Kribbeln unter der Haut Teil 17

Autor: Yana
veröffentlicht am: 18.01.2009




Kapitel 16
Ich konnte Jerkers Blick noch einige Sekunden auf mir Ruhen sp?ren, doch schlie?lich senkte er den Kopf und las schweigend den Artikel. Auch als ich mir sicher war, dass er schon l?ngst geendet hatte, blieb er stumm.
'Wolltest du deshalb nicht, dass ich ins Archiv gehe? Weil du bef?rchtetest, dass ich genau das he-rausfinde?', fl?sterte ich leise, unf?hig meiner Stimme mehr Kraft zu geben. Nun blickte ich zu ihm hin?ber und beobachtete, wie er mit leeren Augen aus dem Fenster starrte. Vielleicht w?re es doch besser gewesen, die Vergangenheit ruhen zu lassen.'Ja', seine Stimme war nicht lauter, wie die meine. 'Ja, deshalb hatte ich dich davon abhalten wol-len.' Er senkte den Blick auf das Papier und betrachtete es, als ?berlegte er, wie er das alles r?ckg?ngig machen k?nnte. R?ckg?ngig, dass er das M?dchen auf dem Gep?cktr?ger zum Krankenhaus hatte fahren wollen, r?ckg?ngig, dass dieser Unfall geschehen war.Und genau das war der entsprechende Punkt: In diesem Moment zweifelte ich nicht an Jerkers Unschuld. Ich war mir mehr wie hundert Prozent sicher, dass er diesen Unfall nicht mit Absicht hatte geschehen lassen.
Wie hatte ich nur einen Moment glauben k?nnen, er w?re ein M?rder?
'Wei?t du, ich habe das nicht gewollt', begann er fl?sternd, den Blick starr nach unten gesenkt. 'Es war Samstagabend, als sie mich anrief. Ihre Eltern waren nicht zu Hause und ihr Freund hatte sie sitzen gelassen. Sie fing an ?ber schreckliche Schmerzen im Unterleib zu klagen. Ich versprach ihr, sie abzuholen und ins Krankenhaus zu bringen. Zuerst beteuerte sie, dass das nicht n?tig w?re. Doch schlie?lich konnte ich sie ?berreden', er strich mit dem Zeigefinger ?ber das Papier. 'Da ich erst 15 war und somit keinen F?hrerschein hatte, blieb mir nichts anderes ?brig, mit dem Fahrrad zu fahren. Meine Eltern h?tte ich nicht fragen k?nnen, sie zu fahren. Also holte ich sie ab und fuhr mit ihr los. Ihre Schmerzen wurden immer schlimmer und ich selbst nerv?ser. Ich konzentrierte mich kaum noch auf den Verkehr und redete ihr gut zu. Ich hatte Angst, ihre Fluchtblase k?nnte platzen. Auf der Autobahn passierte es schlie?lich. Ein Auto kaschierte das Hinterrad mit voller Wucht. Lilli war sofort tot. Sie schlug mit dem Kopf auf den Boden. Ich selbst wurde ?ber die ganze Fahrbahn geschleudert und wurde sp?ter ins Krankenhaus eingeliefert. Sp?ter erfuhr ich, dass die Polizei gegen mich ermittelte', er brach ab und strich sich seine schwarzen Haare aus dem Gesicht. 'Ich hatte doch nur helfen wollen, verstehst du?' Zum ersten Mal schaute er mich an. 'Ich k?nnte es verstehen, wenn du mir nicht glaubst. Meine Geschichte klingt nicht gerade glaubw?rdig. Welcher Idiot w?rde auch schon eine schwangere Freundin mit dem Fahrrad zum Krankenhaus fahren wollen, und das auch noch ?ber die Autobahn?!' Er lachte bitter auf. 'Ich war wirklich ein Idiot. Wahrscheinlich w?re es eine gerechte Strafe gewesen, wenn die Polizei mich in den Jugendknast gesteckt h?tte.'
'Dann h?tten wir uns nie kennen gelernt', murmelte ich, w?hrend hinter uns ein Auto hupte. 'Ist die Narbe von diesem Unfall?', fragte ich, nachdem er darauf nichts geantwortet hatte. 'Oder von einem Anderen?'
Er sch?ttelte den Kopf. 'Ich wei? nicht genau, wie so eine Wunde bei einem Verkehrsunfall passieren konnte. Ich h?tte mir eher die Rippen brechen m?ssen. Stattdessen aber wurde mein Bauch aufgeschlitzt', er zuckte mit den Schultern. 'Es musste gen?ht werden. Das war schon alles. Nach ein par Stunden durfte ich das Krankenhaus schon wieder verlassen.' Er drehte den Schl?ssel herum und startete den Motor. 'Ich hatte einen ziemlich gro?en Schutzengel.''Das kann man wohl sagen', murmelte ich, st?tzte meinen Ellenbogen neben das Fenster, das Kinn auf meine Handfl?che und starrte hinaus.
'Ich kann es wirklich verstehen wenn du mir keinen Glauben schenkst.' Ich sp?rte seinen Blick einen kurzen Moment auf meinem Gesicht. 'Aber ich hoffe, dass das nicht der Fall ist', f?gte er leise hinzu und wendete seine Aufmerksamkeit wieder der Stra?e zu.
'Nat?rlich glaube ich dir', sagte ich schlie?lich, als der Porsche nach rechts fuhr. 'Wie k?nnte ich dir auch nicht glauben?!' Es war eher eine Feststellung, wie eine Frage, an mich, nicht an ihn. 'Ich mute dir vieles zu, jedoch keinen Mord. Niemals.'
Ich h?rte, wie er erleichtert auf atmete. Nicht laut, jedoch vernehmlich. 'Ich hatte schon bef?rch-tet?'
'Ich vertraue dir, Jerker', unterbrach ich ihn. 'Und wenn du sagst, dass es so gewesen ist, dann glaube ich dir. Ohne zu z?gern.' Es war nicht einmal eine L?ge. Ich w?rde ihm alles glauben.
'Danke', murmelte er. Ich sp?rte seine Hand auf meinen Oberschenkel und riss meinen Blick vom Fenster los. Mit dem Versuch, ein L?cheln zustande zu bekommen, schaute ich zu ihm hin?ber und starrte in seine smaragdgr?nen Traumaugen. Angenehme W?rme und ein Gef?hl der Geborgen- und Sicherheit durchstr?mte mich, f?llte jeden Winkel meines K?rpers.'Ich hatte solche Angst, du k?nntest mich hassen, wenn du es herausfinden w?rdest. Deshalb hatte ich es dir nicht sagen wollen und deshalb hatte ich nicht gewollt, dass du ins Archiv gehst.'
'Vergessen wir es', erwiderte ich und meinte es auch so. Ich wollte dar?ber nicht l?nger nachden-ken. ?ber das arme M?dchen, das Baby. Und ?ber Jerker, der nur hatte helfen wollen, doch den wahrscheinlich gr??ten und zu meist zu bereuenden Fehler begannen hatte.

Ich renne. Um mich herum ist es dunkel. Die B?ume strecken ihre leeren ?ste wie Krallen nach mir aus und versuchen mich festzuhalten. Sie peitschen mir ins Gesicht und hinterlassen brennende, blutige Kratzer auf Wange und Stirn. Ihre Wurzeln werfen sich um meine Fu?gelenken und versuchen mich zu Fall zu bringen. Ich stolper, rudere mit den Armen und k?mpfe um mein Gleichgewicht. Ich sehe den Mond ?ber die dichten ?ste des Waldes erscheinen. Er wirkt zu gro?, als w?re er zu nah. Er scheint sich zu bewegen. Jedenfalls denke ich das, bis mir einf?llt, dass nicht er, sondern ich mich fortbewege. Ich renne. Immer weiter in den gespenstigen Wald. Ich sp?re die Angst in mir, wie einen gehassten Freund. Panik benebelt meine Sinne und l?sst mich immer weiter laufen. Sie treibt mich an.
Ich kann den Boden unter meinen F??en kaum erkennen.
Ich h?re ein rascheln hinter mir.
?ngstlich schreie ich auf und fange an zu zittern. Eine kalte Hand streicht ?ber meinen R?cken und bohrt pl?tzlich ihre eisigen Finger in meine unterk?hlte Haut. So f?hlt es sich an, doch ich wei?, dass es nur der Schauder ist, der mich so empfinden l?sst.
