Mondfinsternis Teil 17

Autor: Jiyu no Kotoba
veröffentlicht am: 04.04.2009




Kapitel 17 - Photoalbum

Freudig l?chelte ich das Photoalbum, welches aufgeschlagen auf meiner violetten Bettdecke lag, an. Das Photo darin, welches ich gerade betrachtete, zeigte eine Gruppe Jugendlicher, die lachend zusammen auf einer leuchtend gr?nen Wiese standen und die Arme umeinander gelegt hatten. Zwei M?dchen waren es, und zwei Jungen.
Dieses Bild war vor etwa zwei Wochen entstanden, ein paar Tage, nachdem ich mit Darren in der Stadt gewesen war. Wir hatten uns recht spontan zusammengefunden, um den Tag zu genie?en. Stundenlang hatten wir auf der Wiese hinter dem Haus herumgealbert und uns, genau wie viele der Hotelg?ste, an der warmen Sonne erfreut.

'Hey Jan, bitte sch?n freundlich!'
Klick.
'Und jetzt ihr zwei!'
Klick.
'Lass mal sehen!' Neugierig stellte ich mich neben Marion und nahm ihr den Photoapparat aus der Hand. Lachend schaute ich die Bilder durch. Es waren wirklich Schnappsch?sse herausgekommen. Auf einigen war Marion ebenfalls drauf, wenn gerade mal jemand anderes die Kamera ergattert hatte.
'Eigentlich br?uchten wir noch so etwas, wie ein Gruppenbild' ?berlegte ich laut.
Begeistert stimmte sie mir zu und rief auch gleich Darren und Jan zu: 'Jungs! Wir machen ein Photo mit allen zusammen! Also kommt her!'
'Und wer soll das dann machen?' erkundigte sich Jan leicht au?er Atem, als er mit dem Japaner zu uns trat. Die beiden hatten sich eben so eine Art Ringkampf geliefert. Und genauso sahen sie jetzt auch aus.
'Keine Sorge, das haben wir gleich.' Ich trat auf einen ?lteren Herren zu, der gemeinsam mit seiner Frau in unserem Hotel wohnte. 'Herr Zenk? Darf ich sie um einen Gefallen bitten?''Aber nat?rlich, mein Kind.' Der pensionierte G?rtner strich sich ?ber seine recht sp?rliche Haarpracht. 'Was m?chtest du denn?'
'Nunja, k?nnten sie vielleicht ein Photo von uns machen?' Ich deutete auf meine Freunde, die ihn hoffnungsvoll anl?chelten.
'Selbstverst?ndlich mache ich das f?r euch.'
'Vielen Dank!' Ich strahlte ihn an und gab ihm Marions Photoapparat. Dann ging ich zur?ck zu ihnen.
'Fertig?'
'Moment.' Darren legte den linken Arm um meine Schulter. Mit der linken Hand zeigte er das ?Peace'-Zeichen in die Kamera, die rechte legte er auf die Schulter von Jan, der neben ihm stand. Vor dem Blonden war Marion, die sich lachend an ihn lehnte.
Ich meinerseits schlang meinen Arm um Darrens H?fte und genoss die N?he und Ber?hrung.'Bitte l?cheln!' Herr Zenk schoss gleich mehrere Photos und reichte Marion dann ihre Kamera zur?ck.
Darren lie? seinen Arm noch geraume Zeit um meine Schultern liegen.

Ich bl?tterte weiter. Auf dieser Doppelseite waren mehrere Photographien aus der Klasse. Eine recht gelungene Aufnahme aus Toms Hand zeigte einen Herrn Recht, der gerade unter die Decke ging, weil niemand - abgesehen von den Streberleichen Simon und Marina - die Hausaufgaben hatte. Auch sonst waren wirklich lustige Bilder zusammengekommen.Ich bl?tterte noch eine Seite um und fing an zu grinsen.

'M?dels, ihr seid langweilig.' Die F?uste in die Seite gestemmt und ?ber uns gebeugt stand Jan vor mir und Marion, die neben mir lag und sich in ihrem gr?nen Bikini r?kelte. An Jans Seite war Darren, der die Arme verschr?nkt hatte und ebenfalls zu uns hinab sah. Um uns herum h?rte man Gel?chter und das Summen unz?hliger Stimmen, oftmals ein Platschen und gelegentlich ein Aufkreischen. Die gew?hnlichen Freibadger?usche eben.
'Wir sind nicht langweilig.' Ich st?tzte mich auf die Ellbogen und sah den Jungs ins Gesicht. Ich konnte sie ja verstehen. Normalerweise konnte ich es auch nicht leiden, wenn jemand ins Freibad ging und dann nur in der Sonne lag. Aber erstens war ich schon zweimal im Wasser gewesen und zweitens war es einfach so sch?n warm hier. Und extra ausgegeben hatte von uns niemand etwas. Wir alle hatten Saisonkarten.
'Geht doch einfach schon mal rein' schnurrte ich und drehte mich auf den R?cken. Die Augen hielt ich geschlossen, um sie vor der grellen Sonne zu sch?tzen. So bekam ich auch nicht ganz mit, was um mich herum vor sich ging. 'Wir kommen gleich naaaIIN!' Mein letztes Wort endete in einem Kreischen.
Jan hatte mich an den Fu?gelenken gepackt und Darren hakte seine Arme von unten unter meinen Schultern ein.
'Loslassen! Lasst los!' Ich versuchte mich frei zu strampeln, doch die Jungs hatten einen unglaublich festen Griff, und ich bekam nicht einen Millimeter Bein frei. W?hrend die zwei mich dem Becken immer n?her brachten, kringelte Marion sich vor Lachen. Na, die konnte was erleben.
'3 - 2 - 1 -' z?hlten die beiden im Chor und schwangen mich am Beckenrand hin und her, 'und 0!'
Sie lie?en mich los, um mich ins Wasser zu werfen. Beziehungsweise Jan lie? los. Allerdings machte ich Darren einen Strich durch die Rechnung, indem ich nach seinen H?nden griff, ehe er sie mir entziehen konnte. Im hohen Bogen und mit einem lauten ?Platsch' landeten wir im Becken.
Als wir prustend und lachend wieder auftauchten, sah ich, dass Marion ihren Photoapparat in der Hand hielt und lachte.
Sch?tzungsweise hatte sie einige gute Bilder erbeutet.

Einige dieser Bilder hatte ich mir von ihr entwickeln lassen und ebenfalls ins Album geklebt. Sie waren wirklich genial geworden. Vor allen Dingen gefiel mir das Photo, auf welchem Darren und ich gerade ins Wasser fielen und noch so halb in der Luft hingen. Ich betrachtete es eine Weile l?chelnd und erinnerte mich vertr?umt an diesen kurzen Augenblick, bevor wir gefallen waren. Im Grunde genommen hatte es mich ja gar nicht gest?rt, von Darren festgehalten zu werden. Seine Arme um meinem K?rper und meinem blo?en R?cken an seiner nackten Brust? ein g?ttliches Gef?hl. Seine W?rme und N?he hatten mein Gehirn total vernebelt. Das ich seine H?nde festgehalten hatte entsprang auch weniger der Tatsache, dass ich nicht ins Wasser fallen wollte, als dem Wunsch, nicht fort von Darren zu m?ssen.Und ich war mir fast sicher: Darren hatte meine H?nde ebenfalls festgehalten und nicht einmal ansatzweise versucht, sie mir zu entziehen.
Ich schwelgte noch einige Minuten in Gedanken an diesen wundersch?nen Tag, bevor ich mir die nachfolgenden Photographien ansah.
Auch sie waren eine Erinnerung an einen denkw?rdigen Tag. Eigentlich einem Tag, wie so viele andere. Zumindest fast.

Ich war bei Marion zu Besuch. Ihr Zimmer sah aus, wie immer, ein Schlachtfeld, in dem die gr?bsten Tr?mmer fortger?umt worden waren.
'Und? Wie war dein Samstag?' erkundigte sie sich, w?hrend sie sich auf ihrem Drehstuhl best?ndig im Kreise drehte, so dass mir schon allein vom Zusehen ?bel wurde. Ihr allerdings schien es nichts auszumachen.
'Hm?' Ich hatte ihre Frage nicht ganz mitbekommen, zu versunken war ich in die Betrachtung einer Photocollage, die neben ihrem Schminktischchen stand. Nun sah ich auf.'Dein Samstag. Wie war der?'
'Achso.' Ein L?cheln machte sich auf meinem Gesicht breit. 'Sch?n.'
'Darren?' fragte sie, meinen bel?mmerten Gesichtsausdruck richtig deutend.
'Ja.' Ich grinste noch immer, doch im n?chsten Moment wurde mein Blick nachdenklich, fast traurig. Geknickt setzte ich mich auf Marions Bett und schaute aus dem Fenster.
Dem braunen Wuschelkopf entging diese Stimmungsver?nderung nat?rlich nicht. Sie kam zu mir her?ber um sich neben mich zu setzten. Sie legte tr?stend den Arm um mich und zog mich zu sich heran.
'Ach, Leo. Warum machst du dir denn immer so viele Gedanken?' fragte sie und strich mir mit der freien Hand eine rot-schwarze Haarstr?hne aus dem Gesicht. 'Du liebst ihn doch, oder?'
Dankbar lehnte ich mich an sie. Dankbar, dass sie sich um mich sorgte und dankbar, dass sie f?r mich da war.
'Ja, nat?rlich liebe ich ihn, aber?'
'Nein, Leo. In der Liebe gibt es kein ?Aber'. Beantworte mir eine Frage. Willst du ihn vergessen, deine Gef?hle f?r ihn ignorieren?'
Ich sch?ttelte schwach den Kopf.
'Na siehst du.' Sie l?chelte mich aufmunternd an. 'Dann ist doch alles gekl?rt.'
'Aber?'
'Warum wehrst du dich denn so dagegen? Darren hat dich gern. Sehr gern sogar. Ob er dich liebt, das kann ich dir sagen, das kann wohl nur er dir sagen. Aber lieb hat er dich, das ist sicher. Also, wo liegt denn dein Problem?'
Betreten sah ich zu Boden. Ich hatte mit Marion bisher ?ber alles reden k?nnen, und hatte mit ihr auch ?ber alles geredet. Nur ?ber eine Sache nicht.
'Wei?t du? ich hatte mal einen Freund und?' Ich verstummte. Ach verdammt, ich wusste nicht, wie ich das sagen sollte. Bisher hatte ich noch mit niemandem ?ber dieses Thema gesprochen. Nicht einmal mit Conny.
'Ich? Er war wirklich Wahnsinn und damals habe ich zum ersten Mal geglaubt, dass es wahre Liebe wirklich gibt. Er war auch total lieb und war immer f?r mich da.' Ich seufzte schwer. Es waren keine angenehmen Erinnerungen, die ich damit verband.
'Dass all das nur seine Standartmasche war, erfuhr ich erst zu sp?t. Er hatte mich von Anfang an einfach nur verarscht. Nachdem er mit mir geschlafen hatte, hat er mich sitzen lassen. Ganz pl?tzlich, von jetzt auf gleich. Allen anderen habe ich erz?hlt, dass wir beide einfach nicht zusammen gepasst haben und deswegen Schluss gemacht haben.'
Ich legte den Kopf auf Marions Schulter und sie gab mir den Halt, den ich brauchte. Wie eine Mutter strich sie mir durchs Haar, um mir zu zeigen, dass sie f?r mich da war. 'Wei?t du, ich habe danach echt eine schlimme Zeit durchgemacht. Ich bin richtig depressiv geworden, habe mich mehrfach geschnitten und auch ?ber Selbstmord nachgedacht.' Der Griff um meine Schultern wurde fester. 'Versteh mich bitte nicht falsch, Marion. Ich habe nie ernsthaft in Erw?gung gezogen, mir das Leben zu nehmen. Aber ich habe mit dem Gedanken gespielt. ?fters.
Ich wei?, im Vergleich zu anderen Menschen, ging es mir recht gut. Aber f?r mich war es die H?lle auf Erden. Und das alles wegen eines Jungen, von dem ich geglaubt habe, er w?rde mich lieben. Ich will so etwas einfach nicht noch einmal durchleben m?ssen.'

Ich schwieg und wartete Marions Reaktion ab. Selbstverletzendes Verhalten und Suizid, das waren Themen, von denen sich Leute oft abschrecken lie?en, selbst dann, wenn es nur um die Theorie ging, und nicht darum, dass jemand, den man kannte solche Gedanken hatte.'Wei?t du, Eleonora, ich verstehe, dass du Angst hast' begann Marion langsam. 'Ich kann mir deine Angst nicht vorstellen, weil ich so etwas noch nie erlebt habe, aber ich kann sie verstehen. Nur?' Die machte eine kurze Pause, in der sie ?berlegte. 'Wei?t du, ich kenne Darren, seit ich denken kann. Nicht sehr gut, aber lange. Und ich hatte bisher immer das Gef?hl, dass er seine Beziehungen wirklich ernst nimmt und sie ihm wichtig sind.Und au?erdem, wenn er auch etwas f?r dich empfindet, meinst du, dein Ex ist es wirklich wert, seinetwegen dein Gl?ck nicht zu leben?'
Ich dachte nach. Langsam, aber sicher, stahl sich ein L?cheln auf mein Gesicht. Sie hatte Recht. Das war er wirklich nicht wert.
'So gef?llst du mir schon viel besser! Auf einen Vertrag habe ich keine Lust, das ist so formell. Aber lass uns trotzdem dokumentieren, dass du von nun an f?r deine Liebe k?mpfen wirst!'
Verdutzt schaute ich sie an. 'Und wie?'
'Moment!' Marion stand auf und kramte in einer ihrer Schubladen herum. Dabei flog, unter anderem, ein Reisef?hrer von Italien auf den Boden. Schlie?lich zog sie ihre Kamera hervor und kam zur?ck.
'Sprech mir nach: Hiermit verspreche ich, Eleonora Heinrichs, dass ich von nun an f?r meine W?nsche und Tr?ume, und f?r meine Liebe k?mpfen werde.'
Sie streckte mir ihren kleinen Finger entgegen und hob den Photoapparat so, dass sie uns beide im Bild hatte. Strahlend hakte ich meinen Finger ein.
'Hiermit verspreche ich, Eleonora Heinrichs, dass ich von nun an f?r meine W?nsche und Tr?ume, und f?r meine Liebe k?mpfen werde!'
Klick.
Somit war es besiegelt.
Wir unterhielten uns noch eine Weile lachend, bis ich schlie?lich nach Hause musste. Ich hatte gerade meine Chucks angezogen, als es an der Hauseingang l?utete. Gemeinsam gingen wir hin, und Marion ?ffnete.
'Hi, Schatz!' erklang es, sobald die T?r weit genug offen war, dass man erkennen konnte, wer auf der jeweils anderen Seite stand. Schmatz, hatte Marion einen Begr??ungskuss bekommen.
Und ich? Ich staunte nicht schlecht. Vor der T?r stand Daniela-Nadine - genannt Dana. Die Freundin, mit der Marion in den Urlaub wollte. Marions Freundin. Marions feste Freundin.Marion war lesbisch. Oder Bi. Eines von beidem.
Der braune Wuselkopf schaute mich gut gelaunt an, w?hrend Danas Blick eher skeptisch auf mir ruhte. Mir wurde bewusst, dass die zwei wohl auf eine Reaktion von mir warteten.Ich l?chelte.
'Viel Spa? noch euch beiden.'
Damit wollte ich eigentlich das Haus verlassen, damit die beiden ihre Zweisamkeit genie?en konnten. Allerdings zog mich Marion an der Hand zur?ck und dr?ckte mich an sich.'Danke' murmelte sie gl?cklich.
Ich l?chelte noch einmal und ging.
Irgendwie war ich auch ein bisschen stolz auf mich. Ich hatte zwar immer behauptet, kein Problem mit Homo- oder Bisexualit?t zu haben, aber genau wissen konnte man es nur, wenn man dem begegnete.
Und ich hatte die ?Pr?fung' erfolgreich bestanden. Meine beste Freundin war immer noch meine beste Freundin.

'Elli-Schatz! Wo bleibst du denn? Wir m?ssen los!' erschallte die Stimme meine Mutter durchs Haus.
'Ich komme!'
Hastig packte ich das Photoalbum in meine Tasche, in der sich bereits andere Gegenst?nde, wie Handy oder Geldbeutel, befanden und lief damit runter.
Heute war das Sommerfest. Der letzte Tag der Schule.







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