Die Suche

Autor: _Manu_
veröffentlicht am: 04.10.2009




Gelangweilt sah ich aus meinem Fenster und drückte die Stirn gegen das Fliegengitter, das übrigens gar nichts half. Die blöden Tiere kamen trotzdem jeden Abend aufs Neue um mich zu nerven. Unser Haus lag im Erdgeschoss, weswegen ich einen guten Blick auf den Hof hatte. Eigentlich war dort immer was los. Da in unserem Haus nur Familien mit Kindern wohnten war das kein Wunder. Aber heute hatte das Ferienlager angefangen und die meisten waren natürlich mitgefahren. Alle bis auf mich. Nicht das ich nicht gewollt hätte. Aber in unserer Familie lief so einiges schief und ich wollte meine Mutter nicht noch unnötig mit Geldsorgen belasten. Mein Vater lebte nicht mehr bei uns, er war eines Tages einfach verschwunden gewesen und keiner wusste wo er war. Meine Mutter arbeitete als Kellnerin aber das Geld reichte vorne und hinten nicht. Ich hatte noch zwei kleine Geschwister die auch versorgt werden wollten. Da musste ich umso öfter zurück stecken. Und genau deswegen war ich nicht mitgekommen. Meine Mutter musste ja arbeiten und konnte deswegen nicht auf meine kleine Schwester Luise aufpassen. Sie ist erst zwei Jahre alt und kann deswegen nicht alleine gelassen werden. Und so kam es das ich daheim geblieben bin und Lizzi fahren durfte. Sie ist meine andere Schwester. Und jetzt saß ich daheim und wusste nicht was ich machen sollte. In diesem Moment wurde ich in meinem Gedankengang unterbrochen. Luise kam herein und zupfte an meiner Hose.
'Nathi, ich nass!'
Eigentlich heiße ich Nathan aber sie konnte den Namen noch nicht richtig ausprechen. Mit einem Seufzer stieß ich mich vom Fenster ab und ging mit ihr ins Bad. Ich liebe meine kleine Schwester aber man kann nicht sagen dass ich es liebe wenn ich ihre Windeln wechseln muss. Und genau das passiert leider ziemlich oft. Schnell brachte ich dieses schöne Erlebnis hinter mich und atmete auf. Jetzt war es schon drei Uhr. In etwa einer Stunde würde meine Mutter endlich heimkommen und sich dann selbst um Luise kümmern. Bis dahin müsste ich es eben noch aushalten. Genau in diesem Moment fiel mir ein das ich ja noch die Wäsche machen musste…Mist! Schnell nahm ich Luise auf den Arm und ging mit ihr in den Keller. In unserer Wohnung war leider kein Platz mehr für die Waschmaschine gewesen und deswegen hatten wir sie in den Keller gestellt. Zu meinem Leidwesen…ich musste nämlich die Wäsche in unserer Familie machen und deswegen ziemlich oft da runter. Aber ich wollte mich nicht beschweren, schließlich musste meine Mutter auch genug machen und es tat ihr sicher nicht gut wenn ich dauernd noch motzte. Ich hatte eigentlich viel Angst um meine Mutter. Sie hatte es nie richtig verkraftet, dass mein Vater auf einmal verschwunden war. Wenn ich ehrlich bin ich auch nicht. Meine kleinen Schwestern hatten es da besser. Sie konnten sich nicht mehr wirklich an meinen Vater erinnern aber ich dafür umso mehr. Er hatte oft Sachen mit mir unternommen und ich vermisste ihn eigentlich schon sehr. Ich merkte wie mir Tränen in die Augen stiegen. Ich versuchte sie zu unterdrücken, meine kleine Schwester sollte es nicht mitbekommen wenn ich weinte. Zum Glück interessierte sie sich nur für den alten Teddy der mal mir gehört hatte. Wir hatten ihn schon lange weggeben wollen aber da Luise ihn so liebte blieb er doch da. Er lehnte hier unten an der Wand und wie immer rannte sie sofort zu ihm und gab ihm einen Kuss. Dann tat sie so, als ob der Teddy ihr einen Kuss zurück gab. Dieses Spiel liebte sie. Das einzigste was mich manchmal störte war das jetzt gleich mein Part kam. Und wirklich ich hatte noch nicht mal die Waschmaschine ausstellen können da kam sie schon mit dem Teddy an.
'Nathi, du auch Kuss!'
Lachend beugte ich mich herunter und gab dem Teddy einen Kuss. Dann gab er mir auch einen und ich machte schnell weiter bevor sie sich noch etwas Neues einfallen ließ. Das passierte nämlich sehr oft. Gerade als ich die Wäsche in den Trockner getan hatte kam sie schon an.
'Nathi, du tanzen mit Teddy und mich!'
