Wenn die Gedanken nicht schweigen ... Teil 5

Autor: key
veröffentlicht am: 26.10.2008




Hey Leute, tut mir leid, dass ichs nicht schon beim gestrigen Update hochgeladen hab, abba ich hab voll verpennt, dass es ist, tut mir leid ^^
Und ich würd mich wieder über ganz viele Kommentare und Kritik - positive wie negative - freuen und was ihr eben von der Geschichte haltet. DANKE UND VIEL SPAß =)

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Nachdem ich mich von ihr verabschiedet hatte und vor ihrer Wohnung stand, sah ich mich unschlüssig um. Was sollte ich jetzt tun? Mir war momentan nicht danach, nach Hause zu gehen, wo mein Vater mich strahlend empfangen würde, weil er, seit meine Mutter bei dem Snowboardunfall ums Leben gekommen war, niemanden mehr außer mir hatte, denn er strahlend hätte empfangen können. Ich schüttelte den Gedanken an meine Mutter schnell wieder ab, denn ich konnte es mir nicht leisten, meinem Herzen zu dem schon vorhanden noch mehr Kummer aufzuhalsen. Aber wohin sonst sollte ich gehen? Ich hatte das Bedürfnis mit jemandem zu reden, meine Sorgen zu zerreden, Lösungen auszutüfteln, aber genau das ging nicht, weil ich genau wusste, dass Jolie mir das im vertrauen gesagt hat, dass niemals ein Wort davon meine Lippen verlassen würde.
Seufzend setzte ich mich auf die Steinstufen vor ihrem Haus. Die Kälte, die von diesen ausging, ließ meinen Körper erzittern und jagte mir einen Anflug von Gänsehaut über die Arme, doch ich blieb sitzen. Wenn ich schon sonst nichts tun konnte, um ihr zu helfen oder sie zu beschützen, und wenn ich auch keinen Platz hatte, wo ich jetzt hingehen konnte, so wollte ich wenigstens mit dem Gefühl hier sitzen, etwas für ihren Schutz zu tun, sie zu bewachen. Auch wenn ich wusste, dass es nichts brachte, da ich keine Ahnung hatte wovor und dass ich nicht ewig hier sitzen können würde. Aber in diesem Moment kam ich mir einfach vor, wie ein streunender Hund, allein, ohne zu Hause, keine Ahnung, wo er sich hinwenden soll, keine Idee, wer ihm helfen könnte, seinen Schmerz zu lindern, einsam in der Nacht und in völliger Dunkelheit.

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Er wunderte sich darüber, dass der Andere schon wieder so schnell aus dem Haus kam. Insgeheim war es wie Balsam für seine Seele, zu wissen, dass sie ihn so schnell fortgeschickt hatte, dass er nicht die Nacht bei ihr verbringen würde. Doch er wunderte sich noch mehr darüber, als der Junge vor dem Haus stehen blieb und sich unschlüssig umsah. Und er fürchtete schon, dass dieser Abschaum, der sich an seinem Besitz zu schaffen machte, ihn bemerkt hätte, so gründlich, wie er in die Stille lauschte und sich umsah. Doch Dylan wusste mit einer absoluten inneren Ruhe, dass das gar nicht möglich sein konnte, er konnte ihn hier im Schatten des gegenüberliegenden Eingangs nicht sehen. Es wollte sich gerade Erleichterung in ihm breit machen, als er sah, dass sich der Junge bewegte, doch dieser Erleichterung wandelte sich in kochenden Zorn um, sobald er merkte, dass sich der Junge auf die Stufen vor dem Haus setzte und wartete. Vor unterdrückter Wut machte er einen unbedächtigen Schritt zur Seite, um nicht wie ein kleines Kind, das seinen Willen nicht bekommt, zornig mit dem Fuß aufzustapfen. Doch direkt neben ihm lag eine leere Bierflasche, die wohl bei abendlichen Alkoholsexzessen von ein paar Jugendlichen unachtsam liegen gelassen worden war. Ein unnachahmlicher Ton, der nur beim Zerbersten von Glas entsteht, erklang wie ein heller Glockenschlag durch den tiefen Mantel der schweigenden Nacht.

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Erschrocken fuhr ich aus meinen Gedanken hoch. Da! Was war das? Ich war mir absolut sicher, dass ich etwas gehört hatte. Ich sprang auf und sah mich suchend um, konnte aber absolut nichts erkennen, da das flackernde Licht der Laterne die Umgebung nur wenige Meter erleuchtete und alles andere in einem gewissen Dämmerzustand und Halbschatten beließ. Ich hielt den Atem an und horchte angestrengt in die Nacht. Horchte, wonach auch immer. Vielleicht nach Füßen, die sich durch einen unbedächtigen Schritt verraten würden, vielleicht nach dem Atem dessen, der in der Dunkelheit lauerte, vielleicht nach seinem Herzschlag oder etwas anderem, das ihn verraten würde. Seltsamerweise verspürte ich keine Angst, sondern eher eine Art Fieber - Jagdfieber - Begierde, den zu finden, der für ihre Furcht verantwortlich war. Wenn es sein musste, würde ich diesen jemand mit bloßen Händen niederstrecken und eigenhändig erwürgen.
Diese Brutalität und Heftigkeit meiner eigenen Gedanken erschreckte mich zutiefst und zu dem Horchen in die vermeintliche Stille der Nacht kam nun noch etwas anderes hinzu, nämlich das Horchen in mein eigenes Herz und meine Gefühle, ob ich das, was ich gerade gedacht hatte wirklich ernst meinte. Und es dauerte keinen Sekundenbruchteil bis ich erkannte, dass ich es ernst meinte.
Todernst.

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Ein nicht enden wollender Bach aus Tränen lief mir über die Wangen und hatte schon eine verkrustete Salzspur auf ihnen gebildet. Und dennoch konnte ich nicht aufhören, beim Gedanken daran, dass der Kuss grade eben der allerletzte Kuss war, den ich mit Matthew geteilt hatte, der Blick in seine Augen das letzte Mal war, dass ich mich über das strahlende Grün wundern konnte oder wie sehr seine Blicke Spiegel seiner Seele waren, dass es das letzte Mal gewesen war, dass sein Atem meinen Hals gestreift und seine Finger meine Wange berührt hatten, das letzte Mal, dass ich seine wunderschöne Stimme mit dem mir mittlerweile so vertrauten norwegischen Dialekt gehört hatte.
Meine Mutter sah mich nur hilflos an und ich sah ihr an, dass sie mich gerne trösten würde, aber nicht wusste, wie. Und in diesem Moment überkam mich eine sinnlose Wut auf meine Mutter.
'Was siehst du mich so an, du bist doch an dem ganzen Schlamassel schuld!! Wärst du damals nicht mit meinem Vater nach Indien gegangen, sondern, wie er es vorgeschlagen hat, in Deutschland geblieben, gäbe es das Problem erst gar nicht! Dann wären Dylan und sein Vater völlig unbedeutend!'
'Du tust mir Unrecht!', wehrte meine Mutter sich verzweifelt gegen meine Anschuldigungen und kämpfte mit den Tränen. 'Du weißt, dass du mich nicht für den Tod deines Vaters verantwortlich machen kannst. Dass es nicht meine Schuld ist, dass er so wichtig war. Und dass es nichts geändert hätte, wenn ich geblieben wäre!'
'Doch!', erwiderte ich trotzig. 'Vater wäre vielleicht nicht mehr am Leben, aber zumindest hätten wir dann nicht Dylan und seinen Vater am Hals!'
'Glaubst du das wirklich? Glaubst du, dass ein Mann vom Format von Dylans Vater sich nicht trotzdem das genommen hätte, was er wollte? Noch dazu, da er diplomatische Immunität in nahezu allen Ländern dieser Erde besitzt? Glaubst du das wirklich?'Ich sackte innerlich zusammen. Es war eigentlich unwichtig, wer an was weswegen schuld war, weil es nun eben so war, wie es war. Aber ich konnte mich nicht einfach damit abfinden, den Rest meines Lebens in Angst und Schrecken und - vor allem anderen - ohne Matthew verbringen zu müssen. Doch ich merkte, dass nun auch meine Mutter zornig war - zurecht.'Los geh auf dein Zimmer, packen!'

