Zwischen Traum und Wirklichkeit - Teil 10

Autor: Giraffi
veröffentlicht am: 04.01.2011


„Jetzt geb’s doch zu!“ begann Tim sie von neuem aufzuziehen. „Der düstere Kerl von gestern war dein Freund“
Donna verdrehte genervt die Augen. Das ging jetzt schon den ganzen Tag so. Auch Juanita schaute warnend zu Tim. Langsam kam er an die Grenze. Irgendwann war das Ganze nicht mehr witzig.
„Nein, ist er nicht“ schüttelte Donna mit dem Kopf und bemühte sich immer noch freundlich zu klingen. „Ich kenne ihn, um ganz ehrlich zu sein, kaum“
Tim wollte gerade was erwidern, als Juanita ihm das Wort abschnitt: „Tim, mein Guter! Wir wissen ja, dass man Jungs noch zwei bis drei Jahre abziehen muss, dann wären wir bei dir bei 14 oder 15 Jahren, aber ich glaube noch nicht einmal die nerven so, wie du gerade“ Sie pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und zog die Brauen nach oben.
Tim lief rot an und spielte mit seinen Fingern, während Donna Juanita einen dankbaren Blick zuwarf.
„Hör mal, am Samstag ist so eine Party, in so nen Club“ begann Juanita plötzlich zu erzählen. „Das müsste ganz in der Nähe sein, wo Tim wohnt. Das Motto ist „Bad Taste“ – und, ich liiiebe Bad Taste Partys. Na ja, ich dachte vielleicht willst du mit. Mein Freund kommt auch“
„Kommt er wegen dieser Party extra nach München?!“ Erst jetzt schaute Tim wieder auf. Er legte skeptisch die Stirn in Falten.
„Nein, natürlich nicht!“ fauchte Juanita. „Er kommt wegen mir“ Ihre braunen Augen blitzten kurz zornig auf, bevor sie sich wieder zu Donna auf der Pausenhofbank umdrehte.
Donna hatte selten einen solch launischen Menschen, wie Juanita kennen gelernt.
„Was ist? Willst du mit?“
Donna zögerte eine Weile, dann nickte sie. „Geht klar. Um wie viel Uhr? Und vor allem wo?“
„Ab 21.00 geht’s los im Darkart“ erklärte Juanita.
„Seltsamer Name… Na ja, mal sehen ob ich hinfinde“ Donna kicherte und schon wieder lief in ihrem Kopf ein Horrorszenario ab, wie sie allein sich irgendwo im Wald verlaufen würde und von Zombies aufgefressen wurde.
Doch diese Vorstellung fand sie nicht halb so gruselig, wie ihre Träume, die immer noch nächtlich heimsuchten.
Wann das wohl aufhören würde? Hoffentlich konnte der Psychologe irgendetwas herausfinden.
Morgen würde sie ihre erste Sitzung haben, und ihr Vater legte ein kleines Vermögen für die Stunde hin, doch Dr. Erlinger war der Einzige in der Stadt.
Dass sie zum Psychologen ging verschwieg sie den anderen. Warum sollte sie das auch jemanden erzählen?
Als es klingelte erhob sich Donna hastig und ging neben Tim und Juanita wieder ins Schulgebäude.
Jetzt hatte sie Psychologie. Na wie passend!

Wieder warf Donna ihre Schlüssel auf den Pappkarton, der immer noch im Flur stand. Es lagen auch schon sämtliche andere Dinge auf diesen Karton. Ihr Vater hatte ihn bestimmt vergessen, oder er wurde jetzt ganz praktisch als Ablagetisch verwendet.
Ihr Vater war immer noch zu Hause. Er hatte also die Abendschicht in der Galerie. Und das wiederum hieß, dass er vor 22 Uhr heute Abend nicht nach Hause kommen würde. Dann hätte Donna also einen schönen Abend für sich.
„Hey, Paps“ rief sie und ging in die Küche um im Kühlschrank nach was Essbarem zu suchen. Doch frische Sachen gab es – welch Wunder – nicht. Nur einen verrunzelten Apfel, der bestimmt schon die Wohnung in Jena gesehen hatte.
Im Gefrierschrank lag eine einsame Pizza, die Donna wahrscheinlich das Leben rettete. „Warum kaufst du eigentlich nie ein?!“ rief sie wieder, und erst jetzt bekam sie ein Lebenszeichen von ihrem Vater: „Ich bin ein vielbeschäftigter Künstler“
„Aha. Trotzdem, essen musste bestimmt auch Picasso“ erwiderte sie. Sie schob die Pizza in den Ofen und machte ihn an. Dann drehte sie sich zu ihrem Vater um: „Hast du heute Abend deine Schicht?“
Dirk nickte und schaute dann in den Ofen: „Mhm…Hunger hätte ich ja auch“
„Nimm die Pizza“ zuckte Donna mit den Schultern und griff zum Telefon, was wie immer im Küchenfensterbrett lag. „Ich bestell mir was beim Chinesen“
Ihr Vater lachte: „Manchmal frage ich mich, wer hier das Kind ist“
Sie schaute auf und musste grinsen: „Schön, dann sind wir schon zwei“ Sie wählte die Nummer vom Chinesen nicht zum ersten Mal und kannte sie beinahe auswendig. Als sich der Mann meldete, der nicht wirklich perfekt Deutsch sprach, nannte sie was sie haben wollte und legte dann wieder auf. „Ich gehe Samstagabend übrigens weg“
„Ehrlich? Toll!“ Dirk wandte den Blick von seiner Pizza ab und schaute zu Donna. „Wohin, und mit wem?“
„Mit einem Mädchen aus meiner Klasse und deren Freund. Da macht irgend so ein Club eine Bad Taste Party“
„Ah ja, das Darkart!“ Dirk wusste sofort bescheid. „In der Galerie liegen überall Flyer davon. Ich habe mir auch schon überlegt, ob ich vielleicht hingehen sollte“
Donna riss die Augen auf: „Oh, ich bitte dich, Paps!“
Dirk begann schallend zu lachen und schüttelte mit dem Kopf: „War nur ein Witz. Wann du wieder zu Hause sein sollst, klären wir am Samstag. Ich muss noch die Pizza zeichnen, bevor sie verbrannt ist“
Donna kniff kurz die Brauen zusammen und schaute ihrem Vater hinterher, wie er seinen Zeichenblock holte, um eine Pizza im Ofen zu zeichnen.
Warum er das machen wollte, fragte sie erst gar nicht. Donna war an die seltsamen Macken ihres Vaters gewohnt.
„Okay“ meinte sie gedehnt. „Ich geh’ in mein Zimmer und warte auf mein Essen“
Doch ihr Vater nahm sie gar nicht mehr wahr. Er nickte nur geistesabwesend und begann die ersten Striche zu zeichnen.
Donna schmunzelte und schüttelte mit dem Kopf. So kannte sie ihren Vater und so liebte sie ihn auch. Er war eben ein verrückter, alter Künstler, der einfach nur so leben will, wie er es für richtig hält. Im Gegenzug lässt er aber auch alle nach ihren freien Willen leben. Auch Donna.
Und dafür war sie ihm dankbar.




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