Liebe(skummer) und schachmatt Teil 12

Autor: key
veröffentlicht am: 23.09.2008




Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber ich war wirklich ziemlich im Stress. Ich beeile mich auch mit der nächsten Fortsetzung, aber ich kann nichts versprechen, weil meine Wochenenden total verplant sind und ich unter der Woche sowieso keine Zeit habe.Trotzdem viel Spaß und: Kommentare sind AUSDRÜCKLICHST ERWÜNSCHT.

'Ja'
'Ohne was zu essen?'
'Ja'
'Ohne Klamotten, nur mit Hose, T-Shirt und Motorradjacke?'
'Also abgesehen davon, dass ich denke, dass du da wohl noch was drunter haben wirst … ja'
'Bei diesem Schneesturm?'
'Ja'
'Könntest du mal bitte aufhören ständig 'Ja' zu sagen und auch mal hysterisch werden?'
'Ja …'
'M-A-T-T-H-E-W!!!!!'
'Ja?'
Grrr, war denn das so schwer, wenigstens so zu tun, als hätte er auch Panik???
'Hast du denn keine Panik?'
'Jaaaa - nein!'
Okay, der Typ machte mich seelisch fertig, wie er da mit den verwuschelten Haaren und dem schiefen Grinsen vor mir stand und mich mit seinen Augen anblitzte.
'Und warum nicht?', fragte ich weiter.
Brav, immer schön das Gespräch im Gange halten, so kannst du keine Dummheiten machen. Und dann am besten einen Punkt an der Wand fixieren, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen. Schön machst du das. Boah, ich redete mit mir selbst, wie mit einem Kleinkind!!! Ging's eigentlich noch bescheuerter???
'Ganz einfach deswegen, weil das öfters vorkommt, also entspann dich, spätestens morgen ist der Schnee wieder so weit getaut, dass die anderen hochkommen, okay?'
Ich fragte mich, ob er das nur so sagte, um mich zu beruhigen und innerlich eigentlich selbst Panik schob oder ob er es auch so meinte. Da ich das im Moment nicht näher überprüfen konnte oder wollte und auch nicht fähig war, seine Stimme darauf zu analysieren, weil ich zu sehr damit beschäftigt war mein eigenes Herzklopfen unter Kontrolle zu bekommen, nickte ich nur stumm.
'Und, was machen wir jetzt?', fragte Matthew, als wir uns eine Weile schweigend angesehen hatten. Okay, ich korrigiere: nachdem er mich und ich einen Fleck an der Wand eine Weile schweigend angesehen hatte.
Ich dachte nach. Und dachte nach. Und dachte immer noch nach. Und wenn wir nicht gestorben sind, dann denke ich noch heute. Ach so, tschuldigung, falsches Ende der Geschichte, ich dachte also nach und hatte eine Idee.
'Naja, wir tun am besten das, wozu wir hergekommen sind.'
Matthew sah mich an und ich konnte die Fragezeichen in seinen Augen bildlich sehen.'Aha, und das wäre was?', fragte er mit einer gewissen Skepsis in der Stimme. Okay, zugegeben, ich konnte manchmal etwas verrückte Vorschläge haben, aber so verrückt, dass man davor Angst haben musste waren sie eigentlich nicht, ODER??
'Schach spielen!'
'Und womit? Die anderen haben die Bretter und Figurensätze im Auto ...'
Stimmt, Murks aber auch. Aber wir konnten hier doch auch nicht versauern, also mussten wir eben ein bisschen improvisieren.
'Macht nix, ich hab schon ne Idee.'
'Das hab ich befürchtet!'
'Hey …', setzte ich zu einem Protest an.
'Schon gut, was ist deine Idee?'
