Leon

Autor: Hanna (2)
veröffentlicht am: 05.12.2008




Leon:

Ich ging mit meiner Freundin durch die menschenleere Bahnhofstraße. Es war Sonntagnachmittag. Normalerweise tummeln sich hier Leute, die förmlich an den Schaufenstern kleben oder auf dem Weg in eine Gaststätte sind. Doch heute tut sich nichts dergleichen. Vielleicht liegt es daran, dass es völlig zugeschneit ist, doch das hat uns nicht davon abgehalten durch Saarbrücken zu schlendern. Ich denke an Leon und an seine unerklärliche Bemerkung, die er mir gegenüber gemacht hat. 'Du wirst dich noch wundern.' Was hatte das zu bedeuten?
Als es so langsam anfing dunkel zu werden, machte sich Alina auf den Weg nach Hause. Doch ich blieb noch. Zu Hause war niemand, der auf mich wartete, und so entschloss ich mich, noch an das völlig zugefrorene Saarufer zu setzen und zu entspannen. Von etwas weiter weg drangen laute Rufe und Schreie zu mir. Einer der Schreie kam mir bekannt vor. War das etwa Leon, der Mädchenschwarm meiner Klasse? In letzter Zeit war Leon seltsam freundlich zu mir, wobei er mich doch vorher so ignoriert hatte. Seine Freunde verabschiedeten sich nach ein paar Wortwechseln von ihm und Leon kam in meine Richtung gelaufen.
'Hey Chiara! Was machst du denn noch hier?' 'Ich war mit Alina in der Stadt. Hab gar nicht damit gerechnet, dass hier heut noch ne Menschenseele vorbeikommt.' 'Ja, seltsam ruhig heute für so einen schönen Wintertag!' Er sah mir tief in die Augen. Wow, sind seine Augen so strahlend grün, das ist mir vorher noch nie so aufgefallen! Einfach himmlich. 'Hast du heut noch was vor?' Leon holte mich aus meinen Gedanken zurück ins Leben. 'Nee! Ich wäre eigentlich allein zu Hause, also hab ich mich noch hier hin gesetzt.' 'Ich kenne einen total romantischen Ort, wenn du willst zeig ich ihn dir jetzt.'
Wir rappelten uns also auf und gingen los. Ich zitterte am ganzen Körper vor Kälte. Als Leon es bemerkte, legte er seinen Arm um meine Schulter und gab mir seinen Schal. Wie süß von ihm. Bei seiner Berührung durchfuhr mich ein Kribbeln. Wo kam das her? So gingen wir eine Weile eng aneinander gepresst, weil er nun auch fror. Als wir weit weg von der Innenstadt an einen zugefrorenen See kamen, blieben wir stehen und setzten uns auf die nahe gelegene Bank. Wir saßen eine Weile einfach nur da und schwiegen uns an, als ich plötzlich auf die Idee kam, eine Schneeballschlacht anzufangen. Wir bewarfen uns ewig mit dem eiskalten Schnee. Mir kam es vor, als wären 3 Stunden vergangen, so dunkel war es schon! Endlich lagen wir erschöpft im Schnee und starrten den von Sternen übersäten, Himmel an. 'Wunderschön.' Aus Leons Richtung war nur ein müdes 'Mh' zu hören. Er rückte näher an mich heran, weil ich erneut vor Kälte zitterte. Als ich mich in seine Richtung drehte waren wir näher beieinander als ich gedacht hatte. Ich spürte seinen warmen Atem in meinem Gesicht, wir schlossen unsere Augen und er öffnete leicht den Mund. Wir küssten uns sehr lange bis wir uns wieder voneinander lösten!
'Leon, ich glaube ich hab mich in dich verliebt', hauchte ich ihm ins Ohr! Er drehte sich wieder zu mir, gab mir noch einen Kuss und sagte: 'Ich hab mich schon in dich verliebt, als du in meine Klasse gewechselt hast!' Wir standen auf und gingen Hand in Hand in Richtung Staatstheater. ' Ich hab mir das schon so lange gewünscht, weißt du das?' Leon blieb stehen und umarmte mich. 'Also sind wir jetzt zusammen?' fragte ich und wartete gespannt auf seine Antwort. Er sagte ohne lange zu überlegen 'Ja'. Ich sprang ihm vor Freude in die Arme und wir küssten uns wieder. Als wir am Theater angekommen waren, wollte ich mich verabschieden, doch er zog mich mit sich, und ich sah es als eine Einladung zum Übernachten an. 'Ich hab morgen ein Eishockeyspiel, wenn du willst kannst du mitkommen und zugucken' sagte Leon so plötzlich in die Stille hinein. Ich sah ihn verdutzt an und sagte: 'Leon, ich war bei jedem deiner Spiele'. 'Ich weiß!!!'

'LEEEEEEEEEEEEEOOOOOOOOOON!' ich sprang auf und rannte auf die Eisfläche zu der Stelle wo Leon reglos lag. 'Hilfe! Rufen sie doch einen Krankenwagen.'
Wenige Minuten später traf der Notarzt ein und Leon wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Ich war stets an seiner Seite und brach in Tränen aus als der Arzt verkündete, dass Leon im Koma lag! Nun kamen seine Eltern keuchend ins Zimmer gerannt, in dem Leon jetzt lag und sich immer noch nicht rührte. Für mich brach die Welt zusammen. Weinend fielen sich seine Eltern in die Arme, nun sahen sie mich auch weinen und Frau Stolz drückte mich ganz fest. Als Leons Eltern das Zimmer verließen, um mit dem Arzt zu reden, hatte ich etwas Zeit mit ihm alleine. Ich nahm seine Hand und streichelte sie. Es war Zeit zum Gehen als es draußen begann dunkel zu werden und die Krankenschwester nun ein paar Untersuchungen machen wollte. Ich küsste Leon noch einmal und verließ das Zimmer mit Tränen in den Augen.Als ich zu Hause ankam, nahm mich meine Mutter in den Arm und ich konnte mir die Tränen nicht unterdrücken. Ich ging ohne ein weiteres Wort ins Bett. Die Nacht war von Qualen geprägt und ich konnte kaum schlafen. Am nächsten Tag war Schule, ich konnte mich nicht konzentrieren und fing schließlich sogar in der Deutschstunde an zu weinen. Jetzt wusste es die ganze Klasse. Die Mädchen waren empört und wollten nach der Schule sofort ins Krankenhaus. Zum Glück hatten Leons Eltern angeordnet, dass außer der Familie und mir niemand zu ihm durfte.
Ich hatte seit Tagen nichts gegessen und besuchte Leon fast täglich zweimal. Es gab keine guten Aussichten. So langsam brach der Frühling ein und Leon lag immer noch im Koma. Die Ärzte hatten seit neuestem angeordnet, dass nur noch die Eltern Leon sehen durften und somit brach die Welt ein zweites Mal für mich zusammen.
Als es dann Sommer war, hielten mich seine Eltern nicht mehr auf dem Laufenden, wie es Leon ging. Vorher hatte ich jede Woche einen Brief von Familie S. erhalten in dem sie mir über Leons Gesundheit berichteten. Mit der Zeit wurde ich von meinen Freunden und Klassenkammeraden ausgegrenzt und stand jeden Mittag alleine auf dem Schulhof.Das neue Schuljahr hatte begonnen. Viele Schüler sind sitzen geblieben oder haben die Schule gewechselt. Es kamen auch einige neue zu uns in die Klasse, unter anderem Carlos. Carlos war groß, schlank und hatte ganz dunkelbraune Haare, ja, sie waren fast schon schwarz. Und ich? Ich war immer noch die einsame Chiara. Carlos wurde von den Mädchen umschwärmt, wie einst Leon umschwärmt wurde. Ich hatte ewig nichts von Leon gehört, und ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, dass er jemals wieder aufwachen würde.An jenem Tag, hab ich in der Schulkantine, an dem Tisch neben Carlos gesessen und zufällig mitgehört, wie er Alina(die einst meine beste Freundin war) über mich ausfragte. So kam es, dass sich Carlos öfter mit mir traf und wir zusammen ins Kino oder in den Park gingen. An einem Sonntagabend waren wir in einer Liebeskomödie und Carlos hat mich zum ersten Mal geküsst. Am nächsten Tag in der Schule kam es mir so vor als hätte ich einen noch schlechteren Ruf, weil es so schien als hätte Carlos jedem von unserem Kuss erzählt. Na ja, jedenfalls sah er es anscheinend als selbstverständlich an, dass wir zusammen waren und küsste mich vor allen Leuten in der Aula. Doch dann traf mich der Schlag, als Leon, kaum sichtbar, weil er von so vielen Mädchen umschwärmt wurde, direkt auf mich zusteuerte. Ich schubste Carlos weg, scheuerte ihm eine und rannte in Leons Arme. Bei Leons Küssen hatte ich immer noch dieses Kribbeln im Bauch, das Kribbeln, das bei Carlos nicht da war. Leon zog mich in eine abgelegene Ecke, in der wir unsere Ruhe hatten. 'Leon….' Begann ich doch er legte nur den Zeigefinger auf meine Lippen und ich hielt meinen Mund. Er gab mir den längsten Kuss den ich je hatte und steckte mir einen Ring an den Finger, als Zeichen, dass alles wieder gut werden würde.
Doch einige Tage danach die schreckliche Diagnose: Hirntumor! Ich konnte es nicht fassen und wollte ihn nie wieder aus meinen Armen lassen. Die Operation war bereits am nächsten Tag. Ich stand noch kurz bei ihm und seine letzten Worte waren 'Chiara, ich liebe dich. Vergiss das bitte nie.' Dann starb er während der Operation. !!!









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