Zwischen Traum und Wirklichkeit - Teil 19

Autor: Giraffi
veröffentlicht am: 14.02.2011


Als ihr Vater von der Arbeit kam, fiel ihm gleich die Veränderung an seiner Tochter auf. Er ließ seinen Rucksack mit einem lauten Krachen zu Boden fallen.
„Was ist mit deinen Haaren passiert?!“ rief er aus und hob eine braune Strähne ihres Haare skeptisch in die Luft.
„Abgeschnitten. Ich brauchte eine Veränderung“ Sie begutachtete ihr wesentlich kürzere Mähne zum millionsten Mal im Spiegel. Statt hüftlang trug sie ihre Haare jetzt schulterlang. Das einzige, das sich nicht verändert hatte war das schräge Pony, das ihr jetzt allerdings nicht mehr die Sicht versperrte, sondern fiel, wie es fallen sollte.
„Aber… aber… warum???“ stotterte ihr Vater. „Du hattest doch schöne Haare“
„Nein. Sie hatten Spliss und waren brüchig und ich brauchte einfach eine Veränderung“ erklärte Donna und zuckte mit den Schultern. Dass sie noch mehr Veränderungen in ihrem Leben brauchen würde, verschwieg sie ihrem Vater allerdings.
„Du weißt aber schon, dass das ewig dauert, bis sie wieder so schön lang sind“ bemerkte ihr Vater und ging in die Küche.
Mit schnellen Schritte folgte Donna ihm: „Ja, ich weiß. Ich habe mir das alles aber wirklich gut überlegt, bevor ich zum Friseur gegangen bin“
„Gut…“ Ihr Vater drehte sich wieder zu ihr um und seufzte: „Wenn du damit glücklich bist, dann bin ich es auch. Außerdem ist es ja dein Kopf und nicht meiner“
„Genau! Ich weise dich ja auch nicht darauf hin, dass du langsam eine Glatze bekommst, nicht?“ Sie stupste ihren Vater neckisch in die Seite und begann dann den Tisch zu decken.

Diese Nacht wurde Donna nicht von einem ihrer Albträume wach, sondern von dem Schrillen klingeln ihres Handys. Es war nachts um eins und Donna tastete blind nach ihrem Mobiltelefon und schaute auf das Display. Sie hatte eine neue Nachrichte bekommen. Doch von wem wusste sie nicht.
Sie kannte die Nummer nicht und kniff kurz verwirrt die Augen zusammen. Dann klickte sie auf lesen:

Wir müssen reden! Wirklich. Es ist wichtig…
Grüße, Dorian.

Mehr stand da nicht. Nur diese zwei Zeilen, die diese paar Worte beinhalteten. Und auch, wenn der Inhalt nicht sehr vielsagend war, irritierte er Donna.
Sollte sie Dorian doch nicht so einfach abstempeln, wie sie es die ganze Zeit versuchte? Sollte sie ihm wirklich noch eine Chance geben, ihr zu erklären, was es mit diesen ganzen Zeichnungen auf sich hatte? Hatte er diese Chance überhaupt verdient?
Donna war sich nicht sicher. Sie war sich in keinerlei Hinsicht mehr sicher. Sie war nur ein verwirrtes Mädchen mit schrecklichen Träumen.
Während sie weiter nachgrübelte, schreckte sie der schrille Klang des Handys wieder hoch. Wieder dieselbe Nummer.

Ich vermisse dich!

