Halbgöttliche Versuchung

Autor: roses of mackintosh
veröffentlicht am: 15.11.2008




Das Taxi brauste davon und hinterließ erstaunlicherweise kein Spritzwasser auf meinem Kleid. Ich spannten den schwarzen Regeschirm auf, wickelte den riesigen Schal, den ich als Jackenersatz erwählt hatte, enger um mich und stakste in Richtung Hilton. Ich glaubte, ihn zu erkennen, war mir jedoch wegen meiner Kurzsichtigkeit (und der Eitelkeit eine Brille zu verschmähen) und des schlechten Wetters unsicher. Er stand mit dem Rücken zu mir und schien die Menschen auf der anderen Seite des Hotelfensters zu studieren.Er musste das Klackern meiner Schuhe auf dem nassen Asphalt gehört haben, denn er drehte sich um und blickte mich an. Ich war überwältigt wie gut er aussah: Bis jetzt hatte ich ihn nur in blauer Krankenhauskleidung mit langer Hose und T-Shirt kennengelernt, doch ein Anzug sah wirklich klasse an ihm aus. Er war weder schlank noch übergewichtig, eher als stämmig zu beschreiben, ohne jedoch irgendwie zu dick zu wirken. Der Anblick raubte mir den Atem und ich musste mich kurz umdrehen, um meine Fassung wiederzuerlangen.

Sie stakste förmlich auf mich zu. Ich musste bei ihrem Anblick grinsen. Ich schätzte sie auf Mitte 20, gefragt hatte ich sie noch nicht, und das heutige Outfit stand ihr wirklich besser, als die schlichte weiße Schwesterntracht, in der ich sie ansonsten im Krankenhaus rumlaufen sah. Sie hatte ein schwarzes Cocktailkleid angezogen und einen riesigen Schal um die Schultern geschlungen, der Schirm verdeckte den Blick auf ihr Gesicht, aber da ich keine Haare herausschauen sah, vermutete ich eine Hochsteckfrisur. Ihre Füße steckten in dunkelblauen Lackpumps, als kleinen Farbspritzer zu ihrer ansonsten dunklen Kleidung. Ich hätte es nie laut gesagt, aber doch, sie gefiel mir. Auch sie musterte mich genau und drehte sich dann abrupt um. Ich war erstaunt und überwand die letzten Meter, bis ich genau vor ihr stand.

Hallo Anja, alles in Ordnung?
Ich drehte mich zurück: Ja sicher, ich dachte, ich hätte meinen Namen gehört! ? Himmel, was für eine bescheidene Ausrede. -
Wir haben uns ja farblich abgestimmt, er zeigte auf meine blauen Schuhe und seine dunkelblaue Krawatte, die ich erst jetzt wahrnahm, du siehst hübsch aus, meinte er lächelnd, nahm mir den Schirm ab, zog mich unter seinen und schloss meinen. Ich betete inständig, dass er wegen der Dunkelheit nicht sehen konnte, wie rot ich geworden war.
Danke, erwiderte ich schlicht und hakte mich bei ihm ein. Die Nähe zu seinem Körper löste wie immer Gefühle in mir aus, hoffentlich bekam er meine Unsicherheit nicht mit.
Im Hotel angekommen, wollte er mir meinen Schal abnehmen, aber ich fröstelte und mir schien es irgendwie unpassend, ihm mein Dékollté nun vorzuführen, deshalb lehnte ich ab. Ich dachte an unsere erste Begegnung im Krankenhaus, ich als Praktikantin, um das für das Medizinstudium vorgeschriebene Pflegepraktikum zu absolvieren. Er stellte sich als Stefan vor, und da er im Gegensatz zu den anderen Ärzten keinen Kittel trug, ging ich zuerst davon aus, dass er Pfleger war. Wir redeten relativ ungezwungen miteinander, bis er als Herr Doktor von einem Patienten angesprochen wurde und ich meinen Fehler bemerkte. Von da an baute sich eine kleine Glaswand zwischen uns auf. Mir war bewusst, dass das größtenteils von mir ausging, aber ich schämte mich ein wenig, dass ich - wie mir schien ? so respektlos mit ihm umgegangen war. Obwohl ich selbst Ärztin werden wollte, war ich immer darauf bedacht, Menschen in höheren Positionen auch respektvoll zu behandeln.

Anja, träumst du?, ich stubste sie an. Schon oft im Krankenhaus hatte ich bemerkt, dass sie beim Bettenmachen beispielsweise abdriftete, eine kleine Träumerin. Sie blickte mich ein wenig verwirrt an und es schien noch zu dauern, bis sie wieder in der Wirklichkeit angelangt war.
Tschuldigung, murmelte sie und senkte den Kopf.
Ich musste lachen: Macht doch nichts! Wollen wir hineingehen?
Ja sicher, zwitscherte sie, ganz die Alte, die seit Ewigkeiten von einem Krimi-Dinner schwärmte. Ich hielt ihr meinen Arm hin, sie ergriff ihn und dann stolzierten wir in den Saal zu unserem Tisch.
Es saß schon ein älteres Ehepaar dort, High-Society der Sprache und dem Kleidungsstil nach zu urteilen, und ich merkte wie Anja an meiner Seite sich ein wenig versteifte. Ich konnte sie verstehen. Auch ich war kein Kind aus hohen Verhältnissen, aber allein durch meine Tätigkeit als Arzt hatte ich gelernt, mit solchen Menschen zwanglos umzugehen, die Ärzten auch heute noch hohen Respekt zollten. Innerlich musste ich grinsen, als ich die Initiative ergriff: Guten Abend, die Herrschaften, grüßte ich, deutete eine Verbeugung an, Anja folgte sofort mit einem Knicks, dies ist meine Frau Dr. Anja Schultze und mein Name ist Dr. Stefan Schultze!
Ich merkte Anjas verwunderten Blick, tat aber nicht so, als hätte ich etwas mitbekommen.
Oh guten Abend, wie reizend Erwin, ein so junges gut erzogenes Ehepaar., meinte die ältere Dame und blickte uns verzückt an. Innerlich machte ich einen Luftsprung und verkniff mir ein lautes Lachen.
Da hast du Recht, Huberta, erwiderte ihr Partner ? Huberta, die arme Frau, wer kann seinem Kind denn so einen Namen geben?! Grinste ich in mich hinein- und stand auf, ich bin Erwin Rosenthal und das ist meine Frau Huberta, nett Sie kennenzulernen!
Erwin kam auf uns zu und gab Anja doch glatt einen Handkuss ? göttlich, wie ich fand- ich beeilte mich, ihm die Hand zu reichen. Dann zog ich Anjas Stuhl zurück und bedeutete ihr, Platz zu nehmen. Sie sah mich verschreckt an und ihre Stimme zitterte ein wenig, als sie sagte: Schatz ? sie verschluckte sich fast bei diesem Wort ? mir fällt gerade ein, dass ich dem Babysitter nicht gesagt habe, wo neue Windeln sind, kommst du kurz mit telefonieren? Ihr Blick war so flehentlich, dass ich nachgab, die Rosenthals um Entschuldigung bat und ihr ins Foyer folgte.
Was ist denn, Anja?
Wieso haben Sie mich als Frau Doktor vorgestellt, Sie wissen doch, dass ich noch an meiner Doktorarbeit schreibe? Und was sollte das mit dem meine Frau?
Erstens musst du nun aufhören, mich zu siezen, und zweitens, lass mir einfach den Spaß, du hast doch gesehen, wie sehr die beiden aufgetaut sind, das wird bestimmt noch lustig.
Seeeehr lustig, na ja, jetzt ist es sowieso zu spät, seufzte sie und ging wieder Richtung Saal.
Am Tisch angekommen, setzten wir uns, sie, etwas distanziert, den Blick auf die Tischplatte gerichtet.
Nun, Herr Doktor Schultze, dann erzählen Sie doch mal, was machen Sie beruflich?, setzte Erwin an. Diese Frage kommt zu 99,9% immer als erstes, fiel mir mal wieder auf, und ich berichtet von meinem Beruf als Urologe in der Universitätsklinik.
Huberta versuchte mit weniger Erfolg ein Gespräch mit Anja zu führen, die nicht auftauen wollte und einsilbig blieb. Dann blickte Huberta mich lange an und ihre Augen schienen zu sagen: Junge, kümmer dich gefälligst um deine Frau, augenscheinlich hat sie Sorgen!
Dieser Aufforderung kam ich selbstverständlich nach, legte Anja einen Arm um die Schulter, zog sie näher an mich heran und wisperte ihr zu: Alles in Ordnung, meine Hübsche?

Nein, nein, nein, verdammt, in Ordnung war gar nichts. Erst verzapfte er so einen Bockmist und nun zog er mich auch noch an sich ran. Meine Gedanken blieben stehen, ich hatte nur noch ein Bild vor Augen: Seine Lippen auf meinen.
Ob er mein innere Chaos bemerkte?

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Teil 2 der Geschichte, ich hoffe, es gefällt euch!
Liebe Grüße







Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4


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