'Also: Wir hatten eine schwarz-weiß karierte Decke als Unterlage auf dem Motorrad …''Ja, aber selbst wenn das funktionieren sollte als Brett, haben wir noch immer keine Figuren!'Mh, nicht schlecht, er verstand mich also, ohne dass ich den Satz zu Ende gesagt hatte. Dieser einfache Umstand löste ein irrsinniges Gefühl in mir aus, irgendwie kribbelig, geborgen, behütet, beruhigt und mit einer Menge Herzklopfen. Verdammt!!!! Das geht nicht!!! Du bist selbst schuld, du hast selbst alles kaputt gemacht, du allein trägst die Verantwortung dafür, dass du jetzt nicht mit Matthew zusammen sein kannst!!! Hättest du ihn damals nicht geküsst, sondern gewartet, bis Aaron wieder da wäre und das Ganze hätte sich genauso entwickelt, hättest du JETZT die perfekten Voraussetzungen für eine harmonische, glückliche Beziehung mit Matthew und eine schöne Woche für euch zusammen. Aber nein, du hast alles zunichte gemacht, weil du nicht warten konntest, weil du immer deinem Bauchgefühl folgen musst, also lern die Konsequenzen daraus zu tragen und wag es ja nicht, dich jetzt so weit zu demütigen, dass du ihm sagst, dass du nun doch auf ihn stehst, was meinst du, wie es ihm da gehen würde???
'Mh, das ist weit weniger das Problem. Ich hab in meiner Jackentasche ein paar Schachübungsblätter mit Diagrammen auf denen verschiedene Stellungen zu sehen sind. Wir schneiden einfach aus allen Bildern die Figuren aus und haben dann welche. Es ist zwar nicht viel, aber besser als nichts, meinst du nicht auch??'
Er lächelte mich zaghaft an und meinte 'Das ist genial!'
Schön für ihn, dass er das genial fand, ich fand es nur noch schmerzhaft.
Sein Lächeln, seine funkelnden Augen, seine Stimme, seine Lippen, sein Duft. Alles in mir verzehrte sich danach, ihm wieder so nah zu kommen, wie ich es einmal war. Und es verzehrte sich so sehr danach, dass es schon weh tat. Ich wandte mich also ab, stapfte nach draußen und holte die Decke. Die Kälte half mir, meinen Kopf wieder klar zu bekommen und meine Gedanken zu sortieren. Doch das ganze Gedankengut, das ich grade fein säuberlich auseinander gefuselt und sortiert hatte, wurde wie durch einen Wirbelwind wieder ins tiefste Chaos verwandelt, als ich mit der Decke zur Tür reinkam und Matthew mich mit einem 'Mein Gott, du zitterst ja!!' in die Arme nahm und mir über die Arme rieb, bis sie wieder warm wurden. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich darauf, mich jetzt nicht fallen zu lassen, mich nicht allzu wohl zu fühlen, denn es half ja doch nichts. Er war einfach nett, höflich und zuvorkommend wie immer und das hatte gar nichts mit mir persönlich zu tun.Jemand fror, er wärmte diesen jemand. Jemand brauchte Hilfe, er half diesem jemand. So einfach war das. Und nichts weiter.
Als ich die Augen öffnete, bemerkte ich Matthews Blick, der mein Gesicht scannte, als würde er in meinen Kopf und in meine tiefsten Gedanken hineinsehen können. Matthew ließ mich los (das gute Gefühl wurde durch das Gefühl eines derben Verlustes ersetzt) und fragte mich 'Woran hast du denn gedacht?'
Ich sah ihn an und schwieg einfach. Eigentlich mehr nach dem Motto 'Schweigen ist auch eine Antwort', nach der er sich dann in seinem Verdacht bestätigt fühlen und darauf reagieren konnte, wie immer er mochte. Ich konnte ihm nicht sagen, was ich für ihn fühlte, aber anlügen wollte ich ihn auch nicht, also war das meiner Meinung nach die Möglichkeit, die beides in sich kombinierte.
Doch er interpretierte mein Schweigen falsch und meinte
'Hey, du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen, ich saß schon öfters mit meinem Vater auf der Hütte fest. Und wenn es morgen nicht besser wird, dann rufen wir die Bergwacht, okay? Und Konserven haben wir hier oben auch, genug um den nächsten Winter damit zu überstehen. Und wenn du jetzt nicht gleich ein fröhlicheres Gesicht machst, werd ich auch noch depressiv.'
Ich wagte den Versuch eines Lächelns und siehe da, es gelang - einigermaßen.
'Okay, dann lass uns Schachspielen'
Ich hatte nämlich in keiner Weise das Bedürfnis seine Fehlinterpretation meines
Gesichtsausdruckes aufzuklären.
Und so spielten wir. Den ganzen Nachmittag über. Bis es Abend wurde. Und selbst dann spielten wir noch, doch mit dem Abend kam die Kälte. Und Kälte fror mit so quasi immer das Gehirn ein und ich war einfach unfähig, weiter zu spielen. Matthew anscheinend auch.'Lassen wir es für heute gut sein. Es ist kalt und wir holen uns den Tod, wenn wir hier weiter so sitzen bleiben. Komm, wir sammeln die Decken aus den einzelnen Schlafräumen zusammen und machen es uns im Wohnzimmer gemütlich.', meinte er.
Ich nickte und stand auf. Ich hatte den ganzen Tag über noch nicht viel gesprochen. Vielleicht lag es daran, dass ich Angst hatte, dass mir die Stimme beim Anblick seiner Augen versagen oder sich überschlagen würde oder dass ich keinen Ton hervor brächte.

Wir setzten uns also, beide in jeweils 3 Decken gewickelt ins Wohnzimmer, aßen Obstkonserven und schwiegen uns an. Da fiel mit etwas ein, was ich dringend, trotz aller Angst, sagen musste, weil ich es schon seit heute Nachmittag, als ich aus der Kälte hereingekommen war, tun wollte.
'Du, Matthew?', fragte ich zwischen zwei Stückchen Annanas.
'Hm?', machte er und sah mir interessiert in die Augen.
Verdammt noch mal, natürlich war es nur höflich, jemanden, beim Reden in die Augen zu schauen, aber … ihr wisst schon.
Ich schluckte den aufkommenden Gefühlsmischmasch hinunter und antwortete'Naja, also, wegen dem, was ich neulich zu dir gesagt habe, als ich dich auf der Straße getroffen hab … es tut mir wirklich leid und ich möchte mich dafür entschuldigen. Sicher, Entschuldigung sagen macht es auch nicht wieder rückgängig, aber ich will trotzdem, dass du es weißt, vor allem, weil ich mich dir gegenüber unfair verhalten habe, schließlich hast du es nur gut gemeint. Ich …'
'Schon gut', unterbrach er mich sanft und lächelte mich an. 'Ich würd mich auch gerne entschuldigen, für das, was ich am Strand zu dir gesagt habe, ich war wirklich kindisch. Und du hattest recht, es war nur deswegen, weil ich dich nicht haben konnte. Aber bevor du dir Sorgen machst, ich bin darüber hinweg. Und ich hoffe nicht, dass die Sache zwischen Aaron und dir wegen mit zu Ende ist. Und falls es so sein sollte und du noch immer etwas für ihn empfindest, dann werd ich alles tun, um dir zu helfen, ihn zurückzubekommen.'Verdammt, was er gesagt hatte ließ meine Gefühle nur so durcheinander purzeln. Freude darüber, dass er meine Entschuldigung akzeptierte und sich selbst entschuldigte. Doch als er sagte, er sei über mich hinweg war das wie ein Schlag in die Magengrube. Wumm! Volltreffer! Direkt unter die Gürtellinie! Aber jetzt bloß nicht KO gehen. Einfach so tun, als wäre nichts. Aber habt ihr schon mal versucht, so zu tun, als wäre nichts, wenn euch nur nach Heulen zumute ist? Ich zwang mich dazu, ihn weiter anzusehen, mit ein Stückchen Annanas in den Mund zu schieben, zu kauen und zu schlucken, als wäre nichts. Doch die Annanas in meinem Mund hatte gar keinen Geschmack, sie schmeckte eher zäh wie Leder und es kam mir vor wie eine halbe Ewigkeit, bis ich sie schlucken konnte.