Mehr stand wieder nicht da. Nur diese drei Worte und ein Ausrufezeichen.
Ich dich auch, fügte sie in Gedanken hinzu.
Doch sie antwortete ihm nicht. Sie machte ihr Handy aus und ließ sich wieder nach hinten fallen auf ihr Bett. Sie würde ihm morgen antworten… oder… auch gar nicht. Sie hatte immer noch Angst vor ihm.
Doch sie vermisste ihn auch. Sogar schrecklich. Es schien, als würde ein ganzer Teil von ihr einfach fehlen, wenn er nicht in ihrer Nähe war.
Donna wälzte sich noch lange hin und her, bis sie schließlich irgendwann einschlief.
Am nächsten Morgen dachte Donna nicht lange darüber nach, was sie vorhatte. Wenn sie jetzt nur wieder grübeln würde, dann würde sie wieder den Kopf in den Sand stecken und sicher nicht den ersten Schritt auf Dorian zugehen.
Also dachte sie am besten gar nicht nach.
Sie stand vor dem Spiegel und band sich ihre ungewohnt kurzen Haare zusammen und schminkte sich dezent, dann huschte sie aus ihrem Zimmer und schnappte sich ihren Schlüssel.
„Wohin willst du denn?“ fragte ihr Vater und kam in seinem Streifenpyjama aus seinem Zimmer und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
Normalerweise war auch Donna ein totaler Langschläfer, doch ihre Träume ließen das seit langer Zeit nicht mehr zu.
„Ich möchte noch mal ins Atelier“ meinte Donna schnell.
„Aha“ gähnte Dirk und streckte die Hände nach oben, sodass sein Rücken knackte: „Und warum?“ Er ließ die Arme jetzt wieder schlaff an der Seite baumeln.
„Ich mag mir noch ein paar Bilder anschauen, mehr nicht“ Donna zuckte mit den Schultern und zog sich ihren schwarzen Mantel an.
„Findest du allein hin?“ Ihr Vater zog prüfend die Brauen in die Höhe.
„Ja, wird zwar länger dauern, aber ich sollte hin finden“ Sie zwinkerte ihrem Vater zu, dann zog sie die Wohnungstür hinter sich zu und ging mit schnellen Schritten zum Atelier.

Sie stemmte sich gegen die schwere Tür und ging mit schnellen Schritten sofort die Treppen hinauf, bis zu dem Zimmer, in dem Dorian wohnte. Sie klopfte höflichkeitshalber an der Treppenwand an und rief: „Dorian!“
Doch sie bekam keine Antwort. Als ging sie langsam weiter nach oben und betrat den unordentlichen Raum. Es sah immer noch unordentlich aus, und zu den vielen Bilder, die sowieso schon verstreut überall herumlagen, sind noch eine Menge weitere hinzugekommen. Vorsichtig trat sie weiter über die Schwelle und sagte nochmals seinen Namen, aber dieses Mal wesentlich leiser.
Wieder bekam sie keine Antwort.
Dorian war anscheinend nicht da. Sie schaute suchend durch den Raum, doch niemand war zu sehen.
Sie blickte zum Schreibtisch auf dem die meisten Bilder lagen und ganz oben auf dem Blätterstapel lag das Bild, das ein Mädchen zeigte, dass ihr so ähnlich sah.
Sie begann sogleich wieder zu zittern und griff vorsichtig nach dem DinA3 Blatt und schaute es sich nochmals genau an.
Doch die Vorderseite hatte sich nicht verändert. Es zeigte immer noch sie. Immer noch sie mit den langen Haaren.
Immer noch mit zitternden Händen drehte sie es um. Ganz unten in der linken Ecke stand klein und kaum leserlich etwas geschrieben.
Donna kniff die Augen zusammen, um lesen zu können, was dort stand.
„Das melancholische Mädchen“ 1.3.2009
Das war fast ein Jahr her! Da kannte er sie doch noch gar nicht! In Donnas Kopf schwirrte wieder alles und wieder kamen von überall neue Fragen hinzu, die Donna wie immer nicht beantworten konnte.
Hastig legte sie das Bild wieder an seinen Platz und machte ruckartig auf dem Absatz kehrt. Entschlossen wie noch nie in ihrem Leben stürmte Donna die Treppe hinunter. Dorian hatte ihr einiges zu erklären. Und dieses Mal wollte sie die Antworten haben – und zwar alle.
Sie ging schnellen Schrittes durch die Halle, als ihr wieder der Kerl mit den Rastalocken entgegen kam. Er grinste: „Du schon wieder?!“
Sie ging gar nicht auf sein blödes Gesicht ein und auch gar nicht auf seinen Kommentar. So selbstbewusst wie auch noch nie fragte sie: „Wo ist Dorian? Er ist nicht oben“
„Der ist weg. Seit heute Morgen“ Der Kerl zuckte mit den Schultern. „Er redet ja kaum was“
„Du musst doch wissen, wo er hin ist“ Donna stemmte die Hände in die Hüften.
Doch der Mann mit den Rastalocken schüttelte den Kopf: „Nein, er hat uns allen wirklich nicht gesagt, wo er hin will. Er sagte nur, er wird für zwei Wochen verschwinden. Vielleicht auch länger. Mehr wissen wir nicht“
Donna legte sich die Hand an die Stirn und schüttelte mit dem Kopf: „Für zwei Wochen… Aber wo kann er nur hin sein?“
„Das fragen wir uns auch. Aber er hat etwas für eine gewisse Donna da gelassen“
Jetzt riss Donna ruckartig den Kopf hoch: „Für Donna?“
„Ja, er sagte, wenn eine Donna vorbeikommt, dann soll ich ihr das unbedingt geben. Er hat mir kurz bevor er gegangen war einen weißen Umschlag da gelassen. Kennst du eine Donna?“ fragte der Rastalocken-Mann.
„Ich bin Donna!“
Er stockte eine Weile und zögerte. Er beobachtete Donna ganz genau, dann nickte er schließlich: „Ja, du siehst aus wie eine Donna“ Er grinste schon wieder und begann in der Tasche seiner Baggy zu kramen, bis er dann einen verknüllten weißen Umschlag herausholte. „Dann ist der wohl für dich“ Er hielt Donna den Brief hin und ihre Hände begannen schon wieder zu zittern.
Zögernd nahm sie das Couvert entgegen und schaute es sich an. Auf der Vorderseite stand nur mit einfachen Buchstaben ihr Name geschrieben: Donna.
Mehr nicht.
Sie wagte es noch nicht den Brief zu öffnen und steckte ihn erst einmal in ihre Tasche. Vielleicht würde sie unterwegs einen Kaffee trinken und einen Muffin essen und dabei den Brief lesen.
Vielleicht würde sie ihn aber auch einfach verbrennen. Doch das brachte sie nicht über’s Herz, das wusste sie.
Erst jetzt fiel ihr Rastalocken-Manns Gegenwart wieder ein. Hastig schaute sie ihn an und lächelte matt: „Danke“
Er nickte nur und grinste wie üblich, während Donna an ihm vorbei ging und schnell das Atelier verließ.

Beim Bäcker, gleich in der Nähe des Ateliers bestellte sie sich einen Cappuccino und einen Schokomuffin. Dann setzte sie sich an einen der Plastiktische und setzte sich auf den dazugehörigen, unbequemen Hocker.
Den Kaffee und den Muffin schob sie erst einmal von sich. Jetzt würde sie weder etwas zu Essen noch etwas zu Trinken herunter bekommen.
Ihre Hände begannen schon wieder zu zappeln und ihre Unterlippe bebte. Jetzt würde sie doch nicht etwa anfangen zu weinen???
Mit einem Ruck riss sie das Papier auf, bevor ihre Tränen kommen würden. Hoffentlich schrieb Dorian ihr, wo zum Teufel er war. Er konnte doch nicht einfach so verschwinden. Und seit wann war er eigentlich weg?!
Sofort fiel ein kleines Visitenkärtchen auf den Plastiktisch und Donna erhaschte nur einen kleinen Blick darauf.
Doch dieser Blick reichte ihr, um alles zu wissen.






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