Stürmisch

Autor: Mietze
veröffentlicht am: 10.10.2008




Die Sonne strahlte hell an diesem Oktobertag und die Gebirgspflanzen reckten sich nach der womöglich letzten Wärme in diesem Jahr. Der Himmel war klar und es ging nur ein leichtes Lüftchen, dass die Schweißperlen auf meiner Stirn nicht trocknen konnte. Mühsam schleppte ich mich die letzten Meter zur kleinen Holzhütte hinauf. Meine Klassenkameraden waren schon oben angekommen und einige warteten vor dem Häuschen auf mich. Keuchend vor Erschöpfung kam ich endlich an, ließ den Rucksack von meinen Schultern gleiten und sank auf die Bank, zwischen Tamara und Markus.
'Auch schon heroben?', fragte Thomas, der vor mir stand, grinsend. Zornig funkelte ich ihn an. 'Spät aber doch', warf Markus von der Seite ein. Wütend sagte ich, alle meine restliche Kraft aufwendend: 'Es haben eben nicht alle so lange Beine wie ihr zwei!' 'Genau', stimmte Lisa mir sofort zu.
Eine Weile herrschte Stille und das einzige Geräusch, dass zu hören war, war mein angestrengtes Atmen. Das war nicht besonders vorteilhaft, da ich mich so noch besser auf das Seitenstechen, dass ich vom Aufstieg bekommen hatte, konsentrieren konnte.
Plötzlich fragte mich Tamara: 'Ist alles in Ordnung?' Sie reichte mir eine Wasserflasche. Dankend nahm ich sie an und ließ einen großen Schluck meine ausgetrocknete Kehle hinunter gleiten. Sofort spürte ich, wie es mir besser ging und ich bemerkte, dass ein großer Teil der Gruppe fehlte. Bei mir standen und saßen nur Tamara, Lisa, Thomas und Markus.'Wo sind den die Anderen?', fragte ich schockiert über meine Dummheit.
'Dani, Betti, Theresa, Anna, Sarah und die Wachter sind Betten beziehen gegangen und Carmen, Martina und Emanuel sind am Klo', antwortete Tamara und verdrehte die Augen. Es war zwar nichts neues das Mädchen gemeinsam auf die Toilette gingen, aber die Dreierkombination aus zwei Mädchen und einem Buben war schon höchst eigenartig. Doch wir hatten uns schon daran gewöhnt, obwohl wir es nie erwähnten ohne die Augen zu verdrehen.
'Hätte ich mir eigentlich denken können', antwortete ich und gab ihr die Flasche zurück. 'Irgendwas muss doch wirklich zwischen den Dreien laufen, so wie die immer aneinander kleben. Da kann nicht einfach nur Freundschaft sein', meldete sich Lisa zu Wort.

'Ich glaub das auch nicht', sagte Tamara. Ich nickte nur zustimmend und blickte um mich. Thomas schien das Thema überhaupt nicht zu interessieren, denn er schoss unauffällig mit seinem Fuß einen kleinen Stein hin und her. Markus dagegen schien noch ein wenig mitgenommen von dem steilen Aufstieg, da er starr und ziemlich verkrampft zu Boden blickte. Plötzlich bemerkte ich, dass Carmen, Martina und Emanuel auf die Hütte zukamen und gab Tamara einen schmerzhaften Stoß in die Rippen. Sofort verstummte sie und wendete sich in die richtige Richtung.
'Ist die Pensionistin jetzt also auch schon angekommen', rief mir Emanuel schon von weitem entgegen.
'Diese Pensionistin kann wenigstens noch alleine aufs Klo gehen', konterte ich.
'Solltest du bei dem Klo aber besser nicht', antwortete Martina, 'Du brauchst mindestens noch einen Zweiten, der dich beatmet, wenn du in Ohnmacht gefallen bist'.
'Riecht es so schlimm?', fragte Lisa.
'Es stinkt nach Kuh', antwortete Martina.
'Kühe stinken nicht', rief Tamara empört.
'Doch tun sie', sagte Thomas lässig.
'Du stinkst sicher schlimmer', meinte Tamara, 'Aber das kann die Lisa doch sicher besser beurteilen'.
Lisa versuchte sie anzufunkeln konnte aber ihr schmunzeln nicht unterdrücken.
'Ihr könnt dann auch ein Mal rauf kommen und uns helfen', rief uns plötzlich Dani durch das Fenster zu. Ein missmutiges 'Ja' kam als Antwort und ich begann mich zu erheben.
Mühsam bückte ich mich, griff nach meinem Rucksack und hängte ihn mir über die eine Schulter. Dann folgte ich den Anderen in die Hütte. Das erste Zimmer das ich betrat, war eine große Stube, die das ganze Erdgeschoß auszumachen schien. In der linken vorderen Ecke waren eine kleine Kochecke und ein langer Tisch, auf dem wir wahrscheinlich essen würden. Eine Leiter links hinten führte in das obere Stockwerk. Zu meiner Rechte waren ein großer Kachelofen im hinteren Bereich des Zimmers und davor einige Sitzgelegenheiten, Tische und flauschige Teppiche. Insgesamt war alles recht einfach und hölzern, aber es machte einen sehr gemütlichen Eindruck.
Wie meine Schulkollegen, warf auch ich meinen Rucksack in die rechte vordere Ecke und begann sofort die Leiter hinaufzuklettern. Also ich oben ankam stockte mir der Atem. Ich hatte mir nicht vorgestellt hier auf einem Himmelbett zu schlafen, aber auf dieses war ich nicht vorbereitet gewesen.
Vor meinen Augen breitete sich ein großes Matratzenlager aus, das den gesamten oberen Stock einnahm. Mitten auf dieser Fläche saßen die sechs und hatten ihre Arbeit gerade beendet. Sie grinsten uns entgegen.
Plötzlich bemerkte ich das nicht nur ich verdutzt drein schaute, auch die meisten anderen wussten nicht wie sie mit dieser unerwarteten Wendung umgehen sollten. Lisa war komplett verwundert. Carmen warf mir einen vielsagenden Blick zu und deutete auf Lisa und Thomas, die neben einander standen. Tamara tat das gleiche, während Thomas nur dastand und mit abstand am dümmsten Blickte. Er versuchte zwanghaft verwundert zu Blicken, doch man konnte ihm die Freude deutlich ansehen, was dazu führte, dass er sein Gesicht krampfhaft verzog. Markus hingegen schien regelrecht entsetzt und Martina und Emanuel kicherten nur belustigt.
Die sechs erhoben sich und gingen auf uns zu. Betti sagte mit einem lächeln auf den Lippen: 'Ihr seit ein bisschen zu spät. Wir sind leider schon fertig, aber ihr dürft die Bettdecken dafür nach diesem Wochenende wieder entziehen'.
'Das sind unsere Betten?', fragte Lisa als Erste.
'Ja, sie sind doch perfekt um die Klassengemeinschaft zu fördern und dazu sind wir ja hier', gab Professor Wachter zur Antwort.
'Aber es gibt nicht einmal eine Geschlechtertrennung, was ist wenn etwas… na ja… passiert?', fragte Markus vorsichtig.
'Dann passiert es halt', sagte Thomas.
'Ich denke nicht, dass jemand von euch, dass worauf du angespielt hast, Markus, vor allen anderen ausleben wird', meinte die Lehrerin.
'Man weiß ja nie', sagte Martina und Blickte überdeutlich zu Lisa und Thomas.
Plötzlich erkannte ich, dass ich durch den Schock beinahe das Wichtigste vergessen hätte und ich ließ mich nach hinten fallen. Ich landete weich, aber doch bequem auf dem Matratzenlager.
'Also gemütlich ist es', sagte ich als mich die anderen verwundert anblickten. Alle begannen sofort zu lachen und als wir fertig waren sagte Frau Wachter: 'Kommt, es ist langsam Zeit das Essen zu machen, es wird schon bald dunkel'. Sie nickte in Richtung des kleinen Fensters an der Dachschräge und kletterte die Leiter hinunter.
Ich ließ den anderen den Vortritt und kam so als Letzte unten an. Als ich an den Tisch herantrat, war die Lehrerin bereits damit beschäftigt, die Kochutensilien zu suchen. Nach einer Weile blickte sie entschuldigend zu uns Schülern und sagte: 'Anscheinend ist hier nichts Essbares. Die Besitzerin muss wohl vergessen haben, das Essen herauf zufahren. Ich werde sie schnell anrufen'. Sie ging aus der Hütte und begann zu telefonieren.
'Ich hab schon einen riesigen Hunger', sagte Thomas, 'kann die sich bitte beeilen?'
'Du hast doch gerade erst vor einer Stunde etwas gegessen', sagte Lisa.
'Na und. Ich hab' eben schon wieder Hunger. Ich bin im Wachstum', entgegnete er.
'Ich hab noch ein Schinkenbrot im Rucksack, das kannst du haben', sagte ich.Sofort stand er von seinem Stuhl auf, durchquerte mit wenigen Schritten den Raum und begann in meinem Rucksack zu wühlen.
'Es bringt überhaupt nichts, wenn du das Fleisch nicht ist, es aber ihm gibst', meinte Tamara vorwurfsvoll.
'Wenn Gott gewollt hätte, dass wir uns nur von Pflanzen ernähren, hätte er uns noch drei Mägen mehr gegeben, oder einen riesigen Blinddarm', warf Thomas kauend ein.
'Mir ist es auf jeden Fall lieber, er ist es. Als es vergammelt in meinem Rucksack und springt mir dann am Montag entgegen', gab ich zurück.
Frau Wachter kam wieder herein und sagte: 'Sie hat sich ausdrücklichst entschuldigt und kommt sofort herauf um uns ins Dorf zu fahren. Den Einkauf wird sie uns erstatten. Möchte jemand mitfahren, sie hat ein großes Auto, es können also fünf'.
Sofort meldeten sich Betti, Dani, Anna und Theresa und auch Sarah wollte mitfahren. Sie erhoben sich, zogen ihre Jacken an, die über den Rucksäcken hangen und setzten sich gemeinsam mit Frau Wachter vors Haus.
Wir übrigen stellten uns auch dazu, jedoch ohne Jacken. Es war ein kräftiger Wind aufgekommen und wir fröstelten ein wenig. Zum Glück kam nach wenigen Minuten das Auto und sie stiegen ein.
'Beeilt euch aber lieber, es wird bald dunkel', rief Lisa bevor die letzte Tür geschlossen wurde.
Überrascht blickte ich auf meine Uhr. Es war erst wenige Minuten nach halb fünf.







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