Bitteres Gewissen

Autor: Svenja
veröffentlicht am: 20.03.2005




Leicht wankend setzte ich einen Fuß vor den anderen und versuchte im Rhythmus der Musik zu bleiben. Als ich mich umdrehte, erkannte ich, dass nicht nur mir das schwer fiel. Alle anderen Klassenkameraden und Schüler aus der Parallelklasse stolperten vor sich hin oder redeten irgendwelchen Leuten irgendein wirres Zeug ein. Auch meine sonst so schüchterne Freundin Silke war völlig damit beschäftigt ihren Schwarm in ein Gespräch über Haifische zu verwickeln. Allerdings begann ich zu bezweifeln, dass der noch die Konzentration für ein solch kompliziertes Thema hatte. Die Tür des Partyraums ging auf und unser Lehrer Herr Koch kam mit einem Blecheimer hinein. Langsam begriff ich, dass das wohl der Eimer war, der vorhin für die ersten Ernüchterungsversuche die Runde gemacht hatte. Da Herr Koch nun neben mir vorbei ging, meinte ich lautstark: 'Das find ich aber echt in Ordnung von Ihnen, Herr Koch, dass sie den Kotzeimer ausführen!' Grinsend schaute er zu mir und verschwand dann ebenfalls mit einer leichten Schräglage auf den Flur zu den Toiletten. Ich bewunderte Herrn Koch immer wieder. Er hatte die Gabe uns Mathematik beizubringen und nebenbei war er der netteste Lehrer, den die Schule besaß! Das passte doch nun wirklich nicht zusammen. Um mich etwas zu erholen ging ich nach draußen und sah überall irgendwelche Halblaichen im Gras liegen. Als ich erkannte, dass die eine Halblaiche Tobias, der beste Kumpel meines Freundes war, setzte ich mich neben ihn auf den Boden. Während ich das Treiben vor dem Raum beobachtete, merkte ich nach 5 Minuten, dass meine Hose klamm wurde. Schreiend sprang ich auf und beschwerte mich über die nasse Wiese. Nach kurzer Überlegung zog ich Tobias am Arm, um ihn vom feuchten Rasen zu ziehen. 'Was'n los?' mit halb geöffneten Augen sah er mich an. Im nächsten Moment fuhr er hoch und schien hellwach: 'Ist was passiert?' Seine blauen Augen sahen mich abwartend an. 'Nein!' Ich sah die Jacke unter ihm: 'Komm ich spendiere Dir 'nen Sauren, weil ich Dich so erschreckt hab. 'Oh, da sag ich nicht Nein!' Wir standen auf und machten uns auf den Weg zur Theke. 'Du hast Deine Jacke liegen lassen, Tobias!' 'Nein, das war nicht meine Jacke, gehört irgendeinem anderen Mädel!' Er sah mich an, als wollte er raten, was ich dachte und als ich fragte was los sei, blickte er auf den Boden und erwiderte: 'Nichts!'.

Als wir an der Theke ankamen, bestellte ich die 2 Sauren und fragte Tobias, ob er meinen Freund irgendwo gesehen hätte?' Leicht auf mich hinuntersehend erzählte er mir, dass Markus auch irgendwo draußen herum liegen würde und nicht wach zu kriegen sei. Er fragte mich, ob er ihn wecken sollte, aber ich verneinte: 'Lass mal, der ist sonst so unerträglich!' Wir bekamen die Saure, ich bezahlte und wir stießen an.Kurz darauf hörte Tobias ein gutes Lied von Metallica und fragte mich, ob ich tanzen wollte. Auf der Tanzfläche musste ich mich mehr auf den Rhythmus konzentrieren als Tobias, der sich anscheinend noch voll unter Kontrolle hatte. Die Jungs rammten sich wie das so üblich war und als ich mal wieder etwas abbekam, entschied ich mich hinzusetzen. Da ich keinen freien Stuhl fand, rutschte ich an der Wand herunter auf den Boden. Nach einer Weile Konnte sich meine Freundin von ihrem Schwarm losreißen und gesellte sich zu mir auf den Boden. 'Na, was erreicht?' fragte ich sie, aber Silke verneinte mit einem Kopfnicken. 'Tja, der hat wohl zuviel getrunken.' bemerkte ich. 'Das haben wir alle, aber wir liegen hier nicht so tot rum...; Schlappmacher!' Herr Koch kam um die Ecke und als er Metallica hörte, lief er auf die Tanzfläche und tanzte mit. 'Ein seltsamer Lehrer...!' unterhielt ich mich mit Silke, als Tobias mit langsamen Schritten auf mich zu kam, um mich erneut zum Tanzen aufforderte. Da Silke und Markus generell nie tanzten, blieben Tobias und ich meistens auch in der Disco alleine aus unserer Clique auf der Tanzfläche. Und so war es nichts ungewöhnliches, wenn Tobias und ich uns immer gegenseitig auf die Tanzfläche holten.
Silke sah uns nach, als es plötzlich ruhig wurde. Jemand hatte sich Blues gewünscht. Die übrigen Jungs holten sich alle irgendein Mädchen und auch Silke wurde widerwillig auf die Tanzfläche gezogen. Grinsend stand ich vor Tobias, der ja nun eigentlich Heavy mit mir tanzen wollte. Er sah mich an, dann sah er zur Tür und schließlich zog er mich weiter auf die Fläche: 'Ach, er wird mich wohl schon nicht umbringen!' flüsterte er, als er mich an sich zog. Tobias tanzte oft und mit so vielen Mädchen Blues, dass niemanden das überraschte. Da Tobias unter den Mädchen sehr beliebt war, wusste ich dass einige Augen auf mich gerichtet waren und das machte mich irgendwie nervös. Aber als Tobias mit seiner großen Handfläche langsam über meine Rücken strich, wurde ich komischerweise ruhiger. Das Lied endete: 'Wenn ich schon mal die Gelegenheit habe, mit Dir zu tanzen ohne, dass Markus mir mordende Blicke zuwirft, gestattest Du mir doch sicher noch einen Tanz, oder?' Lächelnd stimmte ich zu: 'Aber klar, Herr Linde, sicherlich!' Dann fühlte ich wieder seinen Rücken unter meinen Händen und seinen Kopf dicht an meinem. Was war bloß los mit mir? Es war doch normal, dass so getanzt wurde! Der Alkohol spielte mir wohl so übel mit, dass ich für einen Augenblick vergaß, welch einen lieben Freund ich hatte. Aber ich wollte es auch vergessen! Wenigstens für heute Abend, für die Zeit, in der Tobias da war!
<bR>Während wir tanzten, spürte ich plötzlich, dass Tobias nervös wurde. Seine Hand fuhr schneller über meine Rücken und seine Nervosität griff auf mich über, so dass wir beide völlig aus dem Rhythmus kamen. Kurzerhand sah ich ihn an und lud ihn auf einen Sauren ein, worauf er niemals verneinte. Zögernd ließ ich ihn los und ging hinter ihm her an die Theke. Als wir dort angekommen waren, hatte ich das erste Mal das Gefühl Tobias' ganze Aufmerksamkeit zu haben. Sonst schaute er sich hier und da nach einem Mädchen um, und manchmal ließ er seinen Gedanken dabei auch freien Lauf. Tobias war sehr nett und weitaus mehr Gentleman als Markus, deshalb war er ja auch so beliebt, aber in diesem Moment schien er sich nicht dafür zu interessieren, welches Mädchen ihm nachsah oder von wem er beobachtet wurde. Er hatte schon einige Freundinnen, aber bei allen fehlte es letztendlich doch an seiner Treue.
Mutig forderte ein Mädchen aus der Parallelklasse Tobias zum Tanzen auf: 'Nein danke, keinen Bedarf!' Dann wurden mir die Sauren in die Hand gedrückt und Tobias nahm sein Glas entgegen. Als wir anstießen, sagten wir: 'Auf diesen Abend!' und schütteten den Alkohol in uns hinein.
'Ich gebe Dir auch noch einen aus!' meinte Tobias, als er sein Pinchen auf die Theke knallte. Noch bevor ich antworten konnte, bestellte er vier Saure. Fragend sah ich ihn an und er erwiderte grinsend: 'Die sind alle für uns...!' 'A...Aja!'Und schon tranken wir den Nächsten. 'Hey;' sagte ich:' Du hast mit mir noch nie Brüderschaft getrunken, Tobias!' Er sah mich an und dann hielt er mir lächelnd seinen Arm zum Überkreuzen hin. 'Auf uns!' forderte er mich auf. Mein Arm hakte sich ein und wir tranken. Mein Herz klopfte, das musste wohl von dem vielen Alkohol kommen. Es begann wieder Blues im Hintergrund. Ich sah Tobias an und merkte, dass mein Magen anfing zu kribbeln. Dann küssten wir uns. Fast im selben Augenblick löste Tobias seine Lippen sanft von meinen, zog seinen Kopf zurück und verschwand plötzlich in Richtung Tanzfläche.Etwas später tanzte er mit dem Mädchen, dem er eben noch die Absage erteilt hatte. Tja, gestand ich mir ein; das war Tobias! Man konnte ihn nie so richtig einschätzen und ich hasste ihn dafür. Ich weiß nicht wieso, er konnte mir doch eigentlich egal sein! Beschäftigt mit der Sache, setzte ich mich wieder neben Silke auf den Boden und erst nach einer ganzen Weile merkte ich, dass sie mich ernst musterte. 'Was ist denn?' fragte ich sie leise, während ich Tobias beim Tanzen zusah und bemerkte, wie er ab und zu hinüberlinste. 'Weiß nicht, Rebecca. Sollte etwas sein?' Manchmal hasste ich Silke für ihre beschissenen Fragen. Sie tat immer so als würde sie sich aus allem raus halten, machte mir aber trotzdem immer ein schlechtes Gewissen. 'Nein!' antwortete ich kurz, mir bewusst dass das irgendwie nicht stimmte. Tobias hatte mich einfach so stehen gelassen, das hätte Markus niemals gemacht! 'Ist wohl so üblich, dass man jemanden einfach allein an der Theke stehen lässt, um dann das Mädchen aufzufordern, dem man 5 Minuten vorher eine Absage erteilt hatte!' erklärte ich ihr immer noch sauer, dass Tobias mich so hatte stehen gelassen. 'Üblich nicht, aber wenn man sich verliebt hat und das Mädchen, die Freundin des besten Kumpels ist, glaub ich, ist das relativ normal!' Ich hörte nichts mehr um mich herum, keine Musik, keine Leute. Überrascht über Silkes gelassene Direktheit, sah ich sie an. 'Du spinnst ja, sieh ihn Dir an, da ist die Nächste!' mit einem Blick deutete ich auf Tobias' Partnerin, die irgendwie fröhlich schien. 'Ich glaube nicht einmal, dass Du das gerne so hättest.' erwiderte Silke; 'Er weiß nicht, wem er Vorrang geben soll, seinem besten Kumpel oder Dir!' Als Silke merkte, dass ich ihr nur noch halb zuhörte, stand sie auf und sagte leise im Vorübergehen: 'Und ich wollte ihm die Entscheidung nicht abnehmen!'
Mit leicht verschwommen Blick schaute ich zu Tobias und als mein Blick wieder klarer wurde, erkannte ich seine tiefen blauen Augen, die mich beobachteten und vielleicht, so bildete ich mir ein, auf eine Reaktion warteten. Dann drehte er sich wieder und sein großer Rücken wand sich mir zu. Das Lied klang aus und ein Gebrüll erfüllte den Raum: 'Girls just wanna have fun!' Ich sprang auf und nahezu alle Mädchen des Raums stürmten auf die Tanzfläche. Tobias und ein paar andere Jungs ließen sich nicht vertreiben und wurden von den Mädchen laut singend umringt. Ab und zu nahmen sich welche an die Hand und drehten sich wild. Tobias sah mich an, dann bot er mir seine Hand und als ich sie packte, merkte ich dass sie eiskalt war. Er drehte mich und schließlich ließ er mich wieder los. Ein anderes Mädchen schnappte ihn und ich verlor ihn aus den Augen. Laut grölend tanzte sich Silke zu mir durch und schrie mich an, ich solle nicht so bescheuert sein und einfach nur mal das machen was mein Herz mir sagen würde. Meine Augen suchten Tobias und erst dann wunderte ich mich darüber, dass Silke tanzte, aber als ich mich zu ihr umdrehte, war sie schon wieder verschwunden. Dann sah ich Tobias außerhalb der Tanzfläche an der Theke, er hatte sich gerade ein Korn bestellt. Aber noch bevor er es zum Trinken ansetzen konnte, war ich bei ihm, klaute ihm den Kurzen und fragte: 'Ohne mich?' Er lächelte, wir sahen uns an und erschreckend stellte ich fest, dass ich mich in Tobias verliebt hatte.

Nachdem er mir auch noch ein Korn bestellt hatte, vernahm ich das Lied aus Dirty Dancing: 'Time of my life.' .Wir stießen an und ich sagte: 'Auf diesen verrückten Abend!' Und Tobias flüsterte kaum hörbar: 'Auf die Freundin meines besten Freundes!' und schüttete den Alkohol in sich hinein. Als ich ebenfalls den Kurzen hinter mir hatte, lächelte ich Tobias zu und bedeutete ihm mit dem Finger näher zu kommen. Etwas zurückhaltend kam er an mich heran und ohne noch viel Kontrolle über meinen Körper zu haben, zog ich ihn auf die Tanzfläche. Widerwillig begann Tobias mit mir Mambo zu tanzen. Ein-zweimal erwischte ich seinen Blick auf die Tür. Dann plötzlich zog er mich an sich, ich spürte seinen warmen Körper und wie er sich an mich drückte. Am liebsten wäre ich mit ihm irgendwohin verschwunden. Meine letzte Angst war verloren und ich begann den Tanz zu genießen. Seine Hände fuhren über meinen Rücken und zitterten. Langsam merkte ich, dass wir beide zitterten. Trotz dem vielen Alkohol kam ich mir noch nie so klar vor. Alles brach in mir zusammen, was tat ich da? Mir rollte eine Träne über die Wange, aber Tobias merkte es nicht. Silke beobachtete uns, und als sie mich ansah schüttelte ich den Kopf. Ich wollte ihr zu verstehen geben, dass ich nicht wusste, was ich tat und die Kontrolle verloren hatte. Er zog sein Gesicht an meinem vorbei, seine warme Wange berührte meine und dann sah er mich an.Nach unten sehend versuchte ich meine Tränen zu verstecken. Auf keinen Fall wollte ich ihn loslassen. Aber er hob mein Gesicht mit einem Finger an und ich sah, dass auch seine Augen sich im Wasser verloren. Nachdem er mir die Träne aus dem Gesicht strich, erzählte er mir, dass er jetzt fahren würde. Ich sollte das nicht falsch verstehen, aber er müsse hier weg! Für kurze Zeit lag seine Stirn auf meiner und dann konnte ich nicht anders, ich küsste ihn. So leidenschaftlich hatte Markus nie geküsst. Tobias entriss sich mir und verschwand dann in der Menge. Silke kam auf mich zu, ich fiel ihr in die Arme und taumelte zwischen einem Glücksgefühl und dem Gefühl in tränen auszubrechen. Als ich von ihrer Schulter aufsah, fuhr mir ein starker Stich durch den Leib. Markus stand direkt hinter ihr. Ihm rollte eine Träne über das Gesicht und er schaute so traurig zu mir, dass es mich fast zerriss. Dann kam er auf mich zu, ging an Silke und mir vorbei und verschwand ebenso in der Menge wie Tobias. Noch bevor ich etwas sagte, ließ mich Silke los und rannte hinter ihm her. Aber sie kam zu spät. Durch die Menge erkannte ich wie Markus ausholte und auf Tobias einschlug. Er schien sich gar nicht zu wehren und erst als ein Dritter einschritt, ließ Markus von ihm ab, schrie ihn an, ob er das für Freundschaft halten würde und dann kam er wieder auf mich zu. Tobias sank auf den Boden und im Hintergrund beobachtete ich wie Silke Tobias auf einen Stuhl half und ihm ein Taschentuch vor die Nase drückte. <bR>Ich erwartete eine Ohrfeige, irgendetwas das ich verdient hatte, aber statt dessen nahm Markus mich in die Arme und ich vernahm ein leises Weinen. Ich legte meine Arme um ihn, alles tat mir so leid. Nachdem wir zehn Minuten so da standen, drehte Markus seinen Kopf zu mir und flüsterte: 'Wen du liebst, das kann ich nicht beeinflussen und das muss ich so akzeptieren, wie es ist, aber ich, für meinen Teil, Rebecca, liebe Dich wahnsinnig und halte Dich für die einzige Frau, die ich heiraten würde.' Tränen unterbrachen seinen Satz; 'Und wenn Du mit einem anderen losziehen willst, dann bitte Rebecca, kündige mir nie die Freundschaft!' Seine Hand streichelte meine Haare, meinen Hals, dann ließ er mich los und verschwand nach draußen. Ich konnte meine Tränen nicht länger zurückhalten, lief zur Wand und rutschte an ihr hinunter, auf den Boden.
Langsam und schmerzvoll wurde mir bewusst; ich hatte verloren. Beide! Wenn ich die Freundschaft zwischen Markus und Tobias nicht aufs Spiel setzen wollte, hatte ich sie beide verloren! Mit Markus konnte ich nicht wieder zusammen sein, weil ich Tobias liebte, mit Tobias konnte ich nicht zusammen sein, weil das dass Ende für Markus' und Tobias' Freundschaft bedeuten würde.
Mittlerweile versuchte ich nicht mehr meine Tränen vor irgendwem zu verbergen. Ich heulte, mir war schlecht und ich schaute noch einmal zu Tobias hinüber. Aber er war nicht mehr da. Der Stuhl war leer und ich wusste, ich würde ihn so schnell nicht wieder sehen.









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