Mein Engel... - Teil 11

Autor: Demre
veröffentlicht am: 03.01.2011


Es war das erste Mal, dass seine Augen so richtig ängstlich aussahen. Er fuhr sich durch die Haare und blickte mich verzweifelt an. Was war denn auf einmal mit ihm los?
„ Ich muss gehen.“, entgegnete er und blickte mir nur ein paar Sekunden lang in die Augen
„ Ist die Gegenwart mit mir den so schlimm?“, fragte ich bissig. Er schüttelte einfach nur schwach den Kopf bevor er mit eiligen Schritten um die Ecke verschwand.
Das war ja wohl nicht sein ernst! Zuerst küsste er mich einfach frei Schnauze und dann machte er sich vom Acker, ohne mir zu antworten. /Da siehst du es/, murrte mein Verstand. /Er ist ein Idiot und er wird immer einer bleiben./ Frustriert raufte ich mir die Haare und blickte zum See. Die Strahlen der Sonne wurden von Zeit zurzeit schwächer und langsam kam eine kühle Brise auf. Insgesamt schien alles etwas kühler zu werden. Selbst mein Herz fühlte sich an, als wäre es zu einem Eisklumpen geworden.
Ich warf ein Blick über die Schultern und bemerkte erschrocken, das Aiden dort stand und mich mit einem schelmischen Grinsen beobachtete. Was wollte er hier? Ich merkte wie sich mir der Magen zusammenzog und ich gezwungen war, zu warten bis er verschwand. Aber als die Minuten sich nur zogen, hatte ich keine andere Wahl als an ihm vorbei zu gehen und ich betete zu Gott ,Aiden würde keine falsche Bewegung wagen. Ich atmete einmal tief ein und beschimpfte in Gedanken Cian, das er einfach so gegangen war. Aber was hätte er denn schon bewirkt? Schließlich war er Aidens Freund, er würde ihm bestimmt nicht in den Rücken fallen.
Als ich ein paar Schritte vorwärts tat, kam Aiden auf mich zu, obwohl immer noch ein Grinsen auf seinen Lippen lag, blickten seine Augen irgendwie neugierig, ernsthaft, so als ob er was interessantes Entdeckt hätte. Ein Schauer lief mir über den Rücken und verzweifelt dachte ich daran ihn einfach aus dem Weg zu schubsen. Aber dann musste ich theoretisch mit gebrochenen Knochen rechnen, kein guter Gedanke.
Also schaute ich ihm in die Augen bevor ich ein Schritt nach rechts machte.
„ Wohin des Weges Mylady.“, fragte er frech und grinste mich wie ein Honigkuchenpferd an. So listig wie er war, trat er ebenfalls ein Schritt nach rechts. Natürlich bereitete sich Wut in mir aus und ich zischte ihn mit Schlitzaugen an. Ich hatte wirklich keine Lust mit ihm auch nur ein Wort zu wechseln, geschweige denn Smalltalk mit ihm führen, der mir nur Zeit nahm. Und ich war niemand der Zeit sinnlos verschwendete, also warf ich ihm ein letzten, hasserfüllten Blick zu, bevor ich in wegdrückte und mich durch schlängelte. Kaum hatte ich zwei Schritte gemacht, packte er mich schon am Arm. „ Hey! Ich will doch nur reden.“, rief er mir zu, bevor er mich zu sich hin drehte. Reden? Über was wollte er denn mit mir reden, bestimmt nicht über seine Hobbys oder über sein Liebeslieben. Er dachte ja wohl nicht ernsthaft, das ich mit ihm reden würde! Okey, schieben wir mal sein Verhalten Jeff gegenüber an die Seite. Er war trotzdem ein Vollpfosten. So wie er andere behandelte, allein schon aus dem Grund, das er Cian mit seiner bescheuerten Art angesteckt hatte! Oh ja, wenn ich mit ihm mal reden würde, dann nur um ihm mit einem „Bitteschön“, ins Gesicht zu schlagen.