'Entschuldigung akzeptiert. Und das mit Aaron hat einen anderen Grund und zurück will ich ihn um keinen Preis, und auch nicht umsonst, der kann bleiben, wo der Pfeffer wächst. Aber ich finde es total lieb von dir, dass du mir geholfen hättest und ich muss auch noch mal sagen, dass es in keiner Weise fair war, wie ich dich behandelt hab, schließlich hab ich dir Hoffnungen gemacht und stumme Versprechungen und keine davon gehalten. Aber da wir ja jetzt beide darüber hinweg sind, denke ich, dass einer Freundschaft nichts mehr im Wege steht, oder?'
Lieber eine Freundschaft, als ihn ganz und für immer verlieren. Lieber freundschaftlich seine Nähe teilen, als mit einem Wort alles zunichte zu machen. Da kam mir eine Liedzeile in den Sinn:
.... And then I go and spoil it all, by saying something stupid like I love you ...
'Also jetzt reichts aber wirklich, wenn das so weiter geht, werden wir beide noch depressiv!!! Natürlich steht einer Freundschaft nichts mehr im Wege und jetzt lass uns etwas Musik machen, dass hier wieder etwas gute Laune aufkommt.'
Ich nickte. Sollte er Musik machen. Sollte er machen, was er wollte. So lange er dabei glücklich war. Mit mir hatte er sein Glück nicht gefunden, akzeptiert, aber ich wollte, dass er glücklich war, dass es ihm gut ging, auch wenn das bedeutete, dass er es mit einem anderen Mädchen war. Hört sich verdammt selbstlos an, nicht wahr? Nun, vermutlich nur, weil man den Worten, wenn man sie liest nicht ansieht, wie viel Verzweiflung wirklich darin steckt und wie für mich eine Welt zusammenbrach allein beim Gedanken daran, dass er eine Andere in den Arm nehmen oder so küssen würde, wie er mich geküsst hatte.
.... Liebeskummer lohnt sich nicht, my Darling, schade um die Tränen in der Nacht …Herzlichen Dank lieber Radiosender, voll ins Schwarze getroffen, aber dieses Lied hilft mir auch nicht weiter. Wir saßen also da und redeten und lachten. Und ich tat auf heiter. Das konnte ich prima. Auch wenn in mir drinnen alles in Trümmern lag.
Je weiter die Nacht fortschritt, desto kälter wurde es und da nutzten auch die drei Decken nichts mehr. Da machte Matthew einen Vorschlag.
'Die Decken sind lang genug, dass wir beide unter eine passen. Komm wir rutschen zusammen und dann hat jeder von uns sechs Decken.'
Wunderbar. Danke liebes Schicksal. Echt mal wieder toll gelöst. Der Tag heute ist eine einzige Katastrophe. Hochgefühl, beschissenes Gefühl, Hochgefühl und jetzt Tiefpunkt. Aber nein sagen konnte ich ja jetzt auch nicht. Also rückten wir dicht aneinander, er nahm mich in den Arm und ich kuschelte mich an seine Schulter, währen er die Decken wieder um uns schlang. Ich versuchte einfach, den Moment und die Nähe zu genießen, doch es ging nicht, weil jeder Faser meines Körpers sich fragte, wie es wäre unter anderen Umständen so an ihn gekuschelt zu liegen, als Paar, nicht als Freunde, und das machte jede Berührung schmerzhaft. Ich schloss einfach die Augen und ließ es über mich ergehen.
'Du sag mal …', unterbrach Matthew da meine Gedanken und redete weiter, bevor ich etwas sagen konnte. Zum Glück. Denn nach '… ich hab so irgendwie das Gefühl, dass es sein könnte, dass du doch noch etwas für mich empfindest??' zog ich es vor, mich schlafend zu stellen.
