Liebe, einfach mal so - Lebe, einfach mal so

Autor: Linna
veröffentlicht am: 16.11.2010


„Jonas, bitte!“ flehte ich und schrie beinahe ins Telefon. Ich wusste, dass Schreien bei Jonas gar nichts brachte. Und das schon seit ich beinahe dreizehn und er sechzehn war. Immer wenn ich etwas von ihm wollte und mit Schreien oder Weinen begann gab es von seiner Seite aus rollende Augen oder knallende Türen.
Und auch jetzt, fast vier Jahre später, hat sich das wahrscheinlich nicht verändert.
„Stella…“ kam die warnende Antwort von Jonas.
„Okay, okay. Ich höre auf zu Schreien“ gab ich klein bei, und atmete tief durch: „Ich habe keine Lust mich die letzten zwei Wochen meiner Ferien zu langweilen“ Und, dass ich mich langweilen könnte war die Schuld meiner Eltern – ganz klar. Sie hätten mir ja erlauben können mit Tessa und Sandrine nach Frankreich zu fahren, und dort ein paar Tage in Paris zu verbringen. Aber sie machten sich zu viele Sorgen um mich und hielten mich in Weimar fest. Doch das wusste Jonas ja nicht.
„Dann such dir Freunde“ maulte er mich an, und ich wollte gerade etwas Giftiges erwidern, als vom anderen Ende der Leitung eine entfernte Stimme hörte. Was gesagt wurde verstand ich nicht. Nur die Antwort von Jonas hörte ich: „Was?! – Ja, ja… Nimm dir die beschissene Milch… Hugh? – Meine Schwester“
„Jonas!“ rief ich nach einer Weile wieder vorwurfsvoll ins Telefon. „Was ist nun?“
„Tut mir Leid“ murmelte er leise, doch dann redete er lauter weiter: „Wie stellst du dir das vor? Du kannst nicht für zwei Wochen herkommen“
„Warum denn nicht?“ hakte ich stur weiter und wusste ganz genau, dass ich mich ein trotziges Kind anhörte, doch das war mir egal. Ich hatte einen Plan und den wollte ich auch durchziehen.
„Na ja… weil…weil… eben“
„Du weißt es selber nicht“ Hätte er mir gegenüber gestanden, hätte ich ihm jetzt die Zunge rausgestreckt, was mich bestimmt nicht wie fast siebzehn aussehen ließ.
„Ich habe einfach keinen Nerv dazu, die ganze Zeit auf meine kleine Schwester aufzupassen“ murrte er schließlich. „Außerdem haben wir keinen Platz“
„Doch, in meinem Bett“ Die Stimme kannte ich nicht. Ich runzelte nur die Stirn und schüttelte verwirrt mit dem Kopf.
„Ach, halt die Klappe“ brüllte Jonas und vergaß den Hörer von seinem Mund wegzunehmen. Ich verzog das Gesicht, als ein stechender Schmerz durch mein Ohr drang. „Danke, Jonas“
„’tschuldigung“ murmelte er.
„Habt ihr nicht seit einem Monat ein freies Zimmer?“ bohrte ich weiter, in dem Wissen, dass ich ihn im Moment tierisch nerven musste. Doch auch das war mir egal. Ich wollte einfach nur weg. Weg von meinen Eltern, mit denen es im Moment nur noch beschissen lief. Weg von meinen beiden kleinen Brüdern, die mehr nervten, als Jonas es jemals getan hatte. Und ja, ihr habt alle richtig gelesen: Ich habe einen älteren und zwei jüngere Brüder. Ist das Leben nicht schön?
Doch vor allem wollte ich weg aus der kleinen, öden Stadt, die ich sowieso schon in und auswendig kannte.
„Was wenn jemand einziehen möchte?“ war Jonas’ Gegenfrage.
„Glaubst du das wirklich? In eure Bude?“ Ich zog die Brauen in die Höhe und musste lachen. Die WG von Jonas war ein reiner Irrenhaufen – wenn man den Worten meiner Mutter Glauben schenken dufte. Sie meckerte jedes Mal über die hygienischen Zustände dort und über den Männerhaufen. Dabei vergaß sie jedes Mal das einzige weibliche Mitglied der WG, das meine Mutter eher als ES einstufte, weil Gothics ihr fremd waren; ihr und ihrer heilen Welt.
Jonas lachte leise und ich merkte, dass ich auf dem Weg war meinen Willen durchzubringen: „Ja, da könntest du Recht haben“ gab er schließlich zu und eine Weile schwiegen wir beide, bis er schließlich meinte: „Und nur für zwei Wochen?“
„Sogar nur für zwölf Tage“ antwortete ich grinsend, als mir ein anderer Gedanke kam: „Das klingt so, als wäre ich eine Last für dich!“
„Versteh mich nicht falsch, Stella. Aber das warst du bis jetzt immer für mich“ gab er überraschend ehrlich zu und ich konnte nicht leugnen, dass es mich etwas verletzte, obwohl ich genau wusste, dass Jonas mich liebte – wie man seine kleine Schwester eben lieben kann.
„Danke, Bruderherz“ meinte ich und bedankte mich mit Ironie bei seiner liebevollen Antwort und vollkommen ehrlich dafür, dass er mich für fast zwei Wochen bei sich wohnen ließ.
„Immer wieder gern… Also, wann kommst du vorbei?“
„Am besten gleich Morgen“ seufzte ich und warf einen Blick auf meine Zimmertür, die wahrscheinlich nicht mehr lange verschlossen sein würde. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis Phillip oder Luis hereinplatzen würden und mich solange nerven würden, bis ich wieder ausraste.
„So schlimm zu Hause?“ fragte Jonas und klang ungewohnt verständnisvoll.
„Es geht“ murrte ich und klickte mich schnell im Internet durch die Bahnverbindungen.
„Wann kommst du an?“
„Weiß ich noch nicht. Ich ruf dich dann an… Und schalte ja dein Handy an“ schalte ich ihn und musste trotzdem lächeln.
„Okay, ruf an“ meinte er und ich spürte irgendwie, dass auch er lächelte. „Wissen Mama und Papa, dass du vorbei kommst?“ Er war schon immer für seine Gedankensprünge bekannt.
„Ähm… ja… nein… Ach, sie werden schon nichts dagegen haben“ plapperte ich schnell, in der Hoffnung, dass Jonas kein Wort verstanden hat und zu faul wäre um nachzufragen.
„Stella“ Wieder dieser warnende Ich-bin-dein-großer-Bruder Unterton.
Ich stöhnte genervt auf: „Halt ja die Klappe, Jonas. Ich habe alles im Griff. Ich mag einfach nur die letzten Wochen meiner Ferien nicht in Weimar verbringen. Hier ist es langweilig“
Jonas lachte wieder: „Ich weiß“
„Gut… Also dann, großer Bruder. Bis morgen“
„Komm gut an, und ruf an, wenn du da bist… Ach ja, und nehm’ einen Schlafsack mit“
„Schon klar“ Ich musste schon wieder grinsen. „Und schalt du dein Handy an. Ich renn nicht durch ganz Würzburg!“
„Schon klar!“ Jonas lachte, dann fügte er ernst hinzu: „Ich freu mich auf dich, kleine Schwester“





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