Zwischen Traum und Wirklichkeit - Teil 8

Autor: Giraffi
veröffentlicht am: 02.01.2011


Donna schaute mit aufgerissenen Augen auf das Bild. Ihre Hände wurden plötzlich schweißnass.
Sie schüttelte fassungslos mit dem Kopf. Das Bild war im selben Stil gezeichnet worden, wie auch das Bild bei ihr im Zimmer.
Doch das war gar nicht das, was Donna schockte, sondern eher das, was es zeigte: Sie!
Donna machte die die Augen zu und öffnete sie wieder, in der Hoffnung wieder nur eine Halluzination zu haben, wie heute Nacht, als sie angeblich Dorian gesehen hatte! Was für ein Unsinn!
Doch auch als sie die Augen wieder öffnete, hat sich das Motiv nicht verändert. Es zeigte immer noch sie.
Sie stand am See auf den Steg und schaute anscheinend zum Zeichner. Auf jeden Fall sah es so aus, als würde sie den Betrachter anblicken, wie bei der Mona Lisa.
Noch dazu reichte sie ihm die Hand. Ihr Lächeln war freundlich und ihre Mimik sah haargenau so aus, wie wenn sie in Wirklichkeit lächelte.
Wer hatte dieses Bild gezeichnet?!
Donna lief es kalt den Rücken hinunter. Schnell ließ sie das Bild wieder zu Boden gleiten und sah zu, dass sie wegkam.
Auf der Treppe stolperte sie ein paar Mal und musste zusehen, dass sie nicht komplett fiel. Sie rannte durch die Ausstellung und stürmte dann die dritte Treppe hinunter. Auch hier stolperte sie mehrmals.
Sie wollte gerade um die Ecke rennen, als sie abrupt zum Stehen blieb. Vor ihr stand ein Mann mit einem drei Tage Bart und leuchtenden blauen Augen. Seine Rastalocken hingen ihm wirr im Gesicht: „Wir haben eigentlich noch nicht geöffnet“
Donna lief sofort rot an und begann zu stammeln: „Ja… ich… Nein… Ich meine, ich… tut mir Leid“ Damit drängelte sie sich an ihm vorbei und rannte aus der Tür hinaus.
Sie spürte noch lange den verwunderten Blick des Mannes in ihrem Rücken.
Am liebsten hätte sie ihm ja ins Gesicht geschrien, dass sie die Tür abschließen sollten, wenn sie noch nicht geöffnet hätten.
Doch das hatte sie sich natürlich nicht getraut. Stattdessen hatte sie gestottert wie ein unterbelichtetes Kind.
Aber das war Donnas kleinere Sorge: Wie kam ein Bild von ihr in ein Atelier, in eine Wohnung von einem Typ oder einer Frau oder einem ES, den – oder die – oder das sie noch nicht einmal kannte.
Das war gruselig. Da konnte jeder Horrorfilm nicht mithalten.
Noch immer zitterte Donna. Das war schon beinahe krank. Wer kannte sie aus dieser Stadt so gut, dass er ein Bild von ihr zeichnen könnte?
Wer hatte sie Lachen sehen?
Donnas Kopf schien zu rauchen und sofort bekam sie Kopfweh. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht!

Dirk Dameno beobachtete seine Tochter genausten beim Abendessen. Irgendetwas stimmte mit ihr nicht. Das spürte er. Seit sie aus der Galerie zurück war, verhielt sie sich merkwürdig.
Schließlich seufzte er und schob den Teller von sich: „Was ist los? Hast du Probleme“
Erschrocken schaute Donna auf. Sie konnte ihrem Vater eben doch nichts vormachen. Sie zögerte eine Weile, doch als sie den strengen Blick ihres Vaters sah, wusste sie, dass er nicht nachgeben würde.
„Ich habe seit wir umgezogen sind Albträume. Schreckliche Albträume!“ platzte es ihr förmlich heraus. „Ich habe seit Wochen nicht mehr wirklich durchgeschlafen“
Ihr Vater nickte und meinte dann sachlich: „Das erklärt, warum du so blass um Näschen bist“
„Ich weiß auch nicht, was los ist“ murmelte Donna und stierte auf ihr Essen.
„Glaubst du es hat was mit dem Umzug zu tun?“ fragte Dirk vorsichtig.
„Ich glaube nicht! Es fing zwar mit dem Umzug an, aber ich vermisse nichts aus Jena. Daran kann es – denke ich – nicht liegen“
Ihr Vater seufzte: „Ich weiß nicht, was ich da machen soll“
„Ich will zu einem Psychologen“ brachte Donna diesen unangenehmen Punkt sofort auf den Tisch.
„Zu… einem…“ Dirk stockte.
Donna nickte: „Vielleicht kann er mir helfen. Ich möchte doch nur endlich wieder in Ruhe schlafen“
Ihr Vater überlegte eine Weile, dann stimmte er zu: „Wenn du das willst. Und wenn es dir hilft. Ich werde mich gleich morgen nach einem guten Therapeuten erkundigen“
Er nahm wieder einen Bissen von seinem Brot und schaute wieder zu seiner Tochter, welche lustlos auf ihrem Teller herumstocherte.
War das wirklich alles? Oder hatte sie noch andere Probleme? Würde sie wirklich mit ihrem Vater darüber reden, wenn es ihr nicht gut gehe sollte?
Auch, wenn Dirk großes Vertrauen in seine Tochter hatte, so wusste er auf diese Fragen keine Antwort. Also musste er nachhaken, ob es seiner Donna wirklich gut ging: „Aber sonst ist alles klar?“ Er versuchte betont locker zu klingen, weil er wusste, dass sie es hasste ausgefragt zu werden.
Wieder schaute Donna leicht erschrocken auf und zwang sich zu einem Nicken: „Ja, alles bestens“
Dirk erwiderte ihre Antwort mit einem Nicken und aß stumm weiter.
Während Donna den Abwasch machte, meinte ihr Vater plötzlich: „Meinst du das Atelier hat noch auf?“
Donna riss den Kopf wie vom Blitz getroffen hoch: „Was?!“ rief sie schrill. Doch dann beherrschte sie sich wieder und versuchte ohne zitternde Stimme zu sagen: „Nein, ich glaube nicht“
„Hm“ murrte Dirk. „Ich glaube doch. Ich habe mich nämlich erkundigt“
Donna schloss die Augen und ließ den Kopf hängen. Jetzt will er bestimmt mit ihr dahin!
„Herr Braun meinte, die haben morgens erst sehr spät geöffnet, aber dafür abends länger, wegen den Abendkursen und so… Willst du nicht einen Kunstkurs belegen?“
Donna schüttelte hastig mit dem Kopf: „Nein, lieber nicht! Du weißt doch, ich bin künstlerisch total unbegabt“
Dirk kratzte sich am Kopf: „Ach ja! Stimmt ja. Hatte ich vergessen. Ich fände es trotzdem toll, wenn du mit mir heute Abend mal das Atelier anschauen gehst. Ich weiß, du warst heute Morgen schon mal dort, aber führ deinen alten Herren doch bitte mal hin“
Donna drehte sich über die Schulter um und zog eine Grimasse: „Ha, ha, ha! Dann stell dich darauf ein, dass wir in zwei Stunden da sind“
Dirk klopfte seiner Tochter freundschaftlich auf die Schulter: „Schon klar. Wollt dich nur ein bisschen auf den Arm nehmen“ Er begann das gewaschene Zeug abzutrocknen. „Begleitest du mich trotzdem hin? Ach, komm schon. Lass deinen Alten nicht immer so allein. Es gibt nämlich Leute, die sind nicht gerne einsam“
„Ich auch nicht!“ knurrte Donna, denn die Botschaft war bei ihr angekommen. Sie machte eine Pause, und atmete tief durch, dann nickte sie: „Okay, ich komme mit“

Mittlerweile hatte das Atelier offiziell geöffnet und Donna konnte nur hoffen, dass der Kerl mit den Rastalocken nicht da war, und wenn doch, dass er sie dann nicht erkennen würde.
An diesem Abend war auch viel mehr Trubel im Atelier als am Morgen. Einige schauten sich die Bilder an, andere liefen durch die Räume ein und aus und andere saßen wie Schüler in einen der Kurse.
„Ist das toll hier. Es riecht richtig nach Kunst“ meinte Donnas Vater und atmete tief durch. „Vielleicht sollte ich den Bildhauerkurs belegen. Was meinst du?“ Dirk schaute fragend zu seiner Tochter.
Donna verdrehte die Augen. Er schien das wirklich ernst zu meinen: „Wenn du willst“
„Dann mach ich das“ entschloss Dirk und nickte zufrieden, während sie die Treppe zur Ausstellung hinauf gingen.
„Das ist fast wie die Galerie, nur dass es irgendwie auch wie eine Schule ist“ meinte Dirk schließlich und schaute sich in diesem großen Raum um und betrachtete einige Kunstwerke. Auch ihm entgingen die Schwarz-Weiß-Zeichnungen nicht, die bei ihnen zu Hause auch zwei Wände schmückten.
„Der Zeichner dieser Bilder scheint überall seine Spuren hinterlassen zu haben“ bemerkte ihr Vater und betrachtete eines der Bilder. „Aber das kann er sich auch erlauben. Die Zeichnungen sind echt wahnsinnig gut“
Donna zwinkerte ihrem Vater neckisch zu: „Du scheinst ein neues Vorbild zu haben“
„Kein Vorbild. Nur Inspiration! Ein guter Künstler braucht immer eine Inspiration“ verteidigte sich Dirk und wandte seinen Blick dabei nicht von dem Bild ab.
„Mit so viel Melancholie zu zeichnen, würdest du eh’ nicht hinbekommen“ Donna zuckte mit den Schultern.
Jetzt schaute ihr Vater zu ihr: „Meinst du?“
Sie nickte: „Dafür bist du ein zu fröhlicher Mensch. Um so traurig zeichnen zu können, musst du tief in deiner Seele traurig sein… Nur dann kannst du auch das Gefühl von Trauer in deinen Bildern vermitteln“ Donna hätte eigentlich Künstlerin werden sollen, und sie könnte auch eine Spitzenkünstlerin abgeben. Aber leider war sie zu ungeschickt.
„Lass uns weiter gehen“ Donna zog ihren Vater am Arm weiter. Sie wollte von diesen Bildern weg, auch wenn sie ihr so gut gefielen.
Sie musste wieder an das Bild in diesem Zimmer denken. An das Bild, dass ihr Gesicht zeigte. Es beunruhigte sie immer noch. Vielleicht war das aber auch alles nur eine Verwechslung und der Zeichner dieses Bildes hat ein Mädchen gemalt, das ihr einfach nur erschreckend ähnlich sah.
Doch das war sehr unwahrscheinlich, das musste sogar Donna sich eingestehen.
„Warum haben wir dieses Atelier nicht früher entdeckt?“ Dirk war Feuer und Flamme für diese Kunstausstellung, und er war wirklich fest entschlossen an einem Bildhauerkurs teilzunehmen, auch, wenn ihn seine Tochter dann als verrückt erklären würde.
„Am besten ich trage mich gleich irgendwo für den nächsten Kurs ein!“ plapperte er weiter und Donna schaute ihn fassungslos an: „Du willst nicht wirklich so einen Kurs hier belegen?!“
„Warum denn nicht?“ War seine Gegenfrage. „Vielleicht habe ich als Bildhauer ja mehr Erfolg, als wenn ich mich weiter an meinen durchschnittlichen Bildern aufhänge“
Donna wollte gerade wieder etwas erwidern, schloss den Mund aber wieder. Eigentlich hatte ihr Vater ja Recht. Und warum sollte er keinen Bildhauerkurs belegen. Das war ja immerhin nicht ihr Problem. Und wenn es ihren Vater glücklich machte…
„Ja, vielleicht ist das ja gar nicht so eine schlechte Idee“ murmelte sie.
„Gut“ nickte Dirk und drückte leicht ihre Schulter: „Dann geh’ ich mal jemanden suchen, der mir sagen kann, wo ich mich anmelden kann“ Er lächelte ihr zu und nahm die Hand von Donnas Schulter: „Kommst du allein klar?“
„Paps, ich bin 17“ Donna verdrehte die Augen und musste aber gleichzeitig grinsen.
„Gut. Wir werden uns schon finden“ sagte er leichthin und ging mit langen Dirk-Dameno-Schritten durch den Ausstellungsraum.
Donna sah ihn immer noch grinsend hinterher. Wir finden uns schon… Ja, klar! Und wenn nicht, dann würde Donna niemals im Dunkeln allein nach Hause finden.
Doch sie dachte nicht weiter darüber nach, sondern schaute sich nur weiter um, als eine Stimme neben ihr, sie aus ihren Gedanken riss.
„Du scheinst mich wirklich zu verfolgen“ Es war keine Frage, sondern vielmehr eine Bemerkung, die ziemlich arrogant klang.
Donna drehte den Kopf und schaute in Dorians steingraue Augen, welche im fahlen Licht des Raumes fast schwarz wirkten. Sie war der Beleuchtung dankbar, denn so konnte er unmöglich sehen, dass sie knallrot wurde.
„Dasselbe könnte ich auch von dir sagen“ brachte sie schließlich hervor und schaute dann wieder auf das Bild.
Er zuckte nur mit den Schultern: „Könntest du“ Dann schwieg er. Und Donna auch.
„Bist du hier, weil du dich in einem Kurs einschreiben möchtest?“ brach er schließlich das Schweigen.
Donna schaute ihn an und schüttelte mit dem Kopf: „Nein. Ich bin künstlerisch nicht halb so begabt wie ich es gerne wäre“
„Hm“
„Mein Vater will hier aber demnächst einen Bildhauerkurs belegen“ erklärte sie.
„Ah… Der ist gut. Den Kurs leitet Rudolph“
„Rudolph“ Donna begann zu kichern. „Wie das Rentier?“
Dorian nickte: „Jeder reagiert so am Anfang. Man gewöhnt sich an seinen Namen, ohne zu lachen…“
Donna nickte nur. Dann fragte sie: „Und was machst du hier?“
Er zuckte nur mit den Schultern: „Mir die Bilder anschauen…“
Was sollte man auch sonst in einem Raum voller Bilder tun. Donna hätte sich am liebsten mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen. „Logisch“ murmelte sie betreten und schaute auf das Bild, das an der Wand vor ihr hing. Eigentlich kannte sie es schon auswendig und sie hatte jeden einzelnen Pinselstrich schon längst erforscht, dennoch starrte sie weiter auf die Zeichnung, bis sie schließlich wieder redete: „Seit wann gibt es die Galerie?“
Dorian zuckte wieder mit den Schultern: „Als ich vor vielen Jahren hierher gezogen bin, gab’s das Ding auch schon“
„Vor vielen Jahren…“ wiederholte Donna grinsend. „Das klingt als wärst du uralt“
„Woher willst du wissen, dass ich’s nicht bin“ Er schaute sie an und zog fragend die dunklen Brauen in die Höhe.
„Das ist eine dumme Frage“ meinte sie und schüttelte nur mit dem Kopf.
„Ich weiß nicht…“ murmelte er. „Woher willst du wissen, wie alt du bist, wenn du dich selber kaum kennst“
Donna kniff verwirrt die Brauen zusammen. Sie konnte ungefähr nachvollziehen von was er redete, aber wirklich verstehen konnte sie es nicht. Deswegen schwieg sie lieber.
Sie schaute durch die Halle und entdeckte ihren Vater, der sie zu suchen schien. Dann sah sie auf ihre Uhr: 23.14 Uhr.
Vielleicht sollte sie langsam nach Hause gehen und auch ihr Vater schien nach Hause zu wollen.
Donna wandte sich wieder an Dorian: „Ich denke ich muss dann auch gehen“
„Mach das“ nickte er. „Kommst du allein nach Hause?“
Schnell nickte sie: „Ich bin mit meinem Vater hier“
„Und der hat keinen gestörten Orientierungssinn?“ Wieder zog er die Brauen hoch, was für ihn typisch zu sein schien.
Sie schüttelte mit dem Kopf: „Nein, er findet schon nach Hause“
„Gut“ sagte er knapp und wollte gerade sich weitere Bilder anschauen, als Donna impulsiv nach seinem Arm griff.
Fragend und auch ein wenig erschrocken schaute er sie an.
„Sehen wir uns wieder?“ fragte sie leise.
Er lächelte leicht, doch dann wurde er wieder ernst: „Sicher. Irgendwie können wir uns nicht aus dem Weg gehen“
Donna lachte leise: „Ja, das ist schon irgendwie unheimlich…“ Sie machte eine Pause und atmete tief durch, dann sagte sie schnell: „Ich schreib dir mal schnell meine Nummer auf“
Sie riss ein Stück Papier aus ihrem Terminplaner ab und er reichte ihr den Kuli, als sie schnell ein paar Zahlen auf das Papier schrieb. Dann drückte sie Kuli und Papier in Dorinas Hand.
Er lächelte nur kurz und nickte dann: „Ich ruf dich an“
Donna erwiderte sein Lächeln, drehte sich dann um und ging zu ihrem Vater, welcher mit ein paar anderen Leuten plauderte.
Sie bekam gar nicht mit, worüber sie redeten. Sie war viel zu sehr selber in Gedanken.
Würde er wirklich anrufen? War es wirklich unheimlich, dass sie sich dauernd über den Weg liefen? Was war jetzt mit seinen Nachnamen? Was hatte er gemeint, als er über das Alter sprach? Würde er anrufen?
Ihre Gedanken nahmen einen Teufelskreis an. Und sie hoffte nur, dass er anrufen würde.




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