In einem neuen Leben

Autor: sternschnuppe (2)
veröffentlicht am: 20.03.2010




'Das ist also Kathleen', denke ich mir. Ich war schon ziemlich neugierig auf sie. Ich soll immerhin die nächsten paar Jahre mit ihr zusammen in einem Haus leben. Auch wenn es in unserem 'Haus' nicht allzu schwierig gewesen wäre, ihr aus dem Weg zu gehen, falls wir uns nicht mögen würden.
Es hätte ja auch sein können, dass sie eine dieser unausstehliche Zicken gewesen wäre, die sich am liebsten selber sprechen hören. Aber so vom ersten Eindruck kommt sie mir ganz nett vor. Sie hat richtig gut reagiert, als dieses Missgeschick mit Charlie passiert ist. Nicht so rumgeschrien, wie es manche Mädchen tun. Und sie ist hübsch. Also nicht nur so ein bisschen schön, sondern richtig hübsch. Dunkelblonde Haare, und Augen von einem erstaunlich klaren Blau. Ovale Gesichtsform. Und der Körper ist auch nicht von schlechten Eltern. Ich muss ein bisschen grinsen. Was ich schon wieder denke. Aber ich ja auch nur ein Junge. Erstaunlich allerdings, was ich mir alles gemerkt habe, obwohl ich sie nur so kurz gesehen habe.Das war aber schon ein ziemlich interessantes Kennenlernen. Ich war mit Charlie draußen gewesen, schon wieder auf dem Rückweg und stand vor unserer Tür, da fängt er auf einmal wie verrückt an, herumzuschnüffeln. Und wie von der Tarantel gestochen, rennt er plötzlich los. Ich weiß, dass mein Vater es nicht mag, wenn er im Haus herumrennt, also bin ich ihm hinterher gelaufen. Dann war er von einem Moment auf den nächsten nicht mehr da.Ich lief langsamer und meinte, ein Geräusch gehört zu haben. Ich dachte mir, dass er vielleicht ins Gästezimmer gelaufen wäre, denn von dort kam das Geräusch, eine Art Klopfen. Und als ich die Tür aufmache, sehe ich ihn, wie er einer Wildfremden das Gesicht abschleckt. Das war ein bisschen überraschend, denn eigentlich, ist er nicht sehr zutraulich.
Natürlich habe ich sofort versucht, ihr zu helfen. Nur hat Charlie nicht mehr gehört.
Eigentlich hört er immer auf mich. Sogar, wenn er eine rassige Hündin sieht. (Das ist wirklich ungewöhnlich.) Als wir sie dann gemeinsam befreit hatten, saßen wir erschöpft da und auf einmal mussten wir lachen. Eigenartig war allerdings ihre Reaktion auf meine Frage, warum sie denn hier sei. Sie wurde rot, und stammelte irgendetwas von wegen duschen gehen oder so. Aber na gut, wenn sie nicht reden will. Das kommt bestimmt noch.
Sie sieht übrigens wirklich süß aus, wenn sie so ein bisschen rot wird und verlegen lächelt. 'Stephan, warst du mit Charlie draußen?' Mein Vater reißt mich unsanft aus meinen Gedanken. 'Du solltest dich vor dem Abendessen noch mal frisch machen, ja?! Kathleen ist vorhin angekommen. Ich muss noch ein bisschen arbeiten. Charlie könnte übrigens auch mal wieder eine Wäsche vertragen.'
Bevor ich ihm von meinem Kennenlernen mit Kathleen berichten kann, ist er schon wieder verschwunden. Aber so ist mein Vater. Immer viel beschäftigt und wenig Zeit. Denk allerdings nur nicht, dass er mich nicht liebt. Das wäre vollkommen falsch, anzunehmen, dass er sich nicht um mich kümmern würde. Aber die Arbeit bedeutet ihm einfach sehr viel. Und es ist mir sowieso lieber, ein bisschen Freiraum zu haben. Ich glaube, deshalb ist unser Verhältnis auch anders als das gewöhnlicher Jugendlicher zu ihren Eltern.Ich bin in meinem Zimmer. Alles voller Leinwände und Bücher. Meine beiden großen Leidenschaften. Ich weiß, dass nicht viele siebzehnjährige Jungs malen und lesen, aber ich bin einfach anders. Und das ist gut so. Zu meinem Glück kann ich sagen, dass meine Eigenarten nichts an meinem
Beliebtheitsgrad ändern. Ich erwecke schon immer großes Interesse bei Frauen, was mit Sicherheit zum Großteil an meinem Aussehen liegt. Denn nur weil ich viel lese und male heißt das nicht, dass ich nicht auch auf mein Äußeres achte. Ich gehe regelmäßig jogggen und auch ab und zu mal ins Fitnessstudio. So halte ich mich fit. Aber übertrieben eingebildet bin ich auch nicht. Es ist einfach schön, einen ansehnlichen Körper zu haben.
Ich sehe an mir herunter. Mein Vater hat Recht, ich sollte mich wirklich frisch machen. Ich habe anscheinend ein bisschen zu ausgiebig mit Charlie herumgetobt. Meine Jeans sind mit Schlamm bespritzt und mein T-Shirt verschwitzt. Der Kampf mit Charlie, von Kathleen abzulassen, hat seine Spuren hinterlassen.
Wenn er will, kann er ziemlich eigensinnig sein. Und es ist nicht unbedingt einfach, einen Rottweiler von etwas abzuhalten, was er wirklich will.
Um vor dem Abendessen noch rechtzeitig fertig zu werden, muss ich mich ein bisschen beeilen. Da wir zwei Badezimmer haben, kann ich auch duschen gehen. Das eine Zimmer ist ja von Kathleen belegt. Also gehe ich in mein Zimmer, nehme meine Sachen und gehe unter die Dusche.

Ich habe mich fertig gemacht und sogar schon das Kennenlernen mit Stephan ein wenig überwunden. Vincent meinte ja, er würde mich zum Abendessen holen lassen, aber jetzt bin ich schon fünf Minuten zu spät dran. Ob ich wohl schon alleine losgehen soll? Ich habe ein bisschen angst, mich zu verlaufen, aber zu spät zum Essen zu kommen finde ich auch nicht besonders toll.
Also mache ich mich auf den Weg. Hmm, wo könnte der Speisesaal sein? In der Küche wird hier ja bestimmt nicht gegessen. Bis in die Eingangshalle schaffe ich es, aber dann weiß ich nicht mehr weiter. Ich sehe mich um und entdecke vier Türen. Ich gehe also zur ersten und schaue hinein. Das sieht nicht nach einem Speisesaal sondern eher nach einem Arbeitszimmer aus. Okay, also die nächste Tür. Jetzt stehe ich in einer Bibliothek. Und zwar in einer ziemlich großen. Das muss ich mir später noch mal genauer ansehen. Aber ich suche lieber erst mal weiter. Als ich wieder aus der Bibliothek hinausgehe, sehe ich Stephan die Treppe hinunterkommen.
Schon wieder meine Rettung! Wird das jetzt zur Gewohnheit?! Ich gehe ihm entgegen. Was soll ich jetzt sagen? Das nimmt er mir glücklicherweise ab. 'Hey Kathleen. Du weißt bistimmt nicht, wo das Esszimmer ist, hab ich Recht?!' Ich nicke ein bisschen hilflos. Er grinst. 'Na dann komm.'
Als wir zusammen im Esszimmer sitzen, weiß ich schon wieder nicht, was ich sagen soll. Habe ich bereits erwähnt, dass ich ziemlich schüchtern bin?
Wenn nicht, dann tue ich das jetzt. Also: Ich bin sehr, sehr schüchtern. Vor allem Fremden gegenüber.
'Ich habe deine Bilder in der Eingangshalle gesehen. Die sind wirklich wunderschön.' Das ist schon mal ein Anfang. Er sieht mich an. 'Naja, so besonders sind die nicht.' Nicht besonders?! Ich hoffe doch sehr, er will nur bescheiden sein. 'Das meinst du doch nicht ernst, oder?! Ich habe noch nie so schöne Bilder gesehen!' Okay, das war vielleicht ein bisschen übertrieben. Ein paar konnten da schon mithalten, aber wenn er so untertreibt... 'Ja klar', er grinst ein bisschen, 'du hast bestimmt schon mal Bessere gesehen.' 'Nein, keine Besseren. Höchstens ein paar genauso Schöne aber keine, die mir besser gefielen.' Das meine ich ernst. 'Wenn du das ernst meinst,' er schaut mich schon wieder so seltsam an, 'dann... Danke schön!' Er lächelt.
'Ich habe das nicht einfach nur so gesagt, ich habs auch wirklich so gemeint.' Ich bekräftige meinen Satz mit einem heftigen Nicken. Auf einmal öffnet sich die Tür und Vincent kommt herein.
'Die Verspätung tut mir Leid. Ich hatte noch zu arbeiten und habe die Zeit vergessen.' Kaum sitzt er auf dem Stuhl, kommen zwei Angestellte mit zwei großen Platten herein. Oh Mann, riecht das gut. Erst jetzt merke ich, wie hungrig ich bin. Sie stellen die Platten auf den Tisch und gehen wieder hinaus. Leckerer Braten mit Kartoffeln kommt zum Vorschein. Als Beilage gibt es Gemüse.
Während des Essens sind wir drei zu beschäftigt, um zu reden.