Ich hasse diese Angst und Panik, die sich mit Armen und Beinen an mir festklammern. Sie lassen sich nicht absch?tteln und bohren sich immer weiter in mein Gehirn hinein. Sie nehmen meinen K?rper in Besitz und lenken mich. Sie schalten mich aus und machen aus mir einen anderen Mensch. Einen Mensch, der fl?chtet.
Wieder raschelt es im Geb?sch. ?berall. Erst hinter mir, dann vor mir, dann seitlich.
Ich habe Angst. Warum ist hier niemand?
Ich renne. Doch wohin?
Ich will mich setzen, meine F??e sind schwer wie Blei. Wie lange renne ich schon? Minuten? Stun-den?
Ich weine. Warum?
Ich fl?chte. Doch vor was?
Mein Herz h?mmert gegen meine Brust. Meine Lunge schreit nach mehr Luft. Alle Knochen in mei-nem Leib schmerzen. Wie lange muss ich noch laufen? Warum kommt niemand, um mich zu retten? Was habe ich getan?
Die Dunkelheit l?sst nicht von mir ab. Ich habe Angst vor den B?umen. Sie sehen mich mit weit auf-gerissenen M?ndern an und verfolgen mich mit ihren h?lzernen Blicken, welche sich in meinen K?rper bohren und mich durchl?chern.
Der Mond verschwindet, und somit das letzte Licht. Die ?ste haben ihn vom Himmel gerissen und hinter die dicken, schwarzen Wolken geschleudert und diese fest vor ihm zusammen gezogen. Wie einen schwarzen, schweren Vorhang. Warum ist hier alles gegen mich?

Eine Wurzel packt meinen rechten Fu?. Ein stechender Schmerz l?sst mich zu Boden gehen. Sch?t-zend zerre ich die H?nde vor das Gesicht. Steine und ?ste bohren sich in meine Haut.Tapfer rei?e ich mich los, springe auf und renne weiter. Ein Indianer kennt keine Schmerzen.Ich weiche den gierigen, schwarzen, d?rren Fingern der B?ume aus, hebe die F??e h?her wie n?tig und sto?e mich schnell und ungleichm??ig vom unebenen Boden ab. Ich will hier weg.Ein Br?llen erreicht mein Ohr und bohrt sich wie ein Dorn in mein Ged?chtnis. Es h?rt sich an wie ein Monster. Ich will nach Hilfe rufen, doch der Schrei bleibt mir im Hals stecken. Etwas Warmes greift nach mir und h?lt mich fest. Ich bekomme nur ein leises Schluchzen zustande und wei?, dass meine Flucht beendet ist. Ist es der Tod, der mich festh?lt?

Mit einem Schrei fuhr ich auf. Im rasenden Tempo pochte mein Herz gegen meine Brust. Ich hatte Angst, es w?rde herausspringen.
'Sssscht.' Ich h?rte eine vertrauliche Stimme. Eine warme Hand legte sich auf meinen nackten Arm. Ich zucke zur?ck. 'Cat, ich bin es. Tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe.'Ich kannte diese Stimme und diesen Geruch nach Zimt.
Auch der Ort kam mir bekannt vor, obwohl er fast ganz im Dunkeln lag. Doch der Einfall des Lichtes des Mondes durch ein gro?es Fenster lie? Konturen erkennen.
Es war mein Zimmer. Und es war nicht der Tod, der mich festhielt, sondern Jerker, der sanft ?ber meinen Arm strich. 'Oh mein Gott, Jerker, erschreck mich nie wieder so!' Es hatte eine Weile ge-dauert, bis ich diesen Satz zustande bekommen hatte.
'Tut mir wirklich leid. Hast du schlecht getr?umt?'
Ich nickte.
'Willst du ihn mir erz?hlen?'
Z?gernd sch?ttelte ich den Kopf. 'Morgen fr?h vielleicht.' Ich wollte mich nicht daran zur?ck erin-nern. Nicht jetzt. Nicht an die panische Angst, die immer noch nicht aus meinen Gliedern gewichen war. 'Was machst du hier?', fragte ich, um vom Thema abzulenken.'Ich konnte nicht schlafen.' Ich sah seine wei?en Z?hne aufblitzen, als er grinste. 'Au?erdem wollte ich dich mit meiner Anwesenheit begl?cken und dir die Ehre erweisen, dein Bett mit mir teilen zu d?rfen.'
'Oh, wie ?beraus freundlich von dir!' Langsam normalisierte sich mein Herzschlag. 'Wie soll ich mich daf?r nur bedanken?!'
Die Antwort kam prompt: 'Gib mir einen Kuss.'
Ich verdrehte spielerisch genervt die Augen, doch im Inneren war ich erleichtert, dass Jerker von au?en her wieder normal wirkte. Ich hatte Angst gehabt, unsere Beziehung k?nnte sich wegen diesem Ereignis ver?ndert haben.
Sanft nahm Jerker meine Hand in die seine und setzte sich zu mir auf das Bett. Das helle Mondlicht, das durch das ge?ffnete Fenster meines Zimmers schien, spiegelte sich in seinen Augen wieder. Seine smaragdgr?ne Iris schien zu leuchten. Die nackte Haut seines Oberk?rpers schimmerte golden, nur die lange, d?nne Narbe schillerte wei?.
'Ich wei?, sie ist nicht besonders sch?n' Ich konnte keine Wehmut oder Schmerz aus seiner Stimme heraush?ren. 'Nein, ich finde sie? anziehend', murmelte ich leicht besch?mt, weil ich ihn so lange angestarrt hatte.
Ein Grinsen entspannte seine Gesichtsz?ge. 'Soso, du findest mich also anziehend?'
Ich zuckte gleichg?ltig mit den Schultern. 'Das habe ich nicht gesagt. Aber keine Sorge, ich glaube, das trifft auch zu.' Mir viel es immer leichter, ihm die Wahrheit ?ber das zu sagen, was ich f?r ihn empfand.
'Ich finde dich nicht anziehend', murmelte er dicht an meinem Ohr. 'Daf?r aber finde ich dich aus-ziehend.'
Da seine pl?tzliche N?he mich etwas vernebelt hatte, brauchte ich einen Moment, um den Sinn seiner W?rter zu verstehen. Er fand mich nicht anziehend, aber ausziehend?
Als es bei mir 'klick' machte, stie? ich ihn lachend von mir. 'Idiot!'
Diesmal war er es, der mit den Schultern zuckte und schlie?lich v?llig ernst sagte: 'Ich sage nur das, was der Wahrheit entspricht.' Er st?tzte sich wieder auf, da er durch die Wucht meines Sto?es r?ckw?rts auf mein Bett gefallen war und lehnte sich vor. Als unsere Lippen nur noch einige Millimeter voneinander entfernt waren, fl?sterte er z?rtlich: 'Aber bei einer Sache habe ich wohl? habe ich mich wohl versprochen. Ich finde dich sowohl anziehend, wie auch ausziehend.' Mit diesen Worten hauchte er mir einen fl?chtigen Kuss auf die Lippen. Beziehungsweise hatte er das vor gehabt, doch ich schlang ihm kurzerhand die Arme um den Nacken und zog ihn n?her an mich. Ich konnte nichts daf?r, f?r diese Handlung. Es war mein K?rper, der so reagierte, sobald ich seine Lippen sp?rte.
Einige Minuten sp?ter l?ste er meine H?nde sanft aus seinem Nacken. 'Du bist gierig, Catherine.'
Emp?rt musterte ich ihn. 'Wer verlangt hier immer einen Kuss zur Belohnung?'
'Ich nicht!', behauptete er v?llig ernst, jedoch nicht, ohne sich ein L?cheln verkneifen zu k?nnen.
'Du bist kein guter L?gner, Jerker Fox!' Ich pikste ihn in die Seite und schob ihn von mir.'Jerker?', fragte ich, nachdem wir eine Weile schweigend nebeneinander gesessen hatten. 'Der Unfall? nat?rlich glaube ich dir, dass du ihn? nicht bewusst geschehen gelassen hast? aber? hast du damals nicht einmal ?berlegt, sie umzubringen?' Ich wusste, diese Frage klang absurd. Vor allem aus meinem Mund. Und vor allem, weil ich nichts von der Freundschaft zwischen Jerker und diesem David wusste und ich nicht einmal sicher gehen konnte, dass sie wirklich jemals beste Freunde gewesen waren. Irgendwie wollte ich mehr wissen. Alles. Alles was mit diesem Unfall zutun hatte.
Jerker antwortete nicht. Nat?rlich, ich hatte diese Frage gestellt, doch tief im Inneren wusste ich, dass ich mir ein klipp und klares 'Niemals!' gew?nscht hatte. Ich hatte es gehofft, dass er es abstreiten w?rde. Besser gesagt hatte ich damit gerechnet. Diese Frage hatte im Prinzip nur dazu dienen sollen, ein Gespr?ch anzufechten. Und nun antwortete er nicht.
'Jerker?'
Statt einer Antwort, begann er zu erz?hlen, so pl?tzlich, dass ich erschrocken zusammen zuckte. 'Es war der Sommer nach meinem dreizehnten Geburtstag. Meine Eltern waren ohne mich verreist und hatten mich zu meiner Gro?mutter gebracht. Daher war ich hier. Sie hatte hier gewohnt. Da ich erst zum zweiten Mal hier war, kannte ich mich nat?rlich nicht aus. Nicht mit der Umgebung und auch nicht mit den Menschen, die hier wohnten. So kam es, dass ich durch die Stadt lief. Da mein Orientierungssinn auch nicht gerade der beste war, verlief ich mich prompt. Ich landete in einem ziemlich verwahrlosten Viertel. Die Gassen waren voller M?ll und die H?user grau. Ich wei? noch genau, dass ich einen Penner sah, der zwischen Tauben schlief. Ratten huschten durch die kahle B?che und an jeder Ecke standen Bier- und Wodkaflaschen. In der Ferne gr?lten irgendwelche vollgetrunkene Alkoholiker. Irgendwann stand ich vor einer ziemlichen dunklen? ja, fast schwarzen Gasse. Es roch f?rchterlich nach Fisch und vergammeltem Fleisch. Als ich mich abwandte, um den richtigen Weg nach Hause zu suchen, merkte ich, dass drei fette Burschen hinter mir standen. Sie grinsten mich h?misch an und hatten die Arme l?ssig vor der Brust verschr?nkt. Damals, mit meinen dreizehn Jahren, war ich noch recht schm?chtig. Sie sahen in mir wohl ein wehrloses Opfer und versperrten mir daher den Weg, sodass ich nur in die Gasse h?tte fl?chten k?nnen, die nat?rlich in einer Sackgasse endete. Allerdings rannte ich nicht weg, denn ich wusste, wie wenig Sinn das machen w?rde. Ich stand einfach nur da und wartete ab, was als n?chstes passieren w?rde. Insgeheim hoffte ich nat?rlich, sie w?rden mich laufen lassen. Und nat?rlich taten sie das nicht', er brach kurz ab, fuhr dann jedoch, bevor ich irgendeine Zwischenfrage stellen konnte, fort: 'Einer der Typen, anscheinend der 'Big Boss', fragte mich, was ich so alleine hier mach w?rde. Logischerweise antwortete ich ihm nicht. Das machte den Typen rasend. Er kam auf mich zu, um mich am Kraken zu packen. Ich schl?pfte unter seinen Armen hindurch, knallte dann jedoch mit einem seiner Kumpane zusammen, der mir sogleich seine Faust ins Gesicht schleuderte. Ich fiel auf den Boden und die Mistkerle bildeten einen kleinen, engen Kreis um mich. Von oben sahen sie auf mich hinab. Wieder fragte mich der Anf?hrer, was ich hier machen w?rde. Doch ich war zwar schwach, jedoch kein Angsthase. Ehe einer von ihnen h?tte reagieren k?nnen, sprang ich auf und schlug einen der dreien mit voller Wucht auf die Nase. Sofort wurde ich von hinten gepackt und Fausthieb hagelten auf mich ein. Sie hatten mich schon ziemlich ?bel zugerichtet. Allerdings nicht, ohne selbst Schl?ge zu kassieren. Jedenfalls floss die Kraft nur so aus mir hinaus. Und um es kurz zu machen: Pl?tzlich tauchte ein riesen Bursche hinter uns auf und schrie die drei Kerle zusammen. Als sie allerdings nicht von mir lie?en, wurde der neu aufgetauchte Junge handgreiflich. Er schlug sie tats?chlich alle zusammen, bis sie die Flucht ergriffen. Es war David, der mich gerettet hatte. Wahrscheinlich h?tten die Jungs mich totgeschlagen, wenn er nicht eingegriffen h?tte.Als erstes half er mir auf und stellte sich vor. Ich wei? nicht mehr, wie alt er damals gewesen sein musste. Jedenfalls einige Jahre ?lter wie ich. Er brachte mich nach Hause und erkl?rte alles meiner Gro?mutter, die bei meinem Anblick beinahe einen Herzinfarkt bekam. Da meine Gro?mutter schon ziemlich alt, schusslig und weitsichtig war, und ich mich weigerte, auch nur einen Schritten in ein Krankenhaus zu setzen, half David mir, die Wunden zu verarzten. So entwickelte sich nach und nach eine tiefe Freundschaft. Er stellte mir sogar seine Freundin vor, Lilli, mit der ich mich auch sogleich richtig gut verstand.