Ich wollte mich aus deinen Händen befreien, aber er hatte mich so fest gepackt, dass es schon weh tat. „Lass mich los, verdammt noch mal!“, fauchte ich beinah und funkelte ihn böse an. Aber nach ein paar Sekunden war mir klar das widerstand zwecklos war, also tat ich so, als würde ich mich entspannen, und dann, als er sein Griff lockerte, schubste ich ihn, sodass er ein Schritt stolperte und lief in die Richtung aus der ich gekommen war. Jetzt nur nicht nach hinten blicken, redete ich mir immer wieder ein, aber es war zwecklos. Meine Neugier gewann die Oberhand und als ich nach hinten blickte, bemerkte ich erschrocken das Aiden nur noch ein paar Schritte hinter mir war! Und dann packte er mich plötzlich schmerzhaft am Arm und zerrte mich an seine Brust. Ich wollte schon schreien, aber er bemerkte es und hielt mir den Mund zu. Dieser verdammte Mistkerl. Wie wagte er es nur!
„ Das war aber nicht sehr nett.“, entgegnete er und seine grauen Augen schauten mich hinterlistig an. Das hier wird auch nicht sehr nett werden, dachte ich grinsend und biss ihm so fest ich konnte in die Hand. Er stieß einen heftigen Fluch aus und riss seine Hand weg. Anscheinend war es ein echt heftiger biss, dachte ich schadenfroh. Das hatte er auch verdient. Mein Handgelenk tat wegen dem Arsch weh. „ Ich werd dir dein…“ Bevor er die Drohung aussprechen konnte, tauchte ein gut aussehender Junge auf, dessen Anblick mein Herz immer wieder zum stolpern brachte.
„ Gar nichts wirst du.“, unterbrach er Aiden und trat zwischen uns. Mich blickte er nur ganz kurz und ohne eine Gefühlregung an, bevor er Aiden ein klein wenig nach hinten schubste. Überrascht schaute ich Aiden an, der ebenfalls den Mund aufriss, denn keiner von uns hätte erwartet, das Cian sich gegen Aiden stellen würde. Tja Dumpfbacke, dachte ich lachend. Jetzt bist du wohl nicht mehr so cool.
„ Lass sie einfach in ruhe.“ Juhuuu… schrie mein Herz, so laut als ob Cian mir gerade ein Heiratsantrag gemacht hätte. Ich war ihm einerseits wirklich dankbar. Ich hätte nie gedacht das er mich beschützen würde und ebenfalls fragte ich mich, warum er zurück gekommen war.
Mittlerweile hatte sich Aiden von meiner und Cians Wortattacke erholt und sah jetzt alles andere als wohl gelaunt aus. Ein hässliches Grinsen bereitete sich in seinem Gesicht aus.
„ Cian Cian Cian. Bist du ihr Babysitter oder was. Du weißt, ich mag es nicht, wenn man mir mein Mädchen wegnimmt.“ Sein Mädchen! Er spinnte wohl. Ich war das Mädchen von niemand, und erst recht nicht von diesem ekligen Schmarotzer. Ich trat ein Schritt zurück als Aiden vortrat, aber Cian blieb wie eine Mauer dort stehen und überragte Aiden sogar beinah, mit seinen vorgereckten Kinn. Guter Junge. Ein lächeln legte sich über mein Gesicht.
„ Tut mir leid.“, erwiderte Cian und warf ein Blick auf mich. Mir wurden die Knie weich, als seine Augen so zärtlich in meine Blickten. Oh man! Was war nur los! „ Aber anscheinend ist sie nicht interessiert. Such dir jemand anderen.“ Bei Aidens Blick wusste ich, das es gesessen hatte, und zwar richtig. Aber ohne was zu erwidern, schubste er Cian ebenfalls ein bisschen und drängte sich dann an uns vorbei und ging mit stampfenden Schritte davon.
