Mondfinsternis Teil 7

Autor: Jiyu no Kotoba
veröffentlicht am: 19.07.2008




Kapitel 7 - Legenden

'Sie nannten sich Familie Nachtstein. Sie hassten die Sonne und liebten die Nacht. Sie führten die seltsamsten Rituale durch und waren bei jeder Hinrichtung mit Freuden zugegen. Sie liebten es, wenn das Blut floss und Leben schwand. Und sie waren den Lehren des Teufels nicht abgeneigt.
Jeder mied sie und ihr Heim, das Schloss Nachtstein. Und noch unheimlicher war allen die Villa.
In den Adern der Familie Nachtstein floss reines blaues Blut. Und darauf waren sie stolz. Um dieses Blut unter keinen Umständen zu verunreinigen wurden auch immer öfter Verwandte miteinander verheiratet. Doch dadurch prägten sich gewisse Eigenschaften immer mehr aus. Blutgier, Mordlust, geradezu ans animalisch grenzende Wutanfälle. Und ihre wohl tödlichste Eigenschaft. Ihr Stolz.
Es gab eine unter den Nachtsteins, die weitaus weniger bestienhaft wirkte. Sie war aus einer langen Kette verschiedenster Ehen mit fremden Adeligen hervorgegangen, wodurch die für ihre Familie so typischen Merkmale kaum zum Vorschein traten. Aber sie waren da. Und sie waren stark genug, um die junge Esmeralda letzten Endes in ihr Verderben zu stürzen.Esmeralda war mit einem etwas weiter entfernt lebenden Vetter verlobt worden. Sie kannte ihn weder, noch hatte sie ihn zuvor schon einmal gesehen. Doch das war für sie nicht von Bedeutung, denn Gehorsam war Ehrensache. So dachte sie zumindest, bis zu jenem verhängnisvollen Tag, and dem ihr Weltbild völlig aus den Fugen geriet. Dem Tag, an dem sie Darwin traf und das erste Mal in ihrem jungen Leben verstand, was Liebe hieß.Esmeraldas liebste Zeit des Tages, war die Dämmerung. Sie war niemandem hörig. War sie noch ein Teil des Tages? Oder gehörte sie schon zur Nacht? Niemand wusste es. Nicht einmal die Tiere, obwohl sie sonst immer alles wussten.
Und so streifte sie, wie so oft, durch die Abenddämmerung und ließ ihre Gedanken schweifen. Doch dieses Mal blieb ihre stille Wanderung nicht so ungestört, wie sonst. Sie hatte sich bereits ziemlich weit von der Villa entfernt, als sie ein Geräusch im Unterholz erschrocken herumfahren ließ. Normalerweise war sie nicht ängstlich. Sie wusste, die Tiere würden ihr nichts tun. Aber dieses Geräusch stammte nicht von Tieren. Es war menschlich. Und sie behielt Recht. Nach und nach tauchten fünf bewaffnete Männer auf. Sie mussten dort auf der Lauer gelegen haben. Ihr Führer sprach Esmeralda an:
'Gräfin Esmeralda? Schätzungsweise ja. Machen sie keine Probleme, dann wird ihnen auch nichts passieren.'
Was sollte sie tun? Sich abführen lassen, wie ein Opferlamm? Das verbot ihr Stolz! Doch andererseits hing sie am Leben. Um der Drohung mehr Gewicht zu verleihen, kam er mit erhobener Waffe näher. Noch immer überlegte Esmeralda, was zu tun war. Aber die Entscheidung wurde ihr abgenommen. Von rechts ertönte eine tiefe, ruhige Stimme, die jedem ehrlichen Menschen sofort Vertrauen einflößte, einem bösen jedoch Furcht:'Keinen Schritt weiter. Lasst die Dame in Ruhe, oder ihr werdet es bereuen.'Langsam drehte die junge Frau sich um. Zwischen den Bäumen stand ein Mann, nicht viel älter als sie. Er hatte sein langes schwarzes Haar im Nacken zusammengebunden und seine dunkelbraunen Augen fixierten die Männer. In der Hand hielt er eine drohend erhobene Armbrust.
'Los. Verschwindet' forderte er sie mit noch immer ruhiger Stimme auf. Doch sie reagierten nicht.
'Wird's bald?' Er hob nur kaum merklich die Stimme, doch es zeigte Wirkung. Wütend zogen die Männer ab. Erst als sie nicht mehr zu sehen und auch nicht mehr zu hären waren, senkte er seine Waffe und sprach die noch immer regungslose Esmeralda an. 'Alles in Ordnung mit euch?'
Scheu sah sie zu ihm auf. Er war zwar nicht groß, aber größer als sie. Und er strahlte eine beruhigende Autorität aus.
'J-ja. Danke'
'Ihr solltet nach Hause gehen. Das ist wohl momentan sicherer.'
Stumm nickte sie und wandte sich zum Gehen, doch sie hatte noch keinen Schritt getan, als er neben sie trat.
'Soll ich vielleicht mit euch kommen? Es kann gut sein, dass sie noch in der Nähe sind.'Sie nickte wieder wortlos und lächelte ihn schüchtern an. Er hatte etwas an sich, was sie irritierte. Nichts unangenehmes, eher das Gegenteil, aber sie konnte es nicht wirklich einordnen.
Erst als die Villa schon zu sehen war, fand Esmeralda ihre Sprache wieder. 'Wie kann ich mich bei euch bedanken?'
'Das braucht ihr nicht. Euer Lächeln ist mir Dank genug.'
'Aber-'
'Sch…' Er legte ihr den Finger auf die Lippen, um sie zum Schweigen zu bringen. 'Geht nach Hause.'
Er lächelte sie mit leicht schief gelegtem Kopf an. Verwirrt schaute sie ihm ins Gesicht. Dann blickte sie zur Villa. Sie war nicht mehr weit entfernt.
'Wenn… wenn ihr meint. Dann… Lebt wohl.' Sie drehte sich zögernd von ihm weg. Irgendetwas in ihr wehrte sich dagegen, ihn zu verlassen. Aber dann ging sie doch. Sie hatte das Gebäude fast erreicht, als die sanfte Stimme noch einmal erklang.
'Wartet!'
Schnell drehte sie sich um. Er war nur noch vage von den Bäumen zu unterscheiden. Ein Schatten unter vielen.
'Es gibt eine Möglichkeit, wie ihr euch bei mir bedanken könnt.' Fragend wartete sie darauf, dass er fortfuhr. Als sie seine Bitte hörte, zog sich ihr Bauch vor Freude zusammen. 'Trefft mich wieder!'
Damit war er verschwunden und sie stand wieder alleine da. Nun, nicht ganz allein. Sie hatte das Gefühl, er wäre immer noch bei ihr. Und dabei kannte sie noch nicht einmal seinen Namen.

In den folgenden Tagen trafen sich die beiden immer wieder. Sie wusste nie, wo er war. Doch wenn sie durch die Dämmerung spazierte, tauchte er auf. Als würde er auf sie warten. Sie redeten nicht viel, sondern genossen es einfach beieinander zu sein. Das einzige, was sie über ihn erfuhr, war sein Name und sein Stand. Es machte ihr nichts aus, dass Darwin in der Gesellschaft weit unter ihr stand. Aber ihrer Familie würde es etwas ausmachen. Außerdem war sie schon verlobt. Als sie ihm ihre Ängste mitteilte, lächelte er nur sein stilles Lächeln, welches sie so liebte und meinte, dass sie schon einen Weg finden würden, um zusammen zu bleiben. Für immer. Doch es sollte nicht mehr lange dauern, bis diese junge Liebe ein schlagartiges Ende erfahren würde.
Es begann mit der Ankunft von Esmeraldas Verlobten. Die beiden Liebenden schafften es immer seltener, sich zu sehen. Und da sie noch immer keine Lösung gefunden hatten, wurden sie immer nervöser, was sie gereizter werden ließ, selbst gegeneinander.
Als Darwin schließlich vorschlug, zusammen fort zu gehen, war es schon zu spät. Esmeralda hatte ihre Entscheidung bereits getroffen. Sie sollten aufgeben. Sie würde dem Wunsch ihres todkranken Vaters folgen und ihren Verlobten heiraten. Alles andere würde sie nur beide ins Unglück reißen. Doch davon wollte Darwin gar nichts wissen. Sie liebte ihn doch, oder? Sie würden das schon durchstehen. Gemeinsam.
Ihr Streit wurde immer hitziger und aggressiver. Das Blut der sonst so ruhigen und besonnenen Esmeralda begann zu brodeln. Die Auseinandersetzung begann sogar
handgreiflich zu werden. Darwin packte Esmeralda grob am Oberarm und kassierte dafür eine Ohrfeige. Letzten Endes war von der liebevollen Esmeralda, die vollkommen aus der Reihe ihrer Ahnen tanzte nicht mehr viel übrig. Das Blut der Familie Nachtstein gewann die Oberhand. Sie wusste nicht, wie der Dolch, den sie seit der versuchten Entführung immer bei sich trug, in ihre Hand kam. Und sie wusste ebenso wenig, weshalb sie tat, was sie tat. Sie stach Darwin, ihren geliebten Darwin nieder. Erst, als sein warmes Blut über ihre Hand lief, kam sie wieder zu sich. Entsetzt über ihre Tat, versuchte sie, die Blutung zu stillen. Vergeblich. Mit Tränen in den Augen beteuerte sie immer wieder, wie sehr sie ihn liebte. Mit glasigem Blick sah er ihr tief in die Augen. Dann lächelte er und murmelte: 'Ich weiß' und atmete ein letztes Mal aus, das geliebte Lächeln erstarrt. Schluchzend brach sie über ihm zusammen und blieb noch lange Zeit reglos liegen, bis sie keine Tränen mehr hatte, die ihrer Trauer Ausdruck verleihen konnten. Doch als die Trauer zu einem dumpfen Schmerz wurde, kochte die Wut in ihr hoch. Nein, nicht auf ihn, ihren geliebten Darwin. Auf sich und auf die, die sie zu dem gemacht hatten, was sie war. Zu der, die Darwin getötet hatte. Ermordet.Wankend stand sie auf, nahm den Dolch und machte sich, über und über mit Blut besudelt auf den Weg zur Villa. Die Dämmerung war zur Nacht geworden und niemand sah sie kommen.Sie betrat ein Zimmer nach dem anderen. Sie klopfte an, lächelte. Irgendwo hatte sie einen Mantel gefunden, der ihre rote Kleidung verbarg. Niemand war misstrauisch. Jeder kannte sie, wusste, wie nett und zuvorkommend sie war. Deswegen rechnete niemand mit der eisernen Klinge, die sich in jedes einzelne der kalten Herzen rammte. Nicht ein einziger der Familie Nachtstein überlebte diese Nacht. Auch in dem anderen Haus der Nachtsteins, verloren alle ihr Leben. Nur diejenigen, welche an einem ganz anderen Ort lebten kamen davon.Als Esmeralda ihre grausige, blutige Tat vollendet hatte, ging sie zurück in den Wald. Zu Darwin. Still legte sie sich neben ihn und lehnte den Kopf an seine Schulter. Ihre leisen Worte wurden vom Wind davon getragen.
'Ich liebe dich Darwin. Ich werde dich immer lieben. Wir bleiben zusammen. Für immer.'Und damit beendete Esmeralda von Nachstein ihr Leben mit demselben Dolch, der auch ihrem Geliebten das Leben genommen hatte. Als die kalte Klinge in ihr Herz fuhr, glaubte sie zu sehen, dass Darwins sanftes Lächeln ein wenig breiter wurde. Auch sie lächelte. Nichts und niemand würde sie nun mehr trennen.'

Darren verstummte und ich hatte das Gefühl, nach einem langen Tauchgang meinen Kopf durch die Wasseroberfläche zu stoßen und endlich wieder Luft zu kriegen. Ich merkte, dass ich Tränen in den Augen hatte und wischte sie weg. Dann atmete ich kurz ein, um etwas zu sagen. Doch Marion hob die Hand und nickte rüber zu Darren. Er hatte die Augen wieder halb geschlossen. Im nächsten Moment erklang wieder seine ruhige Stimme.

'Damit hätte die Geschichte ein Ende finden können. Sie hätte damit ein Ende finden sollen. Aber so war es nicht. Esmeralda hatte einen Stein ins rollen gebracht der nicht mehr aufzuhalten war. Die Familie Nachtstein begann sich gegenseitig zu zerfleischen. Es wurden Intrigen gesponnen und Morde begangen. Schließlich ließ sich einer der ehrgeizigsten Männer der Familie zu einem Schritt hinreißen, der noch viel weitreichendere Folgen haben sollte, als Esmeraldas Tat. Er bat den Teufel um Unterstützung.
Und somit schlossen der Adelige Ludwig und der Teufel, der ja schon gesehen hatte, zu welch, für ihn so wunderbaren, bestialischen Handlungen die Nachsteins fähig waren, einen Pakt. Niemand wusste genau, was dieser Pakt besagte, vermutlich nicht einmal Ludwig selbst. Was für den Teufel dabei heraussprang ist für diese Geschichte jedoch unwichtig. Doch Ludwig und seine Leute waren nicht mehr länger die Selben. Ihre Wunden verheilten unnatürlich schnell. Krankheiten befielen sie erst gar nicht, schienen sie zu meiden. Ihre Stärke, Intelligenz und Schnelligkeit waren unmenschlich. Die Fähigkeit, sich zu freuen oder Zuneigung für jemanden zu empfinden, besaßen sie nicht länger. Stattdessen loderten Gefühle, wie Hass nur noch heißer. Aber noch schrecklicher, war ihre Gier und ihr Blutdurst. Sie vergewaltigten Frauen und tranken ihr Blut. Und auch die Frauen der Familie waren nicht anders, auch wenn sie weniger animalisch handelten.
Und je mehr sie sich nahmen, um so mehr wollten sie haben. Der Vampir war geboren.'

Es trat wieder Stille ein. Darren schien fertig zu sein, denn Marion, die die Legende ja kannte, lachte: 'Also sind Vampire Blutsüchtige und Sexgeile Monster.' Sie löffelte ihr mittlerweile flüssiges Eis leer. 'Aber sag mal Leo, wie fandest du die Legende?'
Ich schwieg. Ich hatte ihre Frage zwar gehört, aber nicht registriert. Stattdessen fragte ich abwesend: 'Das heißt, Vampire fühlen nur Hass und Wut? Sie können nicht lieben?' Meine romantische Vorstellung dieser Geschöpfe, die ich seit ‚Biss zum Morgengrauen' hatte, bröckelte leicht.
Mit schief gelegtem Kopf und seltsamem Blick sah Darren mich an. 'Nun, in jeder Legende steckt ja bekanntlich ein Körnchen Wahrheit. Aber der größte Teil, besteht aus Lügen.'







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