Zwischen Traum und Wirklichkeit - Teil 24

Autor: Giraffi
veröffentlicht am: 12.03.2011


„Ich bin wieder da“ Donna schloss die Tür hinter sich und ging durch den noblen Flur ins Wohnzimmer, wo ihre Mutter sofort vom Sofa aufsprang und sich mit beiden Händen ans Herz fasste: „Ich habe mir wirklich Sorgen gemacht“ Ihre Stimme klang vorwurfsvoll aber auch ängstlich.
Donna ignorierte ihren Tonfall und zuckte mit den Schultern: „Ich habe angerufen“
„Ja, das hast du. Das stimmt“ murmelte Jennifer und ließ sich wieder auf’s Sofa fallen. Dann klopfte sie neben sich auf den freien Platz auf dem cremefarbenen Zweisitzersofa. „Setz dich mal zu mir, Donna. Ich finde, dass wir reden müssen“
Aber Donna wollte nicht reden. Sie wollte sich den schönen Tag, den sie mit Dorian verbracht hatte nicht durch ein lästiges Gespräch mit ihrer Mutter verderben lassen.
Sie hatte wirklich fast die ganze Stadt sehen können. Sie ist von einer Ecke in die andere gerannt und es war ihr plötzlich egal, ob sie sich vorkam wie ein kleines Kind. Es war ihr sogar egal, was andere dabei von ihr halten mochten. Eigentlich war ihr alles egal. Solange Dorian, der ihr mit seinem typischen Schmunzeln auf den Lippen folgte und geduldig zuhörte, während sie von der Stadt und ihrem Weihnachtsfeeling schwärmte, bei ihr war, war eigentlich alles egal.
Und dieses Gefühl, sich mal keine Sorgen zu machen wollte sie auf gar keinen Fall verlieren, nur weil ihre Mutter auf einmal das Bedürfnis hatte mit ihr zu reden.
„Mama… ich will…“
„Tut mir Leid, Donna. Aber im Moment ist es mir egal, was du willst. Denn ich will endlich normal mit dir reden“
„Ist es weil ich die ganze Nacht über weg war?“ fragte Donna und zog die Brauen nach oben.
Jennifer schüttelte mit dem Kopf: „Darum geht es nicht… Und ich will, dass du dich jetzt endlich setzst“
Donna verkniff sich ein genervtes Stöhnen und setzte sich neben ihre kugelrunde Mutter auf das Sofa. „Ich verstehe nicht, was du mit mir bereden willst…“
„Ich will gar nichts bereden! Ich will mit dir reden“ verteidigte sich ihre Mutter und ihre Augen glänzten feucht.
Donna nickte schweigend und schaute auf ihre Hände. Ihre Zähne hatte sie wieder fest auf ihre Unterlippe gedrückt, bis sie Blut schmeckte.
„Ich habe vieles falsch gemacht…“
Donna hob den Kopf und ihre Augen funkelten wütend, als ihre Mutter schnell sagte: „Lass mich bitte ausreden“
Donna schloss den Mund wieder und schaute aus dem großen Fenster in den schönen und gepflegten Garten.
„Ich habe wirklich vieles falsch gemacht, und das weiß ich auch. Nur ich war damals noch so jung…“
„Du warst nicht viel jünger als Papa“
„Lass mich doch mal ausreden!“ rief Jennifer nun verzweifelt.
Donna zuckte zusammen und schämte sich plötzlich ihrer Mutter so wenig zugehört zu haben. Sie nickte und schluckte den dicken Kloß, der in ihrem Hals saß hinunter.
„Ich weiß nicht, was damals in mich gefahren war. Aber ich bereue nichts, außer, dass ich den Kontakt zu dir abgebrochen habe. Gut, ich habe Karte geschrieben… Aber kann man das denn Kontakt nennen?“
„Nein“ flüsterte Donna und sie hörte selber, wie ihre Stimme zitterte.
„Donna, wir haben zehn Jahre verloren. Ich habe dich zehn Jahre lang so gut wie ignoriert. Und dabei bist du mein einziges Kind… das heißt, bald nicht mehr… aber das ist jetzt egal“ stotterte Donnas Mutter weiter und schüttelte immer wieder mit dem Kopf.
Erst jetzt hob Donna wieder den Kopf und schaute ihre Mutter mit Tränen in den Augen an: „Wir können die zehn Jahre nicht nachholen, Mama. Niemals wird das gehen. Und wir werden auch niemals ein solches Verhältnis haben, wie es für Mutter und Tochter normal ist“
„Das weiß ich auch. Aber wir können versuchen uns kennen zu lernen… Ich meine, wenn du schon einmal hier bist. Und bis jetzt, hatte ich nicht das Gefühl, dass das in deinem Interesse liegt“
„Es ist nicht so leicht, dir zu verzeihen“
„Das weiß ich. Und es ist auch nicht leicht, richtig mit dir umgehen zu können“ Jennifer lachte leise und wischte sich eine Träne von der Wange.
„Vielleicht können wir ja Heiligabend dazu benutzen und besser kennen zu lernen“ meinte Donna leise.
Doch als Jennifer die Augen zusammendrückte und mit dem Kopf schüttelte, wusste sie, dass sie den Heiligabend nicht mit ihrer Mutter verbringen würde.
„Francis hat mir schon vor längerer Zeit Theaterkarten geschenkt. Ein Sommernachtstraum. Das sagt dir bestimmt etwas. Und die Vorstellung ist morgen um 19.00 Uhr. Und danach will er mich noch schick zum Essen ausführen. Weiß du, er gibt sich immer richtig Mühe“ begann Jennifer zu schwärmen, doch Donnas Blick brachte sie schnell zum Schweigen.
„Dann bin ich also allein, an… Weihnachten“
„Ach, Donna. Francis’ und mein Weihnachten ist schon so lange geplant, und…“
„Nein, ist schon okay. Dieses Jahr scheinen die Damenos nun mal allein Weihnachten feiern zu müssen. Vielleicht telefonier ich mit Papa, oder so“
„Was ist mit deinem französischen Freund? Erzähl mir doch mal etwas darüber“
„Er ist kein Franzose. Vom Nachnamen her müsste er Engländer sein, aber er ist Deutschland aufgewachsen…glaub ich“
„Aha, etwas geheimnisvoll“
Donna schüttelte mit dem Kopf: „Nur manchmal“
„Du willst nicht darüber reden, was?“
„Nein, nicht wirklich. Tut mir Leid Mama“
„Muss es nicht“
Donna nickte nur und saß ihrer Mutter einer Weile schweigend gegenüber, welche auch nichts sagte, bis Donna schließlich aufstand: „Ich muss mich mal wieder bei Papa melden“
„Mach das. Da freut er sich bestimmt. Und sag ihm liebe Grüße von mir“ sagte Jennifer und ihre Stimme wurde wieder übertrieben fröhlich.
Donna nickte daraufhin nur, ging die Treppenstufen hinauf und machte die Tür vom Gästezimmer auf. Zuerst blieb sie wie angewurzelt stehen. Das Zimmer ist wesentlich persönlicher geworden, denn ihre Mutter hatte es wahrscheinlich in der Zeit, in der sie nicht dagewesen war weihnachtlich dekoriert, und ein kleines Paket lag auf dem Kopfkissen.
Wie von selbst zauberte sich ein Lächelnd auf Donnas Lippen und sie schloss die Tür hinter sich.
Vielleicht sollte Donna ihr und ihrer Mutter noch einmal eine Chance geben.

„Hallo, Papa“ sagte Donna leise in den Hörer, während sie mit dem Anrufbeantworter sprach. „Ich wollte nur hören wie’s dir geht. Und ich frage mich doch sehr, wo du bist. Aber eigentlich ist das egal, solange du glücklich bist.
Bei Mama geht es mir sehr gut. Mach dir also keine Sorgen. Bei Dr. Fenêtre habe ich wahrscheinlich erst nach den Feiertagen einen Termin. Mal sehen ob es etwas bringt. Ich bin am letzten Ferientag wieder da. Und ich hoffe du machst dir morgen einen schönen Heiligabend. Tschüss, Papa. Ich hab dich sehr lieb“
Sie legte auf und warf ihr Handy auf’s Bett. Hoffentlich fühlte sich ihr Vater nicht allzu einsam. Aber Dirk war nicht der Typ, der irgendwann einmal einsam sein würde. Er fand schnell neue Freunde, im Gegensatz zu seiner Tochter.
Bestimmt war er noch in der Galerie oder im Atelier. Oder er zeichnete mal wieder das Essen oder die Vitrine und ignorierte das Klingeln des Telefons einfach.
Das wäre auch eine sehr wahrscheinliche Möglichkeit.
Donna musste in Gedanken an ihren Vater schmunzeln, während sie gedankenverloren aus dem Fenster starrte und sah wie die kleinen, feinen, weißen Schneeflocken langsam zu Boden glitten.

Am nächsten Morgen wachte sie erneut von Alpträumen geplagt auf und konnte den Schrei noch unterdrücken. Sie wollte niemanden wecken.
Wenn Dorian nicht bei ihr war, schienen die schlimmen Albträume sie wieder einzuholen, ohne dass Donna die Macht darüber hatte. Und wieder schwirrte in ihrem Kopf nur das Bild des schwarzen Nichts und die Frage Warum? herum.
Müde und traurig schüttelte Donna mit dem Kopf, strich sich die Locken aus dem Gesicht und erhob sich schleppend aus dem Bett. Ihre Glieder fühlten sich an wie die einer alten Frau, und allgemein kam sie sich vor wie gerädert. Eine schöne heiße und lange Dusche konnte sie jetzt wirklich gut gebrauchen.
Sie schlurfte mit leisen Schritten aus ihrem Zimmer, und als sie die Männerstimme unten im Wohnzimmer hörte, beschleunigte sie ihre Schritte und wollte sich im Bad einschließen, als schon die Stimme ihrer Mutter ertönte.
„Donna?!“
Donna blieb sie angewurzelt stehen, kniff die Augen zusammen und warf ihre Sachen achtlos auf den weißen Fliesenboden im Bad. „Jahaaa?“
„Würdest du bitte einmal herunter kommen. Francis ist da, und wer will dich gerne kennenlernen“
„Na, ach wie schön“ flüsterte sie leise, während sie langsam und träge hinunterging. Diese Situation hätte sich wohl schlecht vermeiden lassen können. Sie wusste selber, dass sie sich jetzt wie ein kleines trotziges Kind verhielt, doch sie hatte partout keine Lust Francis kennenzulernen.
Aber da musste sie wohl jetzt durch.
Bevor sie überhaupt die unterste Treppe erreicht hatte, sah sie den im schwarzen Bossanzug stehenden Mann.
Er schien groß zu sein, hatte mausbraunes nach hinten geschniegeltes Haar und trug eine schwarze Nerdbrille auf der Nase, die ihm sogar noch stand. Wäre er etwas jünger und eher Donnas Typ gewesen, hätte er auf eine unverschämte Art und Weise gut ausgesehen.
„Du bist also Donna“ sagte er laut und mit starkem Französischakzent, als Donna die letzte Stufe nach unten ging. Misstrauisch aber auch unsicher nickte sie und nahm zögernd die Hand, die Francis ihr entgegenstreckte.
„Ich bin Francis“ sagte er weiterhin mit lauter Stimme.
„Ich weiß“ Donnas Stimme war fast ein Flüstern und sie befreite ihre Hand aus dem Klammergriff von Francis.
„Und du bleibst bis zum Ende deiner Ferien hier?“ hakte er nach, doch dieses Mal antwortete Donnas Mutter: „Ja, ich habe mich ja so gefreut. Aber etwas überraschen kam das ja schon“
„Na ja“ Er lachte schallend. „Andere Leute melden sich für gewöhnlich vorher an“
Jetzt platzte Donna der Kragen: „Andere Mütter kümmern sich auch um ihre Töchter!“
Sobald der Satz ausgesprochen war, zuckte Jennifer zusammen und Francis hielt endlich die Klappe und Donna bereute ihren Satz sofort und murmelte: „Tut mir Leid“
Doch die angespannte Stimmung blieb für ein paar Sekunden, bis Francis auf die Uhr schaute: „Oh je, Schatz. Wir müssen los“
Donna merkte, wie ihre Mutter erleichtert aufatmete und sich schnell ihre Jacke holte, während auch Francis den Raum verließ.
Und Donna blieb unschlüssig stehen, bis ihre Mutter zurückkam. „Tut mir übrigens sehr Leid, dass du Weihnachten allein verbringen musst“
„Ich bin nicht allein. Du musst also kein schlechtes Gewissen haben“ erwiderte Donna schnell.
„Oh… kommt… kommt dieser Dorian…?“
Donna sah Besorgnis in den Augen ihrer Mutter und fügte deshalb schnell hinzu: „Mach dir keine Sorgen. Wir tun schon nichts Verbotenes“
„Das habe ich auch nicht gedacht!“ protestierte Jennifer hastig, doch sie lachte leise, und Donna wusste, dass sie ihre Mutter ertappt hatte.
„Ich denke, du musst gehen. Francis wartet bestimmt“ meinte Donna leise und deutete mit dem Kinn auf den Flur.
„Ja, ich wünsche dir viel Spaß“
„Dir auch, Mama“ Mit diesen Worten rannte Donna wieder die Treppe hinauf und gönnte sich ihre lang ersehnte Dusche.






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