Zwischen Traum und Wirklichkeit - Teil 4

Autor: Giraffi
veröffentlicht am: 09.12.2010


Die Tage verstrichen nur so und schon nach fast zwei Wochen sah die kleine Wohnung der Damenos sogar halbwegs ordentlich aus.
Donna hatte in ihrem Zimmer schon mit dekorieren angefangen und ihre ganzen Fotografien über ihr Bett geklebt.
Die Pflanzen, denen sie aktive Sterbehilfe leistete, standen schon ordentlich auf dem Fensterbrett und ihr Bücherregal schien vor lauter Büchern beinahe zu platzen. Schon seit Jahren wollten sie und ihr Vater ein Neues bauen, doch bis jetzt war das immer nur Gerede. Und es würde auch so bleiben.
Donna war handwerklich eh’ nicht zu gebrauchen und Dirk war einfach zu faul oder zu sehr in seine Kunst vertieft.
Wieder einmal wachte Donna schweißgebadet auf. Immer wieder verfolgte sie derselbe Traum.
Keuchen und schwer atmend saß sie wie fast jede Nacht in ihrem Bett. Vielleicht war auch der Schlafmangel daran schuld, dass Donna selbst im Sommer noch blass war.
Wie jedes Mal, wenn sie einen ihrer Albträume gehabt hatte, konnte sie nicht mehr schlafen. Da konnte sie so lang sie wollte die Augen zudrücken. Einschlafen ging trotzdem nicht.
Also erhob sie sich gähnend und streckte die Arme in Richtung Himmel. Ihr Atem ging immer noch stockend und sie brauchte Luft.
Also riss sie wieder das Fenster auf und hörte den kleinen Bach rauschen. Sie schaute auf die Straße, welche nur schwach beleuchtet wurde.
Trotzdem konnte sie gut in der Dunkelheit sehen. Zumindest gut genug um die dunkle Gestalt zu sehen, welche sich mit schnellen Schritten von dem Mehrfamilienhaus in dem Donna und ihr Vater wohnten, entfernte.
Was machte jemand um diese Uhrzeit allein auf dieser Straße? Das Haus lag eher abgelegen und war kein bisschen zentral. Es war so ruhig hier, und Attraktionen gab es auch nicht. Was sollte also jemand hier verloren haben? Und dann noch um diese Uhrzeit?
Irritiert schaute Donna der Gestalt hinterher. Außer, dass die Person höchstwahrscheinlich männlich war konnte sie nichts erkennen.
Schnell schloss sie das Fenster wieder und nahm sich ihr Buch Verstand und Gefühl von Jane Austen vom Nachttisch und ging in die Küche um wieder Kaffee zu trinken. Sie war beinahe Kaffeesüchtig. Das musste sie auch um ihre von Albträumen geplagten Nächte zu überleben. Während die Kaffeemaschine blubberte und sie versuchte sich auf die Buchstaben in ihrem Buch zu konzentrieren drifteten ihre Gedanken immer wieder ab.
Heute war der Traum anders gewesen. Er hatte sogar kaum etwas mit ihr zu tun… Oder vielleicht doch. Aber sie persönlich kam nicht darin vor. Sie war eher eine Zuschauerin.
Sie war am See, der umgeben war von Wäldern und Bergen. Sie stand auf diesem Steg. Am Ende des Steges stand ein Mädchen mit hochgesteckten Haaren. Sie schaute auf jemanden der im Wasser war. Oder sie starrte auch einfach nur auf’s Wasser.
Donna hörte Schreie. Schrille Schreie. Dann plötzlich wechselte die Kulisse. Sie war in der Galerie. Und schon wieder ein Szenenwechsel: New York. Wieder ein Sprung. So ging das immer weiter. Bis sie sich plötzlich wieder in ihrem Traum befand, der sie seit ihrem Umzug quälte. Und dann war sie aufgewacht.
Wieder wusste Donna nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Vielleicht hatte es ja auch gar nichts zu bedeuten. Doch dafür war Donna zu sehr eine Grüblerin. Sie musste über alles tausend Mal nachdenken. Etwas einfach abhaken ging bei ihr nicht.
Müde schlurfte sie an ihrem Kaffee und stützte den Kopf in die Hände. Würden diese Träume irgendwann aufhören? Und hatte der Mann auf der Straße irgendetwas damit zu tun?
Schnell schüttelte Donna mit dem Kopf. Was sollte ein einsamer Mann auf einer einsamen Straßen mit ihren Träumereien zu tun haben. Das war idiotisch!
Sie war bestimmt nur wegen ihrer neuen Schule nervös. Immerhin wäre in zwei Tagen ihr ersten Schultag in der neuen Klasse. 11b am Gisela-Gymnasium.
Donna seufzte. Sie hatte gar keine Lust auf Schule und schon gar nicht auf ihre neue Klasse. Sie hatte sogar Angst davor. Dann musste sie vielen fremden Gesichtern gegenüber treten. Was wenn sie alle unfreundlich waren oder sie nicht mochten? Oh je, das wollte Donna sich gar nicht ausmalen.
Auch, wenn sie selber wusste, dass ihre Gedanken über die neue Schule albern und kindisch waren, so machte sie sich doch dauernd Sorgen.
Donna seufzte und schaute aus dem Fenster. Die Sonne ging gerade auf und Nebel stieg von den Wäldern empor gen Himmel.
Ein schönes Bild. Wäre Donna Künstlerin gewesen, hätte sie diesen Moment mit einem Bild festgehalten.
Träge und immer noch müde erhob sie sich und schaute in den Kühlschrank. Wie sooft war er leer. Sie stöhnte leise und schlurfte in ihr Zimmer. Ohne wirklich hinzuschauen zerrte sie einen Jeansminirock und ein schwarzes Top aus dem Schrank und zog sich um. Sie langen Haare band sie sich zu einem lockeren Pferdeschwanz.
Schnell noch, bevor sie ging kritzelte sie ein paar Zeilen auf ein Stück Papier, damit ihr Vater weiß, wo sie ist.

Hey, Paps, es gibt nichts zu essen. Bin irgendwo frühstücken und bring dir was mit
Hab dich lieb, Donna

So leise wie möglich nahm sie ihre Schlüssel vom Karton und warf sie in ihre Tasche. Dann schlüpfte sie in ihre schwarzen FlipFlops und zog die Wohnungstür hinter sich zu.
Sie hatte keine Ahnung wo sie hingehen sollte und lief erst Mal zur Galerie welche ziemlich Zentral lag.
In der Galerie war noch kein Licht und alles war Dunkel und verlassen. Natürlich wusste Donna, dass die Galerie erst um zehn Uhr öffnete, dennoch fand sie das Flair, das von der Galerie ausging unglaublich schön.
Sie schaute eine Weile durch das Schaufenster, als sich ihr knurrender Magen meldete und sie damit zwang weiterzugehen. Warum dachte aber auch keiner der Damenos daran einkaufen zu gehen?
Auf dem Marktplatz fiel Donnas Blick auf die Uhr am Kirchturm: Viertel vor sieben. Es war nun vollends hell geworden und der Tag schien schön zu werden.
Wieder knurrte Donnas Magen. Hoffentlich hatte ein Café auf. Wenn nicht ein Bäcker bestimmt.
Gleich in der Nähe des Marktplatzes war ein niedliches kleine französisches Bistro, welches zu Donnas Überraschung schon auf hatte.
Sie trat ein und lächelte die Verkäuferin hinter der Theke an. Sie hatte traumhafte, blonde lange Haare. Und Donna musste bitter an ihre wirren braunen Locken denken.
„Kann ich was für dich tun?“ fragte sie und lächelte immer noch.
Donna nickte: „Ich hätte gern ein Schokocroissant und einen Milchkaffee“
„Zum Mitnehmen, oder willst du hier essen?“
„Zum Mitnehmen“
Die Verkäuferin nickte und packte das Croissant in eine braune Papiertüte und legte sie auf den Tresen. Und während der Milchkaffee aus der Maschine floss tippte sie auf der Kasse herum und sagte dann: „Das macht drei Euro vierzig“
Donna nickte und gab ihr das letzte Geld, was sie in ihrem Portemonnaie hatte. Auf dem Weg zum Supermarkt müsste sie zur Bank gehen und gleich genügend abheben, sodass sie auch ein Bild von dem Künstler kaufen konnte, der so melancholisch zeichnete.
„Danke“ Donna nahm auch ihren Milchkaffe im Pappbecher entgegen und ging zur Tür, als diese aufschwang.
Erschrocken wich Donna zurück und blickte in steingraue Augen. Niemals würde sie diese Augen vergessen. Das blasse Gesicht, die hohen Wangenknochen und die schwarzen Haare.
„Sorry“ murmelte er mit tiefer und beinahe rauer Stimme und ging dann an ihr vorbei. „Guten Morgen, Marie“ sagte er zu der Verkäuferin. „Das Übliche“
Die Antwort verstand Donna nicht mehr, denn die Tür des Bistros fiel hinter ihr zu und sie warf noch einen Blick durch die Scheiben und sah wie er die Verkäuferin, Marie, leicht anlächelte. Dann riss sie ihren Blick los und ging weiter. Bestimmt würde sie sich auf der Suche nach einer Bank wieder verlaufen.
Und nach dem Weg fragen brachte bei Donna auch nichts. Denn durch ihre Rechts-Links Schwäche würde sie sich selbst mit korrekter Wegbeschreibung verlaufen.
Donna musste über ihre eigenen Gedanken grinsen und biss in ihr Croissant und ihr Magen schien sich mit diesem letzten Grummeln zu bedanken.
Dann verbrannte sie sich noch die Zunge am heißen Milchkaffee und verlor ihr Grinsen sofort. Das passierte ihr jedes Mal!

