassen gieße und Kakaopulver dazutue, frage ich Alina: „Was ist passiert?“
„Das willst du gar nicht wissen“
„Doch, will ich“
Sie geht gar nicht auf meine Bemerkung ein, sondern meint nur leise: „Und auf einmal wirkst du so stark“
Ich verharre in der Bewegung. Hat sie das eben wirklich gesagt? Hat sie wirklich gesagt, ich – ihre kleine, dürre Schwester – wirkt stark?! Ich lache nervös auf. Ich fühle mich alles andere als stark. Ich fühle mich klein und hilflos. Ich weiß ja noch nicht einmal, ob ich mit dem Jungen, in den ich verliebt bin, eine richtige Beziehung führe. Und das soll eine starke Persönlichkeit sein?!
„Alina, du täuschst dich“ antworte ich leise und stelle die Kakaotassen in die Mikrowelle, um die Milch zu erhitzen.
„Lydia…“
Doch ich unterbreche sie. „Es geht hier nicht um mich! Was ist zwischen dir und Simon vorgefallen?“
„Du weißt doch, dass wir zusammen waren – oder zumindest habe ich das geglaubt“ fängt sie an mit zitternder Stimme zu erzählen. „Und heute muss ich erfahren, dass das alles nur eine große Lüge ist! In seinen Augen haben wir nie eine Beziehung geführt und… er…er hat mich betrogen!“ Wieder beginnt sie hemmungslos zu weinen.
„Oh, Alina“ Ich setzte mich zu ihr und lege meine Arme um sie. „Er ist ein Arsch, wenn er dich verarscht!“
„Ich weiß“ Sie lacht unter Tränen. „Nur ich war auch so dumm!“
„Du warst verliebt“
„Ich bin verliebt!“
„Ich mag Simon sowieso nicht“
„Du magst so gar viele nicht!“ Sie stupst mich spielerisch an. Ich verziehe daraufhin nur das Gesicht und stehe auf, um die Kakaotassen aus der Mikrowelle zu holen. „Wo sind Mama und Papa?“
„Auf irgendeinem Konzert von einer steinalten Band“
Sie würden also noch eine Weile weg sein; ich kann Alina nicht alleine lassen.
Als hätte sie meine Gedanken gelesen, fragt sie: „Willst du heute noch irgendwo hin?“
Ich stelle ihr ihre Tasse vor die Nase und schüttele mit dem Kopf. „Nein“ lüge ich.
Alina zieht skeptisch die Brauen in die Höhe: „Du bist eine miserable Lügnerin. Und das weißt du auch“
„Ach, quatsch“ winke ich ihren Kommentar ab und verlasse die Küche. „Ich muss schnell telefonieren“

„Hör’ mal…“ setze ich an, doch Luca lässt mich nicht ausreden.
„Lydia, warte mal!“ Ich verstehe ihn kaum; im Hintergrund ist laute Musik und ein wildes Durcheinander von verschiedenen Stimmen zu hören. Eine Weile schweigt Luca. Die Geräusche im Hintergrund werden gedämpfter und Luca redet wieder mit mir: „Wo bist du? Du bist spät“
„Ich weiß, ich weiß. Ich kann auch nicht kommen können“ Ich werfe einen Blick in die Küche zu Alina.
„Ist alles okay bei dir?“ fragt er sichtlich besorgt.
„Ja… nein… ach, es geht um Alina. Ihr geht es nicht gut. Ich kann sie nicht allein lassen“
Kurz schweigt er und ich ahne schon, dass ihm die Situation nicht gefällt. Der auch noch verständnisvollste Mensch verliert irgendwann mal die Geduld.
„Luca, ich… es tut mir…“ Erneut lässt er mich nicht ausreden.
„Es muss dir nicht Leid tun. Ist schon okay. Ich komme später noch mal bei dir vorbei, okay?“ fragt er und ich kann mir sein Gesicht förmlich vorstellen.
„Danke“ flüstere ich.
„Bis nachher“ Mit diesen Worten legt er auf und ich gehe zurück in die Küche. Das war’s dann wohl mit Grillen im Garten. Aber Alina ist es mir wert.
„Hast du deinem Freund gerade wirklich wegen mir abgesagt?!“ fragt sie tadelnd, als ich noch nicht einmal richtig die Küche betreten habe.
„Hast du gerade wirklich gelauscht?“ Ist meine Gegenfrage.
Sie schweigt nur und schiebt sich eine Pizza in den Ofen. „Ich hasse Simon. Wegen ihm mache ich Frustessen – willst du auch ’ne Pizza?“
Ich zögere einen Moment, dann schüttele ich mit dem Kopf: „Nein… ich kann nicht. Keine Pizza“
„Im Kühlschrank ist auch noch Fertigsalat“
„Hm… danke“
„Du hättest Luca nicht absagen sollen“
„Das geht schon in Ordnung. Er kommt nachher noch mal vorbei“
„Ich glaube, er ist ganz nett – dein Freund“ bemerkt sie und trinkt ihren Kakao leer. „Besser als mein Simon es war“
„Rede nicht mehr über diesen Mistkerl! Er ist nicht wert!“ schimpfe ich und muss gleichzeitig lachen. Und Alina lacht mit mir.






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