Zufrieden und Erleichtert schaute ich ihm hinterher. So schnell würde er wohl nichts mit mir anfangen. Und ich hoffte er würde Cian in ruhe lassen. Nicht das er Rachen nehmen wollte oder so. Bei dem Gedanken an Cian flog ein Schwarm Schmetterlinge durch meinen Magen und ich wandte mich mit dankbarem Blick an ihn. Auch er sah mich an, leider nicht mehr so zärtlich, aber auch nicht kalt wie sonst.
„ Danke“, sagte ich und lächelte zaghaft, was er leider nicht erwiderte. Wäre ja auch zu schwer gewesen! Nur ein kleines Lächeln, dachte ich Sehnsüchtig. Aber nichts. Er wandte nur den Blick in dir Richtung, an der Aiden vorbei gelaufen war.
„ Du solltest aufpassen.“, murmelte er und wurde dann ein wenig lauter. „ Aiden hat sich in den Kopf gesetzt, dich zu haben. Das heißt er wird dich nicht in ruhe lassen, bis du ihn küsst oder mit ihm in die Kiste steigst.“ Schockiert starrte ich ihn an und ein kotz Geräusch kam mir aus der Kehle. Das war… oh Gott das war das widerlichste überhaupt. Allein der Gedanke an das Küssen ließ in mir Brechreiz hervorkommen. Da konnte er lange warten. Meine Lippen würden sich nie im Leben auch nur zwei Zentimeter an seine wagen. Niemals!
„ Er ist einfach so…“, angewidert schüttelte ich den Kopf.
„ Ich weiß.“, erwiderte Cian und legte den Kopf ein wenig schief. „ Was machst du jetzt?“, fragte er. Eigentlich wollte Jeff mich ja anrufen, aber anscheinend hatte er es vergessen, da blieb mir nichts anderes übrig als nach Hause zu gehen, auch wenn ich das überhaupt nicht wollte. Zum ersten Mal fühlte ich mich neben Cian wohl, ich wollte nur mehr zeit mit ihm verbringen. Nichts anderes. Das Cian das nicht wollte konnte ich mir gut vorstellen, wahrscheinlich wäre er jetzt lieber bei seiner Freundin. Was ihm wohl gerade durch den Kopf ging?
„ Ich bin eigentlich nur zurück gekommen, um dir was zu geben.“, warf er ein und holte was aus seiner Hosentasche. Es war ein runder, silberner Ohrring an dem ein kleines Herz baumelte. Das war ein Geburtstagsgeschenk von Jeff gewesen und erst jetzt fiel mir ein, das auf meinem Schreibtisch nur ein Ohrring lag. Den anderen hatte er anscheinend. „ Er muss dir gestern runtergefallen sein.“, erklärte er. „ Ich wollte ihn dir, bevor ich gegangen bin geben, hab es aber vergessen. Nur deswegen bin ich zurück gekommen.“ Ich spürte ein Stich im Herz. Nur deswegen, dachte ich traurig. Er wollte sich nicht entschuldigen oder irgendwas anderes. Er wollte mir nur mein Eigentum wiedergeben.
Ein wenig gekränkt nahm ich ihm den Ohrring ab, darauf bedacht nicht seine Hand zu berühren und ich sah ihm dabei auch nicht ins Gesicht. Er würde nur sehen, das meine Augen schon beinah in Tränen schwammen.
„ Danke.“, flüsterte ich und steckte es weg. Dann verabschiedete ich mich mit einem einfachen „ Tschüss.“, und schlenderte dann mit gesenktem Kopf in Richtung Heimweg. Meine Tränen konnte ich unterdrücken, aber mein armes Herz weinte stumm in meiner Brust.