Ich musste lächeln. Einmal weil sie immer noch Probleme damit hatte mir zu sagen und einmal weil ich mir zumindest das Tanzen selbst eingebrockt hatte. Erst letzte Woche hatte ich Luise in der Luft herumgewirbelt und für sie war das eine Art Tanz. Aber da ihr heißgeliebter Teddy nicht hatte mittanzen können hatte ich ihr versprochen dass wir auch mal mit ihm tanzen. Und sie hatte ein sehr gutes Gedächtnis. Also nahm ich beide auf den Arm und wirbelte sie in der Luft herum. Nach einiger Zeit machte es auch mir Spaß und wir lachten beide um die Wette. Ja, so sehr meine kleine Schwester auch nervte, in solchen Momenten musste man sie einfach lieben. Trotzdem hörte ich schon bald wieder auf den sie sollte ja keinen Drehwurm bekommen. Aber kaum hatte ich sie wieder auf den Boden gestellt torkelte sie ein paar Schritte und fiel dann auf ihren Hosenboden. Verdutzt sah sie mich an. Ich fing an zu lachen. Sie sah einfach süß aus. Ihre blonden Locken fielen ihr ins Gesicht, ihre grünen Augen strahlten mich an. Glücklich nahm ich sie auf den Arm und küsste sie.'Teddy auch Kuss, Teddy auch.'
Lachend gab ich dem Teddy auch einen Kuss und setzte ihn dann wieder in die Ecke.'So, Teddy muss jetzt wieder schlafen weißt du. Er ist jetzt ganz müde geworden von dem vielen Tanzen und er muss sich jetzt ausruhen.'
Traurig sah Luise mich an.
'Nein. Teddy nicht schlafen. Teddy wach bleiben.'
'Tut mir leid kleine aber ist jetzt ganz erschöpft, siehst du?'
Ich zeigte auf den Teddy. Er sah genauso aus wie immer. Seine Augen sahen ins Leere und die verwaschene Hose sah auch so aus wie die ganzen Tag vorher. Aber Luise stimmte mir zu.
'Ja, Teddy müde. Er müssen schlafen Nathi oder?'
'Ja genau er muss sich jetzt ausruhen und Schlafen damit er nächstes Mal wieder fit ist, wenn wir kommen.'
'Er nicht frieren oder?'vDas fragte sie jedes Mal. Auch jetzt musste ich wieder lachen. Wie sehr sie sich um Tiere kümmerte, auch wenn es nur Kuscheltiere sind, rührte mich jedes Mal aufs Neue.
'Nein er friert nicht. Siehst du er hat ja ein Fell und das wärmt ihn.'
Freudig sah sie mich an und dann erschrocken.
'Wir leise sein! Teddy nicht schlafen können!'
Sie stellte sich hinter mich und schob mich aus dem Keller heraus. Erst als wir wieder oben in der Wohnung waren ließ sie von mir ab.
'So. Jetzt Teddy schlafen.'
Sie lächelte mich überglücklich an und ging dann in Ihr Zimmer das sie sich noch mit Lizzi teilte. Unsere Wohnung war ziemlich klein. Aber etwas Größeres konnten wir uns einfach nicht leisten. Meine Mutter selbst schlief jeden Abend auf der Couch. Ich war der einzigste der ein eigenes Zimmer hatte. Es war nicht groß, aber besser als nichts. Um nicht untätig zu sein sah ich schnell noch mal nach Luise. Da sie schön spielte ließ ich sie allein und ging in die Küche. Ich konnte zwar nicht viel kochen aber Nudeln mit Soße bekam ich hin. Also setzte ich Wasser auf und sah nach wie viel Nudeln wir noch hatten. Es war Ende des Monats und das Geld war knapp. Zum Glück hatten wir noch eine halbe Tüte da. Als das Wasser kochte tat ich die Nudeln ins Wasser und fing mit der Soße an. Eigentlich war die Soße die wir hatten eklig aber sie war eine der billigsten die es gab. Nur deswegen hatten wir sie. Ich wollte gerade den Tisch decken als unser Telefon klingelte.
'Hier bei Kerns, hallo?'
'Oh hallo Schatz gut das du da bist. Hör zu ich muss heute länger arbeiten und komm deswegen erst spät heim. Aber ess doch bitte schon mal allein und bring Luise dann ins Bett. Es tut mir wirklich leid.'
'Oh…ja okay. Das macht nichts. Musst dir keine Sorgen machen, das wird schon.'
'Danke Schatz. Ich hab dich lieb!'
'Ja kein Problem Mum, ich dich auch.'
Schnell legte ich auf und setzte mich auf einen Stuhl. Ich war wütend. Ich wusste genau dass sie nicht arbeiten musste sondern wieder zu diesem Kerl ging...! Ich konnte einfach nicht verstehen dass sie sich mit diesem Kerl abgab! Er war richtig widerlich! Und sie liebte ihn nicht einmal, das wusste ich. Aber er gab ihr Geld wenn sie mit ihm schlief…jedes Mal wenn sie nach solchen Abenden heim kam weinte sie. Also warum tat sie sich das noch an?Wie immer blieben meine Fragen unbeantwortet. Um mich abzulenken holte ich Luise und aß mit ihr alleine. Natürlich war auch sie traurig das Mum nicht heim kam. Aber ich konnte ja auch nichts machen. Nach dem Essen räumte ich auf und wusste nicht was ich danach machen sollte. Also fragte ich Luise, ob sie noch mal mit mir auf den Spielplatz wolle. Natürlich sagte sie gleich zu.
'Jaaaa. Pielplatz, Pielplatz.'
Sie hüpfte aufgeregt auf und ab. Ich lachte schon wieder.
'Also gut kleine. Aber ich muss dich erst anziehen.'
Schnell holte ich ihre dünne Sommerjacke und ihre Sandalen. Danach zog ich noch schnell meine Schuhe an und los ging es. Der Spielplatz war nicht weit entfernt. Nach 10 Minuten Fußmarsch waren wir angekommen. Wie immer war hier keine Menschenseele. Mich verwunderte es immer wieder. Schließlich gab es hier eine Rutsche, einen Sandkasten, eine Wippe, ein Klettergerüst, eine Schaukel und sogar einen Parkuhr. Okay, es war alles schon etwas älter aber es reichte aus. Luise rannte sofort zur Rutsche. Sie liebte sie über alles und es freute mich jedes Mal dass sie sich so gut beschäftigen konnte. Da sie glücklich war und so schön spielte setzte ich mich auf eine Bank und ging meinen eigenen Beschäftigungen nach. Es kam mir wieder das Gespräch mit meiner Mutter in den Sinn. Ich war immer noch wütend. Wie konnte sie sich nur auf so ein Niveau herunter lassen? Gut, wir hatten wenig Geld, sehr wenig, aber deswegen musste sie doch nicht ihren Körper verkaufen. Und das noch an so einen Widerling! Langsam bemerkte ich einen Druck in meinem Kopf. Nicht auch noch Kopfschmerzen…! Wie viel hatte ich heute getrunken? Ich konnte mich nicht mehr erinnern. Aber sie wurden immer stärker! So leid es mir auch für Luise tat, aber wir mussten heim. Ich konnte so nicht auf sie aufpassen. Gerade als ich aufstehen wollte fingen die Kopfschmerzen erst richtig an! So schlimm waren sie noch nie gewesen. Hoffentlich hatte ich mir kein Supervirus eingefangen. Ich hielt mir meine Hände an den Kopf. Was war bloß los? Mühsam stand ich auf und sah mich um. Luise…? Wo war Luise? Ich konnte mich kaum konzentrieren. Wo war sie…?
'Luise?...Luuise?'
Endlich sah ich sie. Sie saß unter der Rutsche und redete mit Personen…oder irrte ich mich etwa…?
Ich konnte nur noch mühsam denken. Die Kopfschmerzen beherrschten mich. Schließlich gab ich es auf. Ich setzte mich mitten auf den Boden, besser gesagt ich fiel fast um und kauerte mich zusammen. Ich wünschte mir, sie sollten aufhören…ich konnte nicht mehr! Ich weiß nicht genau was dann passierte aber auf einmal waren sie wieder verschwunden.
Genau so schnell wie sie gekommen waren. Am Anfang merkte ich gar nicht dass es mir besser ging. Die plötzliche Leere in meinem Kopf tat so gut dass ich eine Weile liegen blieb bevor ich realisierte dass es vorbei war. Ich setzte mich langsam auf und sah mich um. Es war mittlerweile schon Nacht geworden und ziemlich frisch. Meine ersten Gedanken galten sofort Luise. Sie müsste schon längst im Bett liegen! Schnell stand ich auf und versuchte im spärlichen Licht der Straßenlaterne etwas zu erkennen. Aber sie war nirgendwo zu sehen. Ich bekam Panik…! Ich suchte den ganzen Spielplatz ab aber sie war verschwunden. Verzweifelt rief ich immer und immer wieder ihren Namen aber sie war weg. Ich ohrfeigte mich selber für meine Dummheit, ich hätte mehr trinken sollen, dann hätte ich keine Kopfschmerzen bekommen und ich hätte auf sie aufpassen können. Immer noch rief ich ihren Namen aber niemand antwortete mir. Ich setzte mich auf eine Bank und merkte wie mir einzelne Tränen die Backen runter liefen. Wo war sie nur? Luise…immer und immer wieder flüsterte ich ihren Namen. Doch egal was ich tat,egal wie lange ich wartete, sie blieb verschwunden.







Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz