Ermittlung in Sachen Liebe Teil 1

Autor: Akiko
veröffentlicht am: 18.08.2008




Die Tür des Büros von Geraldine Schneider öffnete sich und mit ein wenig Verspätung traten ein junger Mann und eine Frau ein.
'Guten Tag, Frau Schneider. Darf ich mich vorstellen? Ich bin Elisa Kramer und das ist mein Kollege Sean Voss. Wollen Sie uns nicht erzählen was passiert ist?', fragte die junge Frau und blickte Geraldine verständnisvoll an.
'Ja, natürlich. Heute Morgen bei dem gemeinsamen Frühstück habe ich festgestellt, dass eines der Mädchen fehlt.', Geraldine strich sich eine ihrer silber-grauen Strähnen von der Stirn und steckte diese hinters Ohr.
'Es handelt sich bei der verlorenen Person eindeutig um Ayse Martini.'
Elisa notierte sich alles auf einem kleinen Block und nickte. 'Können Sie uns etwas von ihr erzählen? Wissen Sie warum sie abgehauen sein könnte?'
'Ich bin mir nicht ganz sicher.', ratlos ließ Frau Geraldine Schneider ihre Fingerkuppen über den Schreibtisch gleiten, 'sie war schon immer eines unserer Sorgenkinder.'
'Wie meinen Sie das?'
'Sie kam mit fünf Jahren zu uns. Ihr Vater hatte damals ihre Mutter umgebracht. Vor Gericht nannten sie es jedoch Totschlag. Da sie keine Verwandten von Ayse ermitteln konnten, hielt die Polizei es für das Beste, sie ins Kinderheim zu bringen. So kam sie zu uns. Sie war zwar erst fünf Jahre alt, hatte jedoch schon viel durchgemacht. Sie wies viele Hemmatome auf, ihre Augen spiegelten eine solche Angst wieder, dass es uns immer Leid tat sie anzusehen. Allen war bewusst, dass sie von ihrem Vater ebenfalls misshandelt wurde.'
'Das ist ja furchtbar!', entfuhr es Elisa fassungslos, 'und wie ging es mit ihr weiter?'
'Nun ja. Nach und nach taute sie immer mehr auf. Spielte mit den anderen Kindern. Jedoch quälen sie bis heute schreckliche Albträume. Wir kommen nicht an sie ran, sie hat bis heute mit niemandem über ihre Gefühle gesprochen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Sie ist äußerst hilfsbereit, freundlich und lacht sehr viel. Aber da ist noch eine traurige Seite an ihr, die nicht verschwinden will. In den wöchentlichen ‚Sorgestunden' hat sie noch nie ein Wort gesprochen. Unsere Therapeutin ist an ihr gescheitert. Schon seit nun zwölf Jahren schweigt sie sich über ihre Gefühle tot. Sie redet nicht darüber.', an Geraldines glitzernden, gerührten Augen konnte Elisa sofort erkennen, wie wichtig ihr dieses Mädchen war. Auch sie selbst spürte ein leichtes Stechen in ihrem Herzen. Sie war sehr geborgen aufgewachsen und konnte sich nur sehr schwer in Ayse hineinversetzen.
'Haben Sie auch ein Bild von Ayse?', fragte sie schließlich.
'Ja, natürlich. Es ist erst vor ein paar Wochen aufgenommen worden.', Geraldine lief um den großen Schreibtisch herum und zog einen großen Aktenordner aus dem üppigen Regal.'Martini, Martini…Wo hab- ach, da ist sie ja!', sie holte ein Foto hervor und reichte es Elisa. Als diese in das Gesicht des Mädchens blickte, war ihr wirklich zum heulen zu Mute. Strahlende, honigbraune Augen voller Ausstrahlung glitzerten ihr entgegen. Ayse hatte dazu dunkelbraunes Haar, welches zu einem langen Zopf geflochten wurde und nach vorne bis über die Brust lag. Ein sanftes Lächeln, welches von süßen Grübchen umgeben war, rundeten das wunderschöne Gesicht ab.
'Unglaublich, die Arme.', hauchte Elisa.
'Nicht wahr? Wenn man sie so sieht, kann man sich das ganze nicht vorstellen. Sie ist in den letzten Jahren unglaublich hübsch geworden.'
'Hier Sean, guck sie dir mal an.', streckte ihm seine Kollegin das Bild entgegen. Er nahm es und schaute nur flüchtig in das junge Frauengesicht. Er drückte sich von dem Türrahmen, an dem er die ganze Zeit gelehnt hatte, ab: 'Warum gehen Sie nicht einfach zur Polizei? Wir sind nicht da, um pubertäre, entlaufene Mädchen-'
'Sean!', schnaubte Elisa und unterbrach ihn damit, 'Erstens hat Anwalt Herr Jochim den Fall schon angenommen und zweitens finde ich den Fall sehr interessant! Ich will ihr helfen!''Das du immer gleich so sentimental wirst!', entgegnete er genervt.
Frau Geraldine Schneider senkte derweil ihren Kopf: 'Es geht mir nicht darum, dass Sie Ayse sofort wieder zurückbringen. Das könnte die Polizei auch, damit haben Sie recht. Aber was würde uns das bringen? Sie würde mit der nächsten Gelegenheit wieder verschwinden, da spreche ich aus vierzig jähriger Berufserfahrung. Man kann ihr nur helfen, wenn man weiß, was ihr auf dem Herzen liegt, warum sie gegangen ist. Und darum wollte ich Sie bitten. Finden Sie raus, was Sie vor hat, damit wir ihr helfen können.'
'Ja, ich verstehe. Wir werden Ihnen helfen. Haben Sie eine leise Vermutung, wo sie sich aufhalten könnte?'
'Nein, ich habe keine Ahnung. Ab zwölf Jahren genehmigen wir zwar Freigänge in die Stadt, aber ich weiß nicht, wo sie gerne ist, oder wo sie Freunde hat. Sie könnten jedoch Medlen dazu mal fragen, das ist Ayse beste Freundin und Zimmerkollegin.'
'Das ist eine gute Idee.'
Elisa Kramer ließ ihren Block in die Innentasche ihres Mantels gleiten und folgte Geraldine, die bereits vorgegangen war. Aufgrund eines zornigen Blickes von seiner Ermittlerkollegin folgte Sean ebenfalls.
Zu Dritt liefen sie nun durch einen dunklen Flur, der nur durch künstliche Lichtquellen erhellt wurde. Bilder von verschiedenen Persönlichkeiten verzierten die Wand und auf dem Fußboden lag ein langer brauner, schon sehr abgenutzter Teppich. Sean saugte die Eindrücke in sich auf.
'Wir haben nicht genug Geld um dieses alte Gemäuer freundlicher zu renovieren.', erklärte Frau Schneider über die Schulter nach hinten schielend.
Herr Voss zuckte mit den Schultern und schlenderte weiter hinterher.
Links und rechts reihten sich nun Türen, wie in einem Gefängnis. Außer den kleinen Nummern waren sie alle vollkommen identisch und nicht voneinander zu unterscheiden. Bei der Zahl 68 blieb Geraldine stehen.
'Hier ist es.', schon drehte sie sich wieder der Tür zu und klopfte sachte an.
'Medlen? Ah, gut, dass du hier bist. Hier sind zwei Privatermittler, die gerne mal mit dir reden würden.'
'Mit mir?'
'Ja, ich lass euch mal alleine.', Frau Schneider machte Platz, sodass die zwei Personen eintreten konnten. Sean ließ seine Augen über die Einrichtung schweifen. Ein Stockbett nahm den meisten Platz ein, daneben unter einem Fenster stand ein einfacher Schreibtisch ohne Schubladen und sonst nur ein spärlicher Schrank. Das eine Bett war voll mit Kuscheltieren, dazu standen auf dem Nachtregal Bilder und Zeitschriften. Auf dem anderen Bett dagegen war nur Bettzeug und auf dem Regal lag ein kleines Buch. Insgesamt machte das Zimmer auf ihn einen ungemütlichen Eindruck. Lediglich das Fenster ließ frische Sonnenstrahlen eindringen, welche etwas Freundlichkeit mit sich brachten. Während Sean alles so scannte, hatte Elisa bereits mit der Befragung begonnen.
'Darf ich mich setzen?'
'Meinetwegen.', antwortete Medlen kurz und steckte ihre Nase zurück in eines der Zeitschriften.
'Ich bräuchte auch deine Aufmerksamkeit. Wir wollen deiner Freundin helfen, dazu brauchen wir jedoch deine Hilfe.', begann sie vorsichtig.
Medlen setzte sich nun auf und schlug das Heft zu.
'Alle wollen immer nur helfen, doch wirklich tun, tut es keiner.'
'Doch, wir wollen und werden ihr helfen.', versicherte Elisa, 'Weißt du, wo sie ist?'
'Ja.'
'Und?'
'Sag ich nicht.', Medlen drückte ihren Unterkiefer nach vorne, 'Das würde sie nicht wollen.''Hm, na gut.', überlegte die Detektivin, 'kannst du uns wenigstens ihren Grund sagen? Hat sie vor irgendwann wieder zurück zu kommen?'
'Beides Nein.', antwortete die Fünfzehnjährige.
'Du teilst dir diesen Raum mit ihr?', fragte Sean plötzlich und heftete seinen Blick auf das Büchlein, was auf dem Regal ruhte.
'Ja.', Medlen begann nun Sean zu mustern und löste plötzlich ihr Haargummi, um mit ihren blonden, mittellangen Haaren zu spielen.
Er machte einen Schritt auf das Stockbett zu, worauf Medlen aufstand und sich vor ihm aufbaute.
'Sind Sie auch ein Privatschnüffler?'
Er gab keine Antwort und streckte stattdessen seinen Arm in ihre Richtung aus. Sie begann leicht zu schmunzeln und tauchte mit ihren Augen in die seinen.
Er jedoch griff an ihr vorbei und krallte sich das Buch.
'Dann ist das ihr Tagebuch. Gut, wir haben alles, was wir brauchen. Ich gehe.'
'Sag mal, spinnst du?! Was sollte das denn jetzt? Und gib das Buch wieder her! Das geht dich ja wohl einen Scheißdreck an!'
Sean lächelte ein Stück, dieses kleine Lächeln weichte aber sofort wieder. 'Ich hab keinen Bock auf diesen Kindergarten, also…man sieht sich!', er hob verabschiedend seine Hand und verließ den Raum.
Entgeistert sah ihm Elisa nach. Dieser Kerl war einfach solch ein Trampel!
'Das gibt's doch nicht! Das darf er gar nicht!', kreischte Medlen auf und rannte ihm barfuss nach. Elisa seufzte und ließ ebenfalls den Raum hinter sich.
‚Dieser Typ sieht einfach besser aus, als es gut für ihn ist.', sie hatte sofort das Funkeln in Medlens Augen gesehen, als sie Sean erblickt hatte. Das konnte sie ihr jedoch keinesfalls verübeln. Elisa arbeitete nun seit genau drei Jahren mit ihm zusammen und es erging jeder Frau so. Egal ob Witwe, Ehefrau, Teenager oder gerade betrogene Frau. Alle bekamen diesen Blick, wenn sie einmal in seine Augen gesehen hatten.
Sean hatte schwarze, mit Gel bearbeitete, strubbelige Haare, Unglaubliche grün-blaue, große, offene Augen und schön gerade Zähne und Nase. Auch sein Körperbau war mehr als ansprechend, da er in seinem Job immer stark genug sein musste, um andere Männer zu überwältigen. Er sah einfach unbeschreiblich gut aus. Und es würde wohl niemals eine Frau geben, der das missfallen würde. Seinem Ego jedoch tat das gar nicht gut. Er liebte es Frauen mit seinen Reizen zu überfluten, so wie er es gerade wieder mit Medlen getan hatte. Eine feste Freundin hatte er dennoch nie. Die Betonung lag eindeutig auf FEST. Eintagsfliegen waren seine Spezialität, das vermutete Elisa zumindest. Sie hatte keine Ahnung von seinem Privatleben. Wieder seufzte Elisa. Mit was für einem Arschloch sie doch zusammenarbeitete, aber sie musste sich zugestehen, dass sie ihn mochte, sehr sogar.
Durch ihren ausgereiften Orientierungssinn, hatte sie, obwohl sie völlig in Gedanken versunken war, das Büro von Geraldine Schneider wieder gefunden und betrat dieses nun.'Haben Sie etwas herausfinden können?', fragte Frau Schneider sofort.
'Nein, sie hält dicht. Dabei glaube ich, dass sie sehr viel weiß.'
'Ich werde dann mal versuchen, etwas aus ihr herauszubekommen. Ich werde Sie dann kontaktieren.'
'Ich danke Ihnen.', nickte Elisa, doch dann fiel ihr noch etwas ein, 'mein Kollege hielt es für das Beste, sich das Tagebuch mal genauer anzusehen.'
Die Frau hinter dem Schreibtisch verschränkte ihre Arme und überlegte.
'Das ist ihr wichtigstes Eigentum. Ich halte das nicht für richtig.'
'Geht mir auch so.', gestand Elisa mit geneigtem Kopf.
'Sie haben nicht sehr viel zu sagen bei ihm, nicht wahr?'
'Er ist sehr eigensinnig und dickköpfig. Aber er ist ein hervorragender Privatermittler. Er würde sein Leben für jedes seiner Mandanten einsetzen. Man kann sich wirklich auf ihn verlassen.', plötzlich errötete Elisa. Aber warum? Es stimmte doch was sie sagte. Warum wurde ihr so warm? Geraldine schien sie sofort durchschaut zu haben und beendete das ganze: 'Nun gut, ich kann es jetzt auch nicht ändern, wenn es den Ermittlungen hilft. Sie informieren mich regelmäßig?'
'Ja, Anwalt Herr Jochim wird mit Ihnen in Verbindung bleiben.'
'Sehr gut, dann sehen wir uns.'
'Ja. Noch einen schönen Tag.'

Sean hatte sich auf seinem Fahrersitz zurückgelehnt, die Musik laut aufgedreht und genoss nun die entspannende Sonne, die ihm das Gesicht wärmte. Medlen hingegen hämmerte wie bescheuert gegen das Wagenfenster.
'Das würde ich dir nicht raten. Er wird zum Biest, wenn du einen kleinen Kratzer auf seinem Wagen hinterlässt.', schmunzelte Elisa ihr entgegen, als sie bei dem Auto angekommen war.'Aber der hat das Tagebuch! Tickt der noch ganz richtig?!', schrie Medlen immer noch aufgebracht. 'Aber doch nur, weil es wichtig ist, sie zu finden. Auch wenn er es nicht zugibt, er will ihr auch helfen. Und warum willst du uns eigentlich nichts sagen. Ist dir völlig egal, was mit ihr ist?'
'Natürlich nicht.', Medlen ließ besiegt ihre Schultern hängen, 'Ayse. Ich weiß nicht warum sie verschwunden ist. Ich weiß auch nicht wohin. Ich habe vorhin lediglich geblufft. Selbst mit mir redet sie nicht. Ich könnte Ihnen höchstens raten in der Disco Sunrise nach ihr zu suchen. Dorthin sind wir samstags immer abgehauen, wenn Frau Schneider ihren nächtlichen Rundgang beendet hatte.'
'Vielen Dank, Medlen!', strahlten Elisas Augen wieder. 'Aber warum nicht gleich so?''Weil sie mit Sicherheit nicht gefunden werden will. Wenn sie abhaut, können Sie sich drauf verlassen, dass sie einen Grund hat und nicht vorhat zurückzukommen. Ich wollte ihr nur helfen nicht gefunden zu werden. Wenn ich ihr wichtig bin, wird sie sich doch melden, hab ich Recht?', ihre Augen wurden feucht. Sofort lief Elisa zu ihr hin und nahm sie in den Arm. 'Ja, das ist wahr. Und sie wird sich bestimmt bei dir melden. Hier hast du Seans und meine Nummer. Melde dich einfach, wenn irgendetwas ist.'
'Danke.'
Sean öffnete ein Auge und sah, wie Elisa das junge Mädchen in den Armen hielt. ‚Sie bringt viel zu viele Gefühle mit in jeden Fall.', er öffnete die Beifahrertür wieder, sodass Elisa einsteigen konnte. Dies tat sie dann auch kurz später und Sean brauste davon.
'Wir werden Samstag, also Morgen, in die Sunrise-disco gehen.', verkündete Elisa.
'Mit dir? Da blamier ich mich ja.', schmunzelte Sean.
'Haha, witzig!', meinte sie ironisch und warf ihre straßenköterblonden Haare nach hinten, 'ich würde mich unter normalen Umständen auch nicht mit dir in einer Disco blicken lassen, nur zu deiner Information! Es geht einfach darum, dass das unser einziger Anhaltspunkt ist, sie zu finden. Sie ist dort immer mit ihren Freunden.'
'So so. Dann suchen wir jetzt tatsächlich einen entlaufenen Teenager in der Blüte seiner Pubertät.'
'Sie ist siebzehn! Pubertät ist da schon vorbei.'
'Hm…'

Nach langer Besprechung mit seinem Chef Anwalt Herr Jochim betrat Sean wieder seine kleine Wohnung im Erdgeschoss eines Dreifamilienhauses. Seine Wohnung war relativ eng und unbequem. Es fehlte eindeutig die Frau im Haus. So blieb das dreckige Geschirr einfach stehen und die Wäsche liegen. Erst wenn er nichts mehr zum anziehen hatte, raffte er sich dazu auf sich an die Hausarbeit zu machen.
'Herr Voss, öffnen Sie die Tür!', schlug es laut am Eingang, als er gerade mal seine Jacke in die Garderobe geschmissen hatte.
'Was gibt's?'
'Die Miete ist überfällig!', verärgert schwenkte die kleine, runde Vermieterin mit einem Zettel hin und her.
'Ich weiß, ich bezahl das noch.'
'Das sagen Sie immer! Ich gebe Ihnen noch bis Ende nächster Woche, wenn die Miete dann nicht kommt, geh ich vor Gericht!', schallte sie im Flur und schleuderte die Tür hinter sich zu.
‚Kann sie ihre Herrchen Spiele nicht an ihrem Mann austoben?!', fluchte Sean im Stillen.Er zog das Foto von Ayse aus seiner Hosentasche und sah sich die junge Schönheit etwas genauer an. Sie war wirklich wunderschön.
‚Also gut, dann werde ich mich mal um den Fall kümmern.'
Danach nahm er sich das Tagebuch und betrachtete das Cover:
'Tagebuch von Ayse Martini. Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß wie ich leide!'
Sie hatte auf jeden Fall eine Feinsäuberliche Schreibschrift und schien Tintenfüller zu bevorzugen. Sean kämpfte mit seinem Gewissen und ließ das Buch schließlich ungeöffnet auf seinem Couchtisch liegen.

Am nächsten Tag verbrachte Sean seinen 'freien Tag', er dachte zumindest, dass er frei hätte, mit einem 'Extrem-chilling-programm'. Er haute sich auf seine Couch und las die neusten Motorradheftchen bei qualmender Pizza. Doch nicht nur das Telefon wollte ihm die Ruhe nicht gönnen.
'Voss.', nahm er das Telefonat entgegen.
'Sean!!! Wo bleibst du???', quietschte ihm eine Stimme zwischen Gelärme entgegen.
'Wo sollte ich denn sein?', fragte dieser verwirrt und eigentlich deutlich uninteressiert, da er der Meinung war, dass er schon richtig war, dort wo er sich gerade befand.
'Jochim hat doch gesagt, wir sollen ab zweiundzwanzig Uhr in der Disco recherchieren!', erklärte Elisa eigentlich ruhig, musste jedoch schreien, damit ihre Stimme überhaupt durch die laute Musik hindurch kam. Sean schielte auf seine Uhr und nahm die Uhrzeit 22:15Uhr wahr.
'Boar, bin ja gleich da!', schnaubte er zurück und beendete das Gespräch.

Lässigen Schrittes kam er auf das Gebäude mit der leuchtenden Aufschrift 'Sunrise' zu. Seine Kollegin Elisa stand bereits draußen und erwartete ihn geduldig. 'Da bist du ja!', blubberte sie sofort los, als nur noch ein paar Meter zwischen ihnen war.
'Hast du schon was herausgefunden?', fragte Sean und steckte sich eine Zigarette an.'Nein, ich habe mir gedacht, wir fangen gemeinsam an. Du hast doch wohl nicht gedacht, dass ich die Arbeit mache, während du Motorradhefte liest und Pizza in dich reinstopfst?!''Woher weißt du-?!' ‚Typisch Privatschnüffler.'
'Also, dann lass uns mal reingehen.'
'Jo.', Sean schlenderte an ihr vorbei, um den Eintritt zu bezahlen.
'Geht beides auf meine Rechnung.', erklärte er und ließ das Geld auf den Tisch fallen. Verlegen folgte ihm Elisa in den nächsten Raum und stellte sich vor ihn.
'Hast du gerade für mich bezahlt?', fragte sie, die Verwunderung war ihr ins Gesicht geschrieben, genauso wie die Rührung in ihren Augen.
'Jo, du musstest doch wegen mir wieder raus, also hättest du zwei mal bezahlen müssen. Bin doch nicht so herzlos, wie du immer denkst.'
'D-das denke ich doch gar nicht!', meinte sie entschlossen nickend.
'Gut, dann amüsier dich mal schön, ich werde mich um den Fall kümmern.'
'W-was?!'
'Ich schaff das alleine. Der Fall scheint nicht so kompliziert zu sein. Sag bescheid, falls sie zufällig auf der Tanzfläche an dir vorbei tanzt.', ohne ihre Reaktion abzuwarten lief er zur Theke und setzte sich auf einen der Barhocker. Eine Rauchwolke verließ seinen Mundwinkel, worauf sich die Frau hinter der Theke zu ihm umdrehte.
'Tut mir Leid, allgemeines Rauchverbot.', erklärte sie freundlich lächelnd, 'Was möchten Sie denn trinken?'
Die Frau sah ihm tief in die Augen und wendete ihren Blick sofort ab, um ihn verlegen auf ein Glas zu richten, was vor ihr stand.
'Was empfehlen Sie mir denn?'
'Emm…Unsere Sunrisespezialität mit Ouzo.'
'Na gut, dann nehme ich den.', Sean drehte sich mit samt seinem Hocker um und prüfte die tanzende Menge. Er zog das Foto aus der Tasche. Konnte jedoch kein ähnliches Mädchen erkennen. Dann suchte er bei den sitzenden Teenagern, da schien sie auch nicht dabei zu sein. Könnte sie auf Toilette sein?
'Suchen Sie jemanden?', fragte die Bedienung plötzlich. Worauf sich Sean ihr wieder zuwendete. 'Ja, ich suche eine Freundin.', log er schnell, um seine Tarnung nicht auffliegen zu lassen.
