Wegen dir

Autor: Nati
veröffentlicht am: 30.07.2009




Die Zukunft

Ich erwachte zum ersten Mal, als die Sonne aufging. Sofort erinnerte ich mich an die vergangene Nacht und seufzte zufrieden. Ich war zu müde, um die Augen auf zu machen und auf die Uhr zu sehen, also beschloss ich, mich auf die andere Seite zu legen und weiterzuschlafen. Es war bestimmt noch nicht spät.
Doch als ich mich bewegen wollte, fühlte ich, dass ich nicht allein war. Erschrocken riss ich die Augen auf und sah einen schlafenden Phillip unter mir.
'Oh scheiße.', murmelte ich und warf trotz der Müdigkeit einen Blick auf die Uhr.
Es war halb 7.
Es war egal, wie gerne ich ihm beim Schlafen zugesehen hätte, ich musste ihn jetzt wecken, damit wir beide nicht in große Schwierigkeiten kamen.
'Phillip?', fragte ich unsicher und klopfte ihm sanft auf die Brust. Er stöhnte unzufrieden und ließ seinen Kopf zur Seite fallen.
'Lass mich schlafen.'
'Phillip, du musst nach Hause, sonst kriegen wir richtig Stress.', ermahnte ich ihn, konnte jedoch nicht so ernst klingen, wie ich es vorhatte zu tun. Er sah einfach zu friedlich aus. Seine Haare waren noch zerzauster als sonst und sein Gesicht war ganz entspannt. Wir hatten beide noch die Sachen an, die wir gestern getragen hatten.
Das war mir gestern Abend gar nicht aufgefallen.
Ich rüttelte ihn erneut, jetzt aber etwas heftiger und er blinzelte mich aus seinen müden grünen Augen an. 'Julia?', fragte er verdattert.
'Du musst schnell nach Hause gehen.', wiederholte ich lächelnd.
Er fuhr entsetzt hoch und rieb sich mit einer Hand die Augen. 'Wie spät ist es?'
'Halb 7.'
'Oh scheiße.'
'Das hab ich auch gedacht.'
Er gab sich Mühe, seine Augen aufzuhalten, als er mich ansah. 'Dann werde ich jetzt wohl schnell gehen.', murmelte er und streckte sich etwas.
Ich nickte traurig. Viel lieber wäre es mir gewesen, wenn er noch weiter bei mir geschlafen hätte, aber das ging ja nicht.
Er beugte sich verschlafen zu mir herüber, legte seine linke Hand an meine Wange und gab mir einen Kuss. Mein verschlafenes Herz hämmerte gegen meine Brust.
'Ich hol dich heute wieder so um 2 Uhr ab, ja?'
'Okay.'
Dann legte er erneut sanft seine Lippen auf meine und verschwand.

Es wurde schließlich noch ein schöner Tag. Wir gingen zu dritt an den Strand und schwammen im Meer. Leider verging auch diese Zeit viel zu schnell.
Spät abends saß ich mit Sarah auf dem Sofa und redete mit ihr. Es lief gerade Werbung auf Pro7, als sie plötzlich fragte:
'Was macht ihr eigentlich, wenn der Urlaub vorbei ist?'
Ich seufzte und versuchte das Messer in meinem Herz zu verdrängen. 'Ich weiß es nicht.', entgegnete ich sichtlich beunruhigt.
'Habt ihr darüber noch nie gesprochen?'
'Doch schon …' Ich blinzelte, um zu verhindern, dass sich Tränen bildeten 'aber irgendwie war das bis jetzt mehr so ein kurzes, nicht ernst zu nehmendes Gespräch als ein richtiges Thema. Ich weiß doch auch nicht wie das weitergehen soll.'
Sie überlegte. 'Aber ich nehme an, ihr beide wollt eure Beziehung weiterführen, oder?''Also ich auf jeden Fall.', entgegnete ich sicher. Sie zweifelte doch wohl nicht wirklich daran, dass ich mit dieser wunderbaren Person zusammen bleiben wollte, oder?
'Julia, ich will dich ja wirklich nicht drängen oder so … Aber darüber solltest du so bald wie möglich mit ihm reden. Sonst endet das Ganze hier vielleicht anders, als du es dir erhoffst.'Sarah war unglaublich begabt darin, einen an die schlechten Seiten des Lebens zu erinnern. Gerade eben war ich noch glücklich und war mir sicher, dass Phillip mich über alles liebte und jetzt fragte ich mich, ob er dies wirklich tat, oder ob ich es mir nur einbildete.'Ja, Sarah, ich weiß. Ich werde das schon noch machen.', sagte ich und konnte nicht verhindern, dass meine Stimme genervt klang. Ich wusste, dass so etwas bei Sarah zu einem Streit führen konnte. Das war eine ihrer Schwächen.
Sie war viel zu empfindlich.
'Ich mein ja nur. Reg dich nicht gleich so auf!'
Das war ihr Standartsatz in so einer Situation. Es war ja zum Glück nicht so, dass sie sich nicht aufgeregt hatte, aber das war ihr glaube ich egal.
Kurze Zeit später ging sie ins Bett. Ich blieb noch ein wenig in unserem dunklen Wohnraum auf der Couch sitzen und dachte nach.
Ich wusste, dass er mir zwar gesagt hatte, dass er alles tun würde, um mich wieder zu sehen, aber was, wenn er, wenn es so weit ist und wir getrennt sind, doch nicht alles versucht? Was, wenn er mich schneller vergaß als ich ihn? Ich konnte mir wirklich nur schwer vorstellen, auch nur einen Tag ohne ihn zu sein. Was, wenn er nicht so empfand, sondern das hier für ihn nur eine kleine Romanze war?
Eine einsame Träne fand ihren Weg zu meiner Wange hinunter.
Gott, wie sollte ich es bloß ohne ihn aushalten?! Wann würde dieser ständige Zweifel, ob er mich wirklich liebt oder nicht, endlich aufhören?! Warum war ich so leicht umzustimmen? Wieso konnte ich nicht mal einmal auf diese kleine Stimme in meinem Kopf hören, die mir fast immer die Wahrheit sagte? Doch statt auf diese Stimme zu hören, gehorchte ich der lauten, nicht zu überhörbaren Stimme, die sagte, dass das hier für ihn nichts Wichtiges war!Verzweifelt stand ich auf und versuchte an was Anderes zu denken, damit ich nicht noch mehr weinte.
Ich wimmerte noch immer leise, als ich schon in meinem Bett lag und die Augen schloss.Leider vergingen die Tage schneller als gedacht. Es kam mir vor, als hätte ich nur einmal geblinzelt und dann wäre es schon Mittwoch gewesen.
Der Mittwoch der letzten Woche auf Norderney. Ich hatte nur noch zwei Tage.Nur noch zwei Tage, dann war der Urlaub vorbei und ich musste mich von der besten Person, die mir je begegnet war, verabschieden. Wie sollte ich in dieser kurzen Zeit noch all die Fragen stellen, die mir im Kopf herumschwirrten?
Ich nahm mir vor, noch die wichtigsten zu stellen und ansonsten nur noch unsere restliche Zeit zu genießen. So schwer es mir auch fiel.
In den letzten eineinhalb Wochen hatte sich unsere Beziehung wieder ein wenig verändert. Wie vertrauten uns nun noch mehr und es war alles viel intimer, wenn wir zusammen waren. Sarah bestand nicht mehr darauf, dass wir etwas zu dritt machten. Sie verstand, wie schwer das Ganze ohnehin schon war.
Phillip holte mich wie immer um 2 Uhr ab. Ich fiel ihm lächelnd um den Hals und küsste ihn sanft.
Mein Herz machte Sprünge, von denen jeder Einzelne wehtat. Wieso musste ich bloß die ganze Zeit daran denken, wie sehr mir das fehlen würde? Meine Hände versenkte ich in seinen wunderschönen, braunen, zerzausten Haaren, während er mich mit seinen starken Armen fester umschloss. In solchen Momenten wurde mir immer wieder aufs Neue bewusst, wie abhängig wir voneinander waren und welche Sehnsucht wir nacheinander haben würden, wenn wir erstmal getrennt waren.
Vorsichtig löste er sich von mir und legte seine Stirn an meine.
'Na, wie geht's meiner Süßen heute?', fragte er mit einem kleinen Grinsen auf den Lippen.'Jetzt gerade geht's mir sehr gut. Und wie geht es meinem Süßen?'
'Ich bin nicht süß.'
'Doch bist du.'
Er seufzte. 'Deinem 'Süßen' geht's auch gut, obwohl er diese Bezeichnung sehr unpassend und herabwürdigend findet.'
'Was ist daran herabwürdigend?', lachte ich.
'Ich bitte dich! Ich bin ein richtig harter Kerl, das wissen wir doch beide.'
'Oh.' Ich schlang meine Arme fester um seinen Hals. 'Ist das so?'
'Hundertprozentig.', pflichtete er mir bei und hob mich an. Meine Füße schwebten in der Luft.
'Nun, da du ja so ein harter Kerl bist… Würdest du dann mein Bodyguard sein und mich vor bösen Männern beschützen?'
'Das würde gar nicht nötig sein, weil sie bei meinem Anblick schon tierische Angst kriegen und dann wegrennen würden, aber von mir aus.'
Ich schlang meine Beine um seine Hüfte. 'Dann musst du jetzt rund um die Uhr auf mich aufpassen.'
'Nichts lieber als das.' Dann legten sich seine Lippen auf meine und wir versanken in einem weiteren Kuss.

Wir beschlossen, uns ein ruhiges Plätzchen zu suchen und gingen zu unserem 'Stammplatz': Dem verlassenen Feld.
Dieses Mal war keine Decke dort aufzufinden und so setzten wir uns auf den strohigen Boden. Ich hatte ganz vergessen, dass Phillip, als wir uns die letzten beiden Male hier getroffen hatten, schon vorher hier gewesen war und alles vorbereitet hatte. Da dies nun nicht der Fall war, mussten wir auf dem harten Boden sitzen.
Er nahm Platz und zog mich ganz selbstverständlich auf seinen Schoß. Mein Herz schlug holprig. Sein Gesicht kam näher und seine Lippen legten sich auf meine. Normalerweise hätte ich dieses unbeschreibliche Gefühl genossen, doch jetzt musste ich die ganze Zeit daran denken, dass ich ihn noch was fragen wollte. Ich wusste nicht, wie ich anfangen sollte.Vorsichtig löste ich mich von ihm. Da mir nichts einfiel, was ich zum Einstieg in dieses Thema sagen konnte, versuchte ich, einfach nicht mehr nachzudenken, sondern einfach drauf los zu fragen.
'Was machen wir, wenn der Urlaub vorbei ist?'
Einen Moment lang sahen wir uns einfach nur in die Augen. Mein Herz zersprang fast. Dann begann er zu sprechen.
'Ich würde sagen, erstmal telefonieren wir sooft wie wir können miteinander und dann gibst du mir deine Adresse und ich besuche dich.'
Es klang … aufrichtig. Trotzdem blieb ich skeptisch.
'Wie willst du mich denn besuchen?'
'Ich fahr mit dem Zug.' Er zuckte die Schultern.
'Und was ist mit meinen Eltern?' Oh Gott, was würden meine Eltern nur dazu sagen, wenn ich sie fragen würde, ob ein Junge bei mir zu Besuch kommen oder sogar übernachten dürfe?!'Du musst wissen, ob du das dürftest oder nicht. Wenn nicht, dann versuchen wir, es so hinzukriegen, dass sie gar nicht merken, dass ich da bin.'
'Das wird schwer.', stellte ich fest.
Er lachte leise. 'Was wäre das Leben ohne Risiko?'
Es entstand eine kleine Pause.
Ich atmete tief durch. 'Also willst du noch weiter mit mir zusammenbleiben?'
'Spinnst du?', fragte er lächelnd und hob seine Hand, um mit ihr über meine Wange zu streichen. 'Natürlich will ich das. Was würde ich denn bitte ohne dich machen?'
Er hatte ja keine Ahnung, was seine Worte und Berührungen jetzt gerade in mir auslösten. Erleichterung, Freude, Glück, Selbstsicherheit und dann war da noch in der hintersten Ecke meines Gehirns die Trauer. Ich schaffte es nicht, sie voll und ganz auszublenden, weil das Ende des Urlaubs für mich in so greifbarer Nähe war, das meine Gedanken fast nur noch darum kreisten.
'Phillip?', fragte ich flüsternd und verbarg mein Gesicht an seiner Brust.
'Ja?'
'Ich liebe dich mehr als jeden anderen Menschen zuvor.'
'Ich dich auch, das musst du mir glauben.'
Eine Zeit lang umarmten wir uns wortlos.
'Aber Julia?', flüsterte er.
'Hm?'
'Bitte hör auf dich jetzt schon von mir zu verabschieden. Wir haben noch einen Tag zusammen.'
'Entschuldige.'
'Ist schon okay.' Dann hob er meinen Kopf an, damit er mit seinen weichen Lippen die meinen berühren konnte.
Nach unserem Kuss fiel mir eine neue Frage ein. 'Wäre es vielleicht möglich, dass wir uns am Freitag noch mal sehen?'
Er seufzte. 'Meine Fähre geht um 10 Uhr und davor bricht bei uns bestimmt riesen Hektik aus. Ich glaube nicht, dass ich Zeit dazu haben würde, dich noch einmal zu sehen.'
Ich senkte den Blick. 'Schade.'
'Sieh mich an.', befahl er leise. Ich tat es.
'Wir werden es schaffen.'
Ich nickte schnell und zustimmend.

Es wurde viel zu schnell Abend. Ich fand es immer wieder unglaublich, wie schnell die Zeit zu vergehen schien, wenn ich bei Phillip war. Das fand ich ja schon am Anfang des Urlaubs schockierend, doch jetzt kam es mir so vor, als würde die Zeit rennen. Es zerriss mir das Herz, als er mich wieder zum Hotel brachte und sich von mir verabschiedete.
'Morgen wieder um dieselbe Zeit?', fragte er, als würde er nicht wissen, dass morgen unser letzter Tag ist.
Ich gab mir Mühe, das Spiel mitzuspielen. 'Ja.'
'Ich hol dich ab.'
Ich nickte stumm. Wieso zur Hölle fiel mir nichts ein, was ich sagen konnte?!
Dann geschah ein intimer Moment, der mir zeigte, dass auch er fast pausenlos an unseren Abschied denken musste. Er nahm mein Gesicht fest in seine Hände und blickte mir lange Zeit nur in die Augen und sprach kein Wort. Dann flüsterte er: 'Ich liebe dich.' Und küsste mich erst zärtlich, doch später mit so einer Leidenschaft, dass mir schwindelig wurde. Mein Blut kochte, als ich seinen warmen Körper drängend an meinem spürte. Ich hatte eigentlich gedacht, dass ich ihn ewig küssen könnte, doch irgendwann rangen wir beide nach Luft und so beendete er den Kuss, doch er legte sofort danach seine Stirn an meine.
'Ich muss jetzt gehen.', flüsterte er.
'Ich will nicht, dass du gehst.'
Er seufzte. Es klang gequält. 'Ich hol dich morgen um 2 Uhr ab.'
Dann gab er mir einen Abschiedskuss und verschwand.

In dieser Nacht schlief ich so gut wie gar nicht. Immer wieder musste ich daran denken, dass mir die Zeit davonlief und dass mir nur noch wenige Stunden mit Phillip blieben. Ich fragte mich, wie ich diese Stunden am besten nutzen konnte, doch mir fiel immer nur diese eine Antwort ein: Alles einfach genauso wie sonst zu machen.
Aber irgendwie spielte ich des Öfteren mit dem Gedanken, ihn doch noch umzustimmen, was eine spezielle Sache anging. Ich hatte keine Ahnung, wieso, aber ich konnte mir für unseren letzten gemeinsamen Tag nichts Besseres vorstellen, als ihm einmal so nah wie möglich zu sein. Doch immer, wenn ich diesen Gedanken fasste, wurde mir klar, dass es nicht ging.Erstens: weil wir nicht bei einem von uns beiden im Hotel waren und es niemanden gab, der stören konnte.
Und zweitens: weil er mir schon gesagt hatte, dass er fand, dass wir uns noch nicht gut genug kannten.
Das waren zwei gute Gründe dafür, es gar nicht erst zu versuchen. Und überhaupt fragte ich mich, weshalb ich nicht die leiseste Angst davor hatte, mit ihm zu schlafen, weil ich schon so oft gehört hatte, dass gerade Mädchen vor dem ersten Mal große Angst hatten. Ich dagegen wünschte mir nur zu sehr es mit ihm zu erleben.
Als ich darüber nachdachte und merkte, dass ich anders war, beschloss ich, es dabei zu belassen und einfach den Tag auf mich zukommen zu lassen.
Sarah bemerkte meine gespielte gute Laune am Frühstückstisch und sah mich bemitleidend an. Ich schüttelte nur den Kopf und widmete mich dem Frühstück. In diesem Moment war mir wirklich nicht danach, bemitleidet zu werden.
Um 13.55 Uhr stand ich unten vor der Tür und wartete auf Phillip.
Ich drohte schon wieder mit den Gedanken abzuschweifen, als ich plötzlich diesen Engel in der Ferne erblickte und auf mich zukommen sah. Er lächelte zärtlich.
Ich ging ihm entgegen und verspürte schon jetzt diese Mischung zwischen Trauer und Freude in mir. Es war unerträglich. Mein Herz pochte vor Freude ihn zu sehen, doch gleichzeitig verursachte dieses Pochen Schmerzen, weil sich das Messer, das ich seit Wochen nicht mehr gespürt hatte, erneut in meine Brust bohrte.
Als wir nur noch weniger Meter voneinander entfernt waren, fing er an zu rennen. Als er bei mir angekommen war, umarmte er mich so fest, dass meine Füße vom Boden abhoben. Ich drückte mich an ihn so gut es ging und atmete seinen Duft ein. Gott, wie sehr würde mir dieser Geruch fehlen…
'Hallo.', flüsterte er.
'Hey.'
Ich war echt bescheuert. Schon dieser Moment brachte mich dazu, Tränen in den Augen zu bekommen. Wie würde es dann erst heute Abend bei unserem Abschied sein? Bei der Vorstellung daran wurde ich nur noch trauriger und so beschimpfte ich mich selbst in meinem Kopf, um Ablenkung zu haben.
Er ließ mich nicht herunter. Wir standen einige Minuten einfach nur so da und umarmten uns, meine Füße schwebten in der Luft.
Dann ließ er locker und suchte mit seinen Lippen die meinen. In diesem Moment vergaß ich alles um mich herum. Ich vergaß auch, dass wir nicht mehr viel Zeit hatten. Es war alles egal, es zählte nur, dass ich jetzt gerade bei ihm war und seinen Mund auf meinem spürte.Ich fühlte mich vollkommen.
Nach einiger Zeit löste er sich von mir. Er sah mir tief in die Augen, dann fragte er: 'Soll ich dir heute mein Apartment zeigen?'
Mir stockte der Atem. 'Was ist mit deinen Eltern?'
'Weil das heute unser letzter Tag hier ist, machen sie mit meinem Bruder Jonas eine Stadtrundfahrt und danach gehen sie noch Bowlen oder so.' Er fing an zu grinsen. 'Ich konnte mich rausreden, weil ich gesagt hab, dass ich hier Freunde gefunden habe und mit denen was machen wollte.'
'Und das haben die dir abgekauft?', fragte ich etwas schockiert.
'Komm schon, so abwegig ist das gar nicht.'
'Hm.', murmelte ich und zuckte die Schultern.
'Also, was ist? Willst du mal mein Reich sehen?'
Plötzlich bekam ich einen Geistesblitz. Ich würde zu ihm ins Hotel gehen und wir würden alleine in seinem Zimmer sein. Damit war das Erste meiner zwei Probleme aus der Welt geschafft. Doch konnte ich dieses Thema überhaupt noch mal ansprechen? Alles in mir verlangte danach, das war klar, aber wie sollte ich es machen, ohne auch nur die geringste Chance zu haben, einen Korb zu bekommen?
Ich hatte keine Ahnung.
'Ja, das würde ich sehr gerne.', antwortete ich auf seine Frage.
Also gingen wir zu seinem Hotel. Arm in Arm liefen wir durch die Straßen, bis wir an einem großen, beigefarbenen Haus stehen blieben. Neben dem Eingang waren links und rechts zwei Flächen mit Blumen, die ca. zwei Meter dick waren. Es waren dort überall Kieselsteine auf dem Boden verteilt und so sah man die Erde, in der die Blumen eingepflanzt worden waren, nicht mehr. Es machte einen sehr einladenden Eindruck.
'Das ist sehr schön.', stellte ich fest und zeigte auf die Blumenflächen.
'Find ich auch.'
'Und? In welcher Etage wohnst du?'
Er wies mit seinem Finger auf ein Fenster im zweiten Stock. 'Das da ist mein Zimmer.'Danach schloss er die Tür auf und wir gingen rein. Wir liefen zwei Treppen hoch und fanden uns nach einiger Zeit an Apartment 15 wieder. Er öffnete auch diese Tür.
'Bitte sehr, die Dame.', sagte er und machte ein Handzeichen, dass ich als erstes reingehen soll.
Als erstes kam, wie auch in meinem Apartment, sofort der Wohnraum. Er war in warmen Tönen wie braun, dunkelrot und beige gehalten. In der Mitte stand ein relativ großes Sofa, davor lag ein Teppich und dahinter stand ein Fernseher. Zwei Schränke befanden sich neben einem Fenster, das ich eben noch von Draußen hätte beobachten können. Ich ging noch ein Stück weiter rein und sah, dass die Küche direkt mit dem Wohnzimmer verbunden und in einer Ecke des Raumes war.
Es war sehr behaglich und irgendwie vertraut. Hier fühlte man sich sofort Zuhause.
'Das ist ein schönes Zimmer. Es sieht sehr gemütlich aus.'
Er lachte.
'Was?' Ich fühlte mich aus irgendeinem Grund persönlich angegriffen.
'Ach nichts.'
Einen Moment lang standen wir nur rum und keiner sagte was.
'Willst du mein Zimmer sehen?', fragte er vorsichtig.
Mein Herz fing laut an zu pochen. Ob er es hören konnte?
'Ja, klar.'
Er führte mich durch das Wohnzimmer in einen kleinen Flur, an dem drei Zimmertüren waren und ging zu einer von ihnen und öffnete sie. Dieses Mal sagte er nichts und ich ging einfach hinein, ohne darüber nachzudenken.
'Es ist nicht so groß wie deins.' Entschuldigte er sich etwa gerade dafür?
Die Wandfarbe dieses Zimmers war himmelblau und die Möbel waren in weiß gehalten. In der Mitte des Raumes stand ein großes weißes Bett, welches in mir sofort Herzklabaster verursachte, daneben zwei kleine Nachttische und links an der Wand war ein Kleiderschrank.Insgesamt war auch das sehr gemütlich.
Doch ich konnte mich in dem Moment nicht auf die beruhigende Wirkung des Zimmers einlassen, da in meinem Körper alles verrückt spielte.
Ihn schien diese Sache auch nicht vollkommen kalt zu lassen, ich sah, dass er zitterte, als er seine Jacke ablegte und auf die Bettkante schmiss.
Dann kam er langsam auf mich zu und umfasste mein Gesicht mit seinen Händen. Gott, schon diese Berührung machte mich fast wahnsinnig.
'Was ist los?', fragte er und sah mir mit seinen tiefgrünen Augen in die meinen.
'Was soll los sein?', versuchte ich auszuweichen. Wieso versuchte ich das? Ich wollte doch mit ihm darüber reden!
'Du wirkst so … angespannt und irgendwie durcheinander.'
Oh man, war das SO offensichtlich? Ich was wirklich keine gute Schauspielerin.
'Ich … es … es ist egal, okay?' Mir fiel es so oder so schon schwer zu denken und die Tatsache, dass er mich berührte und er so nah war, dass ich ihn riechen konnte, machte die Sache nicht gerade einfacher. Mein Herz schlug mir bis zum Hals.
Er seufzte und überlegte einen Moment. Danach kam sein Gesicht näher und ich wusste, was er vorhatte.
Er wollte mich beruhigen, damit ich ihm nachher mein Herz ausschütten konnte und es mir nicht mehr so schwer fiel, darüber zu reden. Aber ich wollte es doch gar nicht mehr sagen, weil ich sowieso schon die Antwort wusste!
Doch ich konnte mich nicht wehren. Noch bevor ich diesen Gedanken zu Ende fassen konnte, lagen seine Lippen schon auf meinen und alles war vergessen. Mein Widerstand löste sich in Luft auf und wurde zu purem Verlangen.
Mein Atem ging holprig und ich presste mich gierig an ihn. Ihm schien es genauso zu gehen, denn er hob mich an und trug mich zum Bett. Ich schlang die Beine um seine Hüfte und ließ sie dort, auch, als wir schon im Bett lagen. Meine Hände fingen an zu schwitzen und ich legte sie an seinen Hals, um ihn noch näher an mich zu drücken.
Er schob seine Arme unter meinen Rücken und presste mich so noch mehr an sich. Ich hätte schwören können, seinen Herzschlag in diesem Moment gefühlt zu haben.
Ich war von Leidenschaft ergriffen und drehte uns um, sodass ich auf ihm saß. Dann küsste ich ihn weiter gierig.
Leider schaltete sein Verstand früher wieder ein als meiner. Plötzlich spürte ich seine Hände an meinem Gesicht und er löste mich von ihm. Danach hielt er mich mit ihnen auf Abstand.'Warte.', keuchte er.
'Was ist?'
'Das ist nicht gut.'
'Wieso denn nicht?'
'Zuerst mal, weil das nur Ablenkung von dem eigentlichem Thema ist. Komm schon, Julia, was hast du?'
Ich blickte verschämt auf den Boden. 'Eigentlich war genau das der Grund, weshalb ich so angespannt war.'
Darauf fiel ihm nichts mehr ein. Als er nach einigen Sekunden immer noch keinen Ton gesagt hatte, sprudelte es nur so aus mir heraus.
'Ich weiß nicht, wieso, aber ich will das zum ersten Mal mit dir erleben. Und ich versteh auch nicht, wieso du das nicht willst, weil ich finde, dass wir uns schon mehr als genug kennen. Ich lag gestern Nacht fast die ganze Zeit wach, weil ich überlegt habe, wie wir unsere letzte gemeinsame Zeit am besten nutzen könnten. Da kam mir dieser Gedanke… Ich habe in den letzten 12 Stunden bestimmt ein dreiviertel dieser Zeit nur darüber nachgedacht, wie ich dir das sagen könnte, aber ich wusste nicht, wie ich es tun sollte…'
Er sah mich wehleidig an. 'Julia, das… wäre nicht gut, glaub mir. Ich will es auch, aber ich denke dann immer noch an unseren seelischen Zustand… Ich meine, ich will nicht, dass wir es tun, nur weil unsere Zeit begrenzt ist und ich will auch nicht, dass wir beide nach diesem Urlaub an nichts anderes mehr denken können, als an dieses wunderschöne Erlebnis. Das würde uns nur kaputt machen…'
'Daran', setzte ich an, 'sollten wir jetzt noch gar nicht denken. Wir sollten die Zeit, die uns noch bleibt, so gut nutzen, wie es geht. Was danach kommt ist egal…'
Er rollte mich von sich herunter, sodass ich neben ihm lag. Dann beugte er sich über mich.'Nein, das ist es eben nicht. Es wird so auch schon schwer genug für uns beide sein.''Aber…'
'Sch…', murmelte er und drückte mir seinen Finger auf die Lippen. 'Bitte lass uns jetzt darüber nicht diskutieren.'
Ich hatte den Kampf verloren. Ich hatte zwar schon vorher gewusst, dass ich ihn verlieren würde, doch mein Körper hatte mich für einen Moment lang träumen lassen.
'Okay?', fragte er. Sein Gesichtsausdruck war zärtlicher denn je.
Ich nickte. Sein Finger verließ meinen Mund und nun legte er seine Hand an meine Wange und küsste mich zärtlich. Mein Herz schmerzte in meiner Brust.
Wir hielten uns den ganzen Nachmittag in seinem Apartment auf und mehr als die Hälfte dieser Zeit in seinem Bett. Zwischendurch gab ich ihm kurz meine Adresse aber meistens küssten wir oder liebkosten wir uns. Erst küsste er meinen Hals, dann schob er mein Top ein wenig hoch und ließ seine Lippen über meinen Bauch wandern, aber das schönste war, als er auf mir lag. Sein Kopf war auf meiner Brust und seine Arme strichen beruhigend über meine Seiten.
Ein paar Mal lachten wir, wenn er ein etwas unangenehmes Thema ansprach und mein Puls in die Höhe schoss. Er hörte jeden Einzelnen meiner Herzschläge.
Einmal schloss er die Augen und murmelte: 'Du kannst dir nicht vorstellen, wie wunderschön sich das anhört.'
Doch auch dieser Nachmittag, der mit Abstand der beste und intimste war, den wir jemals zusammen erlebt hatten, ging irgendwann vorbei.
Wir hatten gerade einen dieser unzähligen Küsse beendet, als er den Satz sagte, vor dem ich mich schon den ganzen Tag gefürchtet hatte.
'Es ist fast 7 Uhr… Du musst gehen, weil gleich meine Eltern und mein Bruder nach Hause kommen…'
Und plötzlich kam die Trauer hoch, die ich die ganze Zeit verdrängt hatte.
'Ich will nicht gehen.', flüsterte ich so leise, dass ich bezweifelte, dass er es überhaupt gehört hatte.
'Ich will auch nicht, dass du gehst…' Das war das erste Mal, dass er mir so offensichtlich seine Traurigkeit präsentierte. Ich sah ihm tief in die Augen und irgendwie schien es so, als würde er mit sich ringen.
Doch schließlich war er es, der als erster vom Bett aufstand.
'Komm, ich bring dich noch nach unten.'
Ich wusste, dass mir nicht die Wahl gelassen wurde, und so erhob ich mich wortlos und ging hinter ihm her. Mir war klar, dass ich nur ein Wort sagen musste und es war ganz egal, welches, doch dieses Wort würde mich zum Weinen bringen, zum endgültigen Nervenzusammenbruch.
Der Weg zur Haustür ging viel zu schnell vorbei. Es war, als wäre das hier ein Video und irgendjemand hatte es so eingestellt, dass alles auf doppelter Geschwindigkeit lief.Wir standen uns gegenüber. Niemand von uns sagte etwas. Wir blickten uns einfach nur in die Augen und ich wusste, dass er in meinen dieselbe Trauer sah, wie ich in seinen.'Ich verspreche, dass ich dir sofort eine Sms schreiben werde, sobald ich Zuhause bin. Und wenn du dann auch Zuhause bist, können wir ja telefonieren.', sagte er schließlich.'Okay.', wisperte ich und es kam, wie ich es vorhergesehen hatte. Dieses kleine,
unbedeutende Wort brachte mich dazu, in Tränen auszubrechen und zwar vor seinen Augen.Ich gab mir zwar noch Mühe, es irgendwie zu unterdrücken, indem ich auf den Boden sah und mir in meinem Kopf selber Vorwürfe machte, doch es half alles nichts. Die Trauer übertönte jedes andere Gefühl. Es war, als wäre ich darin eingeölt worden, mit Leib und mit Seele. Selbst meine Organe waren voll von diesem Öl und es gab nur einen Weg, es aus meinem Körper herauszubekommen:
Weinen.
Das nächste, was ich fühlte, waren seine starken Arme, die mich fest umschlossen. Auch er weinte, das spürte ich durch das Zittern, das sich durch seinen ganzen Körper zog.
'Wir schaffen das schon, okay?' Er flehte beinahe. Die Unsicherheit war deutlich aus seiner Stimme herauszuhören.
'Ja.', schluchzte ich an seiner Brust.
Eine Weile lang standen wir wortlos da. 'Gott, du wirst mir so fehlen…', gestand er plötzlich verzweifelt und brachte mich somit erneut zum Heulkrampf.
'Du mir auch.'
Er lockerte seinen Griff und nahm mein Gesicht in seine Hände. Während er sprach, wischte er mit seinen Daumen ein paar Tränen weg. 'Ich liebe dich sehr, vergiss das nicht, okay?'Ich schloss die Augen und verbarg mein Gesicht so gut es ging in seinen Händen.
'Versprochen.' Ich schluchzte erneut. 'Vergiss du auch nicht, dass ich dich genauso liebe, ja? Bitte.'
Er nickte schnell und heftig. 'Versprochen.' Dann küsste er mich und ich spürte die Sehnsucht, meine und seine.
Es war der schlimmste Kuss, den ich jemals erlebt hatte. Ich verspürte nun nicht das leiseste Glücksgefühl, da war nur Trauer und Schmerz. Das Messer drehte sich.
Ich drängte mich noch ein letztes Mal an ihn, dann war es vorbei.
Er beendete den Kuss und sah mich mit einem Gesichtsausdruck an, der mir das Herz zerriss.'Ich werde dich besuchen.', versprach er erneut.
Ich nickte stumm. Er umarmte mich noch ein allerletztes Mal und flüsterte:
'Bis dann.'
'Bis dann.', stimmte ich kaum hörbar zu und schluchzte erneut.
Dann ließ er mich los und ich drehte mich um, um zurück zu meinem Hotel zu gehen.Ich konnte nicht sagen, wie oft ich auf dem nach Hause Weg zusammenbrach, aber ich wusste, dass es nicht oft genug war.
Mir wurde immer wieder schmerzhaft bewusst, dass das nun das letzte Mal war, dass ich ihn gesehen hatte. Und zwar für unbestimmte Zeit. Wie sollte ich nur einen Tag ohne ihn auskommen? Wie sollte ich eine Woche ohne ihn überleben? Wann würde ich ihn wiedersehen? Würde ich ihn überhaupt wiedersehen? Würde ich jemals wieder glücklich sein können, oder würde ich an diesen unerträglichen Schmerzen Zugrunde gehen?

_______________________________________________

So Leute, ich wollt nur sagen, dass die Geschichte hier noch LANGE nicht vorbei ist! :) Ich hoffe, es hat euch gefallen ;)







Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz