Kribbeln unter der Haut Teil 24

Autor: Yana
veröffentlicht am: 14.08.2009




Kapitel 23Ungeduldig tigerte ich in meinem Zimmer auf und ab. Die Zeit wollte einfach nicht verstreichen. Der Sekunden- und vor allem Stundenzeiger meiner Uhr schienen sich nicht vom Fleck zu bewegen.
Schließlich fing ich an, meinen Koffer auszuräumen, um die Zeit zu vertrödeln. Dabei fiel mir die Hose, die ich am Tag der Recherche in der Stadt an hatte, in die Hand. Meine Finger wanderten in die Hosentasche und fanden den zusammengeknitterten Zettel. Ich faltete ihn rasch auf und überflog den kleingeschriebenen Artikel. Ich hatte Recht: Sie hieß mit Nachnamen Braun. Da gab es keine Zweifel.
Doch was war, wenn die Tote mit meiner Oma und meinem Opa wirklich verwand war? Wenn sie zum Beispiel die Schwester oder ähnliches war? Was war damals passiert? Und vor allem: Warum hat man mir niemals davon erzählt? Ich gehörte zur Familie, hatte ich da kein Recht drauf?
Seufzend starrte ich wieder auf die Uhr. Es waren gerade einmal fünfzehn Minuten seit meiner Ankunft verstrichen. Verdammt.
Entschlossen ging ich ins Bad und nahm eine Dusche.
Anschließend wickelte ich mir ein Handtuch um Kopf und Körper und putzte geduldig das Bad durch. Dies hatte ich schon die ganze Zeit machen wollen.
Als die Fließen wieder strahlten, begann ich meine schwarzglänzenden Haare mit einem Lockenstab zu bearbeiten. Nach einer Stunde fielen sie in großen, weichen Locken über meine Schultern. Zufrieden lächelte ich mein Spiegelbild an und griff dabei nach meinem Schminkmäppchen. Um das dunkle, intensive blau meiner Augen zu betonen, trug ich schwarz Wimperntusche auf, die meinen Wimpern gleichzeitig noch mehr länge und Volumen verlieh. Anschließend griff ich zur Pinzette und entfernte einige überflüssige Haare meiner Augenbrauen.
Danach trug ich noch etwas Puder auf, um die dunklen Ränder unter meinen Augen verschwinden zu lassen. Als ich fertig war, war ich sehr zufrieden. Ich musste zugeben, dass ich toll aussah. Es war gerade genug Schminke, um mich hübscher aussehen zu lassen, allerdings wenig genug, damit es mich nicht geschminkt wirken ließ. Einfach perfekt.Zufrieden kichernd verließ ich das Bad, um mir etwas anzuziehen, wurde jedoch sofort ernst, als ich den Zettel mit dem Bericht auf meinem Bett liegen sah. Seufzend legte ich die paar Meter zu meinem Kleiderschrank zurück. Ich zerrte meine schwarzen Lieblingsröhrenjeans hervor, Unterwäsche und ein blaues, langes, untenrum lockeres T-Shirt. Als ich fertig angezogen war, waren zwei Stunden seit meiner Ankunft vergangen.
Einige Zeit saß ich auf meinem Bett und zählte die Sekunden und Minuten. Doch als ich merkte, dass draußen die Sonne schien, packte ich Ska und eilte mit ihm nach draußen, darauf achtend, dass ich meinen Eltern nicht über den Weg lief. Ich eilte zu den Ställen und band Ska für's erste davor an. Dann betrat ich den Ort, der mir immer innere Ruhe verlieh.'Na, mein Hübscher?', zärtlich strich ich über Satans Nüstern. Er schnaubte zufrieden. 'In Zukunft werden wir uns wohl nicht oft sehen', seufzte ich. Er prustete. 'Mein Dad wird sich sicher prima um dich kümmern, keine Sorge. Du wirst es hier weiterhin gut haben. Aber wie wäre es jetzt mit einem kleinen Ausritt?' Der Hengst warf den Kopf begeistert hin und her. - Jedenfalls nahm ich an, dass er begeistert war. Die Mühe ihn zu satteln, ersparte ich mir. Stattdessen holte ich mir nur einen Rucksack, der groß genug war, Ska zu beherbergen. Anschließend führte ich Satan an der Mähne hinaus.
'Dann wollen wir mal', murmelte ich, bückte mich und hob Ska hoch. 'Es wird dir gefallen, Kleiner', beteuerte ich ihm. Sanft setzte ich ihn in den Rucksack und schnürte diesen ein wenig zu. Zu Anfang zappelte der kleine Hund ängstlich. Doch nach ein paar Streicheleinheiten beruhigter er sich. Zufrieden zog ich den Rucksack auf und schwang mich schließlich mit einer geschmeidigen Bewegung auf Satans Rücken. 'Auf geht's.' Im sanften Trab ritt ich auf den angrenzenden Wald zu.
Mein Weg führte mich über einen schmalen Waldweg, den ich im schaukelnden Galopp hinter mich ließ. Dreißig Minuten genoss ich den Ritt mitten durch die Bäume, doch dann machte ich mich auf den Weg zurück - im langsamen Schritttempo. Dabei bekam ich einen klareren Kopf. Ich wurde entspannter und meine Müdigkeit verflog. Auch Ska schien es zu genießen. Als ich einen Blick über meine rechte Schulter geworfen hatte, hatte ich sehen können, dass er mit den vorderen Pfoten aus dem Rucksack geklettert war und sich auf dessen Rand abgestützt hatte.
Eineinhalb Stunden später kam ich schließlich bei den Ställen an. Und zu meiner größten Freude, lehnte dort, mit verschränkten Armen, die Haare im Gesicht, Jerker. Mein geliebter Jerker. Innerlich jauchzend trieb ich Satan an. Die letzten paar Meter zu ihm kamen mir vor wie eine halbe Ewigkeit. Doch schließlich war es geschafft. In einem Rutsch sprang ich von dem breiten Rücken, nahm mir die Zeit, Ska samt Rucksack abzusetzen, legte die letzte Entfernung zu Fuß zurück und schmiss mich in seine offenen Armen. Ich spürte, wie er mich sanft an seine breite, starke, muskulöse Brust drückte, wie er sein Gesicht in meinen Haaren vergrub, wie seine Hände meinen Rücken streichelnden, wie sein Herz gegen seine Brust schlug - genau wie meines, und ich spürte, wie sich schließlich seine Hand in meinen Nacken legte, ich den Kopf hob und er mich endlich, endlich sehr sanft küsste.Es kam mir vor, wie mehrere Jahre, als ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Es kam mir vor, wie ein Jahrzehnt, als ich zum letzten Mal seine Lippen berührt hatte. Und es kam mir vor wie ein ganzes Jahrhundert, als ich zum letzten Mal seine Wärme, seine Liebe und vor allem dieses vertraute Gefühl zwischen uns Beiden gefühlt hatte. In diesem Moment gab es für mich keine Zweifel, dass er mich liebte.
Und dass ich ihn liebte.
Dass wir uns liebten.
Ich knabberte sanft an seinen Lippen, kostete ihn, wie ich es zuvor noch nie getan hatte, berührte ihn, streichelte durch seine Haare. Es war überwältigend. Dieses Gefühl, dieses Glück, das so berauschend war. Geborgenheit, Wärme, Vertrauen, Liebe.
‚Ich liebe dich!', schrie es in mir. ‚Ich liebe, liebe, liebe dich!' Ich löste meine Lippen von den seinen, drückte mein Gesicht gegen seine Brust, sog seinen Duft ein.
Ich hörte ihn leise lachen. 'Ach, Kätzchen. Ich weiß, dass du mich vermisst hast. Aber musst du mich deswegen fast erdrücken?' Doch statt meinen Griff von sich zu lösen, zog er mich noch ein ganz schönes Stückchen näher an sich ran. 'Aber wenn ich es mir recht überlege, dann habe ich gar nichts dagegen', murmelte er.
Plötzlich musste ich lachen. Es war nicht so, dass ich den Moment der Wiedersehensfreude damit zerstören wollte. Es war einfach so, dass dieses Glück in mir, einfach raus musste, dass ich es zeigen musste.
Und Jerker fiel in mein Lachen mit ein.
Nachdem wir uns beruhigt hatten, hob ich den Kopf, sodass wir uns anschauen konnten.'Du siehst gut aus, Cat', sagte er lächelnd.
Mein Blick blieb an seine strahlend grünen Augen hängen. 'Ich weiß', antwortete ich kichernd.
Auf einmal spürte ich, wie sich etwas von hinten an meinen Fußknöchel drückte. Ich senkte den Blick und entdeckte Ska. Armer Kerl. Ich hatte ihn wohl nicht gerade freundlich behandelt.
Langsam löste ich mich von Jerker, bückte mich und hob Ska von seinen vier Pfoten. Zufrieden wedelte er.
'Pass auf ihn auf, ja? Ich bringe Satan in den Stall', sagte ich zu Jerker und drückte ihm den wollknäul ähnlichen Welpen in die Hand. 'Wird gemacht', antwortete Jerker.
Ich beeilte mich, Satan zu striegeln und abzureiben und schließlich zu füttern, um so schnell wie möglich wieder zu Jerker zurückkehren zu können.

Eine Weile später saßen wir zusammen auf meinem Bett. Meine Eltern hatten von Jerkers Ankunft noch nichts mitbekommen, was wahrscheinlich auch besser so war. Er und ich redeten über alles Mögliche. Erst nach einer Stunde kamen wir auf das eigentliche Thema seines Erscheinens zu sprechen.
'Wenn Elisabeth wirklich mit mir und meiner Familie verwandt war, müsste meine Oma doch etwas wissen, oder?', fragte ich ihn nachdenklich.
'Das kann schon sein. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob deine Mutter nicht vielleicht mehr weiß.'
'Wieso sie?'
'Wo ist der Artikel?' Ich reichte ihn ihm. 'Sie verschwand im Jahre 1989. Also vor 16 Jahren. Damals war das Mädchen 16 Jahre alt.'
Ich nickte verstehend. 'Meine Mum ist heute 31 Jahre alt. Damals musste sie also 15 gewesen sein. Ein Jahr jünger als Elisabeth. Meinst du, sie waren Geschwister?'
'Das ist gut möglich', bestätigte Jerker. 'Nur merkwürdig finde ich, dass deine Mutter dich im Todesjahr von Elisabeth bekam. Welche Frau will heutzutage so früh ein Kind?'
Ich zuckte ratlos und desinteressier die Schultern. 'Ich denke mal, dass es wegen meinem Dad war. Er wird dieses Jahr 43. Vielleicht hatte er Angst, dass wenn er zu lange wartet, er kein Kind mehr zeugen kann.'
'Bist du sicher, dass sie da deinen Vater überhaupt schon gekannt hat?'
'Anscheinend schon.'
Nach einer nachdenklichen Stille fragte er: 'Meinst du, deine Mum würde dir irgendetwas über dieses Geschehnis erzählen, wenn du sie fragst?'
Ich schüttelte den Kopf. 'Ich glaube kaum. Aber ein Versuch wäre es wert.' Ich erhob mich.'Meinst du, jetzt ist der richtige Moment?', fragte er zweifelnd.
'Nein. Aber es wird nie ein besserer Moment kommen, Jerker.'
Er nickte verstehend. 'Soll ich mitgehen?'
'Nein. Wenn sie dich sieht, flippt sie sicher aus.'
Ich verließ das Zimmer und machte mich auf den Weg zu dem Zimmer meiner Mutter. Dort klopfte ich an und wartete auf eine Antwort.
'Komm rein', hörte ich sie sagen. Sie schien nicht überrascht zu sein, als sie mich sah. 'Was möchtest du?', fragte sie. Irgendwie sah sie anders aus, als sonst. Doch ich wusste nicht, was es war.
'Ich möchte dich etwas fragen, Mum. Aber flipp nicht gleich aus, ok?' Zu meiner Verwunderung nickte sie. Ich reichte ihr den Artikel.
Sie warf nur einen kurzen Blick darauf und legte ihn zur Seite. 'Ich wusste, dass du das irgendwann einmal herausfinden würdest. Aber ich kann dir nicht mehr dazu sagen. Ich weiß nur das, was auch in der Zeitung steht.'
Als ich ihr ein weiteres Mal ins Gesicht schaute, wusste ich, was sie so verändert wirken ließ: Eine tiefe Traurigkeit, gekennzeichnet durch die Trübe in ihren Augen. Und genau das machte mich sicher, dass sie mehr wusste, als sie preisgab. 'Alles totzuschweigen wird die Vergangenheit nicht ändern, Mum. Und manchmal hilft reden', versuchte ich sie zum reden zu bewegen. 'Ganz davon zu schweigen, dass ich ein Recht darauf habe, es zu erfahren. Ich bin deine Tochter. Und sie wäre heute meine Tante, soweit ich weiß.'
Sie wandte den Kopf von mir ab und starrte auf dem Fenster. So hatte ich sie noch nie erlebt. So ruhig, so traurig, so verletzlich.
'Ich habe dich und Jerker vorhin gesehen. Was macht er hier?' Erschrocken zuckte ich zusammen, als meine Mum redete. 'Ich möchte, dass du ihn zurückschickst und mit ihm Schluss machst. Ich will nicht, dass du mit ihm zusammen bist. Ich will nicht, dass du mit ihm…'
'Du willst nur nicht, dass ich glücklich bin!', fauchte ich und starrte wütend ihren Rücken an. Mit einem Ruck drehte sie sich zu mir um. 'Du hast doch keine Ahnung, Catherine', fauchte sie. 'Du weißt nicht was du da tust. Du bist zu jung, unerfahren und dumm. Du wirst ihn nicht mehr sehen, Catherine. Ich verbiete es dir!'
Mit offenem Mund starrte ich sie an. Ihre entschlossene, harte Miene zeigte mir, dass das das letzte Wort von ihr zu diesem Thema war: 'Er wird noch heute verschwinden. Du wirst ihn nie wieder sehen. HAST DU MICH VERSTANDEN?'
Ohne ihr zu antworten, verließ ich das Zimmer. Ihre letzten Worte hallten in meinem Kopf. 'Er wird noch heute verschwinden. Du wirst ihn nie wieder sehen.' Er klang wie eine Morddrohung. Was natürlich absurd war. Meine Mum würde ihn niemand, NIEMALS umbringen. Sie war doch keine Mörderin. Oder?
Nachdenklich schlich ich zurück zu meinem Zimmer.
'Lass mich raten: Alles was sie gesagt hat ist, dass sie mich gesehen hat und will, dass ich wieder verschwinde?', fragte Jerker, als ich mich neben ihn setzte.
Ich nickte. 'Und sie behauptet, sie wüsste nicht mehr, als was in diesem verfluchten Artikel steht.'
Er seufzte. 'Und nun?'
'Wir haben verschiedene Möglichkeiten: Wir können meinen Dad, meine Oma und meinen Opa befragen und wir können uns nochmals auf die Suche nach dem Autor des Artikels machen. Und dann gibt es die Möglichkeit das Spiel zu spielen. Aber darauf bin ich nicht wirklich erpicht.'
'Gut, dann fangen wir mit deinem Dad an, oder?'
Ich nickte. 'Er ist bestimmt in seinem Büro. Ich geh' ihn gleich fragen.'
'Wenn du mir die Nummer deiner Oma gibst, kann ich schon einmal anrufen.'
'Ich habe leider nur die Adresse. Aber wenn du willst, kannst du mal im Internet nachschauen. Vielleicht findest du etwas.'
Er lächelte. 'Werde ich machen.'

'Darf ich reinkommen?', fragte ich, nachdem ich an der Bürotür meines Vaters geklopft hatte.
'Aber natürlich mein Kind', bat er mich hinein. 'Was gibt es denn so wichtiges, sodass du mich bei meiner Arbeit störst?', fragte er mich lächelnd. Anscheinend war er nicht mehr besonders sauer wegen meinem vergangenen Benehmen.
'Es geht um meine Mum. Genauer gesagt um die Vergangenheit.' Ich reichte ihm den Artikel. 'Ich bin mir sicher, dass Mum mit dir darüber geredet hat.'
Als er die Zeilen überflogen hatte, setzte er seine Lesebrille ab und schaute mich ernst an. 'Wenn du drüber etwas wissen willst, Catherine, musst du deine Mum fragen. Ich kann und werde dir nichts darüber erzählen!'
'Mum behauptet sie würde nichts darüber wissen. Aber ich glaube ihr nicht. Sie will es mir einfach nicht sagen!'
'Dann soll es wohl so sein.'
'Bitte, Dad, ich habe ein Recht mehr darüber zu erfahren! Ich bin eure Tochter! Und Elisabeth wäre meine Tante, oder? Bitte, bitte, bitte, Dad!', flehte ich verzweifelt.
Er seufzte. 'Catherine, deine Mum hat mich gebeten, nicht darüber zu reden…'
'Sie wird es überleben, wenn du mit mir darüber redest', stellte ich fest.
'Aber nicht unsere Ehe', murmelte mein Vater.
'Dad, sie wird nie erfahren, dass ich es weiß', beteuerte ich ihm.
'Catherine, ich kann dir nichts drüber sagen', sagte er schon fast verzweifelt.
'Dann hilf mir wenigstens herauszufinden, was damals passiert ist.'
Ergeben seufzte er auf und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. 'Ich kann dir nur so viel sagen: Elisabeth hat Tagebuch geführt. Deine Mum bewahrt es in der linken Schublade ihres Schreibtisches auf. Allerdings ist diese abgeschlossen. Und glaub mir: Sie zeigt dieses Buch niemand, lässt keine Menschenseele darin lesen.'
'Nicht einmal dich?', fragte ich.
'Nein.'
'Okay. Danke Dad.' Ich erhob mich. 'Schade, dass du mir nicht mehr darüber erzählen willst.'
Er lächelte mir aufmunternd zu. 'Glaub mir, Catherine, manchmal ist es besser, die Vergangenheit ruhen zu lassen.'
'Vielleicht hast du Recht. Aber sie totzuschweigen kann auch nicht der richtige Weg sein.' Ich wandte ihm den Rücken zu und ging im gemächlichen Tempo auf die Tür zu. Dabei wanderten meine Gedanken zu dem letzten Gespräch mit Jerker. Dabei viel mir eine Frage ein. 'Sag mal, Dad, wann hast du meine Mum kennengelernt?'
Überrascht musterte er mich. 'Ich weiß nicht, warum du das wissen willst, aber ich werde es dir sagen: Am 23.12.1988. Ein Tag vor Weihnachten. Sie stolperte mir förmlich in die Arme.' Er lächelte, als er sich daran erinnerte.
'Danke.' Hinter mir schloss ich die Tür.

Jerker musste nicht nachfragen, ob ich etwas herausgefunden hatte. Er sah es mir wohl an, dass es ein Schuss in den Ofen gewesen war.
Er seufzte. 'Das dachte ich mir schon. Im Internet stand auf nichts Hilfreiches. Nur, dass die Ermittlungen zwei Monate nach ihrem Verschwinden eingestellt wurden. Ihre Leiche wurde niemals gefunden.'
'Super. Das ist alles was wir haben: Ein paar Daten, ein verschwundenes Mädchen, ein Mörder, dessen Identität wir nicht kennen und ein Tagebuch, an das wir nicht rankommen.''Ein Tagebuch?'
Ich nickte. 'Meine Mum bewahrt es auf. Es ist von Elisabeth. Aber so wie ich sie kenne, hat sie ein doppeltes Schloss an der Schublade, in der es liegt.'
'Wahrscheinlich', murmelte er.
'Ach, und noch etwas: Mein Dad lernte meine Mum am 23. Dezember 1988 kennen. Scheinbar war es Liebe auf den ersten Blick.'
'Das heißt dein Vater war Ende dreißig, als er mit deiner Mutter schlief. Sie war damals 15.'Ich verzog kurz das Gesicht. 'Wo die Liebe hinfällt.'
Jerker lachte auf. 'Da hast du wohl recht. Aber meinst du, das alles ist Zufall? Die Schwangerschaft, der Mord in ein und demselben Jahr?'
'Ich wüsste nicht, wie das alles zusammenhängen sollte', sagte ich ratlos.
'Stimmt.'
'Und nun stehen wir wieder mit leeren Händen da', stellte ich richtig und ließ mich neben ihn auf's Bett plumpsen.
'Weißt du was ich seltsam finde?'
'Nein, was denn?', fragte ich und kuschelte mich an ihn.
'Dass sich dein Dad keine ältere Freundin gesucht hat. Ich meine, dass du sagtest, er hatte vielleicht Angst, dass er kein Kind mehr zeugen könnte, wenn er zu lange wartete.'
'Vielleicht liege ich mit dieser Theorie einfach daneben?'
'Wahrscheinlich. Deine Mutter muss einen starken Willen und dein Vater einen sehr guten Charakter haben.'
'Wie kommst du darauf?', fragte ich leicht verwirrt.
'Schau mal: Wenn dein Vater mit deiner Mutter geschlafen hat - was natürlich der Fall war - hat er sich strafbar gemacht. Als er von seiner schwangeren Freundin erfuhr, hat er sie nicht verlassen, hat sie nicht dazu gebracht abzutreiben und ist bei ihr geblieben. Das würden nicht viele Männer tun. Durch die Schwangerschaft kam schließlich ans Licht, dass deine Mutter einen viel älteren Freund hatte, mit dem sie auch schlief.'
'Ich verstehe nicht, auf was du hinaus willst, Jerker. Wahrscheinlich hat sie mit ihren Eltern geredet, sie dazu gebracht, nicht zur Polizei zu gehen oder sonst etwas zu machen.'
'Es passt alles einfach nicht zusammen, Catherine. Der Streit deiner Mutter mit ihren Eltern, der bis heute anhält, ihre frühe Schwangerschaft, das Verschwinden von Elisabeth…'
'Du hast Recht. Weißt du was noch seltsam ist? Dass dieses Haus meiner Oma gehört. Sie hat es anscheinend meiner Mutter überlassen. Handelt so ein Mensch, der Streit, und zwar wahrscheinlich einen deftigen Streit, mit seinem Kind hat?'
'Nein', antwortete Jerker schlicht. 'Es passt alles ganz und gar nicht zusammen.'
'Jerker?', fragte ich plötzlich. 'Weißt du was mir gerade einfällt? Mein Dad sagte, sie hätten sich am 23.12. kennengelernt. Doch heißt das gleich, dass sie seitdem auch zusammen waren? Also so richtig zusammen?'
Er verneinte. 'Auf was willst du hinaus?'
Ich runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. 'Ach, nichts.'
Das konnte gar nicht sein, das war nicht möglich. Warum machte ich mir darüber überhaupt Gedanken?! Dennoch sprang ich auf und verließ mit einem kurzen 'Ich komme gleich', mein Zimmer.

'Dad?'
'Was ist denn schon wieder, Catherine?'
'Ich… ich wollte nur noch eine Kleinigkeit wissen.'
Er verzog das Gesicht. 'Ich kann dir nicht mehr darüber sagen.'
'Darum geht es gar nicht. Ich wollte nur wissen, seit wann du mit meiner Mutter zusammen bist.'
'Ich sagte doch bereits, seit dem 23.12….'
'Nein, Dad. So richtig zusammen.'
Er lehnte sich unsicher in seinem Stuhl zurück. 'Seit März, 1989. Aber warum interessiert dich das? Was hat das mit dem Verschwinden von Elisabeth zu tun?'
Ich schloss kurz die Augen und schüttelte den Kopf über mich selbst. Vielleicht war ich einfach nur… 'Catherine? Ich habe dich etwas gefragt!'
'Tut mir leid, dass ich dich bei deiner Arbeit gestört habe, Dad. Kommt nicht wieder vor.' Ich stürmte aus dem Zimmer, die Stufen hinunter, den Flur entlang, die Treppe hinauf und durch meine geöffnete Zimmertür.
'Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen, Catherine', begrüßte Jerker mich und sprang vom Bett auf. 'Was ist los?'
'Mein Dad ist mit meiner Mutter seit März, 1989 zusammen.'
'Na und? Was spielt das für eine Rolle?'
Ungeduldig runzelte ich die Stirn. 'Mensch, Jerker, überleg' doch mal! Wann habe ich Geburtstag? In welchem Monat? In welchem Jahr?'
Er schloss kurz die Augen, wie er es immer tat, wenn er nachdachte. Nach einigen Sekunden riss er sie wieder auf und schüttelte langsam den Kopf. 'Ich weiß, auf was du hinauswillst. Aber das muss nicht sein. Es gibt oftmals Frühgeburten. Ganz davon zu schweigen, dass dein Vater vielleicht schon vorher mit deiner Mutter geschlafen haben könnte. Möglich wäre auch, dass er sich mit dem Monat irrt…'
'Verdammt, Jerker. SIEBEN MONATE! Eine Schwangerschaft von SIEBEN MONATEN!'Er zuckte ratlos mit den Schultern. 'Das kommt vor. Vor allem, wenn man noch so jung ist, wie deine Mutter es war.'
Ich schüttelte den Kopf, ließ es allerdings dann auf sich beruhen. 'Lass uns morgen darüber reden. Ich brauche erst einmal etwas zu essen.'
Er lächelte mein geliebtes Lächeln. 'Du lässt dir auch von nichts den Appetit verderben, was?'
Ich kicherte. 'Nie.'
'Dachte ich mir.' Er trat dicht vor mich und senkte den Kopf zu mir hinunter und ich reckte den Hals, um ihn besser erreichen zu können. Unsere Lippen berührten sich sanft. 'Mhm', murmelte er und wollte mich gerade Richtung Bett drängen, als die Tür aufgerissen wurde. Jerker wollte zurückfahren, doch ich hielt ihn fest und gab ihn erst nach zehn weiteren Sekunden frei.
Ich musste nicht zur Tür gucken. Der stechende Blick in meinem Nacken, der schon fast mörderisch war, gab mir klar zu verstehen, dass dort meine Mutter stand. Wahrscheinlich hatte sie geahnt, was sie hier zu sehen bekommen würde und hatte sich daher - zu meiner großen Überraschung - unter Kontrolle.
'Catherine, wir MÜSSEN REDEN!', ihre Stimme wurde mit jedem Wort laute. 'UND ZWAR ALLEINE!'
'Ich habe keine Geheimnisse vor Jerker, Mum. Er kann ruhig bleiben.'
Ich sah sie de Augen schließen und hörte sie einmal tief ein und aus atmen. 'Wie du willst, Catherine', ihre Stimme wurde etwas weicher und als sie wieder ihre Augen öffnete, lag dieselbe Traurigkeit wie vor ein paar Minuten in ihnen. Ihre Wut war verrauscht.'Am besten, wir setzen uns', meinte sie, durchquerte das Zimmer und beschlagnahmte mein Bett. Jerker und ich blieben in der Mitte des Raumes stehen. Ska lag immer noch in einer Ecke und schlief, daher bemerkte meine Mutter nichts von seiner Anwesenheit.'Ich bitte dich um eines, Catherine: Unterbrich mich nicht. Fragen werden am Schluss gestellt.'
Ich nickte zaghaft, dann begann sie ohne längeres Umschweifen zu erzählen…







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