Was hätte es schon gebracht, 'ja' zu sagen? Das würde nur die ganze Freundschaft aufs Spiel setzen und es würde ihn dazu bringen, jede Berührung mit mir ganz und vollkommen zu meiden, um mich nicht zu verletzen. Und das wollte ich auch nicht, denn auch wenn es weh tat, wollte ich ihn berühren, ihn spüren, ihn bei mir haben. Er fragte noch einmal in die Stille 'Jolie?' und wenig später 'Schläfst du?', doch ich atmete einfach ruhig weiter und tat so als würde ich schlafen. Da seufzte er und lehnte sich entspannt zurück und als ich irgendwann seine ruhigen Atemzüge hörte, war ich mir sicher, dass er eingeschlafen war. Trotz allen Kummers übermannte auch mich der Schlaf irgendwann und als ich wieder aufwachte, lag ich noch genauso an seiner Schulter, wie ich eingeschlafen war. Und das erste, was ich fühlte, war wieder ein Stich im Herzen. Entgegen meiner sonstigen morgendlichen Gewohnheiten hatte ich auch gar keinen Hunger. Und auch die Farben sahen für mich blasser aus, als ich sie in Erinnerung hatte. Eindeutige Diagnose: Liebeskummer.
Ich richtete mich vorsichtig auf, um Matthew nicht zu wecken, deckte ihn wieder zu und fröstelte sogleich ohne die ganzen Decken. Aber das war mir egal, als ich einen Blick aus dem Fenster geworfen hatte.
Der Schnee fiel immer noch dicht wie ein undurchdringlicher weißer Vorhang. Mist!
'Matthew, wach auf!'
'Hm ... mh ... mh ... hm', murmelte er im Halbschlaf und es hörte sich verdammt süß an und brachte mich fast um den Verstand.
'Matthew, steh auf!'
'Was ist denn?', gähnte er und streckte sich dabei.
'Es schneit noch immer!'
'Verdammt, dann lass uns die Bergwacht anrufen!'
Er kramte sein Handy aus dem Deckenberg (ich hatte meines zu Hause gelassen, denn ich hatte sowieso kein Geld mehr auf dem Handy). Als er es gefunden hatte, sah ich wie seine Gesichtszüge entgleisten und es loderte Panik in mir auf. 'Was?', fragte ich gereizter, als ich eigentlich wollte, doch er schien es mir nicht übel zu nehmen, sondern er sah mich nur an wie in Trance oder sah durch mich hindurch, ich wusste es nicht genau, und antwortete 'Akku leer'
Diese zwei Worte reichten aus, um einen Sturm aus Entsetzen, Panik und Angst in mir heraufzubeschwören. Es lief mir eiskalt den Rücken hinunter und ich zitterte, jedoch nicht vor Kälte. Verdammt. Was also sollten wir tun? Wir konnten nicht ewig hier oben sitzen und darauf warten, dass das Wetter besser würde. Was, wenn es nicht besser wurde, bis wir wieder zurück mussten? Wie sollte Herr Strobel das meiner Mutter erklären?? Die würde ihn glatt umbringen und mir, falls ich das Ganze hier überleben sollte, glatt ein Jahrzehnt Hausarrest geben. Es gab nur eine Lösung:
'Matthew, ich hab im Keller gestern, als ich die Konserven geholt habe, vier Snowboards gesehen. Wir fahren ins Tal, kommst du? Es ist unsre einzige Chance!!'
'Tut mir leid … ich … ich … werde nie wieder in meinem ganzen Leben Snowboard fahren …'
'Was, warum nicht?'
'Meine Mutter ist damals dabei ums Leben gekommen und seit dem habe ich mir geschworen, nie wieder ein Fuß auf ein Board zu stellen … weil es mich an sie erinnert und meinem Vater zuliebe.'
Er schluckte schwer und kämpfte gegen die Tränen. Es sah zwar blöd aus, aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also umarmte ich ihn einfach. Ich wusste, wie es ihm ging. mein Vater war schließlich auch vor ein paar Jahren gestorben und ich kannte die innere Leere, die einen überflutete, jedes mal, wenn man von der geliebten Person sprach. Und ich konnte ihn voll und ganz verstehen. Und ich wusste auch, dass das blödeste, was ich jetzt hätte sagen können 'Tut mir leid für dich!', gewesen wäre. Ich hatte das damals so oft gehört und mir war es beinahe zum Hals rausgekommen und jedes mal, wenn es wieder jemand gesagt hatte, hatte ich das Bedürfnis gehabt, ihm das bedauernde Gesicht einzuschlagen. Ich sagte also nichts, sondern strich ihm nur sanft über den Rücken. Und konnte dabei zum ersten mal vergessen, wie mies es mir eigentlich ging.
Wir blieben eine Weile so stehen. Ohne Worte. Nur so. In dieser Umarmung. Und als er sich nach einiger Zeit wieder erholt hatte, lächelte er mich an, wobei ihm stumm, ohne ein Schluchzen oder Ähnliches die Tränen über die Wangen kullerten. Ich ließ ihn los. Ich fand es wirklich stark, wenn Jungs sich nicht scheuten, Tränen zu zeigen. DAS war für mich wahre Stärke, und nicht, auf hart zu tun, wenn man innerlich längst gebrochen war, nicht, die Tränen wegzublinzeln, wenn einem nach weinen war. Und das sagte ich ihm auch so, woraufhin er mich dankbar anlächelte und etwas sagen wollte. Doch ich wollte es gar nicht hören. Das würde nur den Moment stören und kaputt machen. Deswegen legte ich ihm nur den Zeigefinger auf die Lippen und schüttelte stumm den Kopf. Und er verstand. Lächelte. Legte den Kopf schief. Drückte mich kurz an sich.
'Okay, dann fahr ich alleine und hole die Bergwacht, dass du hier nicht versauern musst!'Mein Entschluss stand fest. Ich MUSSTE einfach was tun, ich war einfach kein Mensch, der rumstehen und nichts tun konnte, ich brauchte eine Aufgabe, etwas zum Nachdenken, eine Herausforderung, etwas, das ich tun konnte. Der Tag, an dem ich einfach nur rumsaß und nichts tat und dabei auch noch glücklich war, würde vermutlich einer der letzten Tage meines Lebens sein. Matthew sah mich entsetzt an.
'Nein!', meinte er nur entschieden. Es war keine Bitte, sondern ein Befehl.
'Warum denn nicht??'
'Hör mal, du kennst den Weg nicht …'
'Na und? Immer nach unten und irgendwann werde ich schon zivilisiertes Gebiet erreichen!''Glaub das nicht, in Norwegen ist die Bevölkerungsdichte ziemlich gering!'
'Das ist das geringste Problem, ich finde schon jemanden!'
'Nein!'
'Matthew …'
'Nein, hör mal, ich habe schon einmal einen Menschen verloren, der mir wichtig war, und ich will es nicht ein zweites mal riskieren, okay?'
Das saß. Und ich konnte mich sogar nicht darüber freuen, dass ich ihm wichtig war. Denn ich musste jetzt unbedingt hier raus. Ich konnte einfach nicht mehr. Nicht jetzt, wo ich wusste, dass die Freiheit nur ein paar Stufen entfernt war.
'Ja ich versteh es!!! Aber ich bin Profi, ich fahre schon mein ganzes Leben Board, ich konnte es beinahe besser, als laufen, als ich noch klein war …'
'Na und? Meine Mutter fuhr mit dem Teil als sie jung war tagtäglich zur Schule, was ihr dann aber auch nichts mehr genutzt hat, als sie in die Lawine geriet!'
'Mann Matthew, aber ich kann hier nicht sitzen bleiben und Däumchen drehen bis der Schnee taut, was wenn es morgen wieder schneit und übermorgen? Und was meinst du, wie es deinem Vater geht? Welche Sorgen er sich macht? Und was er sich denkt, wenn du nicht ans Handy gehst, weil der Akku leer ist, was er aber ja nicht weiß? Du kennst mich!!! Ich kann nicht hier bleiben, wenn ich weiß, dass es die Möglichkeit gibt, dass wir heute noch von hier weg kommen!!! Das musst du doch verstehen!'
'Ja, ich glaube ich verstehe dich … wenn du denkst, du willst gehen, dann geh, aber sei dir sicher, dass ich jede Sekunde, die du weg bist, vor Angst sterben werde!'
Nein, wie süß.
Ich schluckte und nickte. Streifte mir die Motorradjacke über und ging in den Keller. Schleppte Board und Softboots hoch und zog die Boots an. Sodann schulterte ich das Board und ging zur Tür. Matthew folgte mir. Ein Gesicht, wie zehn Tage Regenwetter. Ich schnallte mir das Board an die Füße und fuhr probehalber ein Stückchen, drehte ein paar Kurven, beschleunigte, bremste, so lange bis ich wieder absolutes Kantengefühl hatte. Matthew lief die ganze Zeit schweigend im T-Shirt neben mir her. Ich sah ihn mit einem fragenden Gesichtsausdruck an. Wenn er noch mal sagen würde, dass ich bleiben sollte, dann würde ich es tun, denn ich ertrug es nicht, ihn so kreuzunglücklich zu sehen. Doch Matthew verzog die Mundwinkel zu einem Versuch des Lächelns (das ihm absolut misslang) und meinte nur 'Du schaffst es!!'
Das gab mir Mut und überzeugte mich, dass ich es wirklich schaffen konnte. Denn im Moment davor hatte ich eigentlich innerlich geschlottert vor Angst, mir durch diese Wand aus Nebel und immer neuen Schneeflocken einen Weg nach unten zu kämpfen. Ich grinste, nickte und fuhr los. Als ich gerade noch so in Hörweite war, rief er 'Noch was, du bist ein ganz mieser Schauspieler, dass du nur so getan hast, als würdest du schlafen, hätte ein Blinder gemerkt, also wie ist es jetzt, empfindest du noch was für mich?'
Verdammt. Na gut, ich würde noch schlimmeres vor mir haben, also konnte ich es ihm auch gleich sagen. Er wusste es ja sowieso!!!
'Vielleicht', rief ich zurück und blieb stehen.
Da zitierte er plötzlich eine Stelle aus meinem momentanen Lieblingslied 'You're still a runaway. You chase the dreams … from heaven above. Runaway from love!!!'
Was wollte er mir damit sagen?? Dass ich vor der Liebe und meinen Gefühlen davon lief?? Nicht Frau genug war, mich ihnen zu stellen??
'Mag sein!', antwortete ich mit einem Grinsen auf den Lippen, winkte und drehte ab.Und ich fuhr nur so dahin. Meine Sicht war schlecht, aber ich kämpfte mich tapfer Meter um Meter durch den mannshohen Schnee. Ich fuhr rein nach Intuition und Gefühl, denn ich hatte keine Ahnung, wo es lang ging. Aber es tat mir gut, eine Aufgabe zu haben, mich auf etwas konzentrieren zu können. Die Kälte umhüllte mich wie ein Schutzschild, das alle Gedanken fernhielt und meine Atemluft bildete Wolken, kaum dass sie meinen Mund verlassen hatte.Doch der Schnee fiel dichter und dichter und bald kam es mir wirklich so vor, als würde ich gegen eine Wand anfahren, denn meine Sicht war nun gleich null.
Und ganz plötzlich verlor ich - im wahrsten Sinne des Wortes - den Boden unter den Füßen und ich fiel. Noch ehe ich begriffen hatte, dass ich in eine von Schnee bedeckte Felsspalte eingebrochen war, merkte ich, wie mein Kopf hart aufschlug, etwas Klebriges meinen Hinterkopf benetzte und mir schwindlig wurde. Ich versuchte dagegen anzukämpfen, wach zu bleiben, doch ich merkte, wie ein Nerv nach dem anderen taub wurde und mein Gehirn langsam runter fuhr und mein letzter Gedanke war 'Ich werde sterben, jämmerlich erfrieren, und Matthew …' und dann wurde mir schwarz vor Augen.







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