Zwickmühle? Teil 2

Autor: Sonntagskind
veröffentlicht am: 03.05.2008




Am nächsten Morgen wurde Lina von Sonnenstrahlen geweckt, die durch die Jalousinen fielen und sie an der Nase kitzelten. Lina gähnte herzhaft und streckte sich. ‚Mensch, meine gute Bluse, die ist ja ganz zerknittert!', dachte sie sich und schon ärgerte sie sich wieder. ‚Der Tag fängt ja gut an.' Also hievte sie sich mit allergrößter Kraft - ‚wieviel hatten sie und Karl gestern noch getrunken?' - aus dem Bett, um sich in der Küche einen Kaffe zu brühen. Auf dem Weg dorthin musste sie über Kisten und Berge von Klamotten steigen. ‚Warum war sie auch nur immer so unordentlich?', schalt sich Lina und ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, als sie vor der Küchenschwelle in etwas Glitschiges getreten war. 'Oh sche*ße, was war das denn jetzt?' Angewidert fischte sie ein Stück vergammelter Banane unter einem Bücherkarton hervor. ‚Mh, lecker!'
Lustlos, schon angenervt durch den guten Start in den Tag, bereitete sie sich ein Frühstück aus schwarzem Kaffe (die Sahne war ausgegangen) und Rührei mit angebranntem Toast zu (sie müsste heute wirklich dringend einkaufen gehen!).
'…now it's turning bluuee, but waiiit..!', grölte Lina dann, mit einem gefüllterem Magen, fröhlich die Begleitstimme zu Timbaland im Radio mit. Nachdem Lina ihre kleine Küche etwas auf Vordermann gebracht hatte, sprich die Spülmaschine ausgeräumt und wieder eingeräumt, den Müll ausgeleert und den Boden gewischt hatte, packte sie ihre Tasche mit den wichtigsten Utensilien. ‚Ach, den Einkaufszettel muss ich ja auch noch schreiben!', erinnerte sie sich und schlug sich mit der Handfläche gegen die Stirn. Also blickte sie in ihren fast leeren Kühlschrank. Er strahlte das aus, wie sich Lina im Moment fühlte - eine leere Hülle.
Nachdem sie der todkranke Ron verlassen hatte, brach für Lina eine Welt zusammen. So viele Jahre waren sie schon ein Paar und hatten sich vor einiger Zeit sogar ein Häuschen im schöneren Stadtteil Berlins gekauft. Doch als Ron nach Rio de Janeiro gegangen war, hatte Lina Glück und konnte diese Altbauwohnung beziehen, in der sie vor der Beziehung zu Ron auch schon gelebt hatte. Deshalb auch noch das Chaos in ihrer neuen 'alten' Wohnung. Bei der Besichtigung ihrer und Karls Wohnung hatte sie den Kürzeren gezogen und 'musste' somit mit der 2. Etage Vorlieb nehmen. Dieser anfängliche Konkurrenzkampf um die Dachwohnung sollte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein. ‚Zum Glück', lächelte Lina leise und merkte, dass sie die ganze Zeit die Tür des Kühlschrankes aufgelassen hatte. Wenn sie so weitermachen würde, lebe sie hier bald in einem Chaos, in einem sehr teuren.Als Lina alle lebensnotwendigen Sachen wie Schokolade, Gurken und Tomaten, Brot und Toast, Käse und Wurst aufgeschrieben hatte, klopfte es, wie jeden Morgen, bollernd, mit einem, verständlicherweise, tierisch lautem Nebeneffekt an ihrer Tür. Und jedes Mal versuchte Lina ihrem besten Freund klarzumachen, dass ihre altersschwache Tür dieses bestimmt nicht noch 30 Jahre aushalten würde. Seine Antwort war immer nur gewesen 'bis dahin bist du schon längst vergeben und wohnst mit einem tollen Mann, der dich vergöttert, in einer hübschen Villa mit 2,5 Kindern und einem goldenem Retriver. Dann magst du mich bestimmt auch gar nicht mehr besuchen, weil du nur noch das größte vom Größten gewohnt bist!' 'Jaa doch, ich komme schon!' Schnell schnappte sich Lina ihre Jacke und die Tasche und riss die Haustür auf. 'Einen wunderschönen Guten Morgen, allerliebstes Linchen!', begrüßte sie Karl stürmisch und grinste von einem zum anderen Ohr. 'Ja, das wünsche ich dir auch. Können wir dann?' 'Aber sicher!' Obwohl Karl ein selbständig arbeitender Fotograph war, lehrte er sein Fachgebiet jeden Morgen für drei Stunden an der Uni. Somit nahm Lina ihn gleich mit dem Auto mit, da die Universität auf dem Weg zum Theater- und Filmstudio lag.
'Jetzt fahr doch mal, Penner!' Karl grinste bei diesen Worten in sich hinein. Wie auch dieses hatte sich Lina nach all den Jahren völliger Abstinenz zu Karl nicht abgewöhnen können. Sie meinte nämlich immer, dass ihr schlechtes Verhalten auf einen ebenso schlechten Einfluss zurückzuführen sei, nämlich auf Karl. Doch der ließ das nie lange auf sich sitzen und konterte dann mit diesen Chosen, die Lina brachte. 'Du brauchst gar nicht so in dich hineinzugrinsen. Ich sehe es sowieso und es macht mich nur wütender!' Jetzt grinste Karl noch breiter.'So, vielen Dank! Für das Bringen! Bis heute Abend?' 'Ja, bis heute Abend! Und dann erzählst du mir auch, warum du heute so guter Laune bist ja?' 'Wer weiß, wer weiß?', schmunzelte Karl und mit einem weggeworfenen 'TSCHÜSS!' brauste Lina in ihrem roten Auto davon, während ihr Karl hinterherwinkte. Sie würde sicher ausrasten, wenn sie heute Abend erfahren würde, was er für sie geplant hatte. Pfeifend und guter Dinge marschierte Karl also ins Uni-Gebäude.

'Guten Morgen alle zusammen!' Linas Stimme schallte über die Betoneinfahrt vor dem Theater. 'Na, ob der so gut bei dir war?', fragte Jack scherzhaft und zeigte auf Linas Haare. 'Auch dir wünsche ich einen schönen Morgen, lieber Rolfi!' Grinsend schaute sie ihn an. Die beiden neckten sich schon so lange, seit Lina ihn vor einigen Jahren als ihren Regieassistenten angestellt hatte. Zwar war er nicht der Seelenverwandte wie Karl es für Lina war, doch konnte sie sich immer auf 'ihren' Rolf verlassen. Spaßig legte Rolf einen Arm um seine Chefin und zusammen gingen sie ins Theater, denn es musste ja ein neuer Arbeitstag mit neuen Hindernissen und Problem beginnen.
'Super Leute, heute habt ihr echt gut gearbeitete!', lobte Lina ihre Crew und strahlte in die Runde. Die Schauspieler, die Techniker, Rolf und sie saßen auf der Bühne und erholten sich mit frischen Getränken und Schnittchen vom arbeitsreichen Tag. 'Stimmt! Wenn wir so weitermachen, werden wir schneller fertig sein, als dass wir unsere Premiere haben!' Jeder musste bei dieser Aussage losprusten, da sie lange noch nicht fertig waren und auch wenn man meinte, man hätte bis zur Premiere noch so viel Zeit, so verging diese immer viel zu rasch und es musste noch so viel erledigt werden, sodass man sich dann gefragt hatte, wo die scheinbar hätte übrigbleibende Zeit gewesen ist. 'Wie viele Tage sind es jetzt noch bis zur Premiere im Stadttheater?', fragte Sina und lutschte an ihrem Eis. 'Noch genau 31 Tage. Und wir brauchen noch die endgültigen Kostüme, das Bühnenbild ist eine einzige Katastrophe und die Lichtmaschinen müssen bis dahin wie geschmiert arbeiten.' 'Bis zur Katastrophe?', scherzte Jack und grinste. 'Ja, ich hoffe doch nicht! Sonst gibts Schläge!', drohte Lina und hob spielerisch ihre Hand.
'Du warst heute gut drauf', flüsterte Rolf Lina ins Ohr, während sie ihre Sachen packte. Erstaunt hob Lina den Kopf und schaute ihren Freund an. 'Ja, seit Ron weg ist, da, ja, blühst du wieder richtig auf!' 'Danke, du bist der erste, der mich an ihn heute erinnert!' 'Ach Mensch, Lina, du kannst ihm doch nicht ewig hinterhertrauern!' 'Hinterhertrauern? Wir wollten heiraten, Kinder bekommen und dann lässt er mich eiskalt sitzen, weil er vielleicht eine Brasilianerin unter einem Palmenmeer beim Sonnenuntergang vögeln will? Und da soll ich kein Recht haben, ihm hinterhertrauern? Tolle Logik!' Total aufgebracht schnappte sich Lina ihre Tasche, rief ein 'Tschüss', unbestimmt an wen gerichtet, in den Saal und wollte ihn gerade durch die große Schwingtür verlassen, als sie einen starken Druck am Arm ausmachte. 'Hee-!' 'Lina, du musst ihn langsam vergessen! Er macht dich nur kaputt! Lass dich nicht so von einem Menschen beherrschen! Er weiß gar nicht, was er an dir hat…!' Sprachlos von Rolfs Offenbarung schaute Lina ihn nur zweifelnd an. Dieser strich ihr sanft über die Wange. 'Du bist so eine tolle Frau, Lina. Geladen voller Energie, ein Gute-Laune-Mensch. Von dem habe ich aber leider in den letzten Wochen viel zu wenig gesehen. Du musst ihn aus deinem Leben streichen. Er wird nicht zurückkehren. So hart es auch ist, aber du darfst ihn nicht deinen Alltag bestimmen lassen. Du machst dich nur selbst unglücklich und wirst es später bereuen, wenn du nicht mehr zu den Dingen kommst, die du dir vielleicht mal vorgenommen hast, weil du immer hoffst, dass er eines Tages vielleicht doch noch zu dir zurückkommen wird.' 'Lass mich', antwortete Lina plötzlich nach einer Redepause Rolfs und versuchte, ihren Arm aus Rons Umklammerung zu winden, doch dieser ließ es nicht zu. 'Lina! Bitte, lebe wieder!' 'Lass mich endlich los!' Damit riss sich Lina endgültig von ihm und rannte, blind vor Tränen, den Korridor entlang, aus dem Gebäude hinaus und zum Parkplatz, wo ihr treues rotes Auto auf sie wartete. 'Lina! So bitte warte doch!', schrie Rolf ihr hinterher und rannte ebenfalls auf das rote Auto zu.

'Rolf, lass mich in Ruhe! Du weißt gar nicht, was du mir damit antust!', schrie Lina ihn nun regelrecht an. Sie hatte sich zu ihm umgedreht, als beide keuchend das Auto erreicht hatten, und schlug nun mit ihren Fäusten auf ihn ein. 'Lina! Nicht ich tue dir das an, sondern dein Ron!' Und somit packte er ihre fliegenden Fäuste und zog sie zu sich heran. 'Du stehst völlig neben dir, Lini..' Mit wutverzerrtem Gesicht blickte sie ihn an. Rolf löste eine Hand um ihre verkrampfte und strich ihr nochmals über die Wange. Linas Gesichtszüge wechselten von Wut, über Ausdruckslosigkeit zu Trauer. 'Er ist einfach fortgegangen. Verstehst du? Einfach davon. Er hat mir die Gründe, warum er gegangen ist, per Brief mitgeteilt. Per BRIEF!' Sie schluckte. Rolf schaute Lina an, die er immer noch in seinen Armen hielt. Das war das erste Mal, dass sie so offen über ihr Gefühlsleben nach der Trennung von Ron sprach.







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