Auf und Ab

Autor: Principessa
veröffentlicht am: 21.05.2009




Ich schreckte aus dem Schlaf. Mein erster Blick fiel auf die Leuchtanzeige meines Weckers. Was? Erst sechs Uhr? Ich musste erst um halb sieben aufstehen! Dieser verdammte Husten hatte mich um eine halbe Stunde meines heiligen Schlafes betrogen! Kaum hatte ich das gedacht, als ich auch schon wieder einen Anfall bekam und das Gefühl hatte, mir den Magen aus dem Leib zu husten. Da ich ja sowieso nicht mehr einschlafen konnte, stand ich auf. Schlaftrunken tapste ich ins Bad. Als ich das Licht anknipste und mich im Spiegel betrachtete, wäre ich am liebsten wieder unter die Decke gekrochen. So sah ich auch aus. Die Haare standen mir wie Draht vom Kopf ab, meine Augen waren verklebt und öffneten sich gerade mal einen Spalt breit und von den Ringen darunter wollte ich gar nicht erst sprechen.'Selber Schuld!', schalt ich mich. Warum musste ich dieses blöde Buch für die Schule auch erst gestern um elf lesen? Na ja, es war aber auch fürchterlich langweilig und deshalb hatte ich es so lange vor mir her geschoben.
Ich wusch mir das Gesicht und band mir die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen.In meinem Zimmer streifte ich mir ein hochgeschlossenes T-Shirt und einen Pullover über und schlang mir den schwarzen Schal um den Hals.
Unten in der Küche zwang ich mich, ein paar Cornflakes in mich hinein zu stecken. Hoffentlich konnte ich sie für mich behalten. Beim Schlucken brannte mir der ganze Hals und ich konnte jede einzelne meiner Luft- und Speiseröhre spüren. Warum ging ich eigentlich in diesem Zustand zur Schule? Ich wusste genau, weshalb. Erstens wegen meiner allerallerbesten Freundin Jessica und zweitens wegen einem ganz bestimmten Jungen aus meiner Klasse. Dieser ganz bestimmte Junge hörte auf den klangvollen Namen Flavio und hatte die absolut schönsten Augen des Universums! Ausserdem hatte er wunderschöne blonde Haare und ein umwerfendes Lächeln. Eigentlich war alles an ihm schön.Ich merkte, dass ich, während ich meinen Gedanken nachhing, so lange in den Cornflakes herumgemantscht hatte, dass sie jetzt aussahen, als kämen sie frisch aus meinen Magen. Eklig!
Ich stellte die Schüssel ins Spülbecken und ging mir die Zähne putzen.
Als ich auf die Uhr schaute, war es trotz meines frühen Aufstehens bereits sieben Uhr. Meine Mädels erwartete mich bereits vor unserer Haustür. Ich winkte sie herein und band mir gleichzeitig schnell die Turnschuhe zu.
Jessica fuhr sich dauernd nervös in den Haaren herum.
'O Gott! Ich sehe sicher völlig daneben aus! Sag, dass das nicht wahr ist! Warum sehe ich nur so scheisse aus?'
Ich schmunzelte und betrachtete sie. Sie war einfach süss!
'Schätzchen, du siehst toll aus! Leo wird umkippen, wenn er dich so sieht!'
'Ja weil er noch nie ein hässlicheres Monster gesehen hat!', erwiderte sie.
'Zeig mal. Hast du die Haare geschnitten?', fragte jetzt Noemi.
In diesem Moment begann Jessica zu husten. Und konnte fast nicht mehr aufhören.'Tschuldigung!', röchelte sie.
Wir machten uns auf den Weg. Es nieselte. Ich betrachtete die graue verhangene Welt. Das Wetter entsprach exakt meiner Stimmung. Ich rief mir wieder einmal ins Bewusstsein, dass Flavio kein, aber wirklich kein Interesse an mir hatte und ich bis ans Ende meiner Tage Single bleiben werde. Glaubte ich jedenfalls. Jessica war etwas anderer Meinung.
In einem unbeobachteten Moment stupste ich sie in die Seite, hustete ihr leise ins Ohr und wisperte: 'Seelenverwandte!'
Sie grinste.

In der Schule warteten wir vergeblich auf Annik. Sie kam wohl wieder einmal knapp.Langsam und unter stetigem Husten schlenderten wir ins Biozimmer. Noemi schüttelte nur den Kopf über unsere Husttiraden.
Vor dem Zimmer trafen wir auf Annik.
Sie musterte Jessica und meinte: 'Chic.'
Jess strahlte.
Unser Lehrer, Herr Bet, traf wie immer eine Minute zu spät ein, grüsste uns gutgelaunt und schloss die Tür auf. Wir schlurften langsam an unsere Plätze. Herr Bet begann zu sprechen. Und wenn er einmal angefangen hatte, konnte ihn praktisch nichts mehr aufhalten. Er verlor sich in irgendwelchen unwichtigen Sachen und langweilte uns mit Physik. Zum Glück hatten wir den nur im Zusatzunterricht! Das war der Vorteil. Der Nachteil: Flavio besuchte diesen blöden Zusatzunterricht nicht. Weil er nicht ins Gymnasium wollte.
Ich grinste zu Jess rüber. Wie auf Kommando begannen wir beide zu husten. Herr Bet fuhr unbeirrt fort. Doch bei der ungefähr fünfzigsten Unterbrechung von unserer Seite, schaute er irritiert auf.
Jess kritzelte etwas auf mein Pult. Wir begannen zu schreiben.
Irgendwann, keine Ahnung wie wir die Stunde überstanden hatten, klingelte es. Jess verliess käsebleich das Zimmer, stürmte durch den Regen in unseren Track und stürzte in die Toilette. Ich folgte ihr. Gemeinsam husteten wir uns halbtot. Als Annik und Noemi besorgt nach uns schauten, hingen wir beide über den Kloschüsseln. Beide hatten wir uns übergeben.'Carina! Jess!'
'Keine Panik! Ich kotze nur gerne in Schulwcs!', beruhigte sie Jess und spielte damit auf ein Ereignis vor ein paar Monaten an, als sie sich bereits einmal hier übergeben hatte.Ich fühlte mich nicht halb so gut, wie sie zu spielen versuchte.
'Ihr solltet nach Hause gehen! Wirklich!', meinte Noemi streng und klatschte uns Wasser ins Gesicht.
'Wascht euch und dann geht!', befahl Annik.
Wir nickten ergeben.
Als wir aus der Toilette kamen, wurde die Tür aufgestossen und Leo, Flavio, Marc und Mirko traten ein. Als sie uns sahen, blieben sie stehen.
'Hey Carina! Was ist los? Gehts dir nicht gut?', fragte Flavio mich.
Ich war überrascht, dass er mich ansprach und nickte deshalb nur mit dem Kopf. Annik und Noemi erzählten ihnen kurz, was vorgefallen war.
'Was macht ihr nur für Sachen!', meinte Leo kopfschüttelnd und zwinkerte Jess zu, 'Hast du die Haare geschnitten? Sieht toll aus!'
Jess wurde knallrot.
'Sollen Leo und ich euch zwei heimfahren? Ich glaube, so könnt ihr nicht alleine gehen, das wäre zu gefährlich. Am Schluss müssen wir euch von der Strasse kratzen. Darauf verzichte ich gerne!', sagte Flavio.
Ich druckste herum. 'Das geht nicht. Bei mir ist niemand zuhause und bei Jess auch nicht. Ich glaube, wir bleiben!'
'Du spinnst!', brauste er auf, 'Dann bringen wir euch eben zu mir! So könnt ihr nicht bleiben! Auf keinen Fall!'
'Nein, nein und nochmals...'
'Natürlich Flavio, das ist die Idee! So machen wirs! Also los Mädels, ab mit euch! Wir melden euch bei Frau Geize ab. Gute Besserung!', unterbrach mich Noemi, nahm uns beide in den Arm und verschwand mit Annik im Klassenzimmer.
Wie bestellt und nicht abgeholt stand ich da. Jess dackelte brav hinter Leo her.Jemand fasste mich leicht am Arm. 'Hey, jetzt komm schon. So ist es besser. Für dich und für mich. Ich möchte dich nicht leiden sehen. Na komm.' Vorsichtig führte er mich die Stufen hinunter und hielt mir die Tür auf.

Ich konnte es nicht glauben! Ich sass hinter Flavio auf seinem Roller und hielt ihn fest umschlungen. Der Wind peitschte mir das Gesicht und ich war so abgelenkt, dass ich nicht einmal mehr husten konnte. Ich spürte seine Wärme und fühlte mich absolut sicher. Die Tatsache, dass meine Eltern den Kopfstand machen würden, wenn sie das wüssten, interessierte mich zurzeit überhaupt nicht. Vor uns fuhren Leo und hinten drauf Jess. Sie lachte.
Flavio bog in einen Weg ein und hielt vor seinem Haus, an welches ich mich vage erinnern konnte.
'Bitte sehr die Damen! Wir laden euch schnell ab und dann müssen wir auch schon wieder fahren. Sonst könnten wir irgendeine lebensnotwendige französisch Konjugation verpassen!', witzelte er.
'Ach nee! Ich wäre wirklich gerne bei euch geblieben! Na ja, sobald die Schule aus ist, komm ich vorbei. In Ordnung?', sagte Leo und schaute dabei ausgenommen Jess an. Diese nickte freudig.
Flavio stiess die Tür auf und rief ein ungeduldiges 'Mama!' in den Flur. Seine Mutter erschien. Als sie uns alle da stehen sah, zog sie fragend eine Augenbraue hoch. Flavio erklärte ihr in kurzen Worten den Sachverhalt, gab uns High-Five und brauste auf seinem Roller davon. Leo folgte ihm.
Jess und ich sahen uns unsicher an. 'Und jetzt?', schien sie zu fragen. Bevor wir uns unnötig Gedanken darüber machen konnten, schubste uns Flavios Mutter ins Wohnzimmer und setzte uns an den Esstisch. Fröhlich plappernd schenkte sie uns heissen Kakao ein und richtete gleichzeitig ein Lager auf ihrem grossen Sofa. Wir kuschelten uns in flauschige Decken und schlürften den Kakao. Sie fragte kein einziges Mal, warum uns Flavio ausgerechnet zu sich gebracht hatte. Sie nahm uns einfach auf. Meine Füsse gruben sich in den Sofabezug. Leise tröpfelte irgendeine Entspannungsmusik auf mich ein und machte mich ganz schläfrig. Meine Hände hielten die warme Tasse eng umschlungen, an meiner Schulter döste Jess. Ihr gleichmässiger Atem wirkte kindlich, fast zerbrechlich. Zärtlich betrachtete ich sie. Seit gut neun Jahren waren wir nun befreundet. Ein Gefühl der Traurigkeit überkam mich. Bald schon würden sich unsere Wege trennen. Vielleicht für immer. An so was wollte ich gar nicht denken. Ich kniff die Augen zusammen. Das Bild verschwand und ein wunderschönes, vollkommenes Gesicht erschien. Na toll, schon wieder der! Er hatte es nicht anders gewollt, ich verlor mich in einem absolut geheimen Tagtraum. Dreimal dürft ihr raten, was wir gemacht haben! Nein, nein, so weit sind wir dann doch nicht gegangen, keine Angst.

Als ich das nächste Mal die Augen aufschlug, hatte sich der Zeiger der grossen Wanduhr bereits verdächtig nahe an die Vier geschoben. Ich begann aufgeregt an meinen Fingernägeln zu knabbern. Bald, schon sehr bald würde ich ihn wiedersehen!
'Carina, du bist wach! Endlich! Ich dachte schon, ihr wärt ins Koma gefallen! Hier trink, das ist ein Hustensirup. Schmeckt nicht wahnsinnig lecker, dafür hilft er hundertprozentig.'Flavios Mam stand in der Tür, in der einen Hand einen Löffel, in der anderen eine Flasche mit einem bräunlichen dickflüssigen Saft.
Innerlich begann ich bereits zu würgen. Igitt!
Sie stopfte mir ZWEI! Ich betone: ZWEI! Löffel davon in den Mund. Ich schluckte und hustete und brachte es irgendwie runter. Uhh, war das hässlich!
Jess neben mir blinzelte kurz und als sie sah, dass ich Medizin schlucken musste, kniff sie die Augen schnell wieder zu. Doch Flavios Mam war unerbittlich und kämpfte sich irgendwie an Jess`zusammen gepressten Lippen vorbei.
Ich klebte mit den Augen an der Uhr. Dieser doofe Zeiger rührte sich nicht von der Stelle! Jess meinte nur: 'Ich kann zaubern. Ich bin die Herrscherin über die Zeit. In wenigen Sekunden werden mehrere Minuten vergangen sein. Dreh dich zu mir!'
Ich gehorchte. Ihre grün-braunen Augen fixierten mich. Dann stürzte sie sich ohne Vorwarnung auf mich und begann mich aufs Übelste auszukitzeln. Ich kicherte, dann lachte ich und schliesslich ging ich ins Kreischen über. Wie wälzten uns über das Sofa bis alle Kissen und Decken am Boden lagen.
Flavios Mam schüttelte nur den Kopf und seufzte: 'Flavio hat nie erwähnt, dass ich mich mit zwei pubertierenden Kichererbsen herumschlagen muss!'
Ich kreischte noch lauter, als ich mich plötzlich beobachtet fühlte. Jess grinste übers ganze Gesicht und hörte abrupt mit der Kitzelei auf. Ich drehte den Kopf. In der Tür standen Flavio und Leo und beobachteten amüsiert unser Gerangel. Ich setzte mich hastig auf, strich mir über die Kleider und versuchte meine Haare zu ordnen.
'Lass. Hat keinen Sinn. Wir wollen auch helfen!', grinste Flavio schelmisch und stürmte auf uns zu.
Ach Gottchen! Was sollte ich jetzt bloss tun? Jess sah mindestens genauso geschockt aus wie ich. Wir klammerten uns hilfesuchend aneinander. Doch die Jungs hatten kein Mitleid. Flavio packte mich und kitzelte mich am Bauch. Ich kicherte und versuchte ihn zu erwischen. Doch er wich mir geschickt aus. Irgendwann hatte er mich ganz in seiner Gewalt. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Meine Hände hatte er oberhalb meines Kopfes festgenagelt und meine Beine hielt er mit seinen in Schach.
'Stirb! Oder winsele um Gnade!', knurrte er mir drohend ins Ohr. Und zwinkerte mir zu. Na komm, spiel mit!, sollte das wohl heissen.
'Ach bitte! Lasst mich leben! Ich bin doch nur ein armes hilfloses Mädchen! Was habe ich Euch bloss getan? Oh, habt Erbarmen!'
Anscheinend war er zufrieden mit meinen Schauspielkünsten, jedenfalls liess er mich frei. Ich warf einen Blick zu Jess. Sie und Leo waren gerade in eine sehr interessante Kissenschlacht verwickelt. Ich hatte jedenfalls das Gefühl, dass Leo die Kissen nur als Vorwand für irgendeine Fummelei verwendete, er hatte seine Hände verdächtig viel an ihren Hüften. Auch Flavio schien das bemerkt zu haben, er blinzelte mir verschwörerisch zu. Seine Hand hatte er wie selbstverständlich auf meine Schulter gelegt.
'Ich glaube, wir sollten aufbrechen!', keuchte Jess in einer kurzen Pause.
'Och nö! Bleibt doch noch ein wenig!', bettelte Leo.
'Nein, jetzt ist Schluss! Die Mädchen müssen wirklich nach Hause! Bringt ihr sie zurück?', mischte sich Flavios Mam ein.
Maulend und nur widerstrebend packten sie unsere Sachen und gaben uns die Helme. Wir winkten zum Abschied, doch nur kurz denn Flavios Hüfte war viiiel interessanter!







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