Wohin der Wind uns trägt

Autor: _Abril_
veröffentlicht am: 04.10.2008




Wohin der Wind uns trägt Ich schwieg als er das Zimmer betrat. Nicht eines Blickes wollte ich ihn würdigen. Wütend knirschte ich meine Zähne aufeinander. Das Stück Papier behielt ich fest in meiner Hand und merkte dabei nicht, wie ich es langsam zerknüllte. Unschlüssig starrte ich auf die menschenleere Straße unter mir. Ihm die Meinung zu geigen wäre das Richtige, überlegte ich erbost. Die Spannung im Raum wuchs stetig. Meine Aufgebrachtheit beherrschte überwiegend die Stimmung in meinem Zimmer. Sogar das Wetter schien mitzuspielen. Die schwarzen Wolken am Himmel zogen sich immer dichter zusammen. Ich beobachtete stumm, wie die Sonne hinter dem Gewittervorhang verschwand. Die Welt war in Dunkelheit getaucht worden. In diesem Augenblick spürte ich, wie ich zu explodieren drohte. 'Genug', schrie ich und fragte mich gleichzeitig, wessen Stimme es wagte meinen Ärger derart in die Luft zu rufen. In meinem Kopf tobten die wildesten Phantasien. Verschiedenste Ideen kamen mir in den Sinn und schwirrten wie lästige Fliegen in meinen Gedankengängen herum. Jede Art der Trennung zog ich dem Schmerz unter dem ich litt vor. Unglücklich fuhr ich zusammen, als er mich sanft in die Arme zog.
'Lass das!' Irgendwie entfloh ich seiner Umarmung. Keinen Moment wollte ich länger mit ihm verbringen. Sekunden verstrichen, während ich mir meine Jeansjacke schnappte und raus in die Nacht lief. Meine Schritte führten irgendwohin. Hauptsache weit weg von all dem. Mein Atem ging stoßweise bis meine Kondition endgültig versagte und ich vor einer Schaukel zum Stehen kam. Mit gesenktem Haupt setzte ich mich etwas von der Schaukel entfernt auf die von Nässe durchweichte Wiese. Gleichgültig fühlte ich wie ich etwas in die nasse Erde eintauchte. Hier hatte es wohl oder übel geregnet, schlussfolgerte ich zynisch. Sarkastisch hob ich eine Braue, runzelte die Stirn und fuhr mir mit dem Handrücken über die betäubten Backen. Typisch! Der Schlamm auf meinen Turnschuhen war nun bis auf Knie Höhe gelangt. Ich überlegte nicht lange, ehe ich beschloss es dabei zu belassen. Ich hatte keinen Grund es mir bequem zu machen. Nichts war mehr wie es sein sollte. Alles hatte seinen Sinn verloren. Nun waren Sauberkeit, Ordnung, Familie für mich ebenso belanglos geworden wie für ihn. Ratlos blickte ich auf meine mit kleinen Edelsteinen verzierte Armbanduhr. Viertel nach sechs zeigte das Ziffernblatt. Jeannina würde bald nach Hause kommen. Ob Ian daran dachte sie abzuholen? Seufzend schelte ich mich selbst eine Närrin. Ich würde nie aus meinen Fehlern lernen! Unvermutet blieb mein Blick auf meinem Ehering haften. Verzweifelt begann ich an ihm zu zerren. Ich wollte ihn nicht mehr. Mit diesem Brief war alles vorbei. Auf einmal verharrte ich in meiner Bewegung. Der Brief. Fieberhaft suchte ich das feuchte Gras ab. Ich griff tief in die Erde, doch nur Dreck blieb an meinen Händen kleben. Keine Spur mehr vom Zettel. Er war verschwunden. Ich musste ihn auf den Weg hierher verloren haben, schimpfte ich ungehalten. Mit Tränen in den Augen gab ich die Suche danach verstört auf. Wie auf Kommando begann es erneut langsam zu regnen. Zuerst glaubte ich, es wären meine eigenen Tränen, die meine Wangen entlang wanderten und nasse Linien auf meinen Hals hinab zogen. Doch die Tropfen vermehrten sich rasch und schnell entdeckte ich meinen Irrtum.
Schutzsuchend stand ich mühsam auf und begann nach einem vorläufigen Unterschlupf Ausschau zu halten. Das Wetter wurde unterdessen zusehends stärker und artete zu einem tobenden Sturm aus. Der Wind peitschte mir die klatschnassen Haare ins Gesicht und die Abermillionen Regentropfen berieselten mein Gewand bis auf die Haut. Ich fror unheimlich. Selbst die Sicht trübte mir die Eiseskälte. Die Konturen meines Körpers zeichneten sich nun unter meiner Kleidung ab. Verunsichert verbarg ich mein Gesicht in meinen spröden Händen. Ich schämte mich für meine Blauäugigkeit. Ich fühlte mich erniedrigt. Mit einem Satz: mir war elend zumute.