Es war ein langer Weg. So kam es mir zumindestens vor. Bei jedem Atemzug schmerzte mir die Brust doch das alles war erträglich. Nur der Gedanke nicht, das ich so alleine auf der Welt war. Es war keiner für mich da, keiner der mich im Arm hielt, der mir liebe Worte zu flüsterte wenn ich weinte, der mir den Kopf streichelte mich küsste. Das war so unerträglich. Ich fühlte mich so alleine wie noch nie und ich wusste das meine Mama einerseits daran Schuld war. Sie hatte früher immer auf mich acht gegeben, mich im Arm gehalten, auch mein Vater war manchmal da gewesen. Und jetzt war alles weg. Sie hatte sich einfach von einer Brücke gestürzt, sie war zu schwach gewesen, obwohl ich sie früher immer für so stark gehalten hatte! Sie hatte mich bei schlechten Noten immer getröstet, mir Mut gemacht. Wozu hatte sie das alles aufgegeben, wozu nur!
Der kleine Kater der sich immer in unserem Garten aufhielt war auf den Obstbaum geklettert und hatte den Kopf auf die Pfoten gelegt, die Augen aufmerksam. Mein Zimmerfenster stand offen und die Gardinen schwebten im Herbstwind rein und wieder raus. Unsere Haustür stand ein stück offen, dessen mich verwundert reinstürmen ließ. Die Aktentasche meines Papas war achtlos in eine Ecke geworfen, auch seine Schuhe lagen quer durch den Raum. Aus dem Bad im unteren Stockwerk kamen Poltergeräusche und sofort stürzte ich hin.
Als aller erstes bemerkte ich das viele Blut auf dem Boden und ein entsetzter Schrei brach mir aus der Kehle. Oh Gott mein Papa! Ich stürzte zu ihm und hielt ihn unter den Armen fest. Als er sich schwer keuchend erbrach und dazu Blut spucke wurde ich beinah hysterisch. „ Papa!“, schrie ich verzweifelt und machte einen Lappen feucht um ihm die Stirn abzutupfen die von Schweiß bedeckt war.
„ Mein Kind.“, keuchte er und erbrach sich auf der Stelle wieder, während ihm die Beine zusammen sackten. Heiße Tränen liefen mir über die Wange und den Mund, als ich versuchte meinen Vater zu stützen. Wo war denn Ethan, dachte ich schluchzend und es schien als würde mir das Herz erneut zerreißen. Wie viel konnte so ein Herz eigentlich aushalten? Wie viel schmerz war den möglich, denn meine schmerzen waren zum sterben stark genug. Oh Gott Warum passierte das?
„ Papa.“, sagte ich erneut und ließ ihn los, nur um zum Telefon im Flur zu gelangen. Ich musste den Notarzt anrufen, das war kein normaler Anfall, er spuckte einfach zu viel Blut.
Ich gab dem Mann am Telefon unsere Adresse und stürzte wieder zu meinem Papa der die Stirn auf den Rand der Badewanne gelegt hatte. Sein Gesicht war blass und seine Augen Blutunterlaufen.
Mit dem Lappen wischte ich ihm das Gesicht ab, nur damit er sich gleich darauf wieder erbrach. Ich wollte schreien. Ich wollte nur schreien und aus dieser Welt verschwinden, einfach alles zurück lassen.
„ Ava… ich…“, setzte er an, aber ein Hustanfall, der ihn noch mehr Blut spucken ließ, unterbrach ihn. Ich zog ihn hoch und wischte ihm erneut übers Gesicht um die Blut spüren zu beseitigen. Dann drückte ich ihm ein Handtuch und eine Tüte in die Hand und zog ihn dann zur Tür. Etwa 5- 10 Minuten später, ich hatte das Zeitgefühl verloren, tauchte der Krankenwagen auf und zwei Männer schafften meinen Vater in den Wagen. Sie wiesen mich darauf hin, das ich auch hinten Platz nehmen sollte, also schloss ich die Haustür und kletterte auf den Wagen, wo ich mich auf eine kleine Bank setzte. Mein Papa lag auf einer Barre und übergab sich wieder in einen Eimer. Nur noch stärker flossen mir die Tränen und mein Atem kam stoßweise. Verlor ich jetzt auch noch meinen Vater? Warum tat man mir das an, warum bestrafte man mich so! Ich hatte so verdammt Angst, ich wollte nur das Ethan da war, aber sein Handy war auf Mailbox geschaltet. Also rief ich Jeff an und erklärte ihm schluchzend und mit gebrochener Stimme was passiert war. Er versprach sofort ins Krankenhaus zu kommen und ermahnte mich, mir keine zu großen Sorgen zu machen. Keine zu großen Sorgen! Ha, als wäre das möglich. Meine Kehle war vor Sorge und Angst wie zugeschnürt und meine Hände zitterten das erste Mal so heftig.
Als mein Vater für eine kurze Zeit aufhörte zu brechen, atmete ich erleichtert aus, aber dann bemerkte ich das er noch blasser als vorher geworden war, und plötzlich schloss er die Augen und bewegte sich nicht mehr.
Ich weiß nicht was noch lauter war. Mein erschrockener Schrei, oder das aufspringen der zwei Männer, die sich gegenseitig befehle zuriefen. Meine Lippen bebeten als ich beobachtete wie sie meinem Vater eine Sauerstoffmaske aufsetzten und seinen Puls abmessten. Ich schluchzte so laut das der Mann neben mir, mit dem Schwarzen Haar und den freundlich blickenden Augen mir über den Kopf streichelte.
„ Er ist Ohnmächtig geworden.“, sagte er zu seinem Partner und holte eine Spritze raus. „ Sein Puls ist ziemlich gesunken, sein Körper ist jedoch sehr heiß.“ Nein, dachte ich nur entsetzt und schüttelte die ganze Zeit den Kopf. Papa dürfte mich nicht verlassen nicht er auch noch! Das würde ich doch nicht ertragen können. Ich schien ebenfalls gleich Ohnmächtig zu werden, obwohl ich zwanghaft versuchte ruhig ein und aus zu atmen. Aber es gelang mir nicht. Bei jedem Atmen wurde ich von einen Heulkrampf erfasst.
Ich wussten nicht wann wir angekommen waren, ich nahm nur war, wie sie mein Vater ruckartig aus dem Wagen transportierten und ihn rennend ins Krankenhaus beförderten. Ich rannte hinterher, hielt meinem Papa die Hand und rief immer wieder. „ Papa bitte verlass mich nicht! Papa bitte wach auf, du weißt doch wie sehr ich dich brauche. Bitte Papa.“ Ich merkte nicht das ich das ganze Krankenhaus zusammen schrie und sich alle nach mir umdrehten. Als sie meinen Papa in die Notaufnahme steckten schloss sich die Tür vor meiner Nase und schreiend hämmerte ich gegen die Tür. Sie dürften mich nicht von ihm trennen. Mein Papa war doch alleine, wer sollte ihm Kraft geben!
Irgendwann, kam dann eine Schwester und hielt mich krampfhaft fest, während ich versuchte sie wegzustoßen. Mein Papa verdammt! Sie mussten ihm helfen. „ Komm süße.“, sagte sie und setzte mich auf ein Stuhl vor der Tür. Dann holte sie mir ein Glas Wasser und hielt mir ein Taschentuch hin. „ Hier, nimm das und versuch ruhig zu bleiben. Du musst jetzt stark sein.“
Aber ich wollte nicht stark sein! Ich wollte doch nur zu meinem Papa. Oh Gott, dachte ich. Das letzte was ich zu meinem Papa gesagt hatte war: „ Du stinkst!“ Als er betrunken im Arbeitszimmer eingeschlafen war. Ich war so kalt gewesen, so wütend. Und jetzt? Was wenn ich ihn nie wieder sah, was wenn… Meine Augen schmerzten so stark wegen den Tränen und meine Schluchzer wurden nur noch lauter und herzzerreißender. Der Gedanke meinen Papa zu verlieren war so unerträglich, so schlimm. Ich konnte nicht rum sitzen, ich musste zu ihm. Als ich aufstand und wieder gegen die Tür hämmern wollte, riss mich dieses mal ein Mann zurück und schreiend brach ich auf dem Boden zusammen und steckte mein Kopf zwischen die Beine. Dieser Schmerz! Dieser Gedanke. Nicht mein Papa, ging es mir durch den Kopf. Nimm mich lieber Gott! Aber nicht meinen Papa!

Ich wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, aber auch Stunden später hörte meine Tränen nicht auf, auch nicht als Jeff gleich nachdem wir hier waren, kam. Er nahm mich nur in die Arme und weinte mit mir zusammen, obwohl er meinen Vater noch nicht Mal kannte. Er weinte einfach mit mir, weil es das einzige war, was er tun konnte und was ein wahrer Freund tat. Krankenschwestern kamen rein und raus, aber niemand wollte mir sagen was mit meinem Papa war. Keine konnte mir richtige Auskunft geben. Knapp zwei Stunden später kam ein ältere Man mit weiß-blonden Haaren aus dem Raum und blieb vor mir stehen.
„ Sind sie die Tochter?“, fragte er und abrupt riss ich mich aus Jeffs Armen und sprang auf.
„ Ja die bin ich.“, schluchzte ich und wischte mir übers Gesicht. Ich sah bestimmt aus wie eine Leiche, die vor ihrem Tod Kajal aufgetragen hatte, und während ihrem „Tiefschlafs“ verschmiert wurde.
„ Sie können sich beruhigen.“, sagte er zuerst, was leider das Gegenteil bei mir bewirkte und ich wäre bestimmt wieder zusammen gebrochen, wenn Jeff mich nicht von hinten umarmt hätte.
„ Er hatte ein Nierenstein im Magen.“ Auf mein Fragenden Gesichtsausdruck hin, ergänzte er sofort. „Nierensteine sind Ablagerungen in den Nierengängen und ableitenden Harnwegen. Sie entstehen wenn das Löslichkeitsprodukt für bestimmte Salze im Urin unterschritten wird.“ Natürlich wusste der Arzt das ich kein einziges Wort verstanden hatte jedoch ging er nicht weiter darauf ein.
„ Zumindestens können diese, meist Millimeter kleinen Steine, zu starken Schmerzen führen und zu erbrechen und Blutausscheiden.“ Ahh, deswegen das ganze Blut. „ Wir konnten den Stein zum Glück entfernen, wir hatten schön befürchtete er könne unter den Lebensmitteln nicht zu finden sein, jedoch haben wir festegestellt, das der Körper ihres Vaters hauptsächlich aus Alkohol besteht.“ Für einen Moment schloss ich die Auge, vor der Wahrheit und davor, dass an dem Abend, als meine Mutter sich umgebracht hatte, auch meinen Vater getötet hatte. Es war kein Wunder, das mein Vater mehr Alkohol intus hatte, als Essen, oder irgendwas andere. Aber das bestätigt zu bekommen, war schon ein harter Schlag.
„ Ihr Vater wird eine Alkoholvergiftung bekommen, wenn es so weiter geht.“, ergänzte der Arzt und achtete auf Jeffs keuchen gar nicht. Ich hatte ihm nie erzählt, wie schlimm es wirklich um meinen Vater stand. Wie weit er vom nüchternen Leben entfernt war. Ich wollte es ja selber nicht wahr haben.
Ich bedankte mich bei dem Arzt und versprach, meinen Vater nach seiner Entlassung sofort in eine Klinik zu stecken. Vielleicht konnte ihm dort geholfen werden. Der Arzt erlaubte uns, meinen Vater zu besuchen, nachdem man ihn in sein Zimmer gebracht hatte. Er war an Schläuchen befestigt und als wir rein kamen, gab ihm die Schwester gerade eine Spritze. Mein Papa wirkte total fertig und war genauso blass wie davor, die Falten um sein Gesicht traten stärker hervor und machten ihn älter, als er war. Der Arzt hatte deutlich zu verstehen gegeben, das er sich kaum bewegen durfte, aufstehen war untersagt, aber nur für ein paar Stunden.
Ich hatte ihn noch nie so erschöpft und zerschmettert zugleich gesehen, und ich wusste das er alles schrecklich bereute. Man sah es ihm an, und als er mich erblickte liefen ihm Tränen über die Wangen und zerrissen mich innerlich ein Stück mehr.
„ Oh Papa!“, stieß ich hervor und stürzte zum ihm ans Bett um ihm die Hand zu halten und seine Finger zu küssen. Wenn er wüsste wie schrecklich leid mir das alles tat. Wenn er wüsste wie gern ich alles ungeschehen machen würde. Würde jemand ein Deal mit mir schließen, das Leben meiner Mutter gegen meins, wäre ich sofort einverstanden. Nichts würde mich mehr erleichtern. Aber schließlich war das unmöglich und mit meinen Wunschvorstellungen machte ich alles nur noch schlimmer. Das Leben ist so wie es ist, dachte ich sarkastisch und lachte innerlich.
Mein Vater sagte eine Weile nichts, starrte mich nur mit nassen Augen an und dann fing er plötzlich an zu flehen. Er flehte mich an, ihm zu verzeihen, sein Gesicht war schmerzverzerrt, und immer wieder sagte er: „ Verzeih mir mein Kind. Bitte verzeih mir.“ Auch ich flehte ihn an. Flehte ihn an nicht zu weinen und froh zu sein das alles vorbei war. Flehte ihn an mir zu verzeihen, weil ich ihn vor ein paar Tagen so fies behandelt hatte. So verbrachten wir einige Zeit, und aus dem Augenwinkel bemerkte ich, das Jeff uns die ganze Zeit anstarrte und selbst hin und wieder eine Träne vergoss. Er war einfach unglaublich. Und ich war so froh ihn zu haben.
Als es langsam dunkel draußen wurde, bat mich mein Vater nach Hause zu gehen. Ich sollte schlafen und mich ausruhen. Aber das war natürlich unmöglich. Ich würde ihn nicht alleine lassen, das konnte er vergessen. Ich würde solange bleiben, bis er gesund war, bis es ihm wieder besser ging. Aber Jeff versuchte mich ebenfalls umzustimmen. Er meinte ich sollte erst mal eine Dusche nehmen und schlafen, dann konnte ich wieder herkommen. Nach einer Weile ließ ich mich aber dann dazu überreden, zu Duschen und meinem Vater dann einige Sachen zu bringen, die er zum übernachten brauchen würde. Bevor wir gingen gab ich meinem Vater noch einen Kuss und wies ihn auf den Tee hin, den der Arzt ihm zugeschrieben hatte.
Auf dem Gang trafen wir auf Ethan, der sich wild umblickte und ziemlich entsetzt aussah. Ich hatte ihm auf die Mailbox gesprochen und anscheinend hatte er sie erst jetzt abgehört.
„ Oh meine kleine Ava.“, rief er als er mich erblickte und schloss sofort seine Arme um mich, die mich sehr beruhigten. Am meisten nahm mir sein Geruch die Sorgen, dieser vertraute Geruch. Aber heute war das nicht der Fall, tief in meiner Brust klafft nämlich ein riesen schwarzes Loch, das mein Herz aufzusaugen schien. Er murmelte irgendwelche Worte, die ich nicht verstand, die sich später aber als: „Es tut mir so leid.“, entpuppten. Er strich mir noch ein paar mal sanft über den Kopf bevor er sich ins Zimmer meines Vater aufmachte. Ich blickte ihm hinterher. Sah den großen Jungen mit den breiten Schultern an, der einen aufrechten, lässigen Gang hatte. Dann spürte ich Jeffs Hand, die meine umschloss und seine warmen Augen, die mich ermutigend anschauten. Gemeinsam verließen wir das Krankenhaus, und vor der Tür begegnete uns kühler Wind, der meine Sinne belebte und den Knoten in meiner Kehle, ein Stück lockerte.




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