Blind durchs Leben

Autor: Elisabeth
veröffentlicht am: 09.01.2010




1.Kapitel

'Anke?', fragte mich meine Schwester Monika 'kannst du für mich einkaufen gehen? Du weißt ja, normalerweise würde ich dich ja nicht bitten, aber...'
'...aber in diesem Fall handelt es sich um einen Notfall!', beendete ich den Satz meiner Schwester. Ich kannte ihn schon in- und auswenig. Diese 'Notfälle' gab es ungefähr jede zweite Woche.
'Hast du schon eine Liste geschrieben?' , fragte ich sie jetzt.
'Ja, hab ich und sogar noch ein zweites mal, du weißt schon, falls du Hilfe brauchst!''Jaja, ich bin ja bloß 16 und kann seit einem halben Jahr perfekt Brailleschrift lesen, wieso musst du es denn nocheinmal schreiben? Das ist so peinlich!'
Obwohl eigentlich gab es sogar noch peinlichere Erlebnisse. Als ich noch nicht die Blindenschrift lesen konnte musste ich entweder eine Liste meiner Schwester zu einer Verkäuferin geben oder sie sprach alles auf ein Diktiergerät und ich hörte mir dann die Liste im Supermarkt an und ging dann von Regal zu Regal und nervte dann die Verkäuferinnen oder auch andere Kunden, welches das richtige Produkt ist.
Eigentlich liebte ich es einkaufen zu gehen, aber seit dem Unfall vor drei Jahren konnte ich nicht mehr sehen und so wurde für mich alles sehr viel komplizierter.
Einfache Dinge wie die Spülmaschine ausräumen oder auch bloß Klamotten anziehen wurden für mich jedes Mal zu einer kleinen Herausforderung.
Ist euch schonmal aufgefallen, wie leicht man vorne und hinten vertauschen kann?
Das leichteste sind die Socken und die Jeans. Die Socken, weil es da egal ist, welche man an welchem Fuß anhat und die Jeans, weil die einen Verschluss vorne dran hat.
Aber Dinge, wie den BH schließen oder die Schuhe binden...das ist echt anstrengend.Mit der Zeit habe ich mich schon daran gewöhnt und jetzt geht das auch alles schon viel schneller im Vergleich zu der Zeit nach dem Unfall.
Ich wohnte mittlerweile mit meiner Schwester in einer Wohnung. Wir zogen hier ein vor einem Jahr. Es ist nicht so, dass wir unsere Mutter nicht lieben, aber seit dem Unfall und seitdem Peter tot war und ich blind war, stritten wir uns nur noch mit unserer Mutter und sie kam auch überhaupt nicht mit meiner Behinderung klar und dachte, dass ich zu verwöhnt sei, wenn ich mal Hilfe bei etwas brauchte. Dabei habe ich immer mein Bestes gegeben und bin an meine Grenzen gegangen, als ich lernte mit meiner Behinderung umzugehen.'Anke??'
'Jaja, Monika, ich gehe ja schon!'
Ich schnappte mir Max, meinen Hund, und meine Tasche und dann ging ich den bekannten Weg zur Wohnungstür.
'Pass auf dich auf!', rief Monika, kurz bevor ich die Tür schloss.
'Aber immer doch', murmelte ich mehr als das ich es sagte.
Max zog an der Leine und führte mich zu der Tür von dem Appartementhaus. Ich tastete nach dem Türknauf und öffnete die Tür.
Den Weg zum Supermarkt wusste ich auswendig. Vorbei am Briefkasten, dann über die kleine Brücke, die Bäckerei und dann die Kreuzung. Die Kreuzung bereitete mir die größten Probleme.
In meiner Stadt gab es zwar blindenfreundliche Ampeln, die einen Ton machen, wenn grün ist, aber es war keine Garantie für mich, dass die Autos stehen blieben.
Normalerweise blieb ich immer ein paar Sekunden nach dem Ton stehen und wartete, bis ich kein Auto mehr fahren hörte. Dann ging ich immer ziemlich schnell über die Straße.Nach der Kreuzung kam noch der Frisör und dann war da auch schon der Supermarkt.Im Supermarkt roch es nach Obst und Fleisch und, wenn man in dem Bereich war, nach Spülmittel.
Ich tastete nach dem Zettel meiner Schwester in meiner Tasche.
Als ich ihn gefunden hatte, begann ich zu lesen.
Als erstes musste ich zum Obst. Bananen, Äpfel und Birnen. Die Sachen waren schnell gefunden. Danach gehts weiter zum Brot. Welche Sorte war wo? Ich hatte keine Ahnung mehr. Ich musste nachfragen. Das jedoch tat ich immer erst am Schluss, da ich normalerweise mehrere Sachen nicht fand oder nicht wusste.
Bei der Fleisch - und Wursttheke bediente mich eine nette Frau. Sie gab sogar Max ein Stück Wurst. Dieser legte sich daraufhin direkt auf meine Füße und fing genüsslich an zu schmatzen.
Ich musste lächeln und die nette Frau find auch an zu lachen.
An der Kasse fragte ich die Verkäuferin dann nach dem Drei-Korn-Brot, das meine Schwester so gerne ist - mir beiben die Körner immer zwischen den Zähnen stecken, deshalb mag ich es nicht - und nach der Zeitschrift für junge Erwachsene.
Wieder zurück, scannt sie alles ein und sagt mir dann, wie viel ich zahlen muss.
Nachdem ich gezahlt habe ziehe ich Max - immer noch schmatzend - aus dem Supermarkt und steuere den Spielplatz an.
Dort setzte ich mich auf die Schaukel und fing an vor und zurück zu schaukeln.
Meine Gedanken schweiften ab. Noch drei Tage bevor die Schule wieder anfing. Nach drei Jahren das erste Mal wieder in die Schule gehen, Freunde haben, all das, was ich in den letzten Jahren verpasst habe, aufholen. Ich saß nicht jeden Tag vor dem Fernseher und habe nichts gemacht, wie viele vielleicht denken, ich habe viel getan, ich lernte denselben Stoff, den die anderen in meinem Alter lernten, und gleichzeitig musste ich mein neues Leben managen. Nicht mehr sehen zu können ist schwerer as manche denken. Besonders wenn man sich die Dinge vorstellen muss, wie zum Bei -
'Hallo?'
Ein Jungenstimme, rechts von mir. Mittlerweile war ich schon gut daran solche Dinge schnell zu erfassen.
Ich drehte meinen Kopf zu der rechten Seite und schaute nach oben.
'Hi', sagte ich, da ich nicht wusste, wer vor mir stand oder wie ich reagieren sollte.
Danach schaukelte ich einfach weiter.
Doch der Junge neben mir ging nicht weg.
'Willst du vielleicht auf die Schaukel?', fragte ich ihn.
Ich fand es nervig, wenn Leute etwas von mir wollen, aber es einfach nicht sagen und dann von mir erwarten, dass ich es in ihren Augen ablese, was ja wunderbar klappt bei mir.Anke, sagte ich mir, hör auf so zynisch zu sein, weder dieser Junge noch du kannst etwas dafür, dass du nichts sehen kannst.
'Ja' war seine Antwort.
Wortlos erhob ich mich, nahm Maxs Leine und ging wieder nach Hause.


Fortsetzung folgt, falls ihr es wollt :)







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