Zwischen Traum und Wirklichkeit - Teil 22

Autor: Giraffi
veröffentlicht am: 07.03.2011


Das Hotelzimmer von Dorian war ein kleines, nicht sehr gemütlich aussehendes Einzelzimmer, mit einem schmalen Bett, einem klapprigen Schreibtisch und einem winzigen Bad, das unbedingt mal wieder renoviert werden musste.
„Hier wohnst du?“ fragte Donna vorsichtig und streifte sich die nassen Schuhe von den kalten Füßen.
Er zuckte mit den Schultern: „Für den Übergang“ Achtlos warf er die nasse Lederjacke auf das Bett und schüttelte sich die letzten Wassertropfen aus den Haaren. Dann schaute er wieder zu Donna: „Ist dir kalt?“
„Es geht“ meinte sie leise, als er auch schon aus dem hässlichen Schrank eine ausgewaschene Jeans und ein altes Flanellhemd, mit mehreren Farbspritzern drauf herausholte. „Hier“ Er reichte ihr das Zeug und Donna nahm es entgegen.
Dorian zeigte auf die Badezimmertür: „Kannst dich im Bad umziehen“
Donna schloss leise die Tür hinter sich und betrachtete sich im Spiegel. Ihre Locken taten, was sie wollten und ihre Augen sahen müde aus.
Schnell schälte sie sich aus ihren nassen Klamotten und zog die Sachen von Dorian an. Sie waren ihr natürlich viel zu groß, aber besser als ihre nassen Dinger auf jeden Fall. Schnell band sie sich noch einen Zopf, dann klemmte sie sich ihre Sachen unter den Arm und verließ das Bad, und trat wieder in das kleine Hotelzimmer.
Dorian hatte sich auch umgezogen und lächelte Donna dann an: „Ist dir zu groß, was?“
„Ziemlich, aber trotzdem danke“ Sie hängte ihre Sachen sorgfältig über den Holzstuhl und setzte sich dann auf das Bett. „Ich will endlich Antworten, Dorian“ brachte sie den Punkt endlich auf den Tisch.
Sofort wurden seine Augen traurig und er seufzte und setzte sich neben sie. „Und wenn ich dir keine geben kann?“
Darauf wusste sie nun keine Antwort. Träge lehnte sie ihren Kopf gegen seine Schulter und seufzte: „Ich glaube bei uns haben sich die zwei kompliziertesten Menschen auf Erden gefunden“
Er lachte leise: „Das glaube ich auch“ Er fuhr mit der Hand durch ihr Haar, das für ihn immer noch ungewohnt kurz war. Doch dann richtete sie sich plötzlich wieder auf: „Ich meine es ernst! Ich will wirklich Antworten, Dorian. Diesmal lass ich mich nicht abwimmeln“ Sie beugte sich vor und küsste ihn sanft auf die Wange.
Er seufzte und nickte aber schließlich: „Was willst du wissen“ Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und angelte seine Zigaretten vom Nachttisch und zündete sich eine an. Er nahm einen tiefen Zug und Donna lehnte sich neben ihn: „Wer bist du?“
„Frag mich was Leichteres“ bat er und nahm noch einen Zug.
„Warum konntest du schon ein Bild von mir zeichnen, obwohl du mich noch nie gesehen hattest?“
„Nächste Frage“
Donna stöhnte genervt auf: „So läuft das Spiel nicht, Dorian! Es kann nicht sein, dass du mich total verwirrt irgendwo stehen lässt und Kilometer weit abhaust. Das war das erste und letzte Mal, dass ich dir hinterher gerannt bin, das sag ich…“ Sie stockte als Dorian seine Hand in ihren Nacken schob und ihren Mund mit seinen Lippen verschloss. Erst wollte sie sich wehren und ihn von sich schubsen, doch dann ließ sie es doch geschehen und legte die Hände an seine Wangen und reckte ihm das Kinn weiter entgegen.
Schließlich wich sie keuchend zurück und schüttelte mit dem Kopf: „Das war bestimmt nicht die Antwort auf meine Frage“
Dorian stöhnte genervt auf und lehnte sich zurück und zog Donna mit sich. Sie lehnte sich gegen ihn und legte den Kopf an seiner Brust ab. Sein Herz schlug gleichmäßig und sein Brustkorb hob und senkte sich bei jedem Atemzug: „Okay, ich werde dir deine Antworten geben“
Er zündete sich die zweite Zigarette an und nahm einen tiefen Zug und begann zu erzählen: „Ich war noch ein kleiner Junge, als man mich fand. Vielleicht vier, vielleicht auch schon fünf. Ohne Kleidung, ohne Eltern in der Nähe. Die Frau, die mich gefunden hatte brachte mich gleich zum Waisenhaus, welches sofort die Akten nach einem vermissten Kind durchsuchen ließ, und auch sonst nach Anzeichen meiner Identität suchte. Doch sie fanden keine. Also bestimmten sie meinen Namen, mein Geburtsdatum und alles andere, was eben zur Identität dazugehörte. Doch ich spürte immer, dass das was mir dauernd erzählt wurde nicht wahr sein kann. Ich wusste, dass das nicht wirklich Ich bin. Ich wusste schon, als mich die Frau gefunden hatte, dass irgendetwas nicht stimmte. Ich wusste, dass Leute nicht einfach so auftauchten… Ich hatte keine Ahnung von der Welt und konnte mich auch nur schlecht einbringen…Und auch heute bin ich nicht Ich!“ Er machte eine Pause um den Rauch aus seinen Lungen zu pusten: „Irgendwann bin ich aus dem Waisenhaus abgehauen und in dieses Dorf gekommen. Ich entdeckte schon damals im Waisenhaus meine Leidenschaft für die Kunst, und in der neuen Stadt konnte ich meinen Traum verwirklichen… Soweit zur ersten Frage“
