Devante
Mir war bewusst, dass ich sie mit meinen Worten ein Stück weit bedrängte, aber manche Leute brauchten einen Schubs, um in die Gänge zu kommen. Ich wusste zwar nicht, ob ich hier das Richtige tat, aber meinen Bruder so abwesend zu sehen, war nicht normal. Auch dass er nicht zu mir kam, um mit mir über seine Probleme zu sprechen, missfiel mir, aber ich konnte ihm nicht lange böse sein. Seelenbrüder hin oder her.
Es überraschte mich zwar, dass die beiden sich nähergekommen waren und jetzt dennoch Abstand zueinander halten konnten. An Daraghs Stelle hätte ich mich wie ein hirnloser Wilder auf Yelva gestürzt. Oder irgendwas in der Art. Auch in dieser Hinsicht waren wir unterschiedlich.
Idoya schien in Gedanken versunken zu sein. Ein gutes Zeichen. Sie dachte über das Gesagte nach, schien abzuwägen, ob ich vielleicht recht hatte oder nicht. Sie biss sich auf die Unterlippe, kaute darauf herum und schaute mich unsicher an. > Hast du deshalb kein Problem damit, andere Menschen zu töten? Befriedigst du damit unbewusst deinen Blutdurst?<
Ziemlich direkt, jedoch eine berechtigte Frage. Vor Yelva würde ich das nie zugeben, aber Idoya schien herausgefunden zu haben, wie tief der Einfluss vergangener Leben reichen konnte. Ich nickte langsam, wohl bewusst, dass das eine schreckliche Wahrheit war, mit der ich jeden Tag leben musste. > Ja, das tue ich. Mitglied der Schattengarde zu sein, hat von Anfang an diese dunklen Triebe befriedigt, so sehr mich das auch beschämt.<
> Und trotzdem machst du so weiter. Du nimmst diese Dunkelheit hin, kämpfst aber auf deine eigene Art und Weise dagegen. Habe ich das richtig verstanden?<
Wieder nickte ich. Ein kleines Lächeln umspielte meine Lippen. > Genau.<
Idoya
Ich verfiel erneut ins Schweigen, dachte angestrengt nach. Es war spannend und erschütternd zugleich, die Geschichte eines anderen Animae näher kennenzulernen. Außerdem bedeutete es mir viel, dass er mir das einfach anvertraute, nur um mir bei meinem Problem zu helfen. Ich verstand nun, warum Yelva ihn vergötterte. Er war ein guter Mann. Trotz der Dunkelheit, von der er sprach und die ihn jeden Tag im Griff hatte.
So erging es mir mit meiner scheinbar unüberwindbaren Angst. Sie beherrschte mich. Ließ mich zweifeln, ließ die Hoffnung schwinden. Oftmals stellte ich mir die Frage, wie meine Mutter oder mein Bruder in solch einer Situation gehandelt hätten. Ihre Meinung hatte mir stets weitergeholfen, aber sie waren nicht hier, um mir zu Rate zu stehen. Nun übernahm Devante ein klein wenig ihre Rolle. Er brachte mich dazu, über die Dinge nachzudenken, die mich in meiner Persönlichkeit einengten. Kaum zu glauben, wie sehr mich das Vorher beeinflusste.
> Ein Teil von mir will das, was zwischen dir und Yelva ist, aber der andere Teil fürchtet sich davor. Ich war noch nie verliebt. Hatte mich noch nie für einen Mann interessiert. Außerdem weiß ich nicht, ob Daragh überhaupt eine Beziehung führen will. Ihm fiel es ziemlich leicht, meine Abweisung hinzunehmen und einfach als Freunde weiterzumachen.< Letzteres kam nuschelnd über meine Lippen.
> Wäre es dir anders denn lieber gewesen? Dass er sich gänzlich von dir abwendet?< hakte er mit hochgezogener Braue nach.
Meine Antwort kam sofort. > Nein, nein... Das, nun ja, das hätte mich womöglich noch mehr verletzt.<
Es fiel mir nicht leicht, so offen über meine Gefühle zu sprechen. Das war es noch nie.
> Rede mit ihm. Mach ihm klar, dass du innerlich zerrissen bist, weil du einerseits mit ihm zusammen sein möchtest, andererseits große Angst hast. Werde dir deiner Schwäche bewusst. Bitte ihn darum, dir dabei zu helfen, diese Angst zu überwinden, wenn du das wirklich möchtest. Du bist nicht mehr allein, Idoya. Ich hoffe, dass dir das mittlerweile klar ist.<