Unterm Herbstbaum

Autor: Jiyu no Kotoba
veröffentlicht am: 07.11.2008




Es dauerte nicht lange, da wussten es alle. Natürlich, hatte ich etwas anderes erwartet? Wir waren das Traumpaar der Schule gewesen.
Mit dem Blick auf den Boden gerichtet ging ich zügig vom Schulhof herunter. Ich wäre gerne unsichtbar gewesen. Da dies jedoch nicht möglich war, kamen schon bald Yvonne, Nicole und Natasha.
'Du hast Schluss gemacht?!'
'Warum denn?'
'Hat er denn was getan?'
'Der arme Kerl…'
Ihr wart doch so süß zusamm-'
'Haltet die Klappe! Das geht euch nichts an! Rein gar nichts! Kapiert? Und jetzt lasst mich in Frieden!'
Ich schlug ein noch schnelleres Tempo an.
Verdammte Absätze! Memo an mich selbst: Nie wieder Absätze. Darin kann man nicht laufen. Aber sie seh'n besser aus, als flache Schuhe. Wo bin ich denn hier?
Verdutzt sah ich mich um. Hier war ich noch nie gewesen. Ich wurde langsamer. Na toll. Jetzt hatte ich mich auch noch verlaufen
Nein, nicht weinen! Was sollen denn die Leute denken? Ein Park erst mal dahin. Vielleicht ist da ja jemand, den ich kenne, der mir sagen kann, wie ich nach Hause komme. Daniel? Nein, also echt - träum weiter. Als ob er - nein, der hat bestimmt besseres zu tun, als mitten im Herbst durch den Park zu laufen. Aber vielleicht…?
Sauer über mich selbst schüttelte ich den Kopf und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht.Der Park war nicht allzu weit weg. Es war eine schöne Anlage, was vom Farbenspiel des Laubes noch untermalt wurde. Ich setzte mich auf eine Bank unter einem herrlich bunten Baum und stützte das Kinn auf die angezogenen Knie. So saß ich eine geraume Zeit da, spürte, wie mir langsam die herbstliche Kälte durch die Kleidung kroch. Und ich Idiotin hatte auch noch meinen Schal in der Schule liegen gelassen.
'Hey Mareike! Was machst du denn hier?'
Erschrocken zuckte ich zusammen.
'Oh, tut mir Leid, ich wollte dich nicht erschrecken.' Es war Daniel. Er setzte sich neben mich und sah mich lächelnd an. Wohlige Wärme machte sich in mir breit. Schüchtern lächelte ich zurück.
'Was machst du denn hier? Ich habe dich hier noch nie gesehen. Und ich bin fast täglich hier.'
'Ich, ähm…' Er wird mich auslachen. Ganz sicher wird er mich auslachen. Schiel nicht so nach oben, Mareike, da ist auch keine Rettung. Da sind nur ein paar Wolken. Wie groß seine Füße neben meinen sind! Fast so ein großer Unterschied wie zwischen unseren Händen.'Ich… ich hab mich verlaufen.'
'Oh. Wo wolltest du denn eigentlich hin?'
'N-nach Hause.'
'Wenn du mir sagst, wo das ist, kann ich dich hin fahren.' Er lächelte mich noch immer an. Wie lieb von ihm.
'D-danke… ich wohne in der Kastanienallee.'
'Oh… ach da…' Sein eben noch lächelndes Gesicht bekam einen mürrischen Ausdruck. 'Dann fahre ich dich besser nicht. Du willst vermutlich nicht mit einem wie mir von deiner Familie gesehen werden.'
Bahnhof?
'Hä?'
Er zog eine Augenbraue hoch… Die rechte.
'Ich bin wohl kaum der geeignete Umgang für eine Tochter aus gutem Haus.'
'Meinen Umgang suche ich mir immer noch selbst aus!' entgegnete ich heftig. Verdutzt sah er mich an. Und ich sah wohl nicht minder verdutzt aus. 'I-ist doch wahr' versuchte ich meine Unsicherheit zu überspielen. Ich beobachtete das Laub, das durch einen plötzlichen Windstoß um Daniels Beine geweht wurde. Fröstelnd zog ich die Schultern hoch.
'Du frierst ja.' Er klang wieder so lieb wie vorher und löste den schwarzen Schal, den er heute trug, von seinem Hals.
'Nein, lass, sonst frierst - ' Warm! Warm von Daniels Körper. Und er riecht so gut!'Keine weiteren Einwände?' Er lächelte wieder.
'Bringst du mich nach Hause?' Ich versuchte den liebsten Dackelblick, den ich auf die Reihe bekam. Ja, ich war egoistisch, aber ich wollte mich noch nicht von ihm trennen.
'Wenn du unbedingt willst.' Jetzt grinste er halb. Ich sah in seine braunen Augen und nickte. 'Na dann. Komm mit, mein Auto steht da hinten.'
Auf halbem Weg legte er mir den Arm um die Schultern. Ich war einen Augenblick lang irritiert, doch dann schlang ich ihm meinerseits den Arm um die Hüfte und lehnte mich gegen seine Schulter, was unser Tempo verlangsamte. Aber mich störte das nicht. Es fühlte sich einfach… richtig an. Und tausendmal besser, als je mit Nils. Selbst dann, wenn man davon absah, dass Daniels Größe einfach bequemer war.

Ich saß wieder auf der Bank unter dem Herbstbaum und sah dem Wirbeln der Blätter zuVerdammt, verdammt, was soll ich machen? Ich… oh Gott ist das kalt. Zum Glück habe ich Daniels Schal. Hmmm, er riecht so gut! Ich… will doch bei ihm sein, aber… sie werden sauer sein und… er hat mir noch kein einziges Mal gesagt, das er mich liebt. Und Zeit genug hatte er in den letzten Wochen. Vielleicht - spielt er nur? Nein, das - ich - oh, bitte nicht. Ach, dieser verdammte Wind. Wann kommt er bloß?
Was sollte ich machen? Ich hatte Geburtstag und meine Freunde wollten mit mir feiern. Ich las die SMS zum wiederholten Male:
Hi, mausi! Wo bist du im moment?
Sag bitte bescheid, wir (natasha,
sven, nicole und ich) holen dich
dann ab und dann feiern wir so ein
bisschen zusammen.
Es war ein Versöhnungsangebot, das wusste ich. Wir hatten uns in letzter Zeit so oft gestritten… wenn ich nicht kam, dann war es vorbei mit unserer Freundschaft, so sicher, wie das B dem A folgte. Wollte ich das wirklich für jemanden hinschmeißen, den ich im Grunde genommen kaum kannte?
Ja. Willst du. Ach verdammt, die Sonne blendet vielleicht. Selbst wenn er dich nicht liebt. Er hat Recht. Ich muss mein Leben leben und nicht das der anderen und meine - meine Freunde… ich werde mich mit ihnen nie wieder so verstehen, wie früher. Ich hab mich verändert. Ha!, jetzt klinge ich schon wie eine Omma.
Ein Paar herrlich warme Hände bedeckten meine Augen.
'Naaa, wer bin ich?'
Als ob ich seine wunderschöne brummige Stimme nicht überall erkennen würde.
'Daniel!'
Grinsend kam er um die Bank herum. Dann jedoch wich wein fröhliches Gesicht einem nachdenklichen Ausdruck. Seine Frage überraschte mich völlig.
'Mareike… Warum bist du hier?'
Äh… was?
'Eh, weil… wir haben uns doch verabredet!' Es klang ein wenig anklagend.
'Ja, ich weiß, aber…' er hob leicht hilflos die Hand. 'Mareike, du hast Geburtstag, du wirst siebzehn! Wieso bist du hier und nicht bei deinen Freunden?'
'Weil, ' Ich sah scheu zu Boden. 'Weil ich bei dir sein will. Du bist mir wichtiger!' Jetzt sah ich ihm wieder in die Augen. Ich wollte seine Reaktion sehen.
Freude? Freut er sich? Nein, keine Hoffnung, mach dir keine unnütze Hoffnung. Das tut nur weh. Seine Augen sehen wirklich aus, wie die eines Rehs. Ich will mich an ihn lehnen… Aber er ist so weit weg.
'Du willst bei mir sein? Ich… bin dir wichtiger?'
'Ja.'
'Eh… ach, tut mir Leid, jetzt habe ich total vergessen, dir zu gratulieren.' Wechsel doch nicht das Thema du Idiot! 'Herzlichen Glückwunsch und alles Liebe zum Geburtstag. Hier, das ist für dich.'
Er holte aus seiner geräumigen Umhängetasche eine Karte und einen Blumenstrauß zum Vorschein. Und gab mir beides.
'Danke!'
Schwarze und rote Rosen. Er und ich… Ach was, tagträum nur wieder…
Ich nahm die Karte und wollte sie lesen, als Daniel sie mir hastig aus der Hand zog.'Warte. Ich - bevor du sie liest, wollte ich dir noch was sagen…' Er sah mich kurz an, dann wieder weg, sah mich an und wieder weg.
'Jetzt sag schon. So unsicher kenne ich dich ja gar nicht.' Sein Benehmen machte mir ein klein bisschen Angst.
'Ich musste ja auch noch nie etwas so wichtiges sagen…' Er legte die Karte auf die Bank neben mich, nahm mir den Blumenstrauß aus der Hand und legte ihn dazu. Dann nahm er meine Hände in die seinen und zog mich auf die Füße.
'Mareike… ich… ich liebe dich.'
Kneif mich einer… kneif mich einer… ich träume… nein, nicht kneifen. Ich will weiterträumen.
Das war kein Traum. Daniels Kuss… Er war - atemberaubend. Das hätte ich mir selbst in meinen kühnsten Träumen nicht ausmalen können.
Mir einem Aufseufzen lehnte ich mich gegen seine Brust.
'Daniel? Ich liebe dich auch. Und es ist mir egal, was die anderen darüber denken, was sie sagen. Ich liebe dich, und das ist alles, was für mich zählt.' Ich drückte ihn an mich. Dann sah ich ihm in die Augen und nahm ihn an der Hand. 'Komm, ich stell dich meinen Eltern vor.'Ein leichter Windstoß fuhr durch die Äste des Herbstbaumes und ließ einen Regen bunter Blätter auf uns niedergehen.







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