„Kommen wir zur Zweiten“ meinte Donna leise und vergrub ihr Gesicht in der Kuhle zwischen seiner Schulter und seinem Kinn.
„Das wird komplizierter… Ich träume auch… Ähnlich wie du… und dennoch… anders.“ begann er, doch er brach wieder ab. „Manchmal scheint es mir, als würde ich zwischen Träumen wandern. Sie nicht nur sehen, sondern plötzlich bei den Leuten im Traum erscheinen“
„Wie bei mir“ flüsterte Donna leise und richtete sich auf.
Dorian nickte: „Ich wusste jede Nacht, was du träumst. Seitdem du neu in die kleine Stadt kamst. Ich war fast jede Nacht in deinen Träumen. Daher das Bild von deinem Traum, den eigentlich nur du kennen kannst. Manchmal, wenn es ganz schlimm ist, wache ich auch in der Nähe der Person auf, in deren Traum ich war“
„Dann warst du das!“ rief Donna plötzlich aus. „Du warst der geheimnisvolle Mann, der zu dieser späten Uhrzeit durch die Straße, in der ich wohne, lief“
Dorian nickte: „Ja, wahrscheinlich. Auf jeden Fall kann ich irgendwie durch Träume wandern und das eigentlich seit ich denken kann. Die Waisenkinder im Waisenhaus sahen mich jede Nacht in ihren Träumen. Deswegen mieden mich auch alle. Ich konnte es nicht kontrollieren und kann es auch heute nicht“
Donna nickte nur und hörte ihm weiter schweigend zu. Sie erklärte ihn noch nicht einmal ansatzweise für verrückt, da sie selber nur zu gut diese verwirrenden Träume kannte.
„Und wie konntest du schon wissen, wie ich aussehe, bevor du mich kanntest?“ fragte sie erneut und schaute ihn erwartungsvoll an.
„Das weiß ich leider selber noch nicht. Ich kannte dich irgendwie schon. Ich hatte dauernd vor meinem geistigen Augen dieses Bild von diesen Mädchen – von dir. Aber woher das kam, kann ich dir nicht sagen. Tut mir Leid“ murmelte er und strich ihr über die Wange.
„Ich weiß, dass du auch zu Dr. Erlinger gegangen bist. Und ich weiß auch, dass du dahin gegangen wegen deiner Traumeigenarten. Und deswegen bist du auch jetzt bei Dr. Fenêtre. Mich hat Dr. Erlinger auch hierher geschickt. Doch ich wollte eigentlich gar nicht gehen, bis du einfach nach Paris abgehauen bist“ erklärte sie und schaute ihn mit großen Augen an.
„Ich wollte es wenigstens versuchen“ murmelte er und nahm die Hand von ihrer Wange. „Ich hoffe ich konnte all deine Fragen beantworten“
Sie zuckte mit den Schultern: „Sehr viel klarer ist alles dadurch nicht geworden… Warum habe ich jede Nacht denselben Albtraum? Warum sehe ich die Träume anderer? Denn auch ich sehe dauernd wirres Zeug, wenn ich schlafe…“ Sie seufzte und ließ den Kopf hängen: „Im Zug auf den Weg hierher habe ich in meinem Traum einen alten Mann gesehen, der ein Kriegsflugzeug geflogen ist. Und dann war dieser Mann wirklich im Zug und lief an meinem Abteil vorbei. Ich hatte diesen Mann noch nie zuvor gesehen, das erste Mal in meinem Traum und dann als er an meinem Abteil vorbei lief… Das ist doch unheimlich, oder?“
Dorian nickte verständnisvoll und fragte dann: „Aber dich erkannt hat er nicht?“
Donna schüttelte schnell mit dem Kopf: „Ich sehe immer nur die Träume anderer. Aber sie sehen mich nicht“
„Tja“ er lachte bitter.
Sie lächelte müde: „Ich weiß“ Sie ließ den Kopf gegen seine Brust sinken und spürte wie er den Arm um sie legte.
„Warum wolltest du mich nicht sehen, als ich angerufen hatte?“ fragte sie nach einer Weile leise.
„Dr… Dr. Fenêtre sagte, sie hielte es für besser, wenn wir uns für eine Weile nicht sehen würden“ Dorian schluckte hart und schüttelte mit dem Kopf, doch er schwieg.
„Vielleicht hat sie ja Recht. Aber ich glaube nicht, dass ich das wirklich wissen will“ Sie lachte leise und griff nach seiner Hand. Wie automatisch verschränkte er seine Finger mit den ihren. Donna lächelte glücklich und sofort fielen ihr die Augen zu.
Dorian hatte ihr endlich die Antworten gegeben, die sie haben wollte. Sie war wieder bei ihm, und sie wusste endlich wer Dorian war – oder zumindest ein Teil von ihm war.
Erst jetzt bemerkte sie wie müde sie war und nach wenigen Minuten war sie eingeschlafen. Und noch im Halbschlaf stellte sie sich darauf ein bald schreiend wieder aufzuwachen.






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