Erst als fast alles in unseren Mündern verschwunden ist und wir uns pappsatt zurücklehnen, finden wir Zeit, miteinander zu sprechen. 'Entschuldige meine schlechten Manieren, Kathleen. Ich habe euch noch gar nicht miteinander bekannt gemacht. Also das ist mein...' 'Das ist unnötig, Vincent. Wir haben uns schon kennengelernt', unterbricht ihn Stephan. 'Oh wirklich? Wie kam es denn dazu?' Vincent wirkt leicht erstaunt. 'Naja, es gab ein kleines Missgeschick mit Charlie und Stephan ist mir zu Hilfe geeilt.'
'Nachdem ich Mitverursacher des Missgeschicks war', ergänzt Stephan meine Ausführungen.'Ihr macht mich neugierig', sagt Vincent, 'Um was für ein Missgeschick handelt es sich?''Ich war mit Charlie spazieren und als wir wieder hier waren, ist er urplötzlich losgestürmt. Ich bin ihm hinterhergerannt und fand ihn dann in Kathleens Zimmer wieder...''...wo er mich auf seine Art begrüßt hat', führe ich seinen Satz fort, 'ich wollte die Bücher in meinem Zimmer betrachten und stand nahe der Tür, als mich plötzlich ein schwarzer Muskelberg umrannte. Ich lag also auf dem Rücken und Charlie hat mich abgeschleckt. Aber wirklich gründlich. Ich wollte nicht rufen, denn wer weiß, wo seine Zunge dann gelandet wäre.' Vincent Gesicht nimmt einen immer erstaunteren Ausdruck an.
Stephan lacht und erzählt weiter: 'Naja, ich habe natürlich versucht, ihr zu helfen, aber Charlie wollte nicht von ihr ablassen.'
'Begrüßt er eigentlich alle Gäste so wie mich?', will ich wissen.
'Normalerweise ist er Fremden gegenüber ziemlich misstrauisch und eigentlich hört er auch auf mich. So wie dich hat er noch niemanden begrüßt', antwortet Stephan. 'Aber weiter im Text. Wir haben dann zu zweit versucht, ihn von Kathleen runterzubekommen, was gar nicht so einfach war. Du kennst ihn ja, Vater. Irgendwann haben wir es dann geschafft. Und ja... das war eigentlich auch schon die Geschichte unseres Kennenlernens.' Vincent wirkt etwas perplex.
'So etwas hat Charlie ja noch nie gemacht. Ich bin überrascht. Am Ende machst du Christin noch ihren Platz streitig.' Christin? Wer ist Christin und warum mache ich ihr ihren Platz streitig?
Stephan bemerkt meinen fragenden Blick und sagt:
'Christin ist meine Mutter. Charlie liebt sie abgöttisch und eigentlich wird sie von ihm immer so begüßt, wenn sie mal etwas länger weg war. Apropos Christin...', Stephan fährt etwas lauter fort, '... wo ist sie eigentlich?'
'Oh ja, das habe ich vergessen zu sagen', meint Vincent, 'sie muss für einen Arbeitskollegen einspringen und ist im Moment in der Schweiz. Der Kollege ist krank geworden und sie muss seinen Part übernehmen, da es sich um ein wirklich wichtiges Geschäftsmeeting handelt.' Er richtet seine nächsten Worte an mich: 'Christin ist gelernte Maschinenbauingenieurin und muss, um die Produkte ihrer Firma vorzustellen die ganze Welt bereisen.' Daher kommt also das ganze Geld, mit dem dieser Lebensstil hier möglich ist.
'Und was arbeitest du?', frage ich Vincent. 'Oh, ich schreibe. Größtenteils über wissenschaftliche Themen. Da meine Eltern leider Gottes früh von uns gingen und sie mir ein großes Erbe hinterließen, war es für mich nie notwendig, meine Zeit durch das Ausüben eines Berufs einzuschränken. Eigentlich schreibe ich auch nur, um etwas Sinnvolles zu tun. Aber nun genug über mih geredet, ich bin an einer brisanten Stelle stecken geblieben, um die ich mich nun weiter kümmern muss. Deshalb lasst euch von mir nicht abhalten von ... was auch immer. Gute Nacht im Voraus und bis morgen früh.'
Und mit diesen Worten verabschiedet er sich und eilt zur Tür hinaus. 'Na, das war ja mal seltsam', sagt Stephan. Er schüttelt verblüfft den Kopf. Normal scheint dieses Verhalten also nicht zu sein. 'Okay, was wollen wir heute abend noch machen?' Wir? Zusammen etwas machen?
'Willst du lieber ein paar Filme sehen, unser Anwesen besichtigen...?' 'Ähm... ich weiß nicht... vielleicht... ich glaube, ein Film klingt nicht schlecht.'
'Na dann, lass uns nach oben gehen.' Er steht auf und geht voraus.







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