Dann, zwei Jahre sp?ter, als ich wieder hier her kam, wollte ich David besuchen gehen. Allerdings konnte ich ihn nirgends? auftreiben. Nicht in seiner Wohnung, auch nicht bei irgendwelchen Freunden. Also ging ich Lilli besuchen, um zu fragen, wo er sei. Als ich dann vor ihr stand, und ihren dicken Bauch sah, brauchte ich nicht lange, um zu kapieren, was passiert war. Damals war sie schon im achten Monat schwanger. Sie erz?hlte mir schlie?lich, dass David sie sitzen gelassen hat, als er von dem Baby erfahren hatte. Sie wusste nicht, wohin er gegangen war.
Die Nachricht traf mich wie ein Schlag. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass David, der korrekte Da-vid, mein Lebensretter, meiner bester Freund, mein Kumpel ein M?dchen sitzen gelassen hat, nur weil es von ihm schwanger war.
Doch nachdem ich den Schock verarbeitet hatte, meldete sich die Wut. Wut auf Lilli, weil sie David vertrieben hatte. Wut, dass sie zu dumm war, um richtig zu verh?ten. W?re sie nicht schwanger geworden, w?re David noch hier gewesen. So hatte ich meinen besten Freund verloren.
Wegen einem M?dchen.
Wegen einem BABY!
Ich wei?, es ist? grauenvoll? aber ich sa? Tagelang in dem Zimmer bei meiner Gro?mutter und hegte einen Mordplan aus. Ich hasste Lilli. Und ihr Baby. Doch als sie schlie?lich bei mir anrief, und ?ber diese Schmerzen klagte? ihre Verzweiflung, ihre Trauer in ihrer Stimme. Sie kochte mich sofort weich. Ich hasste mich f?r meinen Hass auf sie und das Baby. Sie hatte es sich sicher auch nicht gew?nscht, dass es so kommt, wie es gekommen war', wieder hielt er inne, jedoch nur, um nach meiner Hand im dunklen zu Suchen. Der Mond war inzwischen hinter einer kleinen Wolke verschwunden. 'Ich kann nicht bestreiten, dass ich niemals daran gedacht habe, sie umzubringen. Jedoch? als sie in meinen Armen starb? ich hatte diesen Unfall niemals gewollt. Ich h?tte niemals zwei Menschen umbringen k?nnen oder wollen. Sie verblutete in meinen Armen, auf dem harten Asphaltboden, ohne dass jemand h?tte etwas tun k?nnen. Der Krankenwagen kam einfach zu sp?t, und das Auto, dass uns gerammt hatte, zu fr?h.'
Es war ein langer, vielleicht auch ein wenig wirrer Bericht gewesen. Die Emotionen, die in Jerkers Stimme mitgeschwungen waren, hatten mich mitf?hlen lassen, so ?hnlich vielleicht, wie er wohl damals empfunden haben musste. Ich konnte ihn verstehen. Seinen Hass auf Lilli und das Baby und warum er ihr die Schuld f?r das Verschwinden Davids gegeben hatte, auch wenn ich nicht wusste, wie es war, einen besten Freund oder eine beste Freundin zu verlieren.Ich hatte Mitleid mit Jerker. Er hatte in diesem Moment nur helfen wollen. Wie musste sich es wohl anf?hlen, wenn man nur gutes im Sinn hatte und man jemanden dabei umbrachte? Auch wenn man direkt nicht daran Schuld war? Und dann auch noch ein Baby?
