Das Versprechen meines Lebens

Autor: Denise
veröffentlicht am: 13.06.2005




Ich hatte erst ein Jahr auf dieser Schule verbracht und doch wurde ich wie keine andere Respektiert und bewundert, aber nur von den Jungs. Ich bin ein Kumpeltyp und hatte in dieser Zeit eigentlich nur Freundschaften mit Typen, ich konnte mit Mädchen nichts anfange, sie waren mir einfach zu oberflächlich und ich war und bin genau das Gegenteil. Doch so schön es auch war so viele Kumpels zu haben fehlte mir doch eines: eine Beziehung.

Das Problem war, dass ich für alle wirklich NUR ein guter Freund war mit dem man Scheiße bauen kann, Spaß hat, aber auf keinen Fall eine Liebesbeziehung eingeht! Sie sahen mich gar nicht mehr als Frau, weil ich auch nicht so ein Klischee haben wollte. Ich zog mich zwar fraulich an, doch meine Interessen, meine Redensart und mein Humor gingen eher in die Richtung der Typen.
Es wagte schon einmal ein Junge aus der Schule mit mir eine Beziehung zu führen, doch es war nicht das Wahre. Es gab keine Intimitäten und schon gar keine Liebe zwischen uns. Er war im Kopf noch Kind und mit so etwas komme ich einfach nicht klar. Ich liebe kleine Kinder, doch mit 17 hat man dann das Recht verloren sich wie 10 zu benehmen.

Es verging ein Schultag wie jeder andere, doch etwas war anders. Hat da gerade eben ein Kumpel von mir gefragt, ob ich Lust hätte mit ihm was trinken zu gehen? Nur mit ihm? Alleine? Nein, ich muss mich verhört haben. Es gab keine Alleingänge. Es ist noch nie passiert, dass mich jemand fragte ob ich mal Zeit hätte...alleine.
Und wieso fragt ausgerechnet ER mich so etwas?
Gerade ER, der mir doch schon öfters ein paar genauere Blicke wert war. Der mich schon des Öfteren Gedanken in der Nacht gekostet hat.

Natürlich willigte ich ein und verbrachte sogleich einen wunderschönen Tag in der Stadt...mit ihm.
Und ich wusste, dass ich verliebt war. Er hatte so eine geheimnisvolle Art, die mich unglaublich faszinierte.
Es verging kein Tag an dem wir uns nicht nach der Schule noch bei ihm trafen. Es war offiziell: wir sind ein Paar! Ich hatte jemanden gefunden, der mir gleicht und der mir den Wunsch einer Beziehung erfüllte.
Ich werde niemals seine Küsse, seine Art zu sprechen, seine Kastanienbraunen Augen und schon gar nicht seine kleinen Macken vergessen können.
Eine seiner Macken war es, wenn er sich aufregte oder wenn er deprimiert oder traurig war, sich auf den Boden zu setzen und die Augen zu schließen und so lange die Luft anzuhalten bis ich kam und ihn rütteln musste. Ich hasste es wenn er das tat. Aber es gab einen bestimmten Grund warum er es immer wieder getan hat.
Er hatte einen kleinen Bruder, der bei einem Autounfall ums Leben kam. Und wenn er sich wieder einmal so schmerzvoll daran erinnern musste, hielt er die Luft an, in der Hoffnung bald bei ihm zu sein. Ich konnte das nie mit ansehen und lies ihn dann meistens alleine. Er versprach mir auch es in meiner Gegenwart nie wieder zu tun, doch die Erinnerungen kamen immer wieder einfach so und ganz unverhofft über ihn und der setzte sich auf den Boden und schloss seine Augen...hörte auf zu Atmen.

Es vergingen wunderschöne 4 Monate, in denen ich aufblühte. Es gab keinen Tag an dem ich unglücklich war, denn er war bei mir. Er gab mir so viel Kraft und dazu brauchte er nicht einmal viele Worte. Seine Blicke reichten aus um zu wissen, dass er mich nie alleine lässt. Er sagte mir jedes Mal wenn wir gemeinsam auf seinem Bett saßen, wie sehr er mich doch liebt und dass er ohne mich nicht mehr leben kann. Es ist schon schlimm genug, dass er seinen Bruder verloren hat. Wenn ich gehe, dann geht er auch...
'Wenn du gehst, dann gehe ich auch!' erwiderte ich immer wenn er dies zu mir sagte. Es war ein Versprechen, dass wir uns gaben als Beweis für unsere Liebe. Ein ziemlich kindischer Entschluss, doch unsere starken Gefühle für einander forderten es heraus. Das Versprechen stand fest.

Er erinnerte mich jeden Tag daran und es gab mir Kraft. Wenn du weißt dass du einen Menschen so glücklich und vollkommen machst, dass er ohne dich nicht mehr leben möchte, bist du stärker und kräftiger denn je. Und es ist ein Liebesbeweis der Wort wörtlich unter die Haut geht.

Es war Faschingssamstag 2002. Ich war damals 12 Jahre alt! Ja, 12! Und wusste damals schon, was es heißt zu lieben. Und dachte auch gewusst zu haben, was es heißt geliebt zu werden.
Wir waren verabredet für die große Party in der Stadt. Es war von Anfang an komisch, denn ich durfte davor nicht zu ihm kommen. Er bestand darauf, dass wir uns direkt in der Stadt trafen.
Okay, dachte ich mir und marschierte die Fußgängerzone entlang, als er mir mit seinen Kumpels entgegen kam.
Es gab eine flüchtigen Begrüßungskuss und ich marschierte von ihm völlig unbemerkt neben ihm her zu der Party auf dem Rathausplatz.
Ich wurde immer deprimierter. Ich hatte Schmerzen in mir und wollte sie mit Alkohol bekämpfen. Damals hatte ich noch nicht viel Ahnung was das Alkohol trinken betraf. Und es floss immer mehr in meinen Körper. Ich rauchte eine Zigarette nach der anderen...und er? Er stand drei Meter von mir entfernt und beachtete mich kein Stück.
Was war bloß los? Was hab ich denn falsch gemacht?
Ich musste mit ihm reden! Doch nach längeren Versuchen, machte er mir eindeutig klar, dass er keine Lust hatte mit mir zu sprechen.
'Lass mich einfach in Ruhe mit meinen Freunden feiern und mach was du willst! Ich meld mich schon wenn ich Bock hab mit dir zu reden! Und jetzt lass mich zu Frieden!'....Ich brach in Tränen aus, setzte mich auf die Steintreppe und weinte. Ich weinte fast eine halbe Stunde lang, doch er bemerkte es nicht. Er tanzte und feierte ausgelassen mit seinen Kumpels und mit anderen Mädchen. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden. Er tanzte und tanzte und plötzlich küsste er eine andere. Auf einmal blieb mir der Atem weg. Ich bekam keine Luft mehr. Ich vergas mit einem Schlag was ich gerade gesehen hatte und musst mich anstrengen wieder normal Atmen zu können. Als ich mich wieder gefangen hatte, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen! Er küsste eine andere und hatte Spaß dabei ab und zu seinen Blick zu mir zu wenden und zu sehen wie verkümmert ich noch immer auf der kalten Treppe saß. Oh Gott, es tat so weh. Ich war so verwirrt, dass ich plötzlich nicht mehr wusste wo ich war. Ich sah alles nur mehr in Zeitlupe vor mir. Er küsste sie zärtlich und langsam...so wie er mich immer küsste. Mit einem Mal wandte ich meine Blick von ihm und von der Menge ab und rannte zu meiner Freundin. Drückte ihr meine Haustürschlüssel in die Hand und sagte zitternd: 'Ich muss wohin...ich kann nicht mehr...ich weiß nicht wann ich zuhause bin...oder ob ich überhaupt nachhause komme...bitte warte nicht auf mich...ich gehe.'
Doch ich brauchte noch etwas um das zu tun was ich vor hatte. Ich wollte wie im Film mich unter eine Brücke setzen und mich vollaufen lassen. Was das was dann weiter passieren könnte, wollte ich mir keine Gedanken machen. Ich kaufte mir noch zwei Flaschen Alkohol und rannte tränenüberströmt die ganze Fußgängerzone hinunter und hielt erst dann, als ich da war wo ich hinwollte.

Ich stieg die Stufen zum Wasser hinab und hatte Schwierigkeiten etwas zu sehen, da meine Augen schon angeschwollen waren, denn ich weinte unaufhörlich.
Es war dunkel. Ich erkannte nur die Umrisse meiner Hand. Mir wurde kalt und deshalb zog ich meine Jacke aus. Ich wollte frieren...ich wollte so erbärmlich wie noch nie aussehen und mich auch so fühlen. Jeder Schluck aus der Flasche war wie eine kurze Streicheleinheit. Ich merkte wie benommen ich schon war, doch es war mir egal. Ich wollte leiden! Die erste Flasche war leer und ich warf sie ins Wasser. Ich habe keine Ahnung mehr an was ich dachte, doch meine Gedanken haben mich zerfressen. Es gibt nur noch Abschnitte an die ich mich erinnern kann. Ich saß nun schon eine gute Stunde auf den kalten Steinen, im Dunkeln, am Wasser und weinte und weinte.

Und ein einziger Gedanke hatte sich wie Feuer in meinen Kopf gebrannt: 'Ich halte mein Versprechen auch wenn du es nicht tust!'

Und die zweite Flasche wurde immer leichter, bis ich den letzten Tropfen austrank und sie mit voller Wucht gegen die Steinmauer schlug.
Die Scherben prallten ab und flogen auf mich zu, doch ich hielt mit meiner ganzen Kraft den Flaschenhals in der Hand und konzentrierte mich nur noch auf diesen einen Gedanken.

Mein Gesicht war eiskalt von den getrockneten Tränen und ich spürte meine Beine nicht mehr. Doch die Kälte war mir egal. Ich schmiss den Rest der Flasche ins Wasser und versank in meinen zitternden Händen. Als ich mich aufstützen wollte um aus meiner Tasche eine Zigarette zu holen, griff ich eine Glasscherbe. Ich hatte mich nicht geschnitten und das schockierte mich.
Ich zündete mir die Zigarette an und spielte mit der Scherbe in der Hand. Selbst nach 20 Minuten saß ich noch immer da und konnte nicht damit aufhören langsam über meine Pulsadern zu streicheln.

Durch das Licht der Straßenlaterne konnte ich meine Hand in der ich die Glasscherbe hielt genau erkennen und fuhr damit über die Ader meiner anderen.
Ich hatte keine Angst vor den Schmerzen. Ich dachte nur daran mein Versprechen einzuhalten und dann schoss mir plötzlich das Bild in den Kopf wo er am Boden sitzt und die Luft anhält und ich ihm seine Verzweiflungstränen wegwische.
Und ich spürte einen stechenden Schmerz.
Ich stach mir völlig unbewusst in meine Pulsader und fuhr mit der Glasscherbe quer darüber.Ich sah das Blut und fühlte mich erleichtert. Der erste Schritt war getan.
Und ich wechselte die Hand und begann bei der anderen Ader zu ritzen.
Es tat weh, es tat schrecklich weh, doch der Schmerz der in meiner Seele war, war schrecklicher.
Als ich vor lauter Schmerzen die Scherbe fallen lies, schaute ich völlig verwirrt meine Hände an.
Das Blut ronn meine Unterarme hinunter und die Quelle waren brennende, stechende Schmerzen.

Ich wusste auf einmal nicht mehr wie ich hier herkam und was ich eigentlich getan hatte. Ich sah nur das rote Zeug, dass mir aus den Adern lief und holte sofort mein Handy aus der Tasche.
Ich wählte den Notruf und erklärte mit wackelnder Stimme wo ich war und legte genauso schnell wieder auf wie ich auch gewählt hatte.

Mir war als ob ich vollgepumpt mit Drogen völlig benebelt da saß und vor mich hinnstarrte, doch ich zitterte und merkte meine Aufregung erst als mich die Sirenen des Krankenwagens aus meiner Phase rissen.
Ich schnappte meine Sachen und rannte hinauf zur Straße wo ich auch schon die Sanitäter sah die mich suchten. Ich wurde bemerkt und in den Wagen gesetzt.
Ab dann wusste ich nichts mehr. Ich wachte auf der Intensivstation auf, mit Verbänden um den Handgelenken und verkabelt mit Geräten die hinter dem Bett standen und unaufhörlich piepsten.
Ich wusste was dieses Piepsen bedeutete und begann zu weinen.
Ob ich aus Verzweiflung oder aus Erleichterung weinte kann ich nicht sagen aber ich weiß dass ich niemandem mehr etwas verspreche, wenn ich nicht hundertprozentig weiß, dass ich es auch einhalten kann.









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