Drachentochter

Autor: LittleAdventure
veröffentlicht am: 01.10.2010


Myrielle

„Myrielle! Komm, der König ruft!“ Die Arme in die Hüften gestemmt, hatte sich Isabelle vor meinem Bett aufgebaut. Grummelnd richtete ich mich auf.
„was ist denn los? Ich habe kaum geschlafen…mich lässt ja niemand schlafen!“ motzte ich ersteinmal.
„Der König will dich sehen, also beeile dich!“
„Wieso? Zur Jagd?“, fragte ich hoffnungsvoll.
„Fürwahr“, seufzte Isabelle, sie hasste die Jagd, die ich so liebte. Stets bemitleidete die Dienstmagd die armen Tiere. Auch ich liebte Tiere, aber ich liebte auch das Jagen. Außerdem jagten wir nur kranke Tiere oder Tiere, die in ihrer Zahl erschreckend hoch waren. Ich hatte schon oft versucht, dieses Isabelle klar zu machen, aber sie verschloss Geist und Seele, wie mir schien, wenn ich davon begann.
Isabelle war eine Dienstmagd des Elfenkönigs und ihrer hoch geschätzten Majestät, der Elfenkönigin.
Auch ich war eine Dienstmagd gewesen. Allerdings nur bis zu dem denkwürdigen Tag, da der Elfenkönig meine außergewöhnliche Begabung im Bogenschießen entdeckte. Seit dem bin ich seine Bogenschützin auf der Jagd. Und offiziell keine Bedienstete mehr. Natürlich stieß ich auf Eifersucht bei den anderen Dienstmägden und Knechten. Und wenn ich meiner Freundin Isabelle oder Claudine einen Besuch in der Küche abstatten wollte, so zwangen mich die anderen stets dazu, ihre Arbeit zu verrichten. Oft wünschte ich mir dann, einfach gegen sie anzukommen und sie zurechtzuweisen, aber es waren zu viele Mägde, als dass ich eine Chance gegen sie gehabt hätte. so arbeitete ich denn bis tief in die Nacht, um im Morgengrauen hundemüde in die Kissen zu fallen. So auch diesesmal. Aber sobald ich von der bevorstehenden Jagd erfuhr, war ich hellwach! Ich hatte von dem König ein Privatgemach bekommen, da seiner leibeigenen Bogenschützin nichts des Nachts zustoßen sollte. Wenn seine Majestät nur wüsste!
„Myrielle! Hörst du mir überhaupt zu?!“
„Äh, ja, ich mache mich sofort bereit.“
„Gut“ Isabelle verließ das Gemach und kehrte in die Küche zurück, während ich mir eilig meine Jagdkleidung überwarf. Sie war nicht etwa grün, nein, sondern die Jacke war violett und die Reiterhose war ockerfarben. Mein Köcher mit den Pfeilen war aus feinstem Leder und meine Handschoner ebenfalls. Meine Jagdstiefel waren zugleich Reitstiefel aus starkem dunkelbraunem Leder, die eng am Bein anlagen. Sie hatten auch keine Absätze wie bei den gewöhnlichen Reitstiefeln, sondern hatten flache, harte Sohlen, auf denen man leider nicht so gemütlich gehen konnte. Aber dieses Opfer war es mir wert. Die fehlenden Absätze rührten daher, weil die Pferde des Elfenreiches ohne Sättel und somit ohne Steigbügel geritten wurden. Das setzte aber auch ein gewisses reiterliches Können voraus, das man lange erlernen musste. Ich hatte diese Ausbildung erfahren, seitdem mein Talent für die Jagd entdeckt worden war. Und lange hatte ich mit Muskelkater zu kämpfen gehabt und leider auch oft mit Prellungen und vielen Blutergüssen. Aber es war den Aufwand wert gewesen!
Ich wollte gerade aus meinem Zimmer rennen und hinunter zum Thronsaal, als ich merkte, dass ich etwas vergessen hatte: Meinen Bogen!
Der Bogen war mit wunderschönen Schnitzereien versehen, die Einhörner, Greifen und Falken darstellten. Der Griff war mit einem besonderen Stoff umwickelt, den es nur bei den Elfen gab. Er war feuerfest und weicher als Seide. Die Bogensehne war das vielleicht wertvollste an dem Bogen, das sie aus der Sehne eines Basilisken bestand, einen Ungeheuers mit einem tödlichen Blick, das nahezu unsterblich war. Stolz strich ich über meinen Elfenbogen, dann drehte ich mich auf dem Absatz um und stürzte die Treppe hinunter vor die mächtige Tür zum Thronsaal.
Zwei Wachen patrouillierten vor dem einschüchternden Tor. Als sie mich kommen sahen, nickten sie mir zu und ließen mich passieren. Außer Atem eilte ich den Flur entlang zur nächsten Tür, vorbei an schmucken Fenstern des wunderschönen Palastes. Hier war alles hell, freundlich und fröhlich. Sogar die Wachen waren in den meisten Fällen freundlich. Als ich durch den lichtdurchfluteten Gang schritt, von dem etliche Türen zu stattlichen Privaträumen und Sälen abführten und nichts ahnend um die Ecke bog, traf mich beinahe der Schlag.
Da stand ein stattlicher, gutaussehender junger Mann, gleich einem Prinzensohn. Ja, man konnte meinen, er sei ein Prinz. Völlig hingerissen starrte ich ihn an. Er war wirklich der gutaussehendste Bursche, dem ich je über den Weg gelaufen war. Und das sollte was heißen!
Die „Erscheinung“ trug ebenfalls einen violetten Kittel mit Reiterhosen und hatte Stiefel an, die meinen glichen, jedoch waren seine Handschoner, von noch viel wertvollerem Stoff als die meinen. An seiner Hüfte steckte in einer Scheide ein wertvolles Schwert, das ein diamantenbesetzter Griff schmückte. Elfische Diamanten, wie ich erkannte. Das war selten, denn meist sah man nur Diamanten menschlicher Herkunft. Elfische Diamanten waren viel seltener und damit auch wertvoller. Zudem waren die Elfischen härter als alles Metall der Welt. Ich konnte also davon ausgehen, dass wenn der Bursche schon elfische Diamanten am Griff hatte, dass auch das Schwert aus elfischen Edelsteinen bestand, die um so vieles härter waren als alles Metall.
„Wer bist du?“, fragte ich zugegebenermaßen reichlich unhöflich.
„Prinz Malek aus dem Land des Feuers“, antwortete der Angesprochene.
Die Tatsache, dass er ein Prinz war, warf mich nicht um, ich hatte es schließlich schon halb kommen sehen. Es war etwas anderes, das mich so ungehörig staunen ließ: ‚aus dem Land des Feuers’ …Das Land des Feuers war ein karges land, jedoch ein Land, aus dem die besten Krieger kamen, die die am höchsten geschätzt wurden. Welche Bekanntschaft pflegte der König wohl mit einem Bewohner dieses Landes? Und einem mit so hohem Rang noch dazu!
„Wie heißt du?“, fragte er sogleich auch von oben herab. Dieser Ton brachte mich zur Weißglut! Ich hasste es, wenn Menschen, mochten sie auch Prinzen sein, mich schon bei der ersten Begegnung mit Überheblichkeit empfingen. Mit deutlich unterdrückter Wut antwortete ich daher: „ Ich bin Myrielle, die Bogenschützin des Königs.“
„Des Königs, soso…“, antwortete er unbeeindruckt.
Ich erwiderte nichts, sondern bewahrte Stillschweigen und ermahnte mich, nicht auszurasten wie ein kleines Kind und mein überbordendes Temperament zu zügeln. Zumindest in Gegenwart dieser Person, der es eine Freude wäre, mich wutschnaubend herumkrakelen zu sehen und daraufhin mich aus dem Palast herausgeworfen zu sehen.
Wie immer, wenn ich zornig war, wuchsen mir meine Elfenflügel. Das fehlte mir gerade noch! Zu zeigen, wie leicht erregbar ich war! Erzürnt sprach ich kaum hörbar die Beschwörungsformel für das Verschwinden meiner Flügel.
Wohlweislich drehte ich mich von dem Prinzen weg. Die Freude, ihn sehen zu lassen, dass ich bei dem Zauber meine Lippen bewegen musste, wollte ich ihm unter keinen Umständen gönnen. Jeder im Elfenreich, egal von welchem Rang, lernte im Alter zwischen 3 und 14 Jahren die Formeln und Elfenzauber. Dabei war allerdings jeder verschieden begabt und ein paar lernten auch noch nach dem 14. Lebensjahr selbständig weitere Formeln und Zauber dieser Kunst. Man konnte so sehr mächtige Künste erlangen. Ich jedoch schien keine besondere Begabung hierin zu haben. Ich beherrschte zwar alle Zauber von den Graden leicht bis schwierig, jedoch nicht von den Graden darüber. So hatte ich mich auch gegen den Lehrmeister aufgelehnt, aus Frust da ich es einfach nicht zu Wege brachte, einen stummen Zauber zu vollbringen, bei dem ich die Formel ausschließlich im Kopf „sprach“ ohne auch nur die Lippen zu bewegen. Lange Zeit hatten der Lehrmeister und ich darüber diskutiert, wozu es denn gut sein solle, die Zauber stumm zu vollbringen, wenn man es doch auch schaffte, sie wirken zu lassen wenn man sie laut aussprach. Ich hatte es nie geduldet, dass der Meister mit seiner ewigen Erwiderung, dass das in einem Kampfe sehr nützlich sein, denn nur die wenigsten besäßen die Macht Gedanken zu lesen und so möglichst schnell mit einen Gegenzauber zu antworten, Recht hatte. Denn gewiss, war es nützlicher, sich im Kampf die Formeln nicht von den Lippen ablesen zu lassen. Denn somit konnte man schnell von einem Gegenzauber getroffen werden.
Verächtlich sah mich der Prinz an: er hatte es doch bemerkt, dass ich es nie gelernt hatte, stumm zu zaubern!
Endlich wurden wir hereingebeten in den prächtigen Saal. Wertvolle Kronleuchter ließen den Raum in hellem Licht erstrahlen…nun jetzt nicht, es war ja helllichter Tag, aber Abends, dann kamen die Leuchter zum Zuge! Die seidenen Vorhänger an den Fenstern waren zur Seite geschoben worden und wurden von hübschen Kordeln gehalten. Die Rahmen der Fenster waren mit Blattgold bestrichen und das Gelände, welches sich hinter den Scheiben erstreckte, ergötzte das Auge. In dem Saal hingen Bilder der Königsfamilie und ihrer Ahnen in schmucken Rahmen. Der Weg zu den beiden Thronen war mit einem wunderschön bestickten ausgelegt. Allerlei Tische standen im Raum herum, auf denen Leuchter standen und kleine Statuen. In die Wand war ein großer Kamin eingelaassen vor dem mächtige Sessel standen, die um einen Kristalltisch herumstanden. Allerdings war heute nur ein thron besetzt, da die Königin mit den 3 Prinzessinen außer Haus zu sein schien. Der König lächelte, als er den Prinzen und mich eintreten sah und wir verbeugten und knicksten artig. Seine ersten Worte richtete der König an den Prinzen.
„Nun, wie ich sehe, seid Ihr wohlbehalten angekommen, Prinz Malek.“
„Führwahr, das bin ich, Eure Majestät“
„Der Tod Ihres bewundernswerten Vaters hat mich sehr getroffen, müsst Ihr wissen, und wie ich hörte, seid Ihr nicht minder bestürzt. Jedoch werde ich mich nach Kräften bemühen, Ihnen ein genauso guter Patenonkel zu sein, wie es Ihrem guten Vater würdig wäre.“
Prinz Malek verneigte sich nochmals dann richtete er sich auf. Als ich ihn verstohlen von der Seite musterte, sah ich, wie seine Lippe zitterte. Das Konnte doch nicht sein! Dieser hochnäsige Kerl betrauerte doch tatsächlich seinen Vater! Denn soviel hatte ich verstanden, um zu wissen, dass Prinz Maleks Vater verstorben war. Und seine Mutter offensichtlich auch schon, da der König im Begriff zu sein schien, den Prinzen bei sich hausieren zu lassen. Grauenvoll, diese Vorstellung!!!
„Danke“, brachte Malek mit bebender Stimme hervor.
So ein Gefühlsdusel, dachte ich verbittert. Ich verdrängte dabei den Gedanken, dass ich beim Tod meines eigenen Vaters bestimmt nicht minder traurig wäre. Aber mein Vater lebte fernab der Palastmauern zusammen mit meiner Mutter…
„Nun denn“, erhob der König wieder seine Stimme, „trotz dieses furchtbaren Vorfalls, hoffe ich Euch nun ein wenig erheitern zu können, denn mir wurde gesagt, Ihr wäret nicht nur ein ausgezeichneter Schwertkämpfer, sondern auch ein herausragender Bogenschütze und bisher noch von niemandem übertroffen worden. Stimmt dies?“
„Gewiss“, antwortete der Prinz, immer noch um Fassung ringend.
„Ich aber behaupte, dass ich jemanden kenne, der oder was es eher trifft: DIE sich mit Ihnen messen kann. Myrielle, tritt bitte vor! Und hebe doch bitte einmal dein Haupt, so kenne ich dich gar nicht.“ polterte da der König.
Artig hob ich meinen bisher gesenkten Kopf, den ich aber nicht aufgrund der Ehrfurcht vor dem König geneigt hatte, sondern einzig, um Malek nicht ansehen zu müssen.
„So gefällst du mir schon besser“, meinte der König zufrieden, „und vergiss nicht: DU brauchst vor mir nicht dein Haupt zu neigen wenn du mit mir sprichst. Denn du bist keine einfache Magd mehr, sondern meine Bogenschützin…nun wohlan, Prinz Malek, neben dir steht ein wahres Jagdtalent!“
Erschrocken fuhr ich zusammen. Hoffentlich hatte Ihre Majestät keinen Wettkampf im Sinne, in dem ich gegen Malek antreten musste. Gegen DEN würde ich nicht kämpfen, nicht gegen jemanden, von derartiger Arroganz mir gegenüber. Malek grinste herablassend auf mich hernieder. Wenn ich den Prinzen leiden könnte, würde ich dahinschmelzen, denn mit seinen dunkelbraunen Wuschelhaaren die im Licht der Sonne, die durch des Fenster schien, bronzen schimmerten und mit seinem fein geschnittenen schönen Gesicht, sah er durchaus sehr begehrenswert aus. Aber ich konnte ihn nicht leiden, also zählte sein Aussehen nicht!
„Was haltet ihr von einem Wettkampf? So etwas wäre durchaus interessant… aber nicht heute! Was haltet Ihr von einem Wettkampf in wenigen Tagen, wenn wir ein Fest zu Ihren Ehren abhalten, sobald Sie sich eingelebt haben?“
Prinz Malek nickte natürlich zum Vorschlag des Königs. Denn einen königlichen Vorschlag schlug man nicht einfach aus, sei der König noch so barmherzig und freundlich, wie dieser: König Firenze, der mächtige und weise König des Elfenreiches, der mit seiner über alles geliebten Gemahlin Königin Cora, herrschte.
Ich aber konnte nicht mehr an mich halten und so entgegnete ich, den überheblichen Tonfall des Prinzen nachahmend: „Aber es wäre doch gewiss kein schönes Fest für den ehrwürdigen Prinzen, wenn er an seinem eigens für ihn gedachten Fest eine Niederlage erleiden müsste, nicht wahr?“
Da brach der König in Gelächter aus und blieb mir eine Antwort schuldig.
Die giftigen Blicke Maleks allerdings sagten mir sehr deutlich, was er dazu meinte: ‚du wirst erbarmungslos verlieren gegen mich!’
Als der König sich erholt hatte, sprach er: „Nun, darüber werde ich nachdenken, jetzt aber ist es Zeit für eine Jagd. Ich habe gehört, dass eine Überzahl an Greifen herrscht und gnadenlos unser Wild abschlachtet. Wie wäre es mit Greifenjagd?“
Freudig nickte ich. Malek aber gab zu bedenken: „Ich habe gewiss nichts dagegen einzuwenden, wenn ich nicht um das Heil dieser Dame neben mir besorgt sein müsste. Denn mir wäre wohler, sie nicht als Teilhabende bei dieser Jagd zu sehen, da ich um ihre Zauberkräfte besorgt bin, die mir als nicht sehr gut entwickelt erscheinen, da die Dame nicht in der Lage zu sein scheint, stumme Zauber zu vollstrecken. Und bei einer derart gefährlichen Jagd, wie die auf Greife, scheint es mir, als bräuchte man mehr Erfahrung in der Zauberkunst, als diese Dame zu beherrschen scheint.“
Ich zitterte vor Wut. Was erlaubte der sich denn eigentlich?! Ich starrte ihn wutschnaubend an. Er aber blieb angesichts meiner Blicke völlig unbeeindruckt.
„Sie haben sicherlich Recht, was Myrielles Bewandnisse in der Zauberkunst betrifft, aber in diesem Fall ist Myrielle unentbehrlich, denn sie besitzt eine ungemeine Begabung im Bogenschießen. Aber ich gehe davon aus, dass Sie, Malek, sicherlich beriet wären, Myrielle ein wenig mehr in der Zauberkunst beizubringen.“
„Um ehrlich zu sein…“, wollte Malek die Idee des Königs abwiegeln, aber dieser fiel ihm ins Wort:
„Nein, nein, das ist eine prächtige Idee. Über die Unterrichtszeiten könnt Ihr dann mit Myrielle verhandeln… So und nun…“, er klatschte in die Hände, „Auf zu Jagd!“ Dann streckte er seine Arme aus und kurze Zeit später, ergriff mich eine gute Stimmung, und ich wusste, dass dies mal wieder König Firenzes´ Werk war. Er beherrschte die Künste des Zauberns eben wie kein anderer.







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