„Donna!“ rief Dirk überrascht, als er seine Tochter durch die Galerietür treten sah. „Was machst du denn hier?“
„Der Kühlschrank war leer“ Donna lächelte und drückte ihm ein eingeschweißtes Sandwich in die Hand. „Ich war einkaufen“ Sie zeigte auf die Tüte in ihrer einen Hand.
„Oh ja… Ich habe heute Morgen auch feststellen müssen, dass unser Kühlschrank leer ist“ Er legte das Sandwich auf den Beistelltisch neben dem Eingang: „Danke, lieb von dir. Bist du deswegen extra hierher gekommen?“
Donna schüttelte lachend mit dem Kopf: „Nein, ich will ein Bild kaufen“
„Von dem Schwarz-Weiß Maler?“ Dirk Dameno kannte seine Tochter einfach zu gut.
Donna nickte: „Ja, mich haben seine Bilder einfach beeindruckt und ich habe noch eine leere Stelle in meinem Zimmer. Da habe ich sogar einen Platz, wo ich es aufhängen kann“
„Du kommst allein klar, oder? Ich bin gerade allein hier. Berthold hat einen Arzttermin“
„Berthold?“ Donna zog fragend die Brauen nach oben.
„Herr Braun“ erklärte Dirk knapp.
„Ja, ich komme allein klar“ Sie stellte die Einkaufstüte unter dem Tisch ab und ging dann mit schnellen Schritt zum hinteren Teil der Ausstellung und blieb erschrocken stehen, als sie den Jungen vom See und vom Bistro erkannte. Verfolgte er sie? Oder verfolgte sie ihn?
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, drehte er sich um und grinste irgendwie spöttisch: „Scheinst mich zu verfolgen, was?“ Er hatte natürlich ihre Schritte gehört, deshalb war es kein Zauber, weshalb er sich umdrehte.
Donna zuckte nur mit dem Schulter: „Der Ort ist klein“ Sie musterte wieder sein Gesicht und erst jetzt fiel ihr auf, dass er im linken Mundwinkel einen silbernen Ring stecken hatte. Auch, wenn Donna Piercings nicht mochte, so musste sie doch zugeben, dass es zu dem Jungen passte.
Der junge Mann nickte: „Ja, da kann es schon mal vorkommen, dass man sich öfters über den Weg läuft“ Er hatte die Hände in die Taschen seiner schwarzen Jeans gesteckt. „Du bist neu hier, oder?“
Donna nickte: „Vor 6 Wochen bin ich hierher gezogen“
„Warum?“
„Mein Vater hat hier einen Job bekommen, in der Galerie meine ich“ erklärte Donna.
Der Junge nickte nur und starrte weiter auf die Bilder. Kritisch zog er die Brauen zusammen und schüttelte immer mal wieder mit dem Kopf.
„Gefallen dir die Bilder nicht?“ fragte Donna neugierig.
Der Junge zuckte mit den Schultern und strich sich das Haar aus der Stirn.
„Ich finde sie haben das gewisse Etwas“ bemerkte Donna und sofort schaute er sie an. „Findest du?“
Donna nickte: „Sie strahlen Traurigkeit aus und Bitterkeit. Sie sind so melancholisch“ Sie zeigte auf den Vollmond: „Dieses hier zum Beispiel: Es ist ganz schlicht und einfach, trotzdem strahlt es so viel Emotion aus. Das finde ich beeindruckend“
Jetzt lächelte er ein wenig und ein Grübchen entstand auf seinen Wangen. Doch sagen tat er nichts.
„Ich bin übrigens Donna“
Er nahm es nickend zur Kenntnis und schaute wieder auf die Bilder. „Donna Dameno, stimmt’s?“
Donna erstarrte. Woher wusste er das?! Erschrocken schaute sie ihn an. Doch er bemerkte ihren Blick nicht. Und im nächsten Moment fiel ihr ein, dass es gar nicht so schwer war, zu wissen, wie sie mit Nachnamen hieß: Ihr Vater arbeitete hier und war neu. Und auf seinen Namensschild stand Herr Dameno.
So schwer zu wissen, wie sie heißt war es also nicht.
Donna nickte: „Ja… Und eigentlich stellt man sich höflicherweise auch selber vor“
Jetzt drehte er wieder den Kopf und schaute sie an: „Dorian“
„Wie Dorian Gray?“ fragte Donna überrascht. Sie fand diesen Namen zwar schön, aber viel zu negativ um ihn irgendeiner Person als Name zu geben.
„Du kennst dich aus mit Literatur?“ wollte er wissen und Donna nickte.
„Ja… wie Dorian Gray“ murmelte er leise und schien damit beinahe zu sich selbst zu reden. „Nur, dass ich keinen Nachnamen habe“ fügte er noch leiser hinzu.
„Wie kann man denn keinen Nachnamen haben?“ fragte Donna verwirrt.
Dorian zuckte mit den Schultern: „Keine Ahnung. Ich hab meinen vergessen“
„Aber wie kann man denn seinen Nachnamen vergessen?“ hakte Donna leise nach und wunderte sich doch sehr darüber. „Niemand vergisst wie er heißt“
„Mein Gott! Was du alles wissen willst“ fuhr er sie an und schnaubte verächtlich aus. „Vielleicht sieht man sich noch mal“ Damit drehte er sich um und verließ die Galerie.
Verwirrt und auch traurig schaute Donna ihm hinterher.
Das hatte sie ja mal wieder wunderbar verbockt. Kein Wunder, dass sie kaum mit anderen Leuten sprach. Sie vergraulte ja gleich jeden.
Donna seufzte und schaute dann wieder zu dem Bild mit dem Vollmond, als ihr Vater neben sie trat: „Und? Eins gefunden?“
Donna nickte und zeigte auf das ausgewählte Bild. „Das hier“
„Kannst du das denn bezahlen?“ fragte Dirk skeptisch, doch Donna nickte: „Ich war vorhin schon bei der Bank“
„Nun gut“ meinte ihr Vater. „Aber egal wie sehr du jammerst, es wird trotzdem keinen Taschengeld Vorschuss geben“
Donna verdrehte die Augen: „Ich habe dich noch nie um Taschengeldvorschuss gebeten. Also, jetzt tu’ nicht so“
Ihr Vater grinste und nickte: „Na dann geh schon Mal zur Kasse. Ich komme gleich“
Donna gehorchte und lief durch die Galerie bis zum Schaufenster, wo auch der Tresen mit der Kasse stand. Jetzt würde sie wohl drei Monate Taschengeld ausgeben, aber das Bild war es ihr wert.

Auf dem Weg nach Hause konnte sie an nichts anderes denken, als an diesen geheimnisvollen Jungen. Wie er darauf reagierte, dass ihr die Bilder dieses Künstlers gefielen. Dass er keine Nachnamen hatte. Oder zumindest vorgab keinen zu haben. Wie er reagiert hatte, als sie weiter nachgefragt hatte.
Sie dachte an diese steingrauen Augen. Und an die blasse Haut, welche sogar heller war, als ihre eigene.
Sie seufzte leise und schloss die Wohnungstür auf. Sofort ging sie in ihr Zimmer und bohrte mit dem Akkuschrauber eine Schraube in die Wand. Dann nahm sie die neue Wasserwaage zur Hand und versuchte das Bild gerade aufzuhängen.
Nach nur einer viertel Stunde betrachtete sie zufrieden das Bild, welches nur ein ganz klein wenig schief hing.
Dafür, dass sie so ungeschickt in Handwerkern war, war sie stolz auf sich. Und es hing beinahe noch gerader, als der Van Gogh im Zimmer ihres Vaters.
Aber eben nur beinahe…
Sie war stolz auf ihre neue Errungenschaft. Und wenn der Maler dieses Bildes wirklich irgendwo in diesem Örtchen wohnte, dann wollte sie ihn auch unbedingt kennen lernen




Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13 Teil 14 Teil 15 Teil 16 Teil 17 Teil 18 Teil 19 Teil 20 Teil 21 Teil 22 Teil 23 Teil 24 Teil 25 Teil 26 Teil 27 Teil 28 Teil 29 Teil 30


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz