Such mich im Meer

Autor: Jeany 11
veröffentlicht am: 01.06.2009




'Das Meer sieht so friedlich aus - auf den ersten Blick.
Wie behutsam das Wasser doch den Strand streichelt.
Das Rauschen der Wellen - so beruhigend, als wolle es einen zärtlich in den Schlaf singen.

Doch schaut man näher hin - schaut man genau hin, erkennt man die Ungewissheit, die ungewisse Weite, die ungewisse Tiefe, welche das Meer birgt.
Eine Tiefe, die dich verschlingen kann, die dich lockt mit behutsamen und rauschenden Wellen, die dich lockt mit dem Verlangen nach Freiheit und Aufbruch und dich dann ertränkt..'


'Hallo, mein Name ist Haily! Ich bin eine Frau mittleren Alters, ich habe zwei Kinder. Söhne. Sie gehen schon in die Schule.' - 'Erzählen Sie weiter, erzählen sie mir von ihrem Mann.' - 'Mein Mann? .. Mein Mann ist ein guter Mann. Er arbeitet hart und viel, damit es uns gut geht. Er arbeitet hart und viel, damit wir in unserem schicken Haus in unserem schicken Ort wohnen können. Damit wir unseren schicken Benz vor der Türe haben und ich nur die besten Kleider und Schuhe tragen darf. Er arbeitet hart und viel, damit meine Söhne all das bekommen, was sie sich wünschen. Es soll kein Wunsch unerfüllt bleiben.. kein Wunsch darf im Keim erstickt werden, bei meinem Mann. Was wir wollen, das bekommen wir.. was er glaubt, was wir wollen, bekommen wir!' - 'Sie sagen 'was er glaubt, was Sie wollen', was wollen Sie denn?' - 'Was ich will? Was ich wirklich will? Ich wusste es mal.. damals als wir geheiratet haben wusste ich, dass ich ihn will. Das ich mit ihm ein gemeinsames Leben aufbauen will. Mit Kindern, mit einem Haus, vielleicht einem Hund.. Jetzt schaue ich auf mein Leben, mit Kindern, einem Haus und ja, natürlich haben wir auch einen Hund, all das sehe ich, all das habe ich mir gewünscht, doch etwas Entscheidendes blieb auf der Strecke: Gemeinsamkeit. Wir führen ein Leben, aber kein Gemeinsames mehr. Man muss Prioritäten setzen, sagt mein Mann, entweder das eine oder das andere. Beides geht nicht immer. Und wir könnten schließlich nicht ein solches sorgenfreies Leben führen, wenn er nicht dafür rund um die Uhr arbeiten würde.' - 'Sind Sie glücklich, Haily?' - 'Glücklich? Sollte ich es nicht sein? Ich habe doch alles was ich brauche, oder nicht? Mein Benz steht vor der Türe, meinen Söhnen geht es gut, ich trage ein Kleid von Calvin Klein und wenn ich wollte, könnte ich mir jetzt gleich ein Neues kaufen.
Ich werde gleich nach Hause fahren in mein schickes Haus, in meinem schicken Ort.. vielleicht werde ich vorher noch bei meinen guten Freundinnen vorbei schauen, die ebenfalls in unserem schicken Ort in schicken Häusern wohnen, es sei denn, ich interessiere mich heute nicht brennend für die neusten Gerüchte aus der Nachbarschaft, oder ich interessiere mich heute nicht dafür, wie der neue Poolboy meiner Freundin Multiple Orgasmen mit seiner Zunge bescheren kann.. was ihr Mann schon lange nicht mehr hinbekommt, weil seine Zunge schon lange nicht mehr den Weg unter ihren Rock gefunden hat, da er dafür sorgen muss, das der Rock nicht aus irgendeiner Boutique gekauft werden muss, und das der Rock in einer Villa mit Pool getragen werden kann, mit einem Pool, für den man einen Poolboy einstellen kann, der einem dann, statt dem Mann, die Orgasmen beschert..
Also, wieso, frage ich Sie, sollte ich nicht glücklich sein? Ich habe doch alles, was ich brauche..'

'Hallo Schatz, wie war dein Tag?', er legt, wie jede Nacht seinen Schlüssel in die Schale auf dem Schrank neben der Türe. Wie jede Nacht stehe ich mit einem Nachthemd bekleidet im Flur, mit einem Glas Wasser in meiner Hand. Wie jede Nacht bin ich aus dem Bett aufgestanden, als ich sein Auto hörte. Wie jede Nacht, stehe ich da, in Nachthemd, mit einem Glas Wasser in meiner Hand, weil ich seine Ehefrau bin, weil ich glaube, ihn deswegen an der Türe begrüßen zu müssen, wie Ehefrauen das eben tun.
Und natürlich steht auch ein Teller mit Essen in der Küche bereit, den er sich in der Mikrowelle warm macht, wie jede Nacht.
Er setzt sich, wie jede Nacht, an unseren Esstisch, an dem meine Söhne und ich fünf Stunden zuvor gemeinsam zu Abend gegessen haben.
'Mein Tag war schön!', sage ich zu ihm, wie ich es immer sage, 'Wie war deiner?'. 'Gut! Erfolgreich, mein Schatz!', sagt er, kaut das Essen, und grinst so selbstzufrieden.
Ich trinke ein Schluck aus meinem Glas Wasser und stelle es in das Spülbecken. Ohne ihn anzusehen, mit dem Rücken zu ihm gekehrt, weil ich sein Grinsen nicht sehe will, höre ich mich sagen:'Das freut mich für dich!', doch was ich denke, hat recht wenig damit zutun.

Ich spüre, wie er plötzlich hinter mit steht. Sein Körper so nah an Meinem ist fast ungewohnt und es erschüttert mich, fast unangenehm. Er legt seine Hand auf meine Hüfte und küsst mich im Nacken: 'Haily, das kann dich auch für dich freuen, mein Schatz! Wie wär's? Habt ihr nicht Lust bald mal wieder für eine Woche in Urlaub zu fliegen? Ich würde mich freuen, wenn du dich mal wieder was entspannen könntest! Du darfst dir aussuchen wohin du willst! Nichts ist zu teuer, mein Schatz!'.

Ich starre aus dem Fenster, in den Garten unserer Nachbarn. Es widert mich an, wie er mich berührt, es widert mich an, wie er mit mir spricht. 'Du bist so gut zu uns!', sage ich. Drehe mich um, wende mich ihm zu, lege meine Arme um seinen Hals und gebe ihm einen Kuss, wie es eine Ehefrau eben tut.







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