Vom ewigen Alltagstrott, Jungs, komplizierten Gedanken und allerlei anderen Dingen

Autor: himbaereis
veröffentlicht am: 04.10.2009




Ich drehte mich um ...und sah den Götterkörper schlechthin! Braun gebrannt und durchtrainiert.
Oh Gott!
Gleich fang ich an zu sabbern!

Reiß dich zusammen Nina!
Nur weil Blödmann - Shane wie ein Gott aus der Rasiererwerbung aussieht, brauchst du nicht gleich die Kontrolle über deine Schnute zu verlieren!

Junge, junge. Was war nur aus dem kleinen Milchbubi Shane geworden.
Nie im Leben hätte ich dem so einen Körper zugetraut!
Aber das, was ich da so bestaunen konnte, war einfach perfekt.
Es war kein Six Pack. Es war 1000 Mal besser.
Ein toller Waschbrettbauch und Arme, die zum Beschützen da waren.
Ich wusste bis heute nicht, dass Arme schön sein können.
Seine waren es.

Schnell wand ich mich ab und zog meine Flossen an. Dann setze ich meine Taucherbrille auf und watschelte ins Wasser.
'Hey, kommst auch? Ich weiß nicht, wohin ich schwimmen muss.'
'Bleib ruhig. Ich kann schließlich auch nicht hexen.'
Nein. Aber kleine Mädchen verzaubern.


Als er endlich fertig war, hatte ich bereits mehrere Runden im Wasser gedreht.
'Wahnsinn! Ich glaub es nicht! Er hat's geschafft!'
Er grinste.
'Soll ich um Applaus bitten?'
'Brauchst du nicht. Den bekommst du gratis.'
'Na dann. Ich warte.'
Grinsend machte ich kehrt und strampelte mit den Flossen los. Wie geplant, bekam er den gesamten Wasserschwall ab und ich tauchte lachend unter.
Blöderweise kam ich nicht schnell genug von der Stelle und er hatte mich schneller im Schwitzkasten, als ich es ihm zugetraut hatte.
Aber im Wasser war es für mich viel leichter ihm zu entkommen, als an Land. Ich piekte ihm mit meinem Finger in die Rippen und nutzte den Überraschungsmoment, um zu flüchten.Leider hatte ich ihn unterschätzt.
Der Junge konnte verdammt schnell schwimmen bzw. strampeln. Nach nicht mal 50m hatte er mich eingeholt und wieder in den Schwitzkasten genommen.

'Glaub nicht, dass du mir so leicht entkommen kannst.'
'Als ob ich das denken würde.'
'Jaaaa. Das hab ich eben schon gemerkt. Und für dieses Denken gibt's jetzt die Strafe.'
Und mit diesen Worten drückte er meinen Kopf so weit nach unten, dass mein Gesicht direkte Sicht auf seinen Bauch hatte.
Für einen kurzen Moment versank ich in dem Anblick aber dann riss ich mich los und schnappte mir sein Bein. Das zog ich mit mir in die Tiefe und als ich ihn dann auch unter Wasser hatte, schwamm ich so schnell ich konnte wieder weg.

Beim Auftauchen rief er mir dann Waffenstillstand zu.
Damit war ich einverstanden, auch wenn ich nichts dagegen gehabt hätte, wenn er mich noch öfter so an sich rangedrückt hätte.
Abgesehen davon, dass es mir ziemliche Knackser im Stolz bereitete, war es ein tolles Gefühl, mit meinem Kopf an seiner Brust zu hängen.
Aber vielleicht würde er das ja auch irgendwann ohne den Einsatz eines Schwitzkastens machen.
Und laut der Toyota Werbung, war schließlich nichts unmöglich.
Ich gab mich meinen Tagträumen hin und achtete nicht mehr auf meine Umgebung.

Irgendwann rief irgendjemand meinen Namen. Ich machte die Augen wieder auf und bekam einen riesen Schreck.
Ich war weit, weit weg vom Strand und um mich herum war nur Wasser.
Panisch drehte ich mich mehrmals um mich selbst und sah Blödmann knappe 8m von mir entfernt. Mir fiel ein Stein aus der Brust. Schnell tauchte ich ab, aber nicht um den fallenden Stein zu suchen, sondern um so schnell wie möglich den Abstand zwischen mir und Blödmann zu verkleinern.

'Man Nina! Ehrlich ey. Dich kann man nicht alleine lassen! Ständig rutscht du in irgendwelche Scheiße. Wie machst du das nur immer!?'
'Ja frag das nicht. Ich bin selber immer wieder erstaunt, wie ich das schaffe. Ich würde es als ungewolltes Talent bezeichnen.'
'Ungewollt trifft es ziemlich gut.'
'Ich weiß. Und wann fangen wir jetzt an zu tauchen? Ich hab mir das ganze Zeug nicht zum baden gehen gekauft.'
'Wärst du nicht so weit abgetrieben, dann hätten wir schon lange anfangen können.'
'Ich bin doch nicht mit Absicht so weit abgetrieben! Oder denkst du ich mach das freiwillig?''Was weiß ich denn?'
'Ja offensichtlich nicht sehr viel. Jedenfalls nicht über mich. Aber das ist Nebensache. Lass uns tauchen schwimmen.'
Er lachte kurz, stopfte sich dann seinen Schnorchel in den Mund und ging mit dem Kopf unter Wasser.
Ich holte nur tief Luft, und tauchte dann ebenfalls ab.

Zuerst sah ich eigentlich nur tief und noch tieferen Sand. Als ich jedoch genauer hinsah, war da auch irgendwas in dem Sand. Das sah aus wie eine Muschel!
Ich machte Anstalten, nach unten zu tauchen, musste aber notgedrungen wieder kehrt machen, weil mir erstens die Luft ausging und zweitens erinnerte ich mich an meine Taucherei in Kroatien. Es war genau dasselbe. Ich wollte mich bis ganz nach unten kämpfen aber der Druck den ich in den Ohren hatte, wurde nach knapp drei Metern unerträglich. Ich bin wahnsinnig empfindlich in dieser Hinsicht und frage mich eigentlich jedes Mal, wieso ich mir den ätzenden Flug nach Australien überhaupt immer antue.
Wahrscheinlich weil mich der Ankunftsflughafen immer so reizt.
Australien gehört zu den schönsten Ländern die ich kenne.
Auch wenn ich bis jetzt nie mehr als Coral Bay und den Flughafen von Perth gesehen habe, bin ich fest davon überzeugt.
Nachdem ich erneut Luft geholt hatte, beeilte ich mich, mit Blödmann Tempo zu halten. Man, war der in seinem früheren Leben mal Delfin gewesen? Der schwamm ja geradewegs, als ob er den Weltrekord brechen wollte.
Immer dieser Stress mit den Männern!
Aber ich ließ mich davon nicht beirren. Ich behielt mein Spaziertempo bei und guckte mir den Sand und die gelegentlich vorbeikommenden Steine genaustens an.
Ab und zu holte ich Luft.
Es war wunderschön.
Eigentlich ist es sinnlos, Sand und Steine schön zu finden, aber ich hatte schon immer Sinn für das Abstrakte. Siehe Blödmann.

Also nicht, dass er abstrakt aussah, aber in gewisser Hinsicht war er sogar sehr abstrakt. Er dachte total anders, als alle anderen und - was mich am allermeisten verwunderte - er war von jetzt auf gleich nett zu mir geworden.
Wäre er das nicht, hätte ich mich wahrscheinlich nie im Leben in ihn verliebt. Aber was im Leben läuft schon nach Plan?

Plötzlich stoppte Blödmann vor mir. Ich tauchte auf und fragte, was los sei.
Aber er zeigte nur wortlos nach vorn.
Ich guckte genauer aber konnte trotzdem nichts erkennen. Ich sah nur haufenweise Wasser.'Was ist denn da?'
'Tauch runter. Dann wirst du sehen, was ich meine.'
'Und wieso sagst du das nicht gleich?'
Er wandte sich ab und tauchte ab. Kopfschüttelnd holte ich noch einmal tief Luft und folgte ihm dann.

Was ich dann sah, war einfach nur unglaublich. Ein riesiges Korallenriff breitete sich vor uns aus.
Coral Bay hatte seinen Namen nicht umsonst bekommen.
Größer konnte wirklich nur das Great Barrier Reef sein. Waaaaahnsinn! Nie hatte ich etwas Schöneres, Bunteres und Lebhafteres gesehen!
Es war einfach Atemberaubend.
Wie aufs Stichwort, tauchte ich auf, holte Luft und tauchte wieder ab.
Ich sah Blödmann an und lächelte verzaubert. Und das war diesmal wirklich nicht sein Anblick!
Nein. Es war das Riff.
Überall bunt und so vielfältig. Es schillerte in echt allen Farben.
Und dann die Fische.
Die fielen mir erst nach und nach auf. Obwohl es schon bunt war, kamen noch tausende Fische dazu. Trotzdem wirkte es in keiner Form übertrieben oder kitschig.
Das war Natur. Das war einfach nur wunder-, wunderschön.

Als ich Blödmann auf die Schulter tippte und versuchte, ihm ‚auftauchen' klar zu machen, bekam er mich gar nicht richtig mit.
Unter andern Umständen hätte mir das schwer zu schaffen gemacht, aber in diesem Fall konnte ich ihn nur zu gut verstehen.
Sicher, er hatte das hier alles schon oft gesehen…aber er schien genauso gefesselt zu sein wie ich.
Leider wurde meine Luft langsam dünn und ich musste dringend nach oben.
Deshalb boxte ich ihm in die Schulter und zeigte mit dem Finger hoch.
Er nickte und tauchte dann mit mir nach oben.
'Man Shane! Das ist einfach nur Wahnsinn! Es ist…unbeschreiblich! Einfach nur wunderschön. Ich habe noch nie etwas Schöneres gesehen! Schade, dass ich keine Kamera dabei habe, um das hier festzuhalten. Wie hast du das nur gefunden?
Warst du schon oft hier?'
'Hol Luft, sonst erstickst du mir noch! Du bist ja ganz aus dem Häuschen.'
'Hast du was anderes erwartet? Ich meine…nach dem Anblick? Das ist einfach nur Wow.'Er grinste mich an.
'Ich hab dir doch versprochen, dass dich etwas Tolles erwartet.'
'Ach…hast du?'
'Ja.'
'Wann denn?'
'Im Laden.'
'Na dann ist klar, wieso ich das nicht weiß. Du hast nicht zufällig gesehen, wie ich mich vor dem Ladenbesuch, beim Ladenbesuch und nach dem Ladenbesuch benommen hab?'
'Öhm. Doch?'
'Und was ist dir dabei aufgefallen?'
'Ähm…du warst ziemlich aufgekratzt?'
'Richtig. Der Kandidat erhält 100 Punkte. So. Und was schließt du aus meinem Zustand?'Er seufzte, als ihm das Lichtlein aufging.
'Wahrscheinlich absolute Unaufmerksamkeit?'
'Richtig. Der Kandidat erhält weitere 100 Punkte.'
Er seufzte wieder.
'Komm schon. Weiter so Shane. Dann hast du bald den Jackpot geknackt!'
Er verdrehte die Augen, was bei der Taucherbrille auf dem Kopf ziemlich lustig aussah und bei mir einen kleinen Lachanfall auslöste.
Ich fühlte mich einfach nur rundum glücklich.
Wir schwammen, tauchten, lachten und bewunderten die vielen bunten Fische.
Ich fühlte mich wie in meinem ganz persönlichen Märchen.
Als wäre ich Arielle oder die kleine Meerjungfrau und Blödmann wäre Eric oder mein Prinz.Ich konnte in der Zeit, meine ganz persönlich erträumte Meerjungfrauenschwimmtechnik perfektioniert.
Obwohl ich wusste, dass er mich ganz sicher auslachte, tauchte ich weiterhin so im Riff umher. Ich hatte es im Gefühl.
Dieser Tag würde einer der schönsten Tage in meinem ganzen Leben werden.
Ich hatte alles was ich brauchte. Sonne, Wasser und Blödmann.
Na ja. Bunte Fische und Korallen zwar auch…aber die waren eigentlich nur Dekoration. Blödmann war wichtiger.
Wichtiger als alles andere.
Selbst als Essen.
Und das musste bei mir schon eine Menge heißen.

Während ich weiter in meiner kleinen Meerjungfrauenwelt schwamm, kam er auf einmal von hinten, und zog mich an einer Hand hinter sich her.
Mich durchfuhr ein Schauer.
Es war wie bei diesem intensiven in die Augen schauen gestern. Nie hatte ich so intensive Gefühle gespürt.
Es war einfach nur der Wahnsinn.
Ich wünschte nur…er würde dasselbe fühlen.
Aber selbst wenn.
Wie würde ich das herausfinden? Sagen kommt überhaupt nicht in Frage. Das wäre das Dümmste, was ich machen könnte.
Ich hatte mich zwar schon oft genug blamiert…aber das konnte ich einfach nicht bringen.Nein.
Nie im Leben.
Allerhöchstens am Ende der Ferien. Denn dann…würde ich ihn erst in einem Jahr wieder sehen…auf die Dauer würde die Blamage sich sicherlich vergessen lassen.
Das wäre die einzige Möglichkeit.
Aber was würde es mir schon bringen, es ihm zum Schluss zu sagen?
Ich hatte das schon einmal durchgemacht. Da brauchte ich mir das nicht noch einmal anzutun.Na gut. Lassen wir das Thema.
Das deprimiert mich nur unnötig.
Und meine gute Laune, wollte ich mir durch nichts und niemanden verderben lassen.
Schon gar nicht durch unnötige schlechte Gedanken.

Gefühlte drei oder vier Stunden später, schwammen wir zurück zum Strand.
Als wir angekommen waren, schmiss ich mich auf mein Handtuch, schloss die Augen und stöhnte laut.

'Hast du Schmerzen?'
'Ich? Nein. Ich sterbe nur gerade. Oder wenn nicht ich…dann diverse Gliedmaßen von mir.''Also hast du doch Schmerzen.'
'Mehr oder weniger. Du etwa nicht?'
'Öhm. Nein…ich merke nichts.'
'Oh Gott! Sag mal bist du irgendwie schmerzlos oder so?'
'Schmerzlos? Nein. Ich würde es eher als durchtrainiert bezeichnen.'
'Du bist und bleibst ein arroganter Arsch.'
'Und du bist und bleibst die super Zicke.'
Ich grinste ihn an.
'Schon immer gewesen.'
Er grinste zurück.

Obwohl ich versuchte es zu ignorieren, ging dieses kleine Stimmchen in meinem Kopf nicht weg.
Wieso war er so plötzlich so freundlich zu mir? Obwohl er mich ja anfangs gar nicht leiden konnte.
Ich wollte mir eigentlich keine Gedanken darüber machen…aber es ließ mich einfach nicht los.
Ob ich es ihn vielleicht doch fragen sollte?
Dann wären zumindest die Fronten geklärt.
Aber wollte ich das wirklich?
Wer weiß, welche Gründe er hatte.

'Sag mal…was beschäftigt dich so?'
'Mich? Öh. Wieso fragst du?'
'Weil du die ganze Zeit auf deiner Lippe knabberst und deine Finger malträtierst.'
'Ach…das ist nicht so wichtig.'
'Na dafür scheint es dich aber ziemlich fertig zu machen.'
'Es ist trotzdem nichts.'
'Na klar. Und an Weihnachten schneit es.'
'Tut es doch!'
'Bei euch vielleicht. Aber hier in Australien sicherlich nicht.'
'Weißt du's?'
'Ja. Ich lebe seit ungefähr 16 Jahren hier…und wir hatten an Weihnachten nicht ein einziges Mal Schnee. Wir hatten hier in Coral Bay noch nie Schnee. Und wir werden auch nie welchen bekommen.'
'Aber sicher weißt du es trotzdem nicht!'
'Das tut doch gar nichts zur Sache. Also rück schon raus mit der Sprache. Was ist los?'
'Ich hab es dir eben schon gesagt. Nichts ist los. Meine Probleme gehen dich nach wie vor nichts an.'
'Wieso nicht?'
Die Frage ließ mir die Kinnlade runterklappen.
Was bildete der sich ein!?
Gut. Vielleicht war er ein toller Typ und vielleicht war ich auch bis über beide Ohren in ihn verliebt. Aber trotzdem. Meine Probleme gingen ihn einen Scheißdreck an!
Abgesehen davon, war er ja mein Problem.
Zumindest im weitesten Sinne.

'Nina. Erzähl es doch einfach. Ich könnte dir vielleicht sogar helfen, dein Problem in den Griff zu bekommen.'
'Seit wann spielst du Kummerkastentante für kleine Kinder aus Deutschland?'
'Wer sagt denn, dass du ein kleines Kind aus Deutschland bist?'
'Lass mich nachdenken. Du?'
In gespielter Entrüstung riss er die Augen auf.
'Wann habe ich das zu dir gesagt?'
'Keine Ahnung. Aber du hast es gesagt.'
'Und wenn schon. Du versuchst doch nur, abzublocken. Weil du mir nicht erzählen willst, was dich so beschäftigt.'

Ob ich es ihm vielleicht doch erzählen…oder eher fragen sollte? Was wäre schon groß dabei. Er würde mir irgendeinen nebensächlichen Grund nennen und dann wäre es aus der Welt. Eigentlich war es wirklich nicht schlimm.

Ich seufzte.
'Hm. Na ja gut. Also…eigentlich ist es nicht direkt ein Problem, was mich beschäftigt. Eigentlich ist es nur eine unwichtige Frage.'
'Na dann schieß los. Was willst du wissen?'
'Na ja…also die Sache ist die. Eigentlich haben wir uns den Großteil der Zeit, die ich hier verbracht habe, nur gestritten oder angeschnauzt. Und irgendwie…bist du seit kurzem nett zu mir. So als ob man dich einer Hirnwäsche unterzogen hätte. Wie kommt das?'

Er überlegte sehr lange, bevor er antwortete.
Und das, was er mir dann erzählte, trieb mir die Wut in den Bauch und die Tränen in die Augen.

'Eigentlich hätte ich damit rechnen müssen, dass du diese Frage irgendwann stellst. Aber genau heute?' Er lächelte mich an. Ich lächelte jedoch nicht zurück.
'Willst du die Ausführliche oder die kurze Variante?'
'Die Kurze.'
'Also gut. Das ich so nett zu dir war bzw. bin, liegt eigentlich an Reggie.'
Ich glaubte, mich verhört zu haben.
'Reggie? Was hat die denn damit zu tun?'
'Sie wollte, dass ich nett zu dir bin.'

Knacks.

'Und du machst, was Reggie dir sagt?'
Er wurde sichtlich verlegen.
'Sie hat mir Geld dafür gegeben.'

Knack.

Das war mein Herz. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich es ihm vor die Füße gelegt, und er wäre mit dem Auto solange drüber gefahren, bis es tot war.
Platt gefahren und tot.
Tot und leblos.
Genauso fühlte es sich in mir drin an.
Es war ein Schlag direkt in die Magengrube.
Brian war ein Anfänger, gegen die Schläge, die Blödmann verteilen konnte.
Wenn auch nur verbal.

Ich merkte wie mir Tränen in die Augen schossen.
Wortlos packte ich meine Sachen zusammen und ging, ohne noch einen Blick zurück zu werfen.

Wie konnte er nur?
Wie konnte sie nur??
Und …wie konnte ich nur???

Wie konnte ich so dumm sein und mir einbilden, dass er mich vielleicht doch ganz nett findet. Ja vielleicht sogar richtig mag.
Als am Haus angelangt war, rannte ich so schnell es ging in Reggies Zimmer, warf mich aufs Bett und heulte hemmungslos in mein Kissen.
Ich weinte, schrie und boxte in es.
Noch nie.
Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich mich so verarscht gefühlt. Noch nie hatte man mir so weh getan.

Was sollte ich jetzt noch hier machen?
Ich würde in irgendeins, der vielen Gästezimmer umziehen.
Keine Stunde länger, würde ich es in Reggies Zimmer aushalten.
Diese miese kleine Kuh.
Sie hatte ihm Geld gegeben.
Diesem Arschloch!
Und ich war auf ihn…und auf sie hereingefallen.
Das kleine dumme Kind aus Deutschland.
Etwas anderes war ich doch nicht.

Immer noch weinend, stopfte ich alle meine Sachen in den Koffer und stellte ihn zur Tür. Dann ging ich los, um mir irgendein Gästezimmer zu suchen.
Irgendwo, am anderen Ende des Hauses fand ich dann ein unbenutztes.
Ich zog die Jalousien runter, ging wieder in Reggies Zimmer, holte meinen Koffer, trug ihn weinend und ächzend zum Gästezimmer, legte mich wieder ins Bett und weinte - wenn auch nur noch leise - weiter.

Ich muss wohl wieder eingeschlafen sein, denn irgendwann, 5 oder 6 Stunden später, vernahm ich ein zaghaftes Klopfen an der Tür.
Wahrscheinlich waren es Blödmann und Reggie.
Oder nur Reggie. Oder auch nur Blödmann.
Egal wer es war, ich wollte sowieso keinen von beiden sehen.
Nie wieder wollte ich sie sehen.
Am liebsten wäre ich gestorben.
Innerlich war ich sowieso schon tot.

Ich neige vielleicht zu Übertreibungen aber in diesem Fall war es nicht übertrieben. Mir war, als hätte er mir die Brust aufgeschnitten und das Herz herausgerissen.
Alles tat mir weh. Zum einen durch meine Heulerei und natürlich durch das andere.Augen, Nase und Hals taten wegen dem Weinen weh, Kopf und ‚Herz' durch Arschloch.Blödmann war kein Ausdruck mehr für ihn.
Riesenarsch, Arschloch, Mistkerl. Das traf inzwischen viel besser zu.

Es klopfte wieder.
'Lass mich in Ruhe. Ich will keinen sehen!'

Die Tür wurde geöffnet.
'Ich hab doch gesagt, dass ich niemanden sehen will!'
'Ach Schätzchen. Was hast du denn? Ich habe dich gesucht. Was machst du denn hier?'
Als ich nicht antwortete, setzte sie sich zu mir.
'Nina? Was ist los?'
‚Gar nichts', zu sagen konnte ich mir sparen. Das würde sie mir sowieso nicht abkaufen. Also am besten gleich die Wahrheit.
'Reggie und Shane sind los.'
'Hast du dich mit den beiden gestritten?'
'Na ja. Nicht direkt.'
Ich setzte mich hin und lehnte mich dann an sie.
Sie begann meinen Kopf zu streicheln.
Es war wie damals, wenn irgendjemand im Kindergarten gemein zu mir gewesen war.
Mir traten wieder Tränen in die Augen.
'Pscht Mäuschen. Alles wird wieder gut.'
'Nein das wird es nicht! Ich habe mich nicht mit Reggie und Shane gestritten. Die beiden haben mich nach Strich und Faden verarscht!'
'Sie sah mich erstaunt an. Wieso das denn?'
Weinend und schluchzend erzählte ich ihr alles.
Heilfroh, dass ich meine Mama hatte, kuschelte ich mich an sie.
Sie streichelte mir weiter über den Kopf und wiegte mich - so gut es ging - in ihren Armen hin und her.

Ich weiß nicht, wie lange wir da so gesessen hatten aber irgendwann begann mein Magen zu knurren.
'Du solltest etwas essen, Spätzchen.'
'Ich will aber gar nichts essen. Ich hab eigentlich gar keinen Hunger.'
'Ist es so schlimm? Oder hast du einfach nur Angst, nach unten zu gehen.'
'Beides', nuschelte ich.
'Meine kleine Nina. Pass auf. Ich geh runter in die Küche und hol dir was zu Essen, okay? Aber dafür gehst du jetzt ins Bad und lässt dir Wasser übers Gesicht laufen.'
'Gut.'
Sie lächelte mich an, wie nur Mütter es können. Gütig, sorg- und liebevoll.
'Ach…und danke Mama.'
Ich lächelte sie an…und begann wieder zu weinen.
Sie umarmte mich noch einmal und ging dann nach unten.
Ich hörte, wie sich ihre Schritte entfernten und lugte dann aus der Tür, um sicherzugehen, dass auch wirklich keiner im Flur war oder in den Flur kam.
Als ich mir sicher war, rannte ich ins Bad und wäre am liebsten gleich wieder umgekehrt, als ich mich im Spiegel sah.
Hilfe sah ich schlimm aus!
Ich meine…als ich letztes Mal geweint hatte, sah ich schon schrecklich aus. Aber heute…ich glaube selbst Dracula hätte sich vor mir versteckt!

Irgendwann…als ich der Meinung war, halbwegs wieder hergestellt zu sein, schlich ich zurück ins Gästezimmer.
Meine Mutter hatte mir ein Tablett aufs Bett gestellt.
Normalerweise hätte ich mich auf das Essen gestürzt aber…mir war die Lust am essen vergangen.
Mein Bauch knurrte auch nicht mehr.
Ich stellte das Tablett auf den Nachttisch, nahm mir meinen Ipod, stellte seichte Musik an…und fing wieder an zu weinen.
Wie es natürlich so ist, ließ ich mir den Tag noch mal durch den Kopf gehen.
Den Blick in den Spiegel und den Gang ins Bad hätte ich mir eigentlich sparen können.Was sollte ich bloß machen?
Im Moment würde ich mich am liebsten für die restliche Woche in meinem Bett verkriechen und vor dem Abflug nicht mehr aufstehen.
Aber das würde meine Mutter nie im Leben zulassen. Ihrer Meinung nach, soll man wieder aufstehen, wenn man am Boden liegt. Eigentlich sah ich das ja auch so. Nur hatte ich mich dummerweise in ein Arschloch verliebt.
Ich weiß nicht wieso…aber ich habe wie 1000 andere Mädchen offensichtlich auch den sogenannten ‚Hang zum Arschloch'.
Nur das er eigentlich kein Arschloch gewesen war - oder zumindest nicht so offensichtlich -, als ich mich in ihn verliebt hatte.
Zum Arschloch wurde er erst danach.
Na ja gut.
Eigentlich war er doch die ganze Zeit ein Arschloch.
Ich war nur so von Hormonen überschwemmt, dass ich das gar nicht mehr mitbekommen habe.
Am besten… ich höre auf über ihn nachzudenken.
Es würde sowieso nicht viel dabei herauskommen.
Ich würde mir nur die Schuld in die Schuhe schieben und daran verzweifeln.
Ach ja. Und auf ihn am liebsten Mordanschläge verüben.

Ich drehte mich auf den Bauch, umschlang das Kissen mit meinen Armen, schloss die Augen und weinte mich in den Schlaf.







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