'Er liebt dich nicht mehr, er liebt mich', erinnerte ich mich an die eisigen Worte in der vorletzten Zeile des Schreibens. Sie drangen unauslöschlich in mein Gedächtnis ein und zerschlugen meine Hoffnung die gelegentlich in mir aufkeimte. Ich verlor jegliches Zeitgefühl während ich bebend, meine Arme um mich umschlungen, vor einer Telefonzelle hockte. Ich hatte bisher keine Ahnung gehabt wie sehr ich mein Leben vergeudet hatte. So viel Liebe, Hingabe und Begeisterung hatte ich verprasst. Mein Plan vom Leben schwand mit jedem Augenblick der verging. Immer deutlicher sah ich vor meinem inneren Auge meine Vergangenheit. Zuerst meine Kindheit, dann meine Beziehungen und daraufhin mein Leben mit Ian. Wir dachten daran, uns niederzulassen. Planmäßig würde übernächstes Jahr unser Haus bezugsfertig sein. Jegliche Vorbereitungen waren bereits im Gang. Eigentlich waren wir soweit. Meine Gedanken verstummten auf Anhieb als ich ein sich näherndes Fahrzeug vernahm. Motorgeheule tönte durch den Wind bis zu mir her. Jetzt da so viel auf dem Spiel stand, da mein Traum unaufhaltsam vor meinen verschleierten Augen zerrann und meine Ehe zu Bruch ging, spürte ich wie ich doch noch einen Funken Zuversicht schöpfte. Suchte mich Ian? Eine Überlegung die mich dazu brachte aufzustehen, mein vor Wasser durchtränktes Gewand zu ignorieren und zaghaft zu lächeln. Vor mir tauchten schließlich die Umrisse eines Wagens auf. Mein Herz pochte, mein Puls raste. Wie betäubt fixierten meine Augen den kleinen undeutlichen Punkt in der Weite. Ich war außer mir vor törichter Freude, denn bald darauf erspähte ich lediglich den Auspuff des dunkelblauen Mazdas. Das Herz sackte mir bis in die Magengegend. Die Hand, die ich kurz davor zum Gruß erhoben hatte, fiel einfach abermals herab. Unwillkürlich schnaubte ich wie vom Donner gerührt. Kopfschüttelnd quollen aus meinen Augenwinkeln Perlen herab und benetzten meine bestürzte Miene. Ich verfluchte meine Gutgläubigkeit. Es war der Moment gekommen an dem ich mich als Person verabscheute. Versunken in meinen Grübeleien brach das Unwetter letzten Endes los. Ein Donner jagte den anderen. Nahezu selbstverständlich ging ich in die Knie. Verängstigt wünschte ich, dass jetzt kein Blitz folgte. Verspätet hatte ich meine Bitte geäußert, da riss der nächste Blitz buchstäblich die Wolkendecke auf. Zitternd schlang ich noch einmal die Arme um mich. In einem tranceähnlichen Zustand fing ich an, an meinen verkrampften Gliedmaßen zu reiben um etwas Wärme zu erzeugen. Dabei löste sich ein lautloser Angstschrei von meinen Lippen als sich über mir der Himmel ein weiteres Mal erhellte und ein lautes Dröhnen erklang. Meine Umgebung kam mir mit jeder Sekunde unheimlicher vor. Atemzug um Atemzug rang ich danach meine Bedenken und Hirngespinste aus meinen Vorstellungen zu verbannen. Ich zwang mich zur Ruhe. Nach einiger Zeit der Gefechtslosigkeit zog ich in Erwägung mich endlich vom Fleck zu rühren. Ich würde verrotten, wenn ich auf Ian wartete. Jene Zeiten in denen er sich etwas aus mir gemacht hatte, waren nun unwiderruflich getilgt. Zunächst ignorierte ich mein Bauchgefühl, welches mir Angst und Bange machte. Dann verdrängte ich jeglichen Eindruck von Verlassenheit, ehe ich meinen gesamten Mut zusammen fasste und zu hasten begann. Meine Verwurzelung nützte letztlich nichts. Als ich ein paar Meter bereits hinter mich gebracht hatte, sah ich ein vielversprechend beleuchtetes Fenster. Ohne Atem, mit geschwollenen Augen, triefender Kleidung und ohnmächtigen Körper erreichte ich die kleine Hütte am Waldrand. Nie zuvor war ich vor Freude aufgekratzter wie in dem Moment als ich die wenigen morschen Holztreppen hochlief und vor der Tür marode zu Boden ging. Erlöst fiel ich in einen erschöpften Schlaf.
Am Tag Filippas Beerdigung spielte das Wetter mit. Sonnenstrahlen erwärmten den gesamten Hügel des Friedhofs hinter der kleinen Kapelle. Weil es windig war, waren alle Trauergäste in schwarze Jacken oder Mantel gehüllt. Ian stand abseits des kleinen Weges der wieder hoch zu den Kirchentoren führte. Wie gewohnt zündete er sich eine Zigarette an. Schon immer hatte er sich beim Rauchen sicher gefühlt. Auch jetzt blieb diese Wirkung nicht aus. Von weiten beobachtete er seine kleine Tochter. Ihr goldenes Haar flog in der Luft und umspielte ich zartes Gesicht. Engelgleich sah sie in ihrem schwarzen Kleidchen aus. Nur die Tränen in ihren veilchenblauen Augen ließen anmerken welche Traurigkeit in ihr vorging. Er schnaubte. Zum Glück konnte er sich eine Auszeit gönnen, bevor er wieder der Trauerzeremonie beiwohnte. In den Armen der Großmutter wäre Jeannina ohnehin besser aufgehoben als bei ihm. Überreizt schmeißt er den Zigarettenstummel auf den Kiesboden. Wie konnte sie nur so selbstsüchtig sein? Wie konnte Filippa sie allein lassen? Was hatte sie sich dabei gedacht? Ian wirbelte mit dem Schuh etwas Sand auf. Fahrig ballte er die Hände zu Fäusten. Ein Windstoß ergriff ihn heftig. Er zog seinen Mantel fester zu.
'Du hast es nicht verdient! DU hast es nicht verdient mit dem Wind zu fliegen…'









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