***

Am nächsten Morgen stand er noch immer so reglos da, wie er in der Nacht dort gestanden und den Anderen, wie er ihn mittlerweile endgültig getauft hatte, beobachtet hatte. Der Andere hatte gehört, wie er die Flasche zertreten hatte - ein Fehler, den er nicht hätte machen dürfen. Er war aufgesprungen und hatte lange in die Dunkelheit gestarrt, doch Dylan hatte sich genauso lange nicht bewegt und nur ganz flach geatmet. Irgendwozu musste sein Training ja gut gewesen sein. Und für den Fall, dass der Andere ihn doch entdecken hätte sollen, hätte er ja immer noch sein Messer gehabt. Doch nach einer halben Stunde der Anspannung war der Andere sich wohl sicher gewesen, dass er sich das ganze doch nur eingebildet hatte, sehr zur Erleichterung von Dylan, da seine Rückenmuskeln ob seiner verdrehten Haltung langsam das Schmerzen begonnen hatten. Und irgendwann war der Andere dann doch gegangen. So gegen ein oder zwei Uhr morgens.
Doch er, er war geblieben. Reglos wie ein Fels war er Stunde um Stunde da gesessen. Nur wenn die Augenlider im schwer geworden oder seine Füße eingeschlafen waren, war er kurz aufgestanden und ein paar Schritte durch den Nebel gegangen, der sich langsam über die schlafende Stadt gesenkt hatte. Um fünf Uhr morgens dann passierte etwas, das seinen ganzen Plan zunichte machte. Ein dunkelgrauer BMW mit getönten Scheiben fuhr vor und eine kleine, brünette Frau stieg aus. Und mit ihr, ihr totales Gegenstück: Ein hoch gewachsener Mann, obwohl die Bezeichnung Schrank wohl treffender gewesen wäre, fast zwei Meter groß, dunkle, schwarze Haare, fast zweimal so breit wie die kleine Frau und mit Muskeln, die jeden Bodybuilder vor Neid hätten erblassen lassen. Dylan fluchte innerlich, als er die brünette Frau als die Kommissarin erkannte, die schon damals den Fall gegen seinen Vater geführt hatte. Was wollte die denn hier? Und er fluchte noch mehr, als Jolie und ihre Mutter beide mit drei Koffern und Jolie mit verquollenen und roten Augen aus dem Haus kamen, der Schrank ihre Sachen im Kofferraum verstauten. Machtlos war er gezwungen zuzusehen, wie sie wegfuhren und musste spüren, wie die Erkenntnis in sein Bewusstsein sickerte, dass er versagt hatte. Dass er zu weit gegangen war, als er sich ihr schon beim Schachspielen gezeigt hatte. Dass alles, worauf er in den letzten Jahren hingearbeitet hatte mit einem einzigen Schlag zunichte gemacht worden war. Sicherlich würde es ihm keine Probleme machen, herauszufinden, wo sie jetzt waren, aber es war doch ein Rückschlag, dass er weitere 24 Stunden darauf warten würde müssen. Als das Auto weit genug weg war, konnte er seiner Wut endlich freien Lauf lassen. Er trat gegen eine Tonne, so dass sie umkippte und sich ihr Inhalt über den ganzen Boden ausbreitete. Dann fand er in dem Baum, der neben ihm stand, ein geeignetes Objekt, um sein Messer auszutesten. Er ritzte und stach in seinem blinden Wutanfall so lange auf den Baum ein, bis er von den Wurzeln bis so hoch seine Arme reichten keine Rinde mehr hatte, als er fertig war. Dann zückte er sein Handy ... Ein Anruf und er würde schon heute Abend wieder den Platz gegenüber ihrem Haus einnehmen können.

***

Am nächsten Morgen ging ich noch mal zu ihrem Haus. Mir lies das ganze einfach keine Ruhe und sie hatte - entgegen ihrer üblichen Gewohnheit - auch nicht auf meine Gute-Nacht-SMS geantwortet. Vielleicht hatte sie auch einfach schon geschlafen, aber nach allem, was gestern passiert war, war es mir lieber, mich persönlich davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung war.
Ich klingelte und wartete. Wartete auf das vertraute Geräusch des Türsummers, das mir Einlass gewähren würde, wartete auf das Geräusch, das ankündigte, dass oben die Wohnungstüre aufgemacht wurde, wartete auf das Geräusch, das ihre Füße machten, wenn sie mir schon immer mit ausgebreiteten Armen im Treppenhaus entgegen kam.Wartete vergeblich.
Ich klingelte noch einmal, während schon die Unruhe in mir köchelte. Wieder passierte nichts. Ich klingelte ein drittes mal und ein viertes. Und als das nicht reichte, noch ein fünftes Mal. Und nach dem zehnten Mal hörte ich auf zu zählen. Ich wollte einfach nicht wahrhaben, dass ihr etwas zugestoßen war, in den wenigen Stunden, die ich nicht bei ihr gewesen war. Und falls es doch so sein sollte, würde ich mir das nie im Leben verzeihen können. Ich stand da und wartete und starrte auf die Tür, so flehen und bittend, dass das alles nur eine Halluzination oder ein Alptraum war. Mein Atem ging schnell und heftig und meine Ginger waren schon ganz klamm, als ich erneut auf den Steinstufen zusammensank und versuchte, mich zu beruhigen. Vielleicht waren sie und ihre Mutter ja einfach nur einkaufen. Oder besuchten einen Verwandten. Oder hatten sonst etwas zu erledigen. Oder ... Erleichterung machte sich in meiner Brust breit. Natürlich, sie hatte heute Schwimmtraining. Um meine Nerven zu beruhigen beschloss ich, sie von dort abzuholen, denn ich brauchte etwas zu tun und der Marsch würde mit gut tun, denn so lange ich lief, konnte ich nicht denken. Ich war schon seltsam. So viel Sorgen hatte ich mir noch nie in meinem Leben gemacht und ich wüsste nicht, was ich tun würde, wenn ihr etwas zugestoßen wäre. Vielleicht, nein wahrscheinlich, würde ich mir eine Brücke suchen und mich runterstürzen, weil ich das mit meinem Gewissen nicht vereinbaren konnte. Doch momentan gab es ja keinen Grund zur Sorge, alles war okay ... Ich setzte mich auf die Heizung im Eingangsbereich des Schwimmbads und wartete. Die Kassiererin nickte mir freundlich zu. Mittlerweile kannte sich mich schon. Ich war kein Vereinsmitglied, deswegen war es mir untersagt beim Training zuzusehen. Ich wartete und wartete. Und mein Herzklopfen beruhigte sich und meine Unruhe wich der Vorfreude, sie in meine Arme zu schließen, meine Nase in ihren nach Mandelmilch und Aprikose duftenden Haar zu vergraben und dann ihre Stimme zu hören. Und wie schon so oft kam mir der belustigende Gedanke, dass Verliebtsein wohl die schlimmste Droge und die größte Form der Abhängigkeit war, dass aber - Gott sei Dank - auf die Idee gekommen war, es zu verbieten. Da kam auch schon Fynn, ein Freund von Jolie, mit dem zusammen wir schon öfters etwas unternommen hatten, und sah mich erstaunt an.
'Hi', rief er erstaunt und schüttelte seine nassen Haare. 'Was machst du denn hier?' Ich wunderte mich über die dämliche Frage. Er kannte mich doch mittlerweile lang genug, als dass er wusste, dass ich Jolie öfters vom Schwimmen abholte. Da gesellte sich auch Aaron neben ihn und fragte 'Ja, was machst du hier? Jolie ist doch heute gar nicht beim Training!'Die Antwort traf mich wie ein Schlag in den Magen und meine Unruhe, die ich vorher verspürt hatte, wich einer unbändigen, großen Angst. Jolie würde nie und nimmer unter keinen Umständen freiwillig ihr Schwimmtraining verpassen. Irgendwas war hier faul. Megafaul.
Ohne ein weiteres Wort stürmte ich nach draußen und lief, wohin mich meine Beine trugen. Die würden schon instinktiv die richtige Richtung einschlagen, da war ich mir sicher. Ich versuchte, meinen Atem zu kontrollieren. Es war Jolie nicht dadurch geholfen, wenn ich jetzt einen Herzinfarkt haben sollte. Ich enterte die Polizeiwache und bestürmte den ersten Beamten, den ich finden konnte.
'Bitte, Sie müssen mir helfen … meine Freundin … ihre Mutter … weg … Angst … Schwimmtraining … nie und nimmer freiwillig … gestern … Unbekannter', japste ich, da ich nicht mehr fähig war, in zusammenhängenden, logischen Sätzen zu sprechen und die Hälfte der Worte von meinen tiefen Atemzügen verschluckt wurden.
'Bleiben Sie ganz ruhig und erzählen Sie mir erst einmal was los ist!'
Der Typ hatte vielleicht Nerven. Wie sollte ich bitte ruhig bleiben, wenn meine Freundin vielleicht grade in der Gewalt von irgendso einem Irren war, der sonst was mit ihr anstellte? Aber ich sah ja ein, dass es so keinen Wert hatte und ich wartete, bis ich wieder so weit bei Kräften war, dass ich dem Polizisten alles der Reihe nach erklären konnte. Der hörte aufmerksam zu, stellte ab und an ein paar Zwischenfragen und nickte hin und wieder. Vermutlich hatte ich Glück und war an einen guten Polizisten geraten, da er mich nicht für verrückt erklärte. Als ich fertig war und ihn erwartungsvoll ansah, meinte er nur 'Es tut mir leid für Sie, aber das Einzige, was ich Ihnen sagen kann oder darf ist, dass es Ihrer Freundin gut geht und sie wohlauf ist. Ein Sonderkommando ist für ihren Schutz während der Umsiedelung abgestellt!'
Ich verstand nur Bahnhof. Sonderkommando? Umsiedlung?
'Umsiedlung, was für eine Umsiedlung?'
'Zeugenschutzprogramm! Mehr darf ich Ihnen beim besten Willen nicht verraten!'Zeugenschutzprogramm? Die drei Worte schlüpften wie in einem Kreislauf immer wieder durch meine Gehirnwindungen, bevor sie auch nur im geringsten einen Sinn machten. Die wichtigste Erkenntnis jedoch kam zum Schluss: Sie lebte.
'Geht es ihr gut? Wo ist sie? Wann kann ich zu ihr?'
'Sehen Sie, ich glaube Ihnen ja, dass Sie ihr Freund sind, aber es ist uns allen strengstens untersagt, irgendjemandem aus ihrer Vergangenheit etwas über ihren neuen Aufenthaltsort mitzuteilen, abgesehen davon könnte ich das nicht einmal, weil der mir ebenso wenig bekannt ist, wie den anderen Beamten hier. Seien Sie sich nur versichert, es geht Ihr gut. Und jetzt gehen Sie bitte!'
'Das können Sie doch nicht machen! Ich muss sie wiedersehen! Ich kann ohne sie nicht leben! Ich flehe Sie an, lassen Sie mich wenigstens mit ihr sprechen!'
Warum hatte sie nichts zu mir gesagt? Gestern? Warum hatte sie mir nicht gesagt, dass es der letzte Kuss war? Warum hatte sie mich nicht eingeweiht? Wollte sie mich in ihrem neuen Leben etwa nicht dabei haben?

***

Die Stunden strichen an mir vorüber, ohne mich wirklich zu berühren. Ich bekam nichts um mich herum mit. War wie in eine Art Trance versunken. Meine Gedanken waren ständig nur bei Matthew. Und wie er sich wohl fühlen musste, wenn er entdeckte, dass ich nicht mehr da war, dass ich nie mehr wiederkommen würde? Was würde man ihm wohl auf der Polizeiwache sagen, wenn er dort nach mir fragte? Und wie würde er es aufnehmen?'Jolie, Essen!'
'Ich hab keinen Hunger!', antwortete ich und zog die Decke nur noch enger um mich. Das letzte Mal war ich noch kleiner gewesen. Es hatte mir Spaß gemacht, einen neuen Namen anzunehmen und ich hatte den Ernst der Lage nicht in seiner vollen Breite begriffen. Doch jetzt lastete das Ganze schwer auf mir. Ich wusste, dass mir jetzt nichts mehr passieren konnte, dass ich sicher war, dass er mich hier nicht finden konnte, aber eben diese Sicherheit gab mir die Zeit mit meinen Gedanken immer nur bei Matthew zu sein. Ich vermisste ihn schrecklich. Während der ganzen Autofahrt hierher, was immerhin ganze neun Stunden gewesen waren, hatte ich nur melancholisch aus dem Fenster gestarrt und versucht, seinen letzten Kuss nachzuspüren. Und mit der Gewissheit, dass ich ihn irgendwann im Leben wiedersehen würde. Vielleicht in fünf oder zehn Jahren. Aber so lange konnte ich nicht warten, denn mein Herz sehnte sich jetzt nach ihm. Außerdem, wer garantierte mir, dass er in der verstreichenden Zeit nicht eine Andere fand? Dass er genauso bereit war, zu warten, wie ich? Und allein dieser Gedanke hatte mir erneut die Tränen in die Augen getrieben, sodass der Mann, der uns begleitete, der Kommissarin einen verzweifelten Blick zugeworfen hatte. Ja, sollten sie mal sehen, was sie mir angetan hatten, als sie zuließen, dass Dylan mich fand.Da hörte ich, wie meine Mutter mit der Kommissarin außer Haus ging. Klar. Arbeit suchen. Eine Schule für mich suchen. Den Menschen die Umstände so weit es ging erklären. Meine Mutter hatte scheinbar keine Probleme damit, aus ihrer Welt herausgerissen und in eine neue hineingeworfen zu werden, wie in ein Haifischbecken mit anderen lauernden Gefahren. Ich heulte mich in den Schlaf.
Bis, ja bis, mich mitten in der Nacht ein Geräusch aufschrecken ließ und mein Herz seinen Schlag beschleunigte. Ganz ruhig, redete ich mit mir selbst, beruhig dich: Das sind bestimmt nur die Nachtgeräusche der neuen Umgebung, die dir noch unbekannt sind. Oder die Katze von nebenan, die du heute bei der Ankunft schon gesehen hast. Und da kein weiteres Geräusch folgte, das bestätigen würde, dass es das erste überhaupt gegeben hatte, kam ich zu der Erkenntnis, dass ich mir das ganze einfach nur eingebildet hatte. Aber nun lag ich wieder wach und dachte schon wieder nur an Matthew. Und eine Zeile aus 'Verdammt ich lieb dich' schoss mir durch den Kopf:
.... Und ich denke schon wieder nur an Dich ...
Plötzlich hörte ich erneut ein Knacken. Diesmal war ich mir ganz sicher, dass es da war und ich saß kerzengerade in meinem Bett. Lauschte in die Stille. Und die Angst kroch langsam meinen Rücken empor und sorgte dafür, dass sich meine Härchen im Nacken und an den Armen stellten. Mein Herz schlug so laut, dass ich außer dem Pochen in meinen Ohren kein weiteres Geräusch mehr wahrnehmen konnte. Ich beschloss, dass aufzustehen und Licht zu machen wohl das Beste war um die Angst zu verscheuchen. Ich stand also auf und tastete mich in meinem neuen Zimmer zum Lichtschalter vor, wollte grade die Hand danach ausstrecken, als sich eine raue Hand auf meinen Mund legte und ich an einen mit stahlharten Muskeln ausgerüsteten Bauch gezogen wurde. Dann spürte ich wie etwas kaltes, metallisches meinen Hals streifte und ich zuckte ein Stück zurück, gemäß meinem Fluchtreflex wollte ich mich wehren, wollte ... Da hörte ich direkt neben meinem Ohr Dylans tiefe, rauchige Stimme 'Versuch erst gar nicht, dich zu wehren, meine Süße, denn sonst … '
In diesem Moment spürte ich einen höllischen Schmerz, als sich der Dolch an meinem Hals durch meine Haut bohrte und das Blut eine warme Spur an meinem Hals entlang zog. Ich wollte schreien, doch ich konnte nicht. Meine Kraft reichte nicht und meine Angst stieg ins Unermessliche. Mein Herz ratterte wie eine Nähmaschine und Schweißperlen bildeten sich auf meiner Oberlippe. Alles in mir sträubte sich gegen seine Berührung.
'Hast du mich verstanden, meine Süße?' Ich nickte wie in Trance und suchte in Gedanken verzweifelt nach einem Ausweg - fand keinen. Saß fest, wie eine Maus in der Falle.'Gut, dann meine ich, dass wir beide jetzt dann ganz viel Spaß haben werden!'
Mit diesen Worten drückte der mir einen stinkenden Lappen aufs Gesicht und die Welt um mich herum wurde nach wenigen Augenblicken noch schwärzer, als sie in dem Dämmerlicht sowieso schon war und das letzte, was ich hörte, war sein leises Lachen und dass er zu sich selbst sagte 'Mh, schade um ihren schönen Hals, hoffentlich verheilt das bis zur Hochzeit wieder!'

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