Nelda
Ich verbringe die zweite Nacht in Folge fast komplett in wachem Zustand. Aber jetzt da ich so nah an meinen Eltern bin... so nah an Nick... kann ich einfach nicht schlafen. Das ist nicht gut, denn so fehlen mir Kräfte am nächsten Tag, aber ich kann nichts dagegen tun. Als dann die Sonne am aufgehen ist, mache ich mich daran meinen Plan in die Tat umzusetzen. Ich brauche eine große Ablenkung. Deswegen lege ich ein Feuer in einem Haus ein paar Häuser weiter und verschwinde dann durch den Hinterhof in eine Seitengasse. Dort warte ich, bis das Feuer groß genug ist um die Beißer anzulocken. Dann mache ich mich leise und vorsichtig auf den Weg. Jetzt ist es ein Vorteil, dass ich hie aufgewachsen bin. Ich kenne jede Abkürzung, jedes Schlupfloch Inn und Auswendig. Und so schaffe ich es relativ zügig in das Innere der Stadt. Von weitem kann ich sehen, dass mein Feuer immer größer wird und sich auf andere Häuser ausweitet. Gut so, so lockt es mehr Beißer an.
Natürlich bemerken mich trotzdem ein paar von ihnen. Aber ich bin geschickt genug mit dem Messer um sie zu erledigen. Und dann komme ich in meiner alten Straße an. Nick und ich waren schon als Kinder befreundet. Wir waren Nachbarn. Doch zuerst muss ich sehen, ob es meinen Eltern gut geht.
Ich habe ein mulmiges und schreckliches Gefühl, als ich die Haustüre aufbreche. "Mum?" rufe ich leise in den Gang hinein. "Dad?" Zuerst nur Stille. Und dann ein ganz entferntes, kleines Geräusch. Als würde jemand versuchen aus einer Türe raus zu kommen. Sofort stürme ich los. Kann es etwa sein, dass sie noch leben? Sind sie hier? "Mum?" frage ich, diesmal lauter. Und dann höre ich es. Ein Fauchendes Geräusch. So eines, welches die Beißer ausstoßen. Sofort bleibe ich wie angewurzelt stehen. Sind hier etwa Beißer im Haus? Was geht hier vor sich? Ich sehe mich um, meine Waffen nun gezückt, jederzeit bereit sich in den Schädel eines Monsters zu graben.
Und dann kommt das Vieh um die Ecke. Und alles in mir gefriert zu Eis, um Sekunden später in Tausend Teile zu zerspringen. Der Beißer ist meine Mum. Aber es ist nicht sie. Nicht mehr. Teile ihres Gesichts hängen verfault nach unten, man kann die Zähne und die Kieferknochen deutlich sehen. Ihre Augen sind wahnsinnig und weit aufgerissen. Ihre Arme sind nach mir ausgestreckt wie eine groteske Art von Umarmung. "Mum.." sage ich und Tränen rinnen meine Wangen runter. Es ist als würde die Welt um mich herum in Flammen stehen. Als gäbe es da nichts als den Schmerz. Meine Mutter ist tot. Und obwohl mir von Anfang an klar war, das die Chance sie lebend zu finden gering ist, so war ich nicht auf das hier vorbereitet. Nichts in der Welt hätte mich je darauf vorbereiten können. Ich stehe wie erstarrt, während meine Mutter über Möbel stolpert und wieder aufsteht um zu mir zu kommen. Um mich zu töten, zu fressen. Verzweiflung sammelt sich in meiner Brust und ich weiß nicht wohin damit. Ungehindert laufen mit Tränen weiter übers Gesicht. Doch kurz bevor sie dann bei mir ist, kommt wieder Leben in mich. Ich schreie meinen Schmerz raus, während sich mein Messer in ihrem Schädel vergrabt. Und dann immer wieder, während ich über ihr knie und weine und schluchze. Wie konnte sie mir das antun? Wie kann das hier die Wirklichkeit sein? Wenn es so falsch ist?
Ich brauche eine ganze Stunde, bis ich wieder so weit beruhigt bin, dass ich zumindest das restliche Haus absuchen kann. Von meinem Dad fehlt jede Spur. Ich weiß nicht, ob das ein gutes Zeichen ist oder nicht. Die Erinnerungen die auf mich einprasseln sind schließlich zu viel für mich und ich packe einfach ein paar meiner alten Sachen - Bilder und sowas - in meinen Rucksack, ehe ich das Haus verlasse. Ich fühle mich leer und Hoffnungslos. Und obwohl ich weiß, dass mich in Nicks Haus nichts anderes erwarten wird als Schmerz, muss ich es wissen. Ich muss wissen, ob meine einzige Hoffnung, meine einzige große Liebe noch lebt. Als ich in sein Haus einbreche, schlage ich gegen die Wand um mögliche Beißer hervor zu treiben. Doch es passiert nichts. Das ist immerhin schon mal ein gutes Zeichen. Ich wage mich weiter ins Haus vor und wieder prasseln tausende Erinnerungen auf mich ein,
Wie wir uns geküsst haben. Wie wir zusammen gealbert haben... wie wir miteinander geschlafen haben... All das. Und ich fühle mich leerer und kaputter als je zuvor. Ich bin jetzt endgültig zerbrochen. Und es wird nicht besser als ich diesen riesigen Blutfleck im Wohnzimmer finde. Ich sinke davor auf den Boden und streiche darüber. "Nick." sage ich leise und die Worte bleiben in meinem Hals stecken. Wahrscheinlich ist er auch tot. So wie meine Mutter. So wie mein Dad. So wie die ganze verdammte Welt! Alle außer ich.
Ich bin in diesem Moment so wütend und verzweifelt, dass ich in einem Wutanfall die halbe Wohnung zertrümmere. Ich werfe Stuhle und Bilder und Briefbeschwerer durch die Luft an die Wände und schreie meinen Schmerz heraus. Das lockt natürlich Beißer an, doch das kommt mir nur gelegen. ich will etwas töten. Will die Monster die das getan haben zur Rechenschaft ziehen, auch wenn das nicht fair ist. Beinahe hoffe ich schon darauf, dass mich eines von ihnen erwischt, aber ich erledige sie alle. Und dann sinke ich wieder vollkommen leer in mich zusammen. In einer zerbrochenen Spiegelscherbe sehe ich mein Spiegelbild reflektieren. Ich bin kaum noch zuerkennen. Meinen Körper zieren nun allerlei Narben. Ich stehe vor Dreck und meine Haare sind ganz verfilzt. Ich habe schon weiß Gott wie lange nicht mehr wirklich geduscht. Nur der Regen wäscht immer wieder etwas Dreck von mir ab. Ich wende mich von diesem Spiegelbild ab und stehe schließlich wieder auf. Ich muss hier raus. Ich kann nicht eine Sekunde länger hier bleiben, sonst werde ich nochmal durchdrehen. Meine Feuer Ablenkung wird inzwischen erloschen sein. Ich muss raus aus der Stadt so schnell ich kann. Sonst bin ich genauso tot wie alles andere hier. Also schultere ich meinen Rucksack und mache mich auf den Weg.
Logan
Ich nicke auf ihre Frage hin. "Ja." sage ich und klettere zu ihr nach oben aufs Wohnmobil. "Ich hab zu lange geschlafen. Du hättest mich wecken sollen." sage ich und sehe sie etwas vorwurfsvoll an. "Was ist aus dem Plan mit New York geworden?" füge ich dann noch hinzu und lasse mich neben sie auf einem Stuhl nieder. Dabei mustere ich sie von der Seite.
Offene Arme der gewaltigste Protest den wir haben, will sagen: Bevor noch jemand hinfällt, passt bitte aufeinander auf in dieser scheiß Welt!