'Vielleicht kann ich helfen?', die Frau stützte sich mit den Ellenbogen auf der Theke ab und suchte wieder seinen Blickkontakt.
'Ist sie öfters hier?'
'Ja, normal jeden Samstag.'
'Tatsächlich? Ich habe Sie hier noch nie gesehen, begleiten Sie sie für gewöhnlich?'
‚Die stellt mir eindeutig zu viele Fragen.'
Er nahm das Bild und ließ es über die Anrichte gleiten. 'Kennen Sie sie?'
Die Frau nahm das Foto und spitzte ihren Blick.
'Klar, sie ist oft hier. Ayse, nicht wahr? Hm…heute habe ich sie hier noch nicht gesehen. Aber ihr Freund ist hier. Sehen Sie? Dahinten bei der Sitzgruppe.', sie zeigte auf einen Tisch, an dem mehrere Teenager saßen. Seans Pupillen folgten ihrem Finger. 'Der mit den auffällig blauen Haaren. Er heißt Ron.'
'Ach ja. Die hatte ich gar nicht gesehen! Dankeschön.'
'Kein Problem.', sie grinste leicht verlegen und holte merklich viel Luft, 'Hätten Sie was dagegen, sich privat mal wieder zu sehen?', gespannt wartete sie seine Reaktion ab. 'Warum nicht?', er lächelte verführerisch. Er stand auf, nahm seinen Sunrise und zog ab. 'A-aber! Ich brauche doch Ihre Nummer?!', enttäuscht ließ sie ihre Schultern hängen, entdeckte dann jedoch einen kleinen Zettel, der auf dem Hocker lag, auf dem er zuvor gesessen hatte. Schnell eilte sie um die Theke herum. Innerlich hüpfte alles in ihr. Eine Nummer war mit etwas kritzeliger Schrift zu lesen.

'Sie scheint hier nicht zu sein!', kam Elisa erschöpft zu Sean, der nun an einem Tisch nicht weit entfernt von der Jugendgruppe saß.
'Psst!', fauchte er sofort.
'Was ist los? Hast du etwas herausgefunden?'
Sean nahm sie am Handgelenk und zog sie bestimmt auf einen Stuhl neben sich. Er lehnte sich zu ihr rüber, wodurch sie direkt in seine Augen schauen konnte. Sie musste sich so beherrschen, nicht wie alle anderen Frauen seinem wunderschönen Aussehen zu verfallen. Doch was machte er eigentlich gerade?
Er kam mit seinem Gesicht nah an sie ran. Elisa weitete ihre Augen, war auf alles gefasst. Was machte er denn bloß?
Doch dann hörte sie ein Flüstern in ihrem Ohr.
'Siehst du den Jungen mit den blauen Haaren? Das scheint ihr Freund zu sein. Sein Name ist Ron.'
'Aber der ist doch mindestens dreißig!', schreckte Elisa auf, 'den spreche ich an! Der kann was erleben!', wollte Elisa überrascht aufspringen, Sean hielt sie jedoch fest. 'So werden wir sie nie finden! Wenn wir ihn jetzt ansprechen, wird er sie doch vorwarnen!'
'Was schlägst du sonst vor?! Sie ist doch nicht dabei!'
'Du verhältst dich wie ein Amateur! Wir müssen hoffen, dass die Beiden noch Kontakt haben und ihn observieren.', schlug sich Sean innerlich die Hand auf die Stirn. Was war nur in letzter Zeit mit Elisa los? Sie überlegte gar nicht mehr was sie tat. Für gewöhnlich war sie eine exzellente Ermittlerin, doch zur Zeit war sie oft abgelenkt, mit ihren Gedanken weit entfernt und völlig übereifrig. 'Wenigstens haben wir jetzt eine Spur.', seufzte Elisa geschlagen.
'Nein, anscheinend ist unsere Spur geflohen!'
'Was?!', sie richtete ihren Kopf zu dem Tisch, er war leer…







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