Ich schluckte. Wie hatte sich Lilli wohl gef?hlt, als sie feststellen musste, dass sie schwanger war? Und ihr Freund sie deswegen verlie?? Wie hatte sie den Willen gehabt, weiterzuleben?Sie tat mir fast mehr leid, wie Jerker mir leid tat. Sitzengelassen mit einem Baby. Und das mit sech-zehn Jahren! Ich konnte und wollte mir nicht vorstellen, wie sie sich gef?hlt haben musste.
'Du hast das Richtige getan, Jerker', sagte ich und meinte es auch so. Es war immer richtig, helfen zu wollen. Auch wenn die Hilfe manchmal alles nur noch schlimmer machte.Ich l?ste meine Hand aus der seiner und tastete nach dem Lichtschalter. Einige Sekunden sp?ter, erhellte das matte Licht unsere Gesichter. Aus m?den, traurigen Augen starrte er mich an. Er hatte sich an die Wand gelehnt und sa? im Schneidersitz da. Seine schwarzen Haare standen ihm wirr vom Kopf, einige fielen ihm ins Gesicht. Seine noch vor einigen Minuten strahlend gr?nen Augen wirkten dunkel. Warum hatte ich die Vergangenheit nicht einfach ruhen lassen k?nnen?
Bevor ich mir weitere Vorw?rfe machen konnte, lehnte ich mich zu ihm vor, nahm sein Gesicht zwischen meine H?nde und sah ihn mit festem Blick in die Augen. 'Du hast das Richtige getan, Jerker', wiederholte ich. 'Du hast nur helfen wollen. Es war nicht deine Schuld.' Sanft dr?ckte ich meine Lippen auf die seine und lehnte mich einige Sekunden danach wieder zur?ck.
'Ich habe zwei weiter Artikel aus dem Archiv mit gehen lassen', ?nderte ich so abrupt das Thema, sodass Jerker erst einmal verwirrt seine Stirn runzelte. 'Willst du sie sehen, oder sollen wir das morgen machen?'
Er z?gerte kurz, dachte nach. Dann nickte er und l?chelt sein schr?ges L?cheln, das so sehr zu ihm passte. 'Zeig her.'
Ich sprang auf, ging zu meinem Schreibtisch und holte die zwei Din A4 Bl?tter hervor. 'Ich finde den zweiten Fall sehr interessant. Was sagst du?' Hastig reichte ich ihm die wei?en Papiere.
Schnell las er sich die zwei Artikel durch und nickte anschlie?end. 'Ich finde Beide F?lle recht? Auf-merksamkeitserregend. Aber wie willst du wissen, dass einer der Beiden M?dchen das ist, nachdem wir suchen? Wie willst du wissen, dass das M?dchen hier gewohnt hatte? Wie willst du wissen, dass ?berhaupt ein Bericht ?ber sie in der Zeitung erschienen war?'
'Ich wei? es nicht. Aber ich ahne es. Nenne es weibliche Intuition oder sonst wie.'
'Weibliche Intuition?', er lachte kurz auf. 'Auf sowas soll ich mich verlassen?'
'Klar', meinte ich, 'solange es nicht um Leben oder Tod geht, ist das schon okay.' Ich legte den Kopf schief und grinste ihn an. 'Au?erdem haben wir nichts zu verlieren, oder?''Was ist mit unserer kostbaren Zeit? Bald muss ich wieder nach Hause, und dann liegen einige hun-dert Kilometer zwischen uns.'
Ich ignorierte seinen Einwurf und fuhr unger?hrt fort. 'Ein paar Nachforschungen k?nnen schlie?lich nicht schaden. Und wer wei?, vielleicht kommen wir einer seltsamen Verschw?rung auf die Spur. Vielleicht wurden damals 16 J?hrige M?dchen bei einer Vollmondnacht und einem f?rchterlichen Ritual ermordet? Verhext? Verflucht?' Ich kicherte ?ber meine paradoxen Gedanken. Manchmal ging einfach die Fantasie mit mir durch.







Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13 Teil 14 Teil 15 Teil 16 Teil 17 Teil 18 Teil 19 Teil 20 Teil 21 Teil 22 Teil 23 Teil